Immer an vorderster Front und trotzdem hinten

03.04.2018
Podiumsdiskussion in Wien mit tunesischen Linken
von Wilhelm Langthaler
Am 3. April lud die Flüchtlingsaktivistin Monika Mokre zu einer bemerkenswerten Veranstaltung mit dem Titel „Tunesien - Die Revolution ist noch nicht zu Ende“. Das Podium teilten sich Firas Hamda, ein Aktivist der Front Populaire (FP, Volksfront) sowie ehemaliger politischer Häftling, und Imad Garbaya, ein seit drei Jahrzehnten in Österreich lebender und aktiver tunesischer Linker.
Firas Hamda, Imad Garbaya, Monika Mokre

Zum Einstieg eine ernüchternde Beobachtung: Das Land durchlebte im letzten halben Jahrhundert eine nicht abreißen wollende Kette von sozialen Bewegungen und Revolutionen, in denen die Linke immer am vorderster Front stand. Dies gilt auch für die Revolte von 2008, die unmittelbar Vorspiel für den Sturz des prowestlichen Diktators Ben Ali 2010 war und den Arabischen Frühling einleitete.

Doch statt an der sozialen Frage dran zu bleiben, hätte sich die Linke in einen identitären Konflikt mit den Islamisten eingelassen und hätte so die Rolle des fünften Rads am Wagen des alten Regimes gespielt. Trotzdem die Koalitionsregierung aus alten Eliten und Islamisten keine Vision für das Land hätte, die altbekannten neoliberalen Rezepte wiederholte und die soziale Situation sich nicht verbessere, würde die Linke im Volk nicht akzeptiert.

Wie schaut nun die alternative Vision unter den drei Slogans Arbeit, Freiheit und nationale Würde aus? Laut Firas Hamda schlägt die FP die Prolematisierung der Auslandschuld, ein gerechtes Steuersystem, eine Landreform sowie den Ausgleich zwischen den in ihrer sozioökonomischen Entwicklung sehr ungleichen Regionen des Landes vor. Imad Garbaya fügte hinzu, dass Tourismus und die Hoffnung auf Auslandskapital als Entwicklungsmodell nicht ausreichen würden.

Auch jetzt wieder und schon in den letzten Jahren gibt es immer neue soziale Auseinandersetzungen und Kämpfe. Die Linke ist zwar immer dabei, aber sie kann laut Garbaya nicht wachsen. Letztlich sei die FP gescheitert und es bedürfe einer Neugründung aus diesen Kämpfen heraus, wie beispielsweise der Selbstverwaltung in der Oase Jemna oder der Bewegung von Tataouine, ganz im Süden.

Aus dem Publikum gab es die interessante Frage, warum gerade Tunesien so viele Jihadis exportierte. Imad Garbaya stellte die These auf, dass der Francolaizismus der Eliten nie in die Tiefe des Volkes eindringen konnte und von oben mit Gewalt oktroyiert wurde. Seit damals schleppe man diesen ungelösten identitären Konflikt. Der Jihadismus sei eine der Antworten darauf. Ein tunesischer Aktivist aus dem Publikum meinte, dass die Modernisierung nur von innen heraus funktionieren könne.

Zu Jemna:
http://www.antiimperialista.org/de/node/244908
http://www.antiimperialista.org/de/node/244905
http://www.antiimperialista.org/de/node/244893

Zur sozialen Bewegung dieses Frühjahrs:
http://www.antiimperialista.org/de/content/tunesien-zwischen-dem-revolut...

Verweise