Die AUTONOME ANTIFA (W) und der strukturelle Rassismus

13.02.2017
Von AIK und Dar al Janub
Warum FPÖ und Antifa Israel unterstützen und Muslime hassen

„I don’t get mad when a White man calls me nigger. I just ask him why he needs me to be one.” James Baldwin

Am 29.11.2016 hat ein Bündnis aus verschiedenen Initiativen den „Internationalen Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ begangen (siehe Externer Link links). Als Befürworter von Apartheid, Besatzung und Völkermord hat sich das Bündnis „Boycott Antisemitism“ als Gegendemo formiert. Mit von der Partie war die „AUTONOME ANTIFA (W)“. Von ihnen gab es auch den Versuch eines Übergriffs auf unsere Kundgebung. Eine Eskalation konnte dabei weniger durch die Polizei, als durch den besonnenen Umgang unserer selbst gestellten OrdnerInnen vermieden werden. Auf dem Transparent der StudentInnengruppe „AUTONOME ANTIFA (W) war zu lesen: „Gegen Antisemitismus, Sexismus und Homophobie!“

Die politischen Parteien in Europa - vom extrem rechten Rand über die großen Volksparteien bis hin zum linksliberalen (grünen) Spektrum - haben zwei Antworten auf die Krise, den Krieg in Nahost und die dadurch ausgelöste Flucht von Menschen: Erstens die politische und militärische Unterstützung Israels, das in der Region weiterhin die Interessen der reichen Länder des Nordens vertritt. Zweitens der Aufbau eines inneren europäischen Feindes – des Islam und das was man damit verbindet oder was damit verbunden werden soll. Das geschieht seit Jahren über die „Muslimisierung“ von Geflüchteten. Hätten die GastarbeiterInnen der Nachkriegsepochen angeblich noch Arbeitsplätze weggenommen, bringen die heute Ankommenden angeblich ein inkompatibles Kultur- und Werteverständnis mit; so der Wechsel des Credos der Dominanzgesellschaft. Dieser Prozess ist seit den 1990er Jahren zu beobachten und hat sich als feste und strategische Linie in den großen Volksparteien in Frankreich, England, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Österreich durchgesetzt. Aktuell ist in den letzten Jahren der nationale Schulterschluss mit den Parteien des rechtsextremen Lagers vollzogen worden.

Dieser Kulturchauvinismus der Eliten traf auf breite Zustimmung in Teilen der VerliererInnen des neoliberalen Umstrukturierungsprozesses und hat sich auch in den mittlerweile geschichtsfernen Bereichen der linken Spektren festgesetzt.

Dieses Verständigung in der Dominanzgesellschaft findet ihre Entsprechung in den Verhetzungen in den Mainstream-Medien wieder; mal gibt es verstärkte Kampagnen wie zum Beispiel die Ehrenmorddebatte zu einer Zeit, als die BRD ihre militärischen Aktivitäten in Afghanistan verstärkte oder die Debatte um die Kölner Silvesternacht, die der „Willkommenskultur“ ein Ende setzen musste bzw. darauf abzielte, in einer ersten Phase Menschen aus Nordafrika das Bleiberecht abzusprechen und Abschiebungen im großen Stil und mit Akzeptanz der Bevölkerung durchzuführen. Dies auch als Teil der Antwort, um Erscheinungen wie PEGIDA wieder einzudämmen.

Neben der Politik und der medialen Aufbereitung hat sich das rassistische und antimuslimische Klima auf den Straßen verschärft. Die Konsolidierung des Feindbilds Islam hat eine unmittelbare und direkte Wirkung durch bestimmte Formen von Gewalt in den Straßen. Diese politische Übereinkunft ist in Österreich am besten und anschaulichsten festzumachen, wenn man sich zwei voneinander getrennt abgelaufene, aber inhaltlich übereinstimmende Veranstaltungen im November 2016 in Wien ansieht. Zum einen hat die FPÖ am 7. November 2016 ein Symposium mit dem Titel „Haben wir aus der Geschichte gelernt? Neuer Antisemitismus in Europa“ im Wiener Grand Hotel abgehalten. Zeitgleich, aber mit vermeintlicher Wissenschaftlichkeit wurde in den Räumlichkeiten der Universität Wien eine Veranstaltung der israelischen Botschaft organisiert. Sie trug den Titel „Internationale Konferenz zu Islam und Antisemitismus“.

