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Mit Antifa gegen Rechtspopulismus?

17. Juli 2018
Von Gernot Bodner

Krise der Eliten, anhaltende soziale Verwerfungen, Aufstieg der Rechten – im linken Lager florieren die Analogien zum Aufstieg des Faschismus und der Aktualität des antifaschistischen Kampfes. Aber ist diese Vorstellung haltbar und führt sie zu einem sinnvollen Politikvorschlag für das Europa von heute?


Dieser Artikel entstand auf Grundlage der Debatten des Seminars 80 Jahre Anschluss: Nicht rituelles Gedenken sondern Lehren ziehen für heute das im März dieses Jahres in Wien stattfand.

Der Finanzcrash 2008 hat die Krise der Globalisierung rasant beschleunigt. Die Verwaltung des Status Quo durch die traditionellen liberalen/konservativen/sozialdemokratischen Eliten-Parteien wird zunehmend prekärer. Herausgefordert werden sie vor allem durch den Rechtspopulismus. In zahlreichen Ländern ist er zur wichtigsten Opposition aufgestiegen, mit realistischen Regierungschancen. Im Osten kontrolliert er Ungarn und Polen, im Westen nun auch – im Bündnis mit den eher linken Cinque Stelle – Italien (zur österreichischen Version ein paar Worte weiter unten). Die Linke dagegen konnte nur sehr punktuell profitieren (Corbyn, Sanders, Iglesias, Mélenchon). In Griechenland endete ihre größte Chance, sich als Alternative zu präsentieren, im Desaster und hat ihre Glaubwürdigkeit al Opposition in Europa nachhaltig beschädigt. Vor diesem Hintergrund – Krise der Eliten, anhaltende soziale Verwerfungen, Aufstieg der Rechten – florieren im linken Lager die Analogien zum Aufstieg des Faschismus und der Aktualität des antifaschistischen Kampfes. Aber ist diese Vorstellung haltbar und führt sie zu einem sinnvollen Politikvorschlag für das Europa von heute?

 

 Die Rechtspopulismus-Faschismus Analogie

Zweifellos gibt es phänomenologische Ähnlichkeiten zwischen dem historischen Faschismus und den heutigen Rechtspopulisten: völkische Hetzte einst gegen Juden, jetzt gegen Migranten (Moslems), Betonung nationaler Identitäten, Aufgreifen sozialer Probleme der Unterschichten, verbale Gegnerschaft zu Fraktionen des Kapitals (Banken, Spekulanten), autoritärer Sicherheitsstaat.

Dies sollte aber nicht dazu führen, substantielle Unterschiede zu übersehen. In erster Linie liegen die Kräfteverhältnisse zwischen Arbeiterbewegung und Kapital gänzlich anders. Der Faschismus hatte als ganz zentrales Charakteristikum den „präventiven Bürgerkrieg gegen den Kommunismus“: er beendete mit Gewalt die sozialrevolutionären Anstürme, die nach dem 1. Weltkrieg ganz Europa erschütterten. Damit hatte er von Anbeginn eine Teilsympathie der Eliten, die sich so dieser Bedrohung von Links entledigten. Dieser Aspekt der „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ (Dimitroff-Formel; die Kritik daran sie hier dahingestellt) wurde mit der Machtübernahme Hitlers und der Entfesselung des 2. Weltkrieges immer wichtiger, das sozialpopulistische Unterschicht-Element (Röhm-Putsch 1934) wurden zurückgedrängt.

Für die gegenwärtigen politisch-ökonomischen Eliten gibt es keine Bedrohung von Links, der sie durch ein Bündnis mit rechten Schlägertruppen entgegentreten müssten. Der Rechtspopulismus als Vehikel des Unmuts der Globalisierungsverlierer bedeutet vielmehr eine bedrohliche Destabilisierung, die eine Büchse der Pandora von Brüchen im System aufstoßen kann. Wo die Erdrückung durch Umarmung (die österreichische Lösung) nicht möglich scheint, werden alle Geschütze aufgefahren, um die populistischen Regierungsexperimente zu erledigen (siehe Mattarella in Italien; auf der linken Seite die äußerst erfolgreiche Drohkulisse, die zur Rückführung der Tsipras-Regierung ins Establishment führte). Das soll nicht heißen, dass es von jenen Teilen des Unternehmertums, die auf der Verliererseite sind, keine Unterstützung gibt – ganz im Gegenteil, sie stellen in der süd- (Italien) und osteuropäischen (Ungarn, Polen) Periphere einen wichtigen Teil des populistischen Phänomens dar. Aber eben als Teil der Globalisierungsverlierer, nicht als Teil des herrschenden Blocks.

Auch mit Krisenanalogien und deren politischen Folgen sollte vorsichtig umgegangen werden. Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland und Österreich zeigen einen doch schärferen sozialen Fall in Folge des Crashs von 1929, vergleichbar mit dem Desaster, in das Griechenland durch die Welle an Austeritätsprogrammen seit 2010 gebracht wurde. Dementsprechend tiefer war die Repräsentationskrise der parlamentarischen Demokratie und umso konsensfähiger – nicht nur in den Unterschichten, sondern auch unter den Eliten – wurden radikale und autoritäre Herrschaftsoptionen. Heute ist der Parlamentarismus das wesentliche Feld der Auseinandersetzung, außerparlamentarische soziale und politische Mobilisierung ist ein Nebenschauplatz. Gerade dieses Kampffeld ist auch für den Rechtspopulismus eine Schwierigkeit, da der „Gang durch die Institutionen“ rasch zur „österreichischen Lösung“, der Rückführung ins Establishment, führt. Salvini in Italien ist bis jetzt, angesichts der Tiefe der Krise, eine gewisse Ausnahme. Aber das laute Ausländer-Raus Geschrei mit Bulldozer-T-Shirt, auch wenn es den europäischen Eliten nicht gefällt (wie 2015 auch Varoufakis Lederjacke und Motorrad den EU-Ministerkollegen aufgestoßen ist), ist schlicht einfacher als ein Budgetgesetz, das mit den Austeritätsregeln aus Brüssel/Berlin bricht. Erst da wird sich zeigen, ob die italienischen Rechtspopulisten zum Bruch bereit sind (die Cinque Stelle von Di Maio wären es sicher nicht).

Dass die liberalen Eliten über die „illiberale Demokratie“ lamentieren, die der institutionalisierte Rechtspopulismus herbeiführt, ist übrigens mehr als zynisch: demokratische Entscheidungsspielräume der Parlamente wurden bereits über Jahre an technokratischen wirtschaftsnahe Bürokratien übertragen, mit Sicherheits- und Überwachungsgesetzen haben auch die „liberalen“ Systemparteien nicht gegeizt, und (Mehrheits-)Wahlrechtsreformen zur Herrschaftssicherung gegen Stimmenverluste sind wohl auch nicht das Idealbild einer auf Konsens basierenden Demokratie.

 

Antifa als Antwort?

Die Leseart des Rechtspopulismus mit der historischen Brille einer neu aufkommenden faschistischen Gefahr führt sachlogisch zur Antifa als Antwort. Dabei lassen sich zwei Spielarten unterscheiden.

Die vorherrschende Strategie von Links ist eine Art Wiederauflage (als Karikatur) der Volksfront: alle „demokratischen“ Kräfte – von den bürgerlichen Liberalen über die Sozialdemokratie bis zur außerparlamentarischen Linken – geeint gegen den Rechtspopulismus. Die Hegemonie in einem solchen Block ist unter den heutigen Kräfteverhältnissen unschwer zu erraten: sie liegt beim (neo)liberale Establishment. Die ein oder andere vorsichtige soziale Kritik am Neoliberalismus und der Globalisierung durch die Linke ändert daran gar nichts. Geeint durch die (durchaus reale) Angst, dass jeder größere Bruch die liberale Gemütlichkeit erschüttern wird, bleibt man gebunden an die Perspektive der Aufrechterhaltung des Status Quo. Zu schön war der Traum der gut situierten westlichen Mittelschicht vom Clinton’schen „Ende der Geschichte“, dass man gar nicht glauben kann, dass diese System immer mehr Verlierer produziert hat, die sich nun zu Wort melden.

Eine zweite Antifa-Strategie, jene der radikalen Linken (je nach Land ein ganz oder beinahe marginale, kulturelle Parallelwelt) erinnert an ein tragische Neuauflage der „Dritten Periode“: die Krise erfordere eine autoritäre Lösung zur Rettung des Kapitals, die sich in der aufsteigenden Rechten anbahnt. Es sei nur eine Frage der Zeit (der wachsenden „Kampfkraft der Arbeiterklasse“ = der eigenen Organisation), bis das Kapital von den alten liberalen/sozialdemokratischen Eliten, die die Lage nicht mehr im Griff haben, wie einst auf diese neuen rechten Kräfte setzen werde. Die Lösung (à la Dritte Periode): Antifa heißt Angriff. Die Unterschichten kommen zwar als Opfer vor, jedoch nur in der Ideologie, nicht in ihrer realen Widersprüchlichkeit, wo sie sich eben gerade im Sog des Rechtspopulismus befinden. Die Unzufriedenheit der Globalisierungsverlierer artikuliert sich eben gerade nicht wie in den 20er Jahren in radikalen sozialen Kämpfen, die nach einer radikalen außerparlamentarischen Kraft (geschweige denn einem schwarzen Block) suchen. Jeder der nur einigermaßen mit offenen Augen die Realität anerkennt, versteht, dass diese Strategie genauso in den Untergang, hier eben in der völligen Chancen- und Bedeutungslosigkeit, führt.

Nationale Souveränität als Hebel für Demokratie und soziale Gerechtigkeit

Wo also könnte sich ein Ausweg finden? Dazu seien drei Punkte andiskutiert.

1.       Die Probleme der Unterschichten wahrnehmen: Das scheint fürs erste einfach, da soziale Fragen wie Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Löhne oder Wohnen für die meisten Linken selbstverständlich sind (wenngleich man sie in der liberalen Volksfront gerade dem gemeinsamen anti-populistischen Block opfert). Die zentrale Schwierigkeit ist, dass gegenwärtig die „Ausländerfrage“ alles überlagert. Diese hat drei Aspekte, zwei problematische, weil ideologische und abzulehnende, und einen realen. (1) Die Migrationsfrage wird vom Rechtspopulismus genutzt, um das Wesentliche, nämlich den Bruch mit dem neoliberalen Sozialabbau, zu überspielen. Man sichert sich Konsens über Ausländerhetze, während man sozial- und wirtschaftspolitisch alles beim Alten lässt. (2) Die Ablehnung der Migranten in breiten Teilen der Bevölkerung (nicht nur den Unterschichten) hat ein kulturchauvinistisch-imperialistische Element, nämlich den Hass gegen den Islam. Das ist nicht verwunderlich: schließlich wurde seit über einem Jahrzehnt ständig, von allen Leitmedien und vor allem vom liberalen Establishment der Antiislamismus propagiert. Die Verteidigung der westlichen Demokratie gegen das islamische Mittelalter war die große Erzählung, mit der die Interventionskriege im Nahen Osten und Afghanistan legitimiert wurden. Zynisch wer sich heute verlegen wundert, dass sich das festgesetzt hat und nun vom Rechtspopulismus genutzt wird. (3) Der reale Aspekt, auf den es eine Antwort zu finden gilt, ist die Konkurrenz am Arbeitsmarkt durch Migration, die vor allem die untersten Schichten trifft. Und auch die Frage der Sicherheit – ein wenig verwunderliches Problem, bei der Perspektivlosigkeit, in die die Migranten gedrängt werden – muss erst genommen werden. Dass dies der Mittelschichtlinken egal ist, ist klar, denn sie wird davon nicht berührt. Aber will man die Krisenreaktion der Unterschichten verstehen, dann muss es als reales Problem wahrgenommen werden, um Antworten zu finden, die eben nicht der rechtspopulistische polizeiliche Sicherheitsstaat und die Lager an der libyschen Küste sein können.

