KPÖ: Ein unmoralisches Angebot

19.08.2017
Von Michael Wengraf
In Mitteilungen der Klahr-Gesellschaft wird EU-Verbleib propagiert und gegen Euroexit polemisiert

In ihrem materiellen Kern ist die Europäische Union ein Vehikel zur Beförderung der Angelegenheiten ganz bestimmter – vor allem deutscher – Kapitaleigner und Konzernchefs. Denen gelingt es allerdings perfekt, dieses Instrument von Herrschaft als im allgemeinen, die ganze Gesellschaft umfassenden, Interesse stehend darzustellen. In krassem Gegensatz zu allen verfügbaren Fakten wird die EU als Friedensprojekt, Mehrer des Wohlstands und ebenso demokratischer wie alternativloser Überwinder nationaler Borniertheit inszeniert.

Um solch einen realitätsfernen Narrativ durchzusetzen, bedarf es einiger Arbeit. Für deren Erledigung wiederum ist die sogenannte Zivilgesellschaft, von Antonio Gramsci als „zweite Front“ des Kapitalismus beschrieben, zuständig. Neben den gleichgeschalteten Medien, Kunst, Wissenschaft, Vereinen und Organisationen wirken vor allem Sozialdemokraten, Grüne und „gewendete“ Linke als politische Apologeten der EU. Neu ist, dass nun auch bisher eher ernstzunehmende Kreise der KPÖ dieses anrüchige Werk verrichten:

„Wer im Kampf gegen Entdemokratisierung und Sozialabbau auf die Rückkehr zu nationalen Währungen (‚Euroexit‘) und auf den EU-Austritt setzt, findet sich schnell in einem Boot mit Reaktionären aller Schattierungen“, so Winfried R. Garscha in den jüngsten Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft. Das formuliert den kategorischen Imperativ, nicht gegen die Ursache allen Sozialabbaus vorzugehen – und verkörpert schlimmstes Denunziantentum. Wer wider den in der EU organisierten deutschen Imperialismus auftritt, ist demnach nämlich zumindest ein Reaktionär, wenn nicht sogar ein finsterer Helfershelfer der Rechtsradikalen.

Diese abstruse Aussage wird noch irrationaler, wenn man bedenkt, aus welcher Ecke sie kommt. Garscha ist Archivar im „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands“ (DÖW). Jener zivilgesellschaftlichen Institution also, die nicht nur als Verteidiger zionistischer Aggression fungiert, sondern auch als Speerspitze der Antideutschen bzw. Antinationalen im Lande. Man sollte meinen, dass von dort jede deutsche Großmacht-Konzeption, wie sie die EU ja in Reinform darstellt, vehement bekämpft wird. Noch dazu, wo es sich bei diesem Projekt um eine Art „Über-Drüber-Nation“ handelt, die den Imperialismus auf eine höhere funktionelle Ebene hebt. Ein wahrer Alptraum also für jeden, der wirklich gegen chauvinistische nationale Herrschaftsmodelle ist.

Doch das mutet bei Garscha mitnichten so an. Er stößt sich nicht einmal an der deutschen Führungsrolle im neokolonialen EU-Projekt und dient damit objektiv den Interessen der dort verankerten Eliten. Ebenso wie das DÖW dies macht, indem es deren historische Vorgänger, die Krupps und die Thyssens, mit der Beförderung einer kollektiven Schuld des Volkes am Nazi-Faschismus entlastet. Beides geht auf Kosten der großen Mehrheit: Im ersten Fall muss sie die Zeche in Gestalt von Sozialabbau und Kaufkraftverlust zahlen; im zweiten wird sie anonym für ein Verbrechen zur Verantwortung gezogen, für das es sehr konkrete Hauptschuldige gibt.

Am Rande sei bemerkt: Auch das Denunziantentum – wie es Garscha hier gegen Euroexit übt, indem er diese Initiative in die Nähe von Reaktionären aller Couleur rückt – entspricht durchaus gängiger DÖW-Praxis. Das gilt vor allem für die beiden leitenden Proponenten Brigitte Bailer-Galanda und Wolfgang Neugebauer. Die warfen im Rahmen einer universitären Vorlesung schon einmal eine Folie an die Wand, in der – aus ihrer Sicht – des Antisemitismus verdächtige linke Organisationen aufgelistet und gegeißelt wurden.

Auf diesem „Steckbrief“ befanden sich damals zum Beispiel auch die Antiimperialistische Koordination (AIK) und die Kommunistischen Initiative (KI). Beide hatten allerdings nur gegen die aggressive Apartheidpolitik Israels Stellung bezogen. Israels militärische Gewaltorgie zu verurteilen, fällt aber wohl ebenso unter das kategorisch formulierte Verbot der DÖW-„Linken“ wie Position gegen den Imperialismus der EU einzunehmen.

Hier sind wir beim Kern angelangt. Es bedeutet schon etwas, die Europäische Union – ja sogar das direkte Mittel der ökonomischen Unterdrückung Euro – als unverzichtbar und alternativlos darzustellen. Akteure und Organisationen, die das sozusagen gewerbsmäßig betreiben, reihen sich in jene Zivilgesellschaft, die praktisch eine Funktion der herrschenden Verhältnisse darstellt. In dieses ideologisch gefärbte Bild passt es, dass Garscha sein Gebot, einen EU-Austritt bzw. deren Zerstörung zu verwerfen, nur (pseudo-)moralisch begründet: Man dürfe eben nicht mit den rechten Schmuddelkindern spielen.

Aber was bewirkt eine solch abstrakte „Ethik“ wirklich? Nichts anderes als: Die Binnen-Ausbeutung, die Länder wie Griechenland, aber auch Portugal, Spanien und Italien, an den Rand des Ruins bringt, zu akzeptieren und noch zu befördern. Um sie in gegenwärtigem Umfang aufrecht zu erhalten, bedarf es der EU unbedingt. Ebenso wie des stetigen Kaufkraftverlusts und Lohnverzichts, die das Kapital in Deutschland – und Österreich – selbst permanent durchsetzt. Diese Demontage ist die Voraussetzung für das sogenannte „Exportwunder“. Die Alpenrepublik, bzw. die hiesige Wirtschaft, fungiert hier allerdings nur als Dornfortsatz des großen Nachbarn und profitiert wie ein Aasgeier von dessen Beute. Wenn das kein (deutsch-)nationales Projekt ist, das innerhalb der – so supranationalen! – EU verwirklicht wird, was dann?

Aber Garschas „unmoralisches Angebot“ eines Verbleibs in der EU umfasst noch mehr: Etwa, Mittäter zu werden bei der Ausbeutung der restlichen Welt, vor allem Afrikas, durch die europäische Supernation. Dazu gehört selbstverständlich auch die militärische Option, die EU also organisiert als bewaffneter Aggressor. Darüber hinaus beinhaltet es einen bitteren Verlust an politischem Handlungsspielraum für die Menschen innerhalb der EU selbst. Völker wie das griechische, aber nicht nur dieses, schmecken es bitter, sich nur eingeschränkt in nationalem Rahmen wehren zu können und ihre Souveränität abgegeben zu haben. Der Aktionsrahmen ist vor Ort, wo die Menschen wirklich sind, – und nicht in Brüssel. Das gilt auch für Österreich.

Selbst Winfried R. Garscha weiß das, wenn er meint: „Der Kampf ist tatsächlich lokal, regional und national zu führen – nicht zuletzt deshalb, weil die jeweils eigenen Regierungen näher und somit leichter zu beeinflussen sind als internationale Institutionen.“ Aber ein Verbleib unter dem Brüsseler Diktat und gleichzeitig nationale Politik ist ein Widerspruch in sich. Wie damit umgehen? Vielleicht sieht Garscha in seinem nächsten Satz die Antwort beziehungsweise einen Ausweg: „Aber die Lösungsansätze müssen global und solidarisch mit anderen demokratischen Kräften weltweit entwickelt werden.“

Dem wäre unbedingt zuzustimmen, würde es nicht unterschwellig eine diesbezügliche Wandelbarkeit der EU implizieren. Aber: Was ist an der EU ist so solidarisch und demokratisch, dass Garscha Österreich unbedingt in ihr erhalten möchte? Sie ist doch vielmehr ein Werkzeug der anderen, der Besitzenden. Geschaffen dazu, die am Rande der Gesellschaft Befindlichen noch mehr, noch effektiver, an den Rand zu drängen. Dass die EU im Sinne der Völker positiv veränderbar ist, gehört zu dem zu Beginn dieser Zeilen erwähnten beschwichtigenden Narrativ. Es bedeutete nicht weniger, als einen Schlachthof nach den Bedürfnissen des Schlachtviehs umzugestalten.

Gerade um Lösungsansätze global und solidarisch mit anderen Kräften weltweit zu entwickeln, wie Garscha das fordert, muss die Europäische Union zerschlagen werden. Das aber ist erklärtermaßen nicht das Ziel der KPÖ und ihres politischen Umfeldes. Sogar die ansonsten seriöse Alfred Klahr Gesellschaft, deren Präsident Walther Leeb stets als integer bekannt war, wird nun im Sinne des Narrativs von einer „solidarischen“ EU instrumentalisiert. Das heißt: zu helfen, die herrschenden Strukturen der Ausbeutung aufrecht zu erhalten und die Voraussetzung von neuen, völkerverbindenden Formen des internationalen Zusammenklebens zu sabotieren.

Anscheinend ist diese KPÖ zu sehr vom Wesen ihres Ex-Vorsitzenden Walter Baier geprägt. In Österreich bekannt als Zerstörer linker Strukturen, wirkt er seit 2006 als Koordinator des europäischen Forschungs- und Bildungsnetzwerks "transform! european network for alternative thinking and political dialogue". Das heißt, er betreibt gemeinsam mit der deutschen Linken besoldete EU-Propaganda in einem Lager, das sich für progressiv hält. Dazu passt, dass Baier auch Mitglied der 2016 gegründeten Bewegung „Demokratie in Europa“ (DiEM25) ist. Kein Wunder, dass die KPÖ, auf die ein Einfluss noch immer groß ist, ganz entsprechend agiert.

Hier schließt sich ein Bogen, der mittlerweile vom DÖW über die Klahr-Gesellschaft hin bis zu den jungen (ex-)Grünen reicht. In dessen Zentrum steht eindeutig die KPÖ. Jetzt vielmehr das Wahlbündnis KPÖ plus, das mehr als nur KPÖ plus Flora Petrik ist, nämlich KPÖ plus Verteidigung der Europäischen Union. Und das bedeutet eindeutig ein entscheidendes Minus an sozialer Kompetenz und internationaler und auch nationaler Solidarität. Deshalb ist diese KPÖ – trotz der Steiermark – auch bei der anstehenden Wahl nicht wählbar für Menschen, die eine wirklich radikale Änderung der Verhältnisse wollen.

Verweise