Der Super-Standard der westlichen Eliten

16.10.2019
Von A.F. Reiterer
Und wieder Nobelpreise

800x600

Normal
0

21

false
false
false

DE-AT
X-NONE
X-NONE

MicrosoftInternetExplorer4

Wirtschafts-Nobelpreis: Esther Duflo und ihr Mann Abhijit Banerjee, mainstream-Ökonomen am MIT (Boston), beschlossen, die Konzepte der „reinen Ökonomie“ einmal beiseite zu lassen. Sie gehen zu den Armen und Ärmsten und fragen nach, wie sich ihr Leben wirklich anfühlt. Und sie entdecken z. B., dass die Mikrokredite nutzlos sind. Dabei hat Muhammad Yunus 2006 dafür einen Nobelpreis bekommen, allerdings den für Frieden.

Als wir vor 10 Jahren das Privileg hatten, in Äthiopien den damals dort Verantwortlichen für Mikrokredite zu sprechen, ging unsere erste Frage nach der Höhe des Zinses. – 17 %. – Wir schluckten. Unser Gegenüber setzte zu einer wortreichen Verteidigung an: Die Zinsen der Geldverleiher seinen noch viel höher (was stimmt), usw.…

Und was sagen die Ergebnisse von Duflo und Banerji sonst? Das wichtigste Ergebnis ist: Das haben wir eigentlich schon immer gewusst.

Da gibt es noch einen Preisträger heuer: Michael Kremer. Es gibt z. B. einen Aufsatz von ihm aus dem Jahr 1993. Es geht um Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Entwicklung. Viel zitiert, kann man das Papier nicht anders als Skandal bezeichnen. Einen fortgeschrittenen Studenten, der so was in Statistik oder Demographie liefert, würde man hochkant rauswerfen. Mit einem primitiven Trick gibt er eine Rechtfertigung malthusianischer Ansätze.

Und dann gibt es den Friedens-Nobelpreis.

Abyi Ahmed mag gegenüber seinem Vorgänger Meriten haben. Er hat, so betont das Komi­tee, mit Eritrea Frieden geschlossen. Dazu ist zu sagen, dass dieser wahnsinnige Krieg, der Hunderttausende Menschenleben gekostet hat, von Eritrea vom Zaun gebrochen wurde. Aber in Halb Afrika stehen äthiopische Truppen, aus einem der ärmsten Länder der Erde – „Friedenstruppen“. Im diskreten Auftrag der USA versuchen sie u. a., die Islamisten in Somalia zu vernichten.

Aber was wollen wir? Der US-Präsident Obama erhielt 2009 diesen Preis. Er bedankte sich mit einer Rede, die unter dem Motto stand: Give war a chance, an Rabin, an Kissinger und an viele andere wollen wir uns gar nicht mehr erinnern.

Über Literatur wird bei uns eben diskutiert. Also lassen wir das vorerst in den Inhalten beiseite. Nur ein Wort dazu: Die einzigen, denen dieser heurige Preis wirklich nützt, sind die Leute des Komitees. Sie haben, später, aber doch, realisiert: Wir wollen uns die Blamage ersparen, einen der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart übergangen zu haben. Die Hetze der „Links“-Intellektuellen ist in vollem Gang. Ihnen wäre die augenblickliche flächendeckende Durchsetzung ihrer Hegemonie wichtiger.

Über Medizin, Physik, Chemie will ich hier mangels an Fachkompetenz nicht sprechen. Wenn man sich aber erinnert, dass 1973 Konrad Lorenz einen dieser Preise einheimste, steigt einem ein schlimmer Verdacht auf: Ist es in diesen Disziplinen auch nicht anders?

Die Dekoration ist nicht nur hoch begehrt. Man sieht sie allgemein als den neuen Adelstitel schlechthin an. Niemand stellt sie in Frage. Es gibt welche, die mit der konkreten Wahl nicht einverstanden sind. Sie haben einen „alternativen Nobelpreis“ gestiftet – und verleihen ihn z. B. an Kinder, die sich instrumentalisieren lassen. Sie realisieren überhaupt nicht, dass dieses Konzept an sich höchst fragwürdig ist.

Gerade das aber zeigt, was Hegemonie ist. Denn gerade die Nobelpreise – der Nobelpreis – bezeichnen die unbestrittenen Gipfel bürgerlichen Selbstverständnisses. Das ist die oberste Ebene von Hegemonie. Es ist der politisch-kulturelle Konsens über das, was gültig sein soll und ist.

Hegemonie ist der Zement, welcher die rohen Baublöcke der Herrschaft zusammenhält. Damit wird Gesellschaft erst wirklich zur Gesellschaft. Sie spielt sich nicht zuletzt in den Gehirnen aller derer ab, die zur Gesellschaft gehören. Im 18. Jahrhundert hat jemand einmal den Satz gesagt: „Die Großen erscheinen uns groß, weil wir vor ihnen auf den Knien liegen. Erheben wir uns!“ Dem ist im Grund kaum was hinzuzufügen.

Aber ganz so einfach ist das mit dem Erheben offenbar nicht. Hegemonie ist nicht so sehr ein Zustand. Sie ist ein tagtäglicher Prozess. Den Kleinkindern wird in den Kindergärten, und ihren etwas älteren Genossen in der Schule vermittelt: Wir leben in der besten aller Welten. Was an Widerstand übrig bleibt, wird bei einer sehr viel kleineren Gruppe ab 14 zurecht gehobelt. Und dann kommen der ORF, „oe24“, der „Standard“, und wie sie alle heißen; nicht zu vergessen die influencer in den social media. Usw.

Gegen diesen Dampfhammer ist die antihegemoniale Arbeit fast chancenlos. Aber sie ist unerlässlich.

In unserem Zusammenhang heißt das: Stellen wir diese Preise in Frage!

Irgendwie ist es ja auch ein bisschen lächerlich. Den poeta laureatus hat es schon im Mittelalter gegeben.  Aber gleichzeitig ist dies alles durchdringend; Die Damen und Herren Duflo und Banerjee müssen ja wirklich etwas Großartiges geleistet haben, wenn sie einen solchen Preis bekommen!

Den Nobelpreis abschaffen?

Da haben wir kaum eine Chance. Aber aufzeigen können wir, was dahinter steckt.

Wie sie heucheln:

Seht, auch die Ökonomie kümmert sich um Armut ( die sie vorher hilft zu schaffen)!

Wir wollen doch alle eine friedliche Welt (und deshalb müssen wir zuerst die Islamisten in Somalia ausrotten)!

Literarische Qualität ist uns heilig (aber die realen Kritiker haben wir schon eliminiert)!

Die Alternativen dazu sind höchst gefährlich. Aber wir müssen uns fragen: Hatte Eisenstein Recht, wenn er versuchte, einer ganzen Schiffsmannschaft Heroen-Status zu verleihen? Größeren Erfolg hatte Rosselini, als er Anna Magnani zur Heldin und zum Opfer machte. Brauchen wir wieder einen Stachanow?

Nobelpreise brauchen wir dafür jedenfalls nicht. Erst recht brauchen wir keine Preise für eine Wissenschaft der Ausbeutung.

AFR, 15. Oktober 2019

 

Banerjee, Abhijit / Duflo, Esther (2007), The Economic Lives of the Poor. In: J. of Ec. Perspectives 21, 141 – 167.

Kremer, Michael (1993), Population Growth and Technological Change: One Million BC to 1990. In: The Qu. J. of Economics^108, 681 – 716.

Verweise