2.        Die Schwächen des Rechtspopulismus aufgreifen: Die Wählerschaft des Rechtspopulismus wird kaum nach anderen Optionen Ausschau halten, wenn die einzige Alternative, die ihnen angeboten wird es ist, die Regierung ihrer Hoffnungsträger mit allen Mitteln zu verhindern. Sollen sie es doch probieren und zeigen, wie weit zu gehen sie bereit sind, wenn es um die Versprechen einer Wirtschaftspolitik im Interesse der Unteren, eine Änderung der Austeritätsregeln des europäischen Fiskalpaktes oder ein Nein zu Freihandelsabkommen wie CETA geht. Die Fliegengewicht-Populisten der FPÖ haben bereits Gegenwind aus den eigenen Reihen gespürt, als sie CETA durchwinkte und den 12-Studentag ratifizierte. Da musste Kickl schnell mit ein paar Anti-Ausländer-Manövern die Stimmung wieder ablenken. Auch in Italien wird das Budgetgesetz im Herbst die Probe aufs Exempel werden. Und selbst wenn Salvini/Di Maio einen Bruch wagen sollte (im Gegensatz zu Tsipras; was zu hoffen ist): das folgende Erdbeben wird viele Karten neu mischen und auch für die Linke Fronten eröffnen, auf denen sie mitspielen kann, wenn sie sich nicht ans Establishment hängt.

3.       Den demokratischen Aspekt des Nationalstaats zurückgewinnen: Bei ein wenig historischem Gedächtnis ist es schwer zu begreifen, wie der Nationalstaat für die Linke zu einem derartigen Synonym für das Böse werden konnte. So lange ist es schließlich nicht her, dass die Verteidigung des demokratischen und souveränen Nationalstaats gegen suprastaatliche kapitalistische Bürokratien à la EU Konsens war. Der Nationalstaat war der Ort des sozialen Ausgleichs (Sozialstaat) und der parlamentarisch-demokratischen Steuerung. Von ihm ging die Aushandlung internationaler Bündnisse mit anderen Staaten aus. Selbst die Antiglobalisierungsbewegung war in ihren Anfängen noch geprägt von der Dritt-Welt-Solidarität, wo Souveränität und nationale Unabhängigkeit fortschrittlich besetzte Werte waren. Heute erscheint selbst die Kritik am Freihandel in vielen Kreisen wie ein Aufruf zum Nationalismus und in einen neuen Weltkrieg (gegen Trump hat die liberale Volksfront sich jetzt offenbar um die WTO und G7 erweitert). Die Krise der Globalisierung nimmt jedoch keine Rücksicht auf solche ideologischen Irrwege. Der Nationalstaat als Ort des Eingreifens in wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklungen hat nie aufgehört zu existieren und wird nun in seiner Rolle neu definiert. Die Rechtspopulisten greifen dazu auf ihre völkischen Ideen einer ausschließenden Nation zurück. Die Linke braucht dagegen ein überzeugendes alternatives Narrativ der Nation als Ort demokratischer Willensbildung, sozialen Solidarität und Völkerverständigung. Dafür würde sie ausreichend Ansätze in der Geschichte der demokratischen, sozialistischen und besonders auch der antifaschistischen Bewegung finden, die es wert sind, in eine moderne Politik übersetzt zu werden.

 

Wien, 12. Juli 2018

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