Die unbezwingbare Sehnsucht nach der Sozialdemokratie

31.05.2014
Von A.F.Reiterer
Die alte „Neue Linke“ und ihre Stellung heute

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Die alte Hure NZZ
liegt schwach und krank und siech im Bett.
Nach ausgelassner Jugendzeit
übt sie sich in der Heiligkeit.

Einst war sie ein jungfrisches Blut,
trieb manchen tollen Übermut
mit ihrem Schwager Bakunin,
doch jetzt hat sie den Geldsackspleen …

Das Gedichtchen von Ulrich Dürrenmatt von 1905 fällt mir ein. Eben las ich „Il manifesto“. Ende der 1960er und in den 1970ern waren Rosanna Rossanda, Luigi Pintor, Aldo Natoli die Heroen der konsequenten Linken in Europa. Heute jubelt „Il manifesto“ über den Erfolg des Matteo Renzi bei den EP-Wahlen in Italien. Beppe Grillo machte einen geschmacklosen machistischen Witz ˗ wenn es denn wahr ist, denn in den anderen Zeitungen finde ich nichts davon! Und das ist der Anlass, ihn und die Cinque Stelle außerhalb der Politik, und gleich außerhalb der Menschheit zu stellen. Nach den französischen Präsidentschafts-Wahlen 2012 begrüßte Rosanna Rossanda den Herrn Hollande als die neue Hoffnung der Linken…

Zwar: Schon damals, Anfang der 1970er, haben einige bürgerliche Zeitungen über die Grande Dame gelästert, wie sie da im Gucci-Kostüm mit einer Perlen-Kette darüber Vorlesungen über die historische Rolle des Proletariats gab. Damals sagte man sich: Das ist eben die konservative Presse. Sie versucht alles, um sie madig zu machen. Heute fragt man sich: Haben sie nicht doch was gesehen, wovor wir die Augen verschlossen?

In Italien hat die alte Linke („lista Tsipras“) knapp 5 % erhalten. M5S kam auf knapp 20 % und erhielt damit deutlich weniger als bei den nationalen Wahlen vor einem Jahr. Der neue Retter des Abendlands, der aus der Christdemokratie kommende Renzi, aber erreichte 41 %. Nicht wenige der Konservativen aus Berlusconis Sphäre sehen jetzt in ihm ihren Mann.

Allzu viel Hoffnungen für eine Bewegung in Westeuropa kann die Linke aus den EP-Wahlen nicht schöpfen. Die Wahlbeteiligung in Österreich gab nicht nach, und in der BRD ist sie sogar deutlich gestiegen.

Richtig: In Spanien und Portugal erhielten die diversen Linksparteien erklecklich mehr an Zustimmung, als man sich erwartet hatte. Auf der Ebene der Bevölkerung tut sich also etwas. Wie das  in die Ebene der politischen Klasse übersetzt wird, ist eine andere Frage. Auf der Ebene der Bevölkerung, wohlgemerkt, ist auch Griechenland nicht uninteressant. Die Verschiebungen dort waren allerdings nicht dramatisch. Sicher, die Konservativen (Nea Demokratia und PASOK) haben wieder etwas verloren. Die widerliche Dimar brach zusammen; aber an ihre Stelle trat To Potami. Und die KKE erholte sich geringfügig. Aber ein qualitativer Wandel ist dies wohl nicht.

Und wie ist die harte Rechte zu sehen? Was ist von ihrer Anti-EU-Haltung zu sagen?

Schadenfreude ist nicht angebracht. Der FN geriert sich zwar plötzlich als Arbeiterpartei und bekommt auch in hohem Maß die Stimmen der französischen Unterschichten überhaupt. In einem Interview des „Kurier“ mit Marine Le Pen am 18. Mai hat sie Positionen vertreten, denen man, mit wenigen Ausnahmen, nicht widersprechen konnte. Aber wie ernst ist dies? Schauen wir uns doch die FPÖ an! Die spielt ja auch seit einiger Zeit auf Arbeiterpartei. Vom Wahlverhalten der Menschen her zu Recht: Sie bekommt mit Abstand den größten Anteil der Arbeiter-Stimmen. Aber auf ihrer website bietet sie die flat tax an und vertritt eine reaktionäre nach oben umverteilende Familienpolitik, und… und…

Auf dem Weg zur Respektabilität ist die Anti-EU-Haltung bereits weitgehend Geschichte. Dass auf die EU geschimpft wird, ist beileibe kein Alleinstellungs-Merkmal der FPÖ mehr, das machen vereinzelt sogar die SPÖ und die Grünen, wenn sie glauben, sie können ein paar Stimmen davon erwarten. Der dümmliche Andreas Mölzer hat sich selbst mit seinem „Neger.Konglomerat“ abserviert ˗ wenn man der EU in dieser Hinsicht etwas vorwerfen kann, dann doch wohl eher das Gegenteil: sie verkörpert europäischen weißen Suprematismus.

Diesen Weg zur Respektabilität wird auch der FN gehen, das ist ganz offensichtlich. Selbst wenn also irgendjemand von taktischen Allianzen mit Blick auf die EU spräche und die politische Kapazität dafür gegeben wäre, wäre das eine pure Illusion. Wohlgemerkt: Taktische Allianzen sind prinzipiell immer zulässig. Aber das ist erstens eine Frage des Realitätssinns, dazu muss man stark genug sein; und, zweitens, auch der Kosten: Denn nicht viele würden das verstehen und akzeptieren.

Die Sozialdemokratie in den Ländern Westeuropas wurde zur eigentlichen Bezugsgröße der liberalen Schickeria. Die Konservativen haben stärker verloren. Das war teils auch Ergebnis der deutschen Sehnsucht: Mit dem Herrenmenschen Schulz werden wir endlich zeigen, wo es lang geht. Die SPD hat gleich 7 Punkte damit gewonnen. Aber kann man hier noch von Sozialdemokratie sprechen? Der Name und die Marke ist da. Aber es ist wohl kein Zufall, dass im Moment die europäischen SP-Parteien in Juncker ihren Hoffnungsträger sehen. Die Finanz-Oligarchie erkennt in ihnen ihre neuen und konsequentesten Vertreter. Dass gerade in Italien diese Strömung ˗ wie lang? ