Achtungserfolg Mélenchons

02.05.2017
Demokratisch-sozial-souverän hegemoniefähig
Von Wilhelm Langthaler
Überlegungen zu den Ergebnissen des ersten Wahlgangs der französischen Präsidentenwahlen

1) Ein Fünftel aus dem Stand für Anti-Eliten-Kraft von links
2) Fast die Hälfte gegen das Establishment
3) Rechte nicht konsensfähig
4) Kollaps der PS und des Zweiparteiensystems
5) Wahlmonarchie mit Medienzauber gerade noch gerettet
6) Mélenchon nicht radikal genug
7) Aufruf zum Nichtwählen

1) Knapp 20% für „France insoumise“ zeigt Potential

Ohne allzu großen Apparat hat Mélenchon die Regimelinke marginalisiert und praktisch aus dem Stand 20% der Stimmen erobert. Knapp um 2 Prozentpunkte ist das politische Erdbeben, in die Stichwahl gegen Le Pen zu gelangen, verfehlt worden. Die Kandidatur hat die entscheidenden Punkte angesprochen:

Nicht nur Schluss mit der Austerität – das haben viele versprochen, aber bisher niemand auch nur ansatzweise getan, weil sie die Globalisierung nicht in Frage stellen wollen –, sondern es wurden auch die institutionellen Konsequenzen angesprochen. Nämlich Neuverhandlung der EU-Verträge als Plan A. Sollte das nicht gelingen, wird ein (noch wenig durchdachter und inkonsequenter) Plan B in Aussicht gestellt, der sich gegen die Diktate des Euro-Regimes richtet. Jedenfalls zurück zur nationalen Souveränität in der Tradition des demokratischen Republikanismus französischer Form (die auch problematische Elemente enthält). Doch die Forderung nach dem Ende der Wahlmonarchie und für einen konstitutionellen Prozess für eine sechste Republik ist goldrichtig. Genauso wie der Austritt aus der Nato und ein Ende des militärischen Interventionismus.

Das Feld demokratisch-sozial-souverän gegen die Herrschaft der globalistischen Eliten hat seine Fruchtbarkeit bewiesen. Das Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft; das Programm noch nicht ausgearbeitet und mit vielen Schwächen behaftet; und auch organisatorisch kann man den Versuch erst als zartes Pflänzchen betrachten, dessen Überleben noch ungewiss ist.

2) Regime stützt sich nur mehr auf die Hälfte

Die Regimephalanx Macron, Fillon, Hamon (in einem gewissen Sinn) etc. haben mit Ach und Weh die Hälfte der Stimmbürger hinter sich gebracht, haben dabei aber ihre eigenen Institutionen in mehrfacher Weise arg zerzaust (dazu später).

Die Front National Le Pens als Erbe der historischen Rechten, der Vichy-Kollaborateure, des kolonialen Imperialismus und autoritären Polizeistaates, des reaktionären Kleinunternehmertums war ein Spielbein des Regimes, kein Standbein. Nach dem Ende der UdSSR und der KPF konnte sie jedoch bekanntermaßen die subalternen Schichten ansprechen, die tendenziell in Opposition zu den liberalen Eliten stehen. Sie erwarten sich von Le Pen ein Ende der Herrschaft der globalistischen Oligarchie. Bei aller Zwiespältigkeit enthalten die Stimmen für Le Pen unzweifelhaft ein Element gegen das Regime, insbesondere was das Eintreten für die nationale Souveränität betrifft. Im Gegensatz zur medialen Darstellung ist die Bereitschaft und Fähigkeit der FN zum Bruch jedoch nicht so klar, genauso wenig wie übrigens bei Mélenchon auch.

Hinzu kommt jedoch die Entleerung des Gaullismus. Im Gegensatz zum linken Regime-Gegenpart PS sind die „Republikaner“ als Apparat intakt geblieben. Aber Fillon repräsentiert das definitive Ende jedes gaullistischen Elements der staatlichen Lenkung, des sozialen Kompromisses und der nationalen Souveränität, während Chirac zumindest noch als dessen Reminiszenz aufgenommen werden konnte. (Niemand glaubte wirklich daran, es war mehr eine nostalgische Hoffnung.) Aber Fillon ist ultraliberal, reaktionär-konservativ, korrupt und vom gaullistischen Nationsbegriff bleibt nur mehr Kulturchauvinismus übrig, nicht anders als bei Le Pen. Er ist der finale Bankrott der bürgerlichen Kultur, ihre Auflösung in Egoismus, der Bodensatz des rechten Elitenblocks.

