Ausgleich mit dem Iran

28.11.2013
Anerkennung eines globalen Patt
von Wilhelm Langthaler
Der sich abzeichnende Ausgleich zwischen den USA und dem Iran eröffnet ein neues Kapitel in den internationalen Beziehungen. Er verändert nicht nur die Rahmenbedingungen für den syrischen Konflikt, sondern wird die regionale Ordnung des Nahen Ostens neu gestalten. Letztlich zeigt er einen weiteren Schritt hin zu einer multipolaren Weltordnung an, der gleichzeitig die US-Überlegenheit bestätigt, aber auf der Basis des Prinzips des „indirect rule“.
Karikatur von Carlos Latuff

Der Hintergrund des Konflikts

Grundlage des Interessenszusammenstoßes bleibt die Revolution von 1979 mit ihrem starken antiimperialistischen Antrieb. Bis heute ist sie einer der wichtigsten Volksrevolutionen der Region, ja der ganzen Welt. Die aus ihr hervorgegangene Islamische Republik stellt indes keinen direkten, linearen, unmittelbaren Ausdruck ihrer antiimperialistischen Tendenz sowie der mobilisierten subalternen Klassen dar, sondern wird über den herrschenden Klerus vermittelt, gebrochen.

Erinnern wir uns an den irakisch-iranischen Krieg: Mit ihrer Strategie des „dual containment“, der beidseitigen Eindämmung, tarierten die USA die Unterstützung über ihre Verbündeten so aus, dass sich beide Länder ausbluteten. Der Krieg diente den Mullahs als hervorragendes Werkzeug die Macht der aus der Revolution hervorgegangenen Volksbewegung zu brechen.

Als weiteres Beispiel kann das Projekt des ungleichen Paars Rafsanjani und Khatami in den 1990er Jahren herangezogen werden. Sie spiegelten die Interessen der neuen Elite wider, die spektakulär darin scheiterten, die Interessen der Volksmassen, des Klerus und der globalen Oligarchie zu vermitteln.

Die Unversöhnlichkeit des American Empire

Nach 1989/91 erreichte die Hegemonie der USA einen neuen Höhepunkt. Washington befand sich in der Position nichts weniger als die totale Unterordnung zu akzeptieren. Khatamis Avancen für einen Kompromiss mussten auf taube Ohren stoßen. Der auf Clinton folgende Bush, der schließlich das American Empire der Neocons ausrief, stellte eine weitere Zuspitzung dar, deren Hybris bereits die Keime des Scheiterns in sich trugen.

Das iranische Nuklearprogramm verfolgte eine legitime Logik der Selbstverteidigung gegen eine hochaggressive US-israelische Achse, die für sich das Monopol auf atomare Bewaffnung in Anspruch nimmt. Am Höhepunkt des Konflikts stellte eine militärische Aggression des Imperialismus eine reale Möglichkeit dar, der durch die Konsolidierung der iranischen Macht durch die Bildung der Achse Teheran-Bagdad-Damaskus-Beirut herausgefordert war. So kann Ahmadinejad als reziproke Antwort des Irans auf Bush verstanden werden.

Obamismus

Obama setzte dem US-Imperialismus keineswegs ein Ende, wie die damals grassierende Obamania vermuten lies, sondern stellte die veränderten Kräfteverhältnisse nach den Teilniederlagen im Irak und Afghanistan in Rechnung. Er handelte damit sehr wohl im Interesse der herrschenden US-Elite. Ein militärischer Angriff wurde zunehmend verworfen, denn die Chancen für die USA günstige Resultate hervorzubringen wurden als gering eingeschätzt. Auf der anderen Seite setzte Israel und seine US-Unterstützer ihre Kampagne für einen Militärschlag gegen Persien fort.

