Jihadismus am Wendepunkt

25.11.2013
Revolutionäre Demokraten Syriens im Mehrfrontenkrieg
von Wilhelm Langthaler
Zumindest seit dem Chemiewaffenabkommen vom September 2013 kann die syrische Armee signifikante Erfolge am Schlachtfeld verzeichnen. Wir meinen, dass der Hauptgrund ein politischer ist: Die Dominanz des Jihadismus innerhalb der Aufstandsbewegung macht sich nun massiv bemerkbar. Es kommt zunehmend zu Abstoßungsreaktionen der Basis der Volksbewegung, auf deren Rücken der Jihadismus in einer auch vom Regime mitbetriebenen militaristisch-konfessionalistischen Logik wachsen und die Rebellion usurpieren konnte.
Muadamiya: von den Assad-Truppen ausgehungerter Damaszener Vorort

Regierungsoffensive

Militärische Erfolgsmeldungen sind in jedem Krieg mit Vorsicht zu genießen. Sie müssen sorgfältig mit jenen der anderen Seite(n) verglichen, abgewogen und verifiziert – und vor allem politisch interpretiert werden. Zudem handelt es sich um einen asymmetrischen Krieg, in dem Erfolg und Misserfolg nicht mit den gleichen Maßstäben gemessen werden können.

Nun sind die Meldungen eindeutig und insofern bestätigt, als die andere Seite nach Rechtfertigungen sucht. Im Ring von Armenvierteln um Damaskus befanden sich die Hochburgen der Aufstandsbewegung, in der die Jihadis aufgrund der Entfernung von den Versorgungsrouten lange Zeit eine weniger bedeutende Rolle gespielt hatten. Über ein Jahr konnte weder der systematische Artilleriebeschuss noch die Aushungerung den Widerstand brechen. Das lies sich nur durch die Unterstützung der Bevölkerung erklären, die trotz der widrigen Umstände zu einem Teil verblieben war. Doch nun sind einige dieser Vororte zurück an die Regierung gefallen.

Auch in der an den Libanon angrenzenden Bergregion Qualamon befinden sich die Regierungskräfte in der Offensive. Dieser kommt strategische Bedeutung zu, weil über sie die bewaffneten Oppositionellen im Großraum Damaskus versorgt werden. Eine andere Route gibt es nicht. Außerdem durchschneidet sie die Achse Damaskus-Homs-Küste. Selbst in Aleppo, der Hochburg der Jihadisten, die mittels einer Art militärischen Streichs und im Gegensatz zu Homs oder Damaskus ohne Volksbewegung eingenommen wurde, meldet die Regierung einen Teilerfolg nach dem anderen, während die Jihadis eine Generalmobilmachung anordneten.

Nicht zu vergessen auch die bedeuteten Erfolge der PKK-nahen PYD-Milizen im Norden, die erstmals auch bedeutende mehrheitlich nicht-kurdische Regionen kontrollieren. Arabische Christen und andere Minderheiten schlagen sich gegen die Jihadis auf ihre Seite. Zudem scheinen die Jihadisten ihre Kräfte auf Aleppo zu konzentrieren.

Gründe

Das Abkommen über die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen kann als politischer Sieg Assads betrachtet werden. Die Drohung des direkten militärischen Eingreifens der USA und damit der westlichen Allianz ist auf absehbare Zeit vom Tisch. Assad ist als Partner rehabilitiert und sein gewaltsamer Sturz kein proklamiertes Ziel der USA mehr.

In Washington nahm man wohl zur Kenntnis, dass die selbst betriebene oder zumindest unterstützte Militarisierung den konfessionellen Bürgerkrieg anheizte und dem Jihadismus eine außergewöhnliche Bühne bot. Gleichzeitig stellte sich heraus, dass kein verlässlicher und ausreichend starker syrischer Partner gebildet werden konnte, während ein eigenes Eingreifen nicht begrenzbar scheint und eine Wiederholung des irakischen und afghanischen Desasters vermieden werden soll. Nicht, dass man Assad siegen lassen will, doch man möchte ihn in einen Kompromiss zwingen. Die Kosten für seine Beseitigung werden als zu hoch und unkalkulierbar betrachtet. Zudem gibt der Jihadismus ab einer gewissen Größe sogar den größeren Feind ab. Assads Strategie, sich als Partner gegen den bewaffneten Islamismus zu verkaufen, könnte bis zu einem gewissen Grad aufgehen.