Der superstalinistische Dichter Louis Aragon sprach vom Flieder und den Rosen, dem Zusammenwirken von Gaullismus und Kommunismus, als Basis für die gedeihliche Entwicklung der französischen Nation. (Schon als die Worte ausgesprochen worden waren, hatte sie der Kalte Krieg überholt.) Beide sind in der Gluthitze der Globalisierung vertrocknet. Bisher war es nur Le Pen, die dieses wiedererwachende Traditionsfeld für sich zu nutzen versuchte – eigentlich als völlig Fremde, denn ihr Vater ist noch immer glühender Verfechter von General Pétain, Hitlers Partner. Es war hoch an der Zeit, dass da jemand von links der Erbschleicherin einen Riegel vorschiebt.

3) Die Rechte wird das Regime nicht kippen können

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert beackert die FN das beschriebene Terrain. Doch über ein Viertel der Stimmen kommt sie nicht hinaus und wird es auch in absehbarer Zukunft nicht.

Um ihre vagen Versprechungen gegen die Eliten zu realisieren, bräuchten sie die große Masse der Subalternen und auch der Mittelschichten für sich. Aber dafür sind die demokratischen, republikanischen und sozialistischen Traditionen zu bedeutend. Le Pens Verbindung zu den alten Eliten über die historische Rechte sind einerseits zu stark. Andererseits setzen die Eliten noch lange nicht auf die plebejische Rechte. Dafür haben sie noch zu viele andere Möglichkeiten.

Dennoch kann man mit Fug und Recht sagen, dass Le Pen indirekt funktional für das Regime ist. Sie kanalisiert plebejische Opposition in die Unwirksamkeit. Gleichzeitig dient die FN als Schreckgespenst, als Negativfolie, um den Konsens für die verschiedenen Regimevarianten aufrecht zu erhalten.

4) Kollaps der PS als Ende der Alternanz

Am klarsten ist der Teilzusammenbruch des alten Regimes am Abstinken der PS zu erkennen, deren Kandidat Hamon gerade einmal auf 6% kam – eine europaweite Tendenz. Er hatte sich bei den internen Primärwahlen (nach amerikanischem Vorbild) als der links stehende Kandidat gegen den Favoriten von Hollande und dem Apparat durchgesetzt. Doch die Apparatschiks zeigten sich defätistisch und unterstützten lieber den superliberalen Macron. So reduzierte sich die Funktion Hamons letztlich auf die Verhinderung Mélenchons. Hätte er sich zugunsten von France insoumise zurückgezogen, hätte letzterer mehr Chancen gehabt in die Stichwahl zu kommen.

Eigentlich hätte nach den Regeln der Alternanz nun wieder der Kandidat der Rechten ans Runder kommen sollen – und so sah es anfangs auch danach aus. Doch Fillon verstrickte sich in Korruption und war nicht gewillt zurückzuziehen. Nun kommt Macron die Aufgabe zu als gemeinsamen Kandidaten des Regimes, die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen.

Die Sozialistische Partei und mit ihr das ganze Regime hat ein zusätzliches Problem bei den ebenfalls bevorstehenden Parlamentswahlen. Es wird dort auch nach einem Mehrheitsverfahren gewählt. Einerseits werden die geschlagenen Parteiapparate Schwierigkeiten haben, ihre bisherige Dominanz aufrecht zu erhalten. Andererseits fehlt Macron, aber auch Mélenchon der notwenige Parteiapparat. Es kann sich durchaus ergeben, dass Präsident Macron über keine parlamentarische Mehrheit verfügen wird. Damit könnte er institutionell bereits geschwächt starten.

5) Retortenbaby Macron

Macron ist nicht nur ein Medienprodukt wie ein amerikanischer evangelikaler Prediger, wo viel Geld im Spiel ist. Er ist auch das reine Destillat des Wirtschafts- und Kulturliberalismus. Zudem ist er direkter Repräsentant der Wirtschafts- und Verwaltungsoligarchie, ohne zwischengeschalteten politischen Apparat. Sein Erfolg zeigt, dass die vierte Macht im Staat, die Medien, diejenige Institution sind, die am wenigsten zerrüttet ist.