Dann nahm das syrische Desaster seinen Lauf. Washington testete mehrere Varianten, allerdings mit der Prämisse nicht nochmals in ein militärisches Abenteuer hineingezogen zu werden, das es letztlich nicht gewinnen könne. Washington ist nun von der Notwendigkeit eines politischen Abkommens überzeugt, bei dem die iranischen und russischen Interessen mit berücksichtigt werden müssen. Die politischen Kosten für die Fortsetzung und Eskalierung des syrischen Konflikts scheinen zu hoch. In diesem Konzept ist der Ausgleich mit Teheran die zentrale Voraussetzung für die Genf-II-Verhandlungen. Zwischen Bush und Obama liegt hinsichtlich der Iran-Politik eine Zäsur, nämlich jene zwischen direct und indirect rule. Jedoch muss damit gerechnet werden, dass die US-israelischen Hardliner alles tun werden um den angestrebten Ausgleich zu hintertreiben.

Die iranische Seite

Ahmadinejad muss als Reaktion auf das Scheitern von Rafsanjani und Khatami verstanden werden (die ihrerseits keine gemeinsame Linie, sondern eine Koalition darstellen). Ihr widersprüchlicher Versuch der Normalisierung stellte sich letztendlich als unmöglich heraus. Sie versuchten Persien in die kapitalistisch-imperialistische Weltordnung zurückzuführen. Doch das war inkompatibel mit dem Neocon-Reich, wenn dabei die nationale Unabhängigkeit, wie sie von der Revolution zum ersten Mal seit der Kolonialzeit hergestellt wurde, nicht aufgegeben werden sollte. Begleitet wurde die Politik vom Versuch einer partiellen Demokratisierung und kulturellen Entspannung während die exklusive Herrschaft der Klerus (vilayat-e faqih) erhalten werden sollte – ebenfalls eine unlösbare Aufgabe.

Ahmadinejad ist eine Form der antiimperialistischen Reaktion auf eine massive imperialistische Aggression. Für mehr als ein Jahrzehnt fungierte der Iran als wichtigstes staatliches Ziel, als Kopf der Achse des Bösen. Doch Ahmadinejad spielte auch die antiklerikale Geige gegen die offen kapitalistischen Mullahs und ihre liberalen Bündnispartner, die ihre Versprechen ans einfache Volk nicht einzulösen vermochten. Es gelang ihm die Seele der Armen anzusprechen. Die führenden Ajatollahs nutzen Ahmadinejad um der Krise ihrer Hegemonie entgegenzuwirken. Aber mit den Jahren stellte sich auch dieses Experiment als Fehlschlag heraus.

2009 entwickelte sich eine demokratische Massenbewegung für Reformen, die in der Konsequenz aber schnell die ganze Islamische Republik in Frage gestellt hätte. Ihre Forderungen waren formal ähnlich zu jenen des arabischen Frühlings zwei Jahre später. Sozial beschränkten sie sich aber auf die städtischen Mittelklassen. Anders als in der arabischen Welt bleiben die armen Volksmassen ruhig oder schlugen sich gar auf die Seite Ahmadinejads, der zudem auch die antiimperialistische Karte spielen konnte. In einem gewissen Sinn kam die Grüne Bewegung zu früh. Die Veränderungen in Washington waren noch nicht manifest, genauso wie das Ausmaß und die Dauer der globalen Krise des Kapitalismus.

Heute ist Ahmadinejad erledigt und verlor sogar die Unterstützung des Obersten Revolutionsführers. Der neu gewählte Präsident Rouhani steht vor ähnlichen Aufgaben wie Khatami vor zwei Jahrzehnten, doch vielleicht unter günstigeren internationalen Voraussetzungen.

Die Kosten für das Nuklearprogramm stiegen in irrationale Dimensionen nicht nur auf der Ebene der Politik. Allein mit wirtschaftlichen Kriterien lässt sich die Nutzung der Atomenergie in einem Land mit einer der größten Erdölreserven der Welt nicht rechtfertigen. Die verschärften Sanktionen zeitigen eine verheerende Wirkung auch angesichts der Tatsache, dass die iranische Führung sich als unfähig erwies ein alternatives Entwicklungsmodell zum globalen Kapitalismus zu entwerfen. Die Abhängigkeit von Öl und Gas blieb bis zum heutigen Tag total – ein Modell, das man in Lateinamerika abwertend Extraktivismus nennt.

