Italien, die BRD und der EURO

16.03.2013
Quando cadet Roma, cadet et Mundus (Wenn Rom fällt, fällt die Welt).
Von A.F.Reiterer
Die Neue Plebeische Linke als europäische Kraft?

In den 1970ern und den 1980ern waren die österreichischen Bauern und die Holzexporteure auf Italien sauer. Immer, wenn sie glaubten, sie hätten dort eine unerschütterliche Stellung errungen, kam ganz unerwartet eine Abwertung der Lira. 1967 bekam man für einen Schilling noch 24 Lire, 1990 waren es schon 140. Wie sollte da ein österreichischer Exporteur seine Ware gewinnbringend an den Mann oder die Frau bringen?

Freilich war dies nur ein Teilprozess dessen, was man in Österreich Hartwährungspolitik nannte. Und die hat dem Land nicht übel bekommen. Sie diente als Peitsche, welche das Produktionswachstum antrieb.

Italien ging anders vor. Die Serie von Abwertungen hatte System. Und es hatte Erfolg damit. Von der BRD stellte sich stets als Wirtschaftswunder vor. Das war Eigenpropaganda der Deutschen. Denn Italien war nach den üblichen Kennzahlen, den Wachstumsraten des BIP, erfolgreicher als die BRD. Das BIP pro Kopf wuchs in Italien (zu konstanten Preisen) von 1950 – 1990 jährlich um 3,83 %, in der BRD geringfügig weniger, um 3,65 %. Zum Vergleich: In Österreich kam man auf 3,79 %. (Die Zahlen stammen von Broadberry / Klein, aber auch die Daten von Maddison weichen nur geringfügig ab und zeigen das gleiche Bild.)

Lassen wir die 1990er aus. Die BRD hatte die DDR einvernommen. Die Bevölkerung zahlte dafür, während das Großkapital profitierte. In Italien aber begann bereits die Ausrichtung auf das neue Wundermittel, den Euro. Man wollte in den künftigen Währungsraum, und die Wirtschaft spürte das schon. Im Jahrzehnt 2000 bis 2010, bereits mit dem Euro, wuchs auch die BRD jährlich nur geringfügig, um 0,6 %. Italien aber schrumpfte jährlich um -0,4 %. Der Unterschied betrug rund 1 % pro Jahr zugunsten der BRD. Und Österreich? Trotz Schüssel etc. wuchs das BIP jährlich um 1,1 %, weniger als vorher, aber mehr als bei den Nachbaren.

Dazu kommt in Italien noch etwas. Nehmen wir das verfügbare Einkommen pro Kopf als Produktivitäts- und als Wohlstandsmaß für die Regionen. Dann hat die Lombardei bei einem nationalen Schnitt von 100 ein Niveau von 121,3 die Emilia-Romagna 122,7; dagegen steht Kampanien bei 71,9 und Kalabrien bei 72,8. Das Mezzogiorno-Problem war auch ein Währungsproblem, der Lira nämlich. Der Euro hat es verschärft.

Mittlerweile ist es in den Köpfen vieler Italienerinnen und Italiener angekommen: Der Euro und seine Politiker machen uns kaputt. Noch vor einem Jahrzehnt hat sich der überwiegende Teil der Bevölkerung Illusionen gemacht. Sie verabscheuten die eigene Währung fast ebenso wie die politische Klasse. Das Heil sollte von Außen kommen, von „Europa“ und vom Euro. Die übernationale Bürokratie sollte das Staatsversagen im eigenen Land kurieren. Sie hatten zwar damals bereits Erfahrung mit Prodi und d‘Alemas Sozialdemokraten, der ehemaligen KPI. Die hat man bald abgewählt. Mit Berlusconi kamen sie vom Regen in die Traufe. Doch inzwischen haben sie ein Jahr Erfahrung mit dem Reichkommissar Monti und seinem Steigbügelhalter Bersani. Selbst der alte Bock erscheint vielen von ihnen vorzuziehen.
Die ökonomische Situation hat kaum je eine Revolution in Gang gesetzt. Aber sie ist alles Andere als unwichtig.

Für hoch entwickelte Wirtschaften im heutigen Weltwirtschaftssystem gibt es mehrere Strategien. Die BRD hat die eine gewählt, und Österreich hat sich im Großen und Ganzen da angehängt. Eine Wirtschaft mit hoher Produktivität und – im Wesentlichen und längerfristig – Vollbeschäftigung kann die Strategie des relativen Lohndrückens wählen, wenn die Eliten sicher sind: Wir beherrschen die Arbeitenden. Das Rezept ist die seinerzeitige Benya-Formel: Die Arbeiter-Bürokratie hält sich an die bestehenden Machtverhältnisse und begnügt sich mit einem Lohnzuwachs nach der Produktivität – in Wirklichkeit weniger. In Österreich hat dies funktioniert, weil bis gegen Ende der 1970er das Kapital zu schwach war, um sehr aggressiv zu agieren. In der BRD war es etwas anders. Da muss man die Benya-Formel deutlich nach unten korrigieren. Die dortigen Gewerkschaften waren weitgehend gekauft, und die Sozialdemokratie musste sowieso beweisen, dass sie die bessere konservative Partei war. Die Verteilung wurde also ständig schiefer. Das förderte den Export, und man ließ den Arbeitenden großzügig ein paar Brosamen zukommen.