Für die Straßengewalt bzw. der physischen Auseinandersetzung im öffentlichen Raum kann man zwei Akteure/Gruppierungen oder Lager ausmachen: Die extreme Rechte und „Identitäre“ auf der einen Seite und gewendete linke Gruppierungen wie die „AUTONOME ANTIFA (W) “ auf der anderen Seite. Angedockt an getrennte politische Lager, Parteien und Institutionen und dadurch grundsätzlich in einer oberflächlichen Gegnerschaft zueinander, haben sie eine unübersehbare Schnittmenge – den antiislamischen und antipalästinensischen Rassismus. Um hier nicht die entpolitisierenden und analytisch falschen „ringslechts“-Konfusitäten zu bestätigen, wollen wir klarstellen, dass beide Subkulturen der Straßengewalt systemstützend sind und das neoliberale Projekt flankieren und an den Rändern absichern. Diese ANTIFA hat nichts mehr mit einer Kritik am Kapitalismus und seinen Institutionen zu tun und sie trägt abstrakte Phrasen vor sich her, die in der konkreten Politik das Gegenteil dessen bewirken, was sie vorgeblich erreichen wollen. („Für Israel und den Kommunismus“ oder ähnliche Aporien)

So wie in allen neokolonialen Räumen sind die Begründungen, Stereotypisierungen und Konstruktionen des „Anderen“ vielfältig. Das rechte Lager, welches erst in dem letzten Jahrzehnt seine „Liebe“ und Solidarität zum Staat Israel entdeckt hat, nutzt weiterhin noch die alten Bilder und Zuschreibungen vom niederträchtigen und gewalttätigen Muslim. Die neoliberale „AUTONOME ANTIFA (W)“ dagegen versucht „wissenschaftlicher“, intellektueller, belesener daherzukommen und kreiert und formuliert dabei immer neuere Erscheinungen von Antisemitismus , so wie auch Israel selbst auf jede Kritik mit der Empörung des Opfers mit der Antisemitismuskeule reagiert. Erklärungen für ihre Behauptungen glaubt diese ANTIFA keine bringen zu müssen. Sie wähnt sich moralisch im Recht zu denunzieren und Gewalt gegen Andersdenkende anzuwenden. Sie wissen dabei die Machtapparate wie Medien und Akademie auf ihrer Seite, die kritische Gegenpositionen nicht zulassen.

In Österreich inszenieren diese zwei Lager einmal im Jahr eine ritualisierte Schlacht. Als Zeremonie wird im Februar jeden Jahres eine Tanzveranstaltung der extremen Rechten zum Anlass genommen eine Feindschaft in der Öffentlichkeit zu inszenieren und zu dokumentieren, die bei näherer Betrachtung nur partiell existiert. Über den Rest des Jahres ist schon längst zusammengewachsen, was aus der Perspektive neokolonialer Machtpolitik zusammengehört: zwei Schlägertruppen, die in ihren definierten Räumen rassistische Übergriffe in den verschiedensten Formen unternehmen – und das unter weitgehender Duldung der staatlichen Organe.

In Deutschland und Österreich ist die Auseinandersetzung mit dem kolonialistischen Erbe Europas historisch bedingt schwach ausgeprägt bis inexistent. Nahezu noch vollkommen negiert wird in deren Wissenschaftsbetrieb der Zusammenhang von Kolonialismus und Holocaust, da der Imperialismus und der ihn begleitenden Rassismus die intellektuelle und kulturelle Brücke bildete eine bestimmte Gruppe selbst in und aus der europäischen Gesellschaft heraus als „besonders“, „anders“, „fremdartig“, „gefährlich“ zu markieren, um sie dann systematisch zu ermorden.