Macron gilt als neu, frisch, jung, fotogen usw. In Wirklichkeit repräsentiert er die lineare Fortsetzung der Regierung Hollande, dessen Teil er war. Dieser Transformismus, alles zu ändern um alles gleich zu lassen, steht auf tönernen Füßen (siehe Renzi in Italien). Innerhalb weniger Monate wird die Medienblase zerplatzen und die Opposition der Subalternen wieder gegen die Institutionen stoßen. Diese sind zwar antidemokratisch gepanzert wie in keinem anderen westeuropäischen Land, aber ewig kann das nicht halten – angesichts einer sich weiter verschlechternden sozialen Lage der Mehrheit.

Angesichts des Unwillens und des Unvermögens der Eliten einzulenken, das ultraliberale Crash-Programm zu dämpfen, sind größere Brüche und Konflikte unvermeidlich.

6) Schwächen Mélenchons

Wir sind über den Erfolg Mélenchons hoch erfreut und er gibt Hoffnung. Das soll uns aber nicht für dessen eklatante Schwächen blind machen.

Da ist einmal die Unbestimmtheit gegenüber der EU. Man kann verstehen, dass er nicht als zu radikal erscheinen will. Daher der Plan A und der Plan B, obwohl bereits offensichtlich ist, dass es keinen Plan A geben wird. Mélenchon setzt da auf die größere französische Macht gegenüber dem deutschen Block, als es Griechenland jemals haben könnte. Bei dem einen oder anderen Kompromiss könnte das auch funktionieren. Doch hier geht es um viel mehr, nämlich um ein Ende des liberalen Regimes, wie es seit Mitte der 80er Jahre mittels EU-Binnenmarkt und Euro vertieft wird. Und da kann es für Berlin, wo die kapitalistischen Eliten unangefochten im Sattel sitzen, keinen Kompromiss geben, denn das war die Bedingung sine qua non der Errichtung der supranationalen Bürokratie und der gemeinsamen Währung. Der Bruch würde zur Notwendigkeit. Die Weichheit in dieser Frage versteckt Mélenchon hinter lauter nationaler Rhetorik. Die Konsequenzen aus der Kapitulation Syrizas würden noch nicht gezogen.

Ein zweites Problem ist die Konzentration auf seine Person, wie die das französische System überhaupt fördert. Es bedarf einer breiten Front verschiedener Komponenten auf der Basis von demokratisch-sozial-souverän. Ob das Mélenchon will und kann ist unklar.

Eine verfassungsgebende Versammlung für eine 6. Republik ist eine ausgezeichnete Sache. Doch dabei müsste man eine kritische Bearbeitung des Republikanismus wagen, allen voran des elitären Laizismus. Davon war bisher kein Jota zu spüren.

Nächste Etappe sind die Legislativwahlen. An denen kann man sehen, ob der Zug in die richtige Richtung fährt oder ob es eine Eintagsfliege war. Dass Mélenchon jedenfalls nicht für Macron aufgerufen hat, ist ein hervorragendes Zeichen. Sein Quasi-Vorläufer Chevènement hat sich damit bereits als Regime-Mann geoutet.

7) Ein Zeichen setzen – Wahl boykottieren

Eines der gefährlichsten Ideologeme des liberalen Regimes in ganz Europa ist jenes vom kleineren Übel gegenüber der Rechten. Da wird durch ein pervertiertes Antifa eine faschistische Gefahr an die Wand gemalt, angesichts derer nichts anderes mehr übrig bliebe, als die jeweiligen Regimevertreter zu wählen (egal ob in der links- oder rechtsliberalen Version).

Doch die Gefahr des Faschismus gibt es nicht, denn es wird vergessen, dass der Faschismus einzig mit der Unterstützung der Eliten an die Macht gekommen war. Es war ihre ultima ratio, von der heute noch lange nicht die Rede sein kann. Die liberale Diktatur („marktkonforme Demokratie“) ist heute die Hauptgefahr sowohl nach innen als auch nach außen.

Nachdem Le Pen oder ähnliche plebejische rechte Kräfte auch keine Alternative bieten können, bleibt nichts anderes übrig, als die Wahl zum gepanzerten System zu boykottieren. Das Maß des Erfolgs bestimmt sich durch den Anteil an Wahlenthaltung (und die darin ausgedrückte Delegitimierung) und in der Folge durch die politisch-sozialen Mobilisierung gegen das Regime – welche sowieso der bestimmende Faktor sind.