Als anderer, selten berichteter Grund für die Erfolge kann die Konfessionalisierung der Regierungskräfte bezeichnet werden. Das bezieht sich nicht nur auf die Beteiligung der kampferprobten und disziplinierten Hisbollah aus dem Libanon sowie schiitischer Milizen aus dem Irak, sondern vor allem auch auf die Umwandlung irregulärer Milizen, die oft ihr eigenes Territorium schützten, in eine reguläre und professionelle Miliz, die National Defence Forces. Sie besteht überwiegend aus Allawiten, aber auch Christen und Drusen. Es ist die reziproke konfessionalistische Antwort auf den Jihadismus.

Jihadismus nicht mehrheits- und siegfähig

Als dies sind Teilaspekte einen großen Ganzen: die Mehrheit der Bevölkerung, auch der sunnitischen, will nicht unter der Herrschaft der Jihadisten leben. Für einige, die deren regionale oder lokale Macht an eigenem Leib gespürt haben, erscheint die Assad-Diktatur sogar als kleineres Übel. Das gilt sowohl für Zivilbevölkerung als auch für demokratische Aktivisten. Zwischen Scylla und Charybdis werden viele wohl in die Passivität zurückfallen.

Eine spezifische Dialektik ermöglichte es dem Jihadismus Schritt für Schritt die Führung zu ergreifen. Die ausländische Unterstützung ist dabei nur ein Aspekt, der isoliert genommen vor allem der Assad-Apologie dient, obwohl er im Kontext aller Faktoren eine wichtige Rolle spielt. Am Beginn steht natürlich die blutige Repression der Assad-Gruppe, die die demokratischen Forderungen systematisch in Blut ertränkte. Diese bot dem Jihadismus eine hervorragende politische Plattform. Von beiden Seiten angetrieben entfaltete sich eine militaristisch-konfessionalistische Spirale, die von der ausländischen Unterstützung auf beiden Seiten weiter verstärkt wurde. Die demokratische Volksbewegung kam unter die Räder. Für sie blieb angesichts der Übermacht wenig Platz – sie war auch von beiden Seiten unerwünscht. Um so erstaunlicher, dass auch im Land selbst bis heute kämpft.

Die bewaffnete Selbstverteidigung drängte sich angesichts der Brutalität der Diktatur auf, während der grundsätzliche Pazifismus nicht praktikabel war. (Alle Versuche einer Verhandlungslösung von innen heraus wurden vom Regime zerstört – siehe den paradigmatischen Fall des entführten linken Oppositionsführers Abelaziz al Khayyer, der noch dazu aus einer allawitischen Familie stammt.) Doch der Islamismus (nicht alleine der Jihadismus) verfügte über keine Bremse für den Militarismus. Ein asymmetrischer Konflikt wurde auf das Militärische reduziert, wo die Opposition heillos unterlegen sein musste. Daher auch die Konzentration auf die ausländische Bewaffnung und Intervention (insbesondere mehr bei den sogenannten Moderaten). Die militärischen Erfolge schienen der militaristischen Linie recht zu geben. Gegen Assad war jedes Mittel recht, einschließlich der Jihadis. Dem Problem der Überzeugung, der politischen Gewinnung der Mehrheit, stellte man sich nicht oder sah nicht, dass Assad tatsächlich auch Unterstützer hatte. Auf der anderen Seite erkannte man nur Verbrecher. Daher auch die feste Idee, dass Verhandlungen nur Niederlage und daher Verrat bedeuten können. Sie als politische Bühne zur Konsolidierung der Volksbewegung und zur Isolierung der Assad-Gruppe im In- und Ausland zu fassen, bleibt bis heute auf eine kleine Minderheit beschränkt.

Doch auf den Regimeblock hatten die militärischen Erfolge des Jihadismus – nach der ersten Schockstarre – letztlich einen stabilisierenden Einfluss. Während die demokratische Bewegung ein sehr gefährlicher Gegner war, der mittelfristig die Assad-Gruppe hätte isolieren können und viele ihrer Unterstützer auf ihre Seite zu ziehen oder zumindest zu neutralisieren vermocht hätte, drängte der Jihadismus die Minderheiten und den Mittelstand zurück auf die Seite Assads. Die im Land verbliebene kapitalistische Elite, einschließlich der sunnitischen, blieb sowieso immer auf Seiten Assads. Nach dem Chemieabkommen wurde diese langsam wirkende politische Tendenz schließlich auch auf dem militärischen Gebiet manifest. Oder anders gesagt: Zuerst usurpierten die Jihadis die demokratische Bewegung auch dank ihrer militärischen Stärke. Nun versagen die Usurpieren ihnen zunehmend die Unterstützung – in Wechselwirkung mit ihren militärischen Niederlagen. Je mehr sie sich politisch isolieren, desto mehr stehen sie auch militärisch unter Druck.