In Italien war stets eine nicht geringe Sockelarbeitslosigkeit gegeben. Eine defensive Politik seitens der Gewerkschaften war da kaum durchzuhalten. Die Löhne stiegen dabei, und die Wirkung nach außen, umgekehrt auch die deutsche Schmutz-Konkurrenz, fing man mit den Abwertungen ab. Wirtschaftlich war dies so, als ob ständig eine leichte Korrektur der Verteilung hin zu den Arbeitenden erfolgte. Denn auch in Italien ist die Ungleichheit groß, kaum anders als in der BRD, und damit die Tendenz zur Umverteilung nach oben gegeben.
Nun kam der Euro. Damit fiel das Kernstück dieser Strategie weg, die Möglichkeit der Abwertung. Die Wirkung zeigte sich fast unmittelbar.

Vor mehr als einem halben Jahrzehnt erschien ein Büchlein in Italien: Gaggi / Narduzzi, „Die Auflösung der Mittelklasse und die Low-Cost-Society“. Es wurde ein Erfolg, ins Spanische und Französische übersetzt. Die These war nicht überaus neu: Die (untere) Mittelklasse geht langsam in die Unterschicht über, die Autoren sagen: „Massenklasse“; aber durch die Billig-Importe aus Indien und China wird der Lebensstandard gehalten. Bemerkenswert ist die Stimmung: Die Schreiber halten dies für richtig wünschenswert: Da müsse man sich eben nach der Decke strecken.

Heute heißt die Antwort eines beträchtlichen Teils der Italiener/innen darauf: So nicht mit uns! Wir wehren uns und schicken die Monti und Bersani in die Wüste!
Damit sind wir beim Thema: Ob der Euro-Wahnsinn, in Griechenland wie in Italien, in Spanien wie in Portugal, fortgeführt wird, ist keine Frage erstrangig der wirtschaftlichen Entwicklung und des EZB-Krisen-Managements. Es ist hauptsächlich eine Frage der politischen Reaktion. Die EU-Zyniker zeigen immer auf Estland. Dort funktioniert die Indoktrination nach Wunsch. Die braven Esten nicken und halten auch die andere Wange hin, um pflichtschuldig die Watschen zu empfangen.

In Irland, Portugal und Spanien war dies bislang ähnlich. Nur eine schwache Minderheit hat sich gewehrt. In Italien wird dies anders. Daher stammt die große Angst der Eliten. Die alte Linke ist zwar verschwunden. Selbst jene, die lange Zeit nach Sozialismus gesucht haben, sind weitgehend auf EU-Linie, Rivoluzione civile, SEL oder „il manifesto“. Die Nachfolger der KPI wollen sowieso beweisen, dass sie die eigentlichen Neoliberalen sind. Deswegen gewinnt ja Berlusconi immer wieder. Noch versuchen sie zu tricksen: mit dem Wahlrecht etwa. Mit weniger als einem Drittel der Stimmen und einem hauchdünnen Vorsprung hat die PD-Allianz 55 % der Mandate in der Kammer. Das möchten sie jetzt auch im Senat so einrichten. Es ist die Methode, die legalen Formen des Parlamentarismus beizubehalten, aber jede Kontrolle und jede noch so schwache Demokratie endgültig bachab zu schicken. Und sie versuchen die neuen Abgeordneten von M5S, auch von der Berlusconi-Truppe, einzukaufen. Wird es funktionieren?

Ausgeschlossen ist eine solche „Stabilisierung“ nicht. Wenn diese Wähler, wenn die Neue Plebeische Linke sieht, dass auch die Menschen, auf die sie Hoffnung setzen, umfallen, dann ist es schon möglich, dass sie resignieren. Denn die Neue Linke ist - noch? - weitgehend unpolitisch.

Aber es kann auch ganz anders kommen. Beobachten wir die Wahlen weiter, auch wenn Wahlen als solche die Grundsituation kaum ändern können. Das Motto über dem Artikel ist ironisch. Aber im Gegensatz zu Griechenland würde eine italienische Revolte das Gefüge wirklich zum Einsturz bringen.

16. März 2013