Der gegenwärtige Deal scheint vernünftig und spiegelt die aktuellen Kräfteverhältnisse wider. Die USA behalten ihre totale militärische Überlegenheit. Sie entscheiden weiterhin allein darüber wer Atomwaffen haben darf und wer nicht. Damit bleibt Israel die einzige Atommacht der Region. Im Austausch dazu erhält die Islamische Republik eine Garantie gegen regime change und eine partielle Anerkennung als Regionalmacht. Keine der beiden Seiten kapituliert, beide geben teilweise nach. In einem größeren historischen Kontext kann man eine weitere Einschränkung amerikanischer Macht feststellen, die aber gleichzeitig auf eine tragfähigere Grundlage gestellt wird, nämlich ein System indirekter Machtausübung.

Doch wir befinden uns erst am Anfang einer neuen Phase für deren abschließende Beurteilung es noch zu früh ist. Die Geschichte ist offen. Ein geopolitisches Herangehen tendiert dazu die internen Konflikte und inneren soziopolitischen Beziehungen zu vernachlässigen, die letztlich die Triebkraft globaler tektonischer Brüche sind. Es ist ein großer Fehler die Kraft der demokratischen und sozialen Volksbewegungen zu unterschätzen, die nicht nur in der arabischen Welt, sondern auch im Iran am Werk sind. Die autoritäre Linie Assads oder auch Ahmadinejads wird auf längere Sicht nicht haltbar sein. Jede Lockerung im Iran lässt Kräfte aufkommen die weit über Rouhani hinausgehen wollen und dazu tendieren außer Kontrolle zu geraten.

Syrien

Das Iran-Abkommen wird keine automatische Auswirkung auf die syrische Situation haben. Wir dürfen nicht in die Falle jener gehen, die den syrischen Kriegs einzig durch die Brille der Geopolitik , als reinen Stellvertreterkrieg sehen. Obwohl die syrischen Kriegsparteien keine Marionetten sind, hängen ihre Optionen stark von der äußeren Unterstützung ab. Das heißt jede Einigung zur Beendigung des Bürgerkriegs bedarf starker interner Spieler an Bord. Die internationalen Rahmenbedingungen für einen Erfolg der Genf-II-Verhandlungen haben sich jedoch mit der Entspannung zwischen Washington und Teheran stark verbessert.

Fragezeichen Sauds

Möglicherweise geht Saudi-Arabien als der Hauptverlierer aus diesem Spiel hervor. Vier Jahrzehnte stellten der US-iranische Gegensatz sowie der Ölreichtum die Basis für den Aufstieg der Saud-Monarchie zur Regionalmacht dar. Nun tauchen drei Momente auf, die den Ölprinzen sorgen machen müssen: a) Der arabische Frühling trotz ihres konterrevolutionären Eingreifens. b) Die gegenständliche Entspannung zwischen Teheran und Washington. c) Die amerikanische Energierevolution mit der massiven Förderung von Schieferöl und -gas, die die Abhängigkeit der USA von saudischem Öl beendet.

Es gibt auch zunehmende interne Probleme. Die bereits auf 30 Millionen angewachsene Bevölkerung kann nicht wie bisher im Geld ertränkt werden. Das Saudi-Wahhabi-Koalitionsregime wird zunehmend dysfunktional und unhaltbar auch angesichts der Probleme, die der Export-Salafismus dem Verbündeten USA bereitet. Washington ist bemüht, das Feuer, das es mithalf zu entzünden, wieder zu löschen. Aber für Saudi-Arabien zeichnet sich weder von innen noch von außen eine grundlegende Veränderung ab. Große Konflikte liegen vor uns, während deren Lösung ein großes Fragezeichen bleibt.