Die heutige ANTIFA suggeriert eine Fortsetzung des historischen Antifaschismus zu sein, der eng mit der kommunistischen Bewegung verbunden war. Doch wenn man einen zweiten Blick auf das Phänomen „AUTONOME ANTIFA (W)“ wagt, wird man dahinterkommen, dass es keine Kontinuität gibt, sondern um eine aggressive Subkultur des herrschenden Systems handelt. Hier am Beispiel der Stilisierung ihrer Gegenposition zu FPÖ, zu der sie große Ähnlichkeiten aufweisen: Ein Tag nach der Bundespräsidentenwahl formierten sich deren AnhängerInnen vor der Hofburg. Sie rollten ein Transparent aus - der Slogan: „46% es bleibt dabei. Österreich du Nazi“. 46% der WählerInnen, die dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer ihre Stimme gaben, sollen gemäß dieser Parole Nazis sein.

Die Gleichsetzung der Hälfte der Wähler mit Nazis ist in vielfacher Weise bezeichnend für eine Elitenideologie und gleichzeitig gefährlich für Kräfte, die an den demokratischen und sozialen Zielen der Linken festhalten. Zunächst ist da die Entwertung und Unbrauchbarmachung des Faschismusbegriffs. Jede politisch-soziale und historische Analyse wird ignoriert und stattdessen eine radikale Reduktion auf ein moralisierendes Gut/Böse-Schema vorgenommen. Damit wird verdeckt, dass der Nationalsozialismus den kapitalistischen Eliten diente und dass es gegen ihn Widerstand von unten gab. Die Kollektivschuldthese hat in letzter Konsequenz den Zweck die Eliten zu entschuldigen, bis man dort ankommt deren neokoloniale Politik anzupeitschen.

In ähnlicher Weise ist die Überhöhung der FPÖ als faschistisch, nicht nur eine Verharmlosung des Faschismus, sondern vor allem eine substanzielle, wenn auch getarnte Unterstützung des bestehenden Regimes. Der soziale Unmut gegen den Neoliberalismus, der in der Ablehnung des bestehenden Regimes mit zum Ausdruck kommt, wird in keiner Weise konstatiert, geschweige denn ein Gedanken darauf verwendet, wie man diesen von den reaktionären politischen Formen trennen könnte.

Doch selbst wenn man einzig das Kriterium des Rassismus in moralischer Art und Weise anlegt, funktioniert das noch immer nicht (ganz abgesehen davon, dass die ANTIFA mit ihren antiarabischen Hasstiraden selbst nicht sauber ist).Man braucht nur zu hinterfragen, was die anderen 54% WählerInnen sind, die den Grünen Kandidaten bevorzugten. Unterstellen wir, dass unter den Van der Bellen-WählerInnen viele aus ein Problem mit dem Kopftuch muslimischer Frauen haben – als negatives Chiffre für die aufgeklärte Überlegenheit der westlichen Kultur, ist die Zuweisung (rassistischer) Vorurteilen zu eine bestimmte Seite oder Gruppe der Gesellschaft (46% Hofer-Wähler, Deklassierte, Verarmte,…) wohl nicht haltbar. Doch es geht nicht darum, ob solche seichten Hirngespinste haltbar oder legitim sind. Doch diese politische Methode der Projektion von bestimmten negativen Eigenschaften und Zuschreibungen (das Nazi-sein) auf eine bestimmte Gruppe, hat einen handfesten politischen Zweck.