Die einsetzende politisch-militärische Schwächung des Jihadismus widerspiegelt sich auch an den inneren Konflikten. ISIS oder Daesch, wie der irakische Al-Quaida-Ableger unter Syrern auch genannt wird, hat in manchen Gegenden seine alleinige Terrorherrschaft etabliert und schreckt auch nicht vor bewaffneten Attacken auf andere Islamisten, Jihadisten und selbst den syrischen Al-Quaida-Zweig, die Nusra-Front, zurück – von Nichtislamisten überhaupt zu schweigen. Ebenfalls von der militaristischen Logik getrieben, haben die anderen Jihadi-Gruppen Daesch bisher im Wesentlichen gewähren lassen. Einen Gegenangriff getrauen sie sich nicht. In einem zaghaften Versuch ihre Selbständigkeit gegen Daesch zu bewahren, schlossen sie sich zu einer jihadistischen Front zusammen. Doch das bedeutete gleichzeitig sich besonders vehement gegen mögliche Verhandlungen als Verrat auszusprechen, um von ISIS diesbezüglich nicht attackiert zu werden. Daran lässt sich auch erkennen, welcher Wind im Jihadi-Milieu nach wie vor weht und wie stark weiterhin der politisch-militärische Druck der radikalen Takfiris ist.

Anders das Bild von den „Moderaten“ bewaffneten Kräften, die schwer über einen Kamm zu scheren sind. Es handelt sich um jene, die den radikalen Jihadismus ablehnen, oft islamisch oder islamistisch aber gleichzeitig auch demokratisch und manchmal links orientiert und etwas weniger konfessionalistisch sind. Viele stammen historisch aus der demokratischen Volksbewegung, organisierten sich in lokalen Komitees und wuchsen in den bewaffneten Kampf hinein. Teilweise zeigen sie sich bereit mit dem Westen zusammenzuarbeiten und lehnen zuweilen eine Verhandlungslösung nicht kategorisch ab. In diesem Bereich gibt es unter dem Druck des Jihadismus eine Rückzugsbewegung, oft auch in lokale Abkommen mit der Armee, die nicht weit entfernt sind von Kapitulationen. Sie sind dem Zweifrontenkrieg weder militärisch noch politisch gewachsen. Sie begaben sich ins Schlepptau des Jihadismus (oder wurden dorthin gezwungen) und haben nune den Preis dafür zu bezahlen.

Genf oder Pyrrhus

Für Assad böte sich nun eine außergewöhnliche Möglichkeit mittels eines politischen Angebots, das einerseits einen Teil der demokratischen Forderungen erfüllt und andererseits die nicht-jihadistische Opposition (also einschließlich diverser Islamisten) einbindet, zu retten was von der Herrschaft seiner Clique und seinem Regime im weiteren Sinn zu retten ist. Mit dem sich abzeichnenden Scheitern des Jihadismus bekommt er unverhoffter Weise eine zweite Chance, die harte Linie vom März 2011 zu korrigieren.

Die Genfer Verhandlungen stehen und fallen mit einem solchen substantiellen Zugeständnis der Assad-Gruppe. Man kann annehmen, dass sowohl Moskau und Washington als auch die meisten Regionalmächte (vielleicht mit Ausnahme der Golf-Staaten oder zumindest Riads) eine solche Einigung unterstützen würden, die ebenfalls einen geopolitischen Kompromiss beinhalteten.

Es kann damit gerechnet werden, dass in einem Prozess und nach einer gewissen Zeitspanne wesentliche Komponenten der Opposition und der Gesellschaft einem solchen Übergangskompromiss zustimmen würden. Damit könnte der Jihadismus zurückgedrängt und isoliert werden.

Allerdings gibt es keinen Grund, keinen Hinweis darauf, dass Assad einen solchen Schritt zu machen gedenkt, es sei denn er würde von Moskau und Teheran dazu gezwungen. Doch auch diese können Damaskus offensichtlich nichts diktieren. Historisch hat sich gezeigt, dass die Gruppe über eine große Selbständigkeit verfügt. Sie setzt auf alles oder nichts und scheint bereit bis zum bitteren Ende zu gehen. Die führende Gruppe um Assad ging immer davon aus, dass ein militärischer Sieg, eine „security solution“ möglich sei. Im Angesicht der letzten Erfolge scheint sich die Linie bestätigt zu haben.

Fährt Assad die harte Linie weiter, so mögen seine Truppen noch weitere, auch substanzielle Fortschritte verzeichnen. Denn der Jihadismus erweist sich trotz der ausländischen Unterstützung als schlechter Repräsentant der Volksopposition. In letzter Konsequenz kann er nur verlieren und wird vieles in seinem Schlepptau mit sich reißen. Doch jeder der glaubt, dass die Revolte von Anfang an eine jihadistische Verschwörung von außen gewesen wäre, wird enttäuscht werden. Denn die große Mehrheit der Bevölkerung wünscht sie wie in Ägypten und Tunesien mehr demokratische und soziale Rechte. Das war Antrieb und Treibstoff der Rebellion. Und diese ist noch nicht erschöpft oder geschlagen, weder in Syrien noch anderswo, auch wenn die Kämpfe auf zahlreiche Schwierigkeiten stoßen und Veränderungen wesentlich länger als erhofft dauern. Assad kann mit der Politik der verbrannten Erde nur einen Pyrrhussieg einfahren – wenn überhaupt.

Man kann eine Analogie zu Ägypten anstellen: Nach dem Sturz Mubaraks kamen die islamistischen Moslembrüder mittels Wahlen an die Macht. Doch sie mißinterpretierten des Volkes Mandat, denn dieses wünschte sich eben demokratische und soziale Rechte – die es mit dem Islam als vereinbar verstand – und keinen islamischen Kulturkampf. Der auf zunehmende Ablehnung stoßende islamistische Alleinvertretungsanspruch verhalf dem alten Regime zum Gegenputsch mit erheblicher Unterstützung im Volk. Wenn die Generäle aber glauben, dass der Ofen nun aus ist und alles wie unter Mubarak weitergehen kann, dann haben sie sich zumindest mittelfristig schwer getäuscht.

Zudem handelt es sich beim syrischen Konflikt wesentlich auch um ein geopolitisches Match. Haben Washington & Co nun endlich einen Kompromiss akzeptiert, so heißt das nicht, dass sie eine glatte Niederlage einfach so einstecken würden. Sie haben noch lange nicht alle Karten ausgespielt. Zudem ist in der Region einiges in Bewegung. Der Kompromiss im Atomstreit mit dem Iran könnte die Lage in Syrien stark beeinflussen. Ein groß angelegter Interessensabtausch in der Region kann nicht ausgeschlossen werden.

Ruder herumreißen – oder Haytham versus Michel

Die linksdemokratische Opposition hatte von Anfang an vor einer solchen Entwicklung mit ihren drei Neins gewarnt: Nein zur Militarisierung, nein zum Konfessionalismus, nein zur ausländischen Intervention. Auch vor der militärischen Einnahme Aleppos wurde richtigerweise abgeraten. Sie sollte recht behalten. Trotzdem wurde sie hinweggefegt.

Radikal vereinfachend gab es zwei politische Linien in der revolutionär-demokratischen Opposition assoziiert mit den im Ausland bekannten Figuren Haytham Manna und Michel Kilo:

Haytham steht für einen prinzipiellen Pazifismus, der seine anfangs dominante Strömung aus der Bewegung ausschloss. Denn zwischen Militarismus einerseits und Pazifismus andererseits gibt es ein sehr weites Feld. Die gesamte linke Guerillabewegung in den 1960-70ern war von der Diskussion geprägt, wie der bewaffnete Kampf geführt und damit gleichzeitig politische Hegemonie im Volk hergestellt werden kann. Die Frage kann man bis in die Anfänge der sozialistischen Bewegung ins Europa des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen, die sich gegen den Blanquismus etablierte, um nur ein Beispiel zu nennen. Die politisch moderierte bewaffnete Selbstverteidigung wäre auf jeden Fall möglich und auch notwendig gewesen. Doch die Übermacht der jihadistischen Gruppen, die auf massive ausländische Unterstützung bauen konnten und noch immer können, war nicht Herr zu werden.

Michel beging den pazifistischen Fehler nicht, auch wenn erst sehr spät versuchte die bewaffneten Kräfte zu beeinflussen. Seiner Tendenz war es aber unmöglich für ein ernstzunehmendes militärisches Auftreten die materiellen Mittel zu organisieren. Lange versuchte seine Strömung sich als selbständige Kraft zu etablieren. Angesichts der sich unaufhaltsam drehenden militaristisch-konfessionalistischen Spirale sogar mit beachtlichen Erfolg oder zumindest Potential. Doch letztlich unternahm er es dann doch sich des Vehikels des vom Westen unterstützten Oppositionsbündnisses zu bedienen, das letztlich von der US-Machtprojektion lebte und lebt. Auch wenn man proklamiert diese zu benutzen, läuft man angesichts der Kräfteverhältnisse Gefahr zum Schluss doch selbst benutzt zu werden.

Man kann beiden Linien erhebliche politische Fehler unterstellen. Doch wenn man den Strom der Geschichte auf seiner Seite weiß, werden diese einem allemal verziehen. Hat man ihn gegen sich, dann wiegen diese Fehler doppelt und mehrfach. Der Grund für die Marginalisierung der Linksdemokraten liegt genau darin, dass zwischen dem Hammer der vom westlichen Block unterstützten islamistischen Guerilla und dem Ambos der vom russisch-iranischen Block unterstützten Regierungstruppen kein Platz für den demokratischen Aufstand der Unterklassen blieb – zumal die zwei Seiten auch noch konfessionell mobilisieren.

Eröffnet sich mit dem sich abzeichnenden Scheitern des Jihadismus eine neue Chance für die revolutionären Demokraten? Können sie von der durch den Jihadismus produzierten Katastrophe profitieren oder werden sie von diesem mit in den Abgrund gerissen? Sicher ist, dass jeder Erfolg der Regierungstruppen auch eine Form der Konterrevolution ist und zwar viel heftiger als in Ägypten.

Genf als Chance

Es scheint mehr als jemals angezeigt, sich vom Jihadismus sowohl politisch als auch militärisch abzusetzen. Es geht darum, eine revolutionär-demokratische Front auf der sinngemäßen Basis der drei Neins zu bilden, sich gleichermaßen auch vom Westen und seinen regionalen Verbündeten zu distanzieren – und damit auch von den mit ihnen assoziierten Oppositionsbündnissen.

Die Idee von Verhandlungen muss vom Nimbus des Verrats befreit werden. Denn dieser leitet sich letztlich von der militaristischen Konzeption ab, die den Sieg einzig in seiner militärischen Dimension begreift. Doch der Erfolg der demokratischen Revolte wird politisch blockiert durch den um den Antijihadismus konstruierten Assad-Block. Präsentierte man in Verhandlungen die ursprünglichen demokratischen und sozialen Forderungen als Grundlage und Ziel, dann würde schnell klar, dass es die Assad-Gruppe ist, die den Übergang blockiert und letztlich auch das jihadistische Monster geschaffen hat. So kann man darauf hoffen, den Assad-Block zu differenzieren, zu schwächen, zu zersetzen, denn auch die Mehrheit der kleineren Identitätsgruppen wünscht sich demokratische und soziale Reformen – wenn man auf der anderen Seite glaubwürdig für ihre Sicherheit und Rechte als Minderheiten garantiert und gegen den Jihadismus und ausschließenden Islamismus vorgeht, der diese gefährdet.

Abkommen mit Teil des politischen Islam

Grundvoraussetzung dabei ist – wie in allen arabischen Ländern – nicht in die Falle des Kulturkampfes Islam versus Säkularismus zu tappen. Im besten Fall enthält eine revolutionär-demokratische Front eine signifikante islamische Komponente. Doch beide gibt es (noch) nicht. Sie halten den Status eines Desiderats. Jedenfalls muss diese Front versuchen mit einem zu fördernden toleranten, demokratischen und antiimperialistischen Teil des politischen Islam einen Modus vivendi, ein Abkommen zu entwickeln. Dies geht gleichzeitig einher mit der Spaltung des Islamismus und der Isolierung der reaktionären, konfessionalistischen und jihadistischen Teile. Erst damit wird der Weg frei für den Klassenkampf und für ein neues antikapitalistisches Projekt, das sonst im antiislamischen Kulturkampf auf Seiten der alten Eliten zu verkommen droht.

Wer noch immer an die Repression als Mittel gegen den Islamismus glaubt, kann am Beispiel Assad, Mubarak und Ben Ali bzw. ihren Nachfolgern sehen wohin das führt – nämlich zum konfessionellen Bürgerkrieg ohne jede Hoffung, ja zum Nihilismus.

Also eine Herkules-Aufgabe für die revolutionären Demokraten Syriens und der arabischen Welt.