Die USA wollen und können diesen nach wie vor wichtigen Verbündeten nicht verlieren und vice versa, aber eine Abkühlung bleibt zu erwarten. Sie werden wohl versuchen Riad Kompensation anzubieten: a) Eine stärkere Unterstützung für die ägyptische Junta. b) Im Libanon werden sie für einen Kompromiss wirken, der die Hariri-Gruppe wieder ins Zentrum zurückbringt. (Aber auch die dortigen Kräfte sind keine Marionetten. Washington mag über Teheran für die Entwaffnung der Hisbollah im Rahmen eines regionalen Redesigns Druck macht. Doch ob das gelingen kann ist fraglich.) c) Der gordische Knoten bleibt Syrien. Washingtons mögliche Kompensationen sind klein im Verhältnis zu dem was dort am Spiel steht. Jede Einigung braucht den Iran und das ist genau der Grund für den saudischen Zorn.

Große Linie

Was alle Spieler, ob regional oder global, vereint, ist ihr Misstrauen, ihre Angst, ihre Verachtung für die Volksmassen und deren Fähigkeit den Lauf der Geschichte zu bestimmen. Sie glauben allein Herr über Krieg und Frieden zu sein. Die demokratischen und sozialen Forderungen der Volksmassen, die der Zündstoff, der Antrieb für die Revolten waren und sind, spielen für sie eine untergeordnete Rolle. Vielleicht muss man das gegenwärtig so hinnehmen, denn die Beendigung des syrischen Krieges ist auf jeden Fall besser als seine Fortsetzung. Darum müssen wir Genf II unterstützen, obwohl es für die Interessen der Volksmassen nichts übrig haben wird. Früher oder später wird der Kampf für die Forderungen des Volkes wieder aufgenommen werden, hoffentlich unter günstigeren Umständen und mit geeigneteren Mitteln.

Seit 1989/91 haben wir vorausgesagt, dass die kapitalistisch-imperialistische Ordnung des Nahen Ostens mit Israel im Zentrum nicht halten würde. Der von den Volksmassen entwickelte Druck würde sie sprengen. Die ständigen, die Region erschütternden Kriege könnten für die Volksmassen nur zu einem positiven Ausgang führen, wenn sie in Volkskriege mit dem Ziel der Volksmacht umgewandelt würden. 2006 im Libanon fand so was in Form der Abwehr der israelischen Aggression teilweise statt. Wir bestanden darauf, dass Teile des politischen Islam in einem solchen Prozess eine Rolle spielen würden.

Was wir allerdings unterschätzten war die Kraft des Konfessionalismus-Kommunalismus (Sunniten, Schiiten, Franko-Laizismus) die Bewegung zu spalten, die Komponenten gegen einander in Stellung zu bringen und sich den Interessen der regionalen Mächte unterzuordnen. Das fügt sich ins Spiel des globalen Teile-und-Herrsche. Das ist was wir gegenwärtig in Syrien sehen. Und das ist was der Konterrevolution der alten Eliten zur Hilfe kommt.

Daher müssen wir heute jede Vereinbarung unterstützen die zu einem Waffenstillstand und zu einem Ende des Krieges führen kann, der in Hinblick auf die ursprünglichen Forderungen der Bewegung keinen positiven Ausgang mehr haben kann. Gleichzeitig wissen wir, dass eine solche Vereinbarung bedeutet, dass sich die Wölfe dieser Welt den Kuchen aufteilen.

Zuerst muss das Problem des Konfessionalismus und damit verbunden der Konflikt zwischen politischem Islam und Laizismus deeskaliert werden. Im Kern geht es um eine Vereinbarung zwischen den verschiedenen Komponenten der Volksbewegung, der islamistischen, der laizistisch-linken, zwischen Schiiten und Sunniten auf antiimperialistischer Basis und für die demokratischen und sozialen Interessen der Volksmassen.

Erst wenn die Ziele dieser Phase erreicht wurden kann eine neue revolutionäre Offensive einschließlich Formen des Volkskriegs gegen imperialistische Interventionen beginnen. Solange der bewaffnete Kampf jedoch konfessionell interpretiert wird, ist Deeskalation angezeigt.

Verweise