Die „AUTONOME ANTIFA (W)“ kommt aus dem sogenannten „antideutschen“ Milieu, hat aber mittlerweile ansatzweise ein Image-Problem mit dieser rassistischen linken Subkultur aus den 1990er Jahren. Diese hatte just in dem Moment als die deutschen Eliten die traditionell antisemitische profaschistische Rechte mit ihrem Gladio-Netzwerk nach der Wende fallen ließ, den Antisemitismus als eigenständige, losgelöste und im Gegensatz zu anderen Formen von Rassismus verabscheuungswürdigere Form des Rassismus für sich entdeckt. Da nun in Folge Antisemitismus in den „antideutschen“ Subkulturen zunehmend zur einzigen, wirklich wesentlichen und das höchste Augenmerk verdienende Form des Rassismus gezählt wurde, dieser zugleich als einziges Phänomen der „Mehrheitsgesellschaft“ und ihrer Institutionen entdeckt wurde, war damit eine Entwicklung zu einer extremistischen Elitenideologie aus der Linken heraus in Gang gesetzt. Rassismus (alias Antisemitismus) wäre damit ein spezifisch deutsches und österreichisches Problem, was wiederum eine strak Deutschzentrierung zeigt, eine Art negativer Deutschnationalismus sowie wie in gewisser Hinsicht auch der Zionismus war. In einem zweiten Schritt wurde Antizionismus mit Antisemitismus gleichgesetzt und damit der „antirassistische“ Kampf in der Verteidigung und Solidarität mit dem Apartheidstaat wieder „internationalisiert“ und Antisemitismus wiederum zu einer eigenständigen, „höchsten“ und unvergleichlichen Form des Rassismus stilisiert. Diese Eingrenzung von Rassismus trug dazu bei der Dominanzgesellschaft und ihren Institutionen, ihrem strukturellen und institutionellen Rassismus gegenüber den subalternen Anderen (Muslime, Schwarze, Roma, usw.) einen Persilschein auszustellen. Bekannte man sich zu Israel (zum „Juden unter den Staaten“), war alles in Ordnung. Aus der Position solcher ANTIFAS handeln jene, die „Nazis“ angreifen, antirassistisch. Und da in weiterer Folge jede Opposition gegen den zionistischen Staat mit Antisemitismus (und damit mit „Nazis“) gleichgesetzt werden konnte, wurden PalästinenserInnen, AraberInnen und schließlich Muslime zu bekämpfenswerten AntisemitInnen gebrandmarkt – und angegriffen.

Konkreter, zugespitzter und gefährlicher sind diese Formen von Gewalt in anderen europäischen Ländern. In Großbritannien marschiert die English Defense League (EDL) mit in Israelfahnen gehüllten Schlägern durch die Straßen. Die Ligue de Défense Juive (LDJ) machte sich in Frankreich durch eine Bombe am Auto eines Journalisten einen Namen und ist bekannt für brutale Angriffe auf Menschen, die ihre Solidarität mit Palästina demonstrieren. Bei PEGIDA wird zynischerweise das „jüdisch-christliche Abendland“ beschworen, als ob es Ausschwitz nie gegeben hätte. Die rassistische Gewalt, die im Zuge solcher PEGIDA Aufmärsche erfolgt, ist bekannt. Die abgeschwächte Variante an Übergriffen und Angriffen auf Muslime, AraberInnen und Menschen, die Solidarität mit der Bevölkerung Palästinas zeigen (in der Selbstvergewisserung damit den Staat Israel zu verteidigen oder Antisemitismus zu bekämpfen) erfolgt durch die „AUTONOME ANTIFA (W)“. Diese hat kein Gesicht, keine Namen und agiert aus der Anonymität – weil sie sich gerne als verfolgt darstellen und sich so als Subkultur inszenieren wollen. Indem sie auf Demonstrationen Gruppen von Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund als Muslim(-brüder), DjihadistInnen, Islamisten oder palästinensische TerroristInnen markiert, entscheidet sie mit ihrem Zugehörigkeitsregime, welche Gruppe protestieren darf und welche nicht. Die Markierungen der „AUTONOMEN ANTIFA (W)“ schaffen soziale Segregation und machen automatisch handelnde Menschen ohne europäische Sozialisation, also Subjekte, zu Objekten.

Die Angriffe und Übergriffe der „AUTONOMEN ANTIFA (W)“ auf Infotische, die über die Menschenrechtssituation in Israel/Palästina aufklären, die aus Kundgebungen des Bündnisses „Boycott Antisemitism“ heraus auf propalästinensische Solidaritäts-Kundgebungen erfolgen oder die auf Teile von DemonstrantInnen während gemeinsamer Demos von Linken erfolgen, sollen Angst verbreiten – und auf der globalen Ebene die aktuellen Machtverhältnisse legitimieren.

Für ein freies Palästina!
Für ein demokratisches Palästina!

Antiimperialistische Koordination (AIK)/ Dar al Janub – Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative

Wien, Februar 2017

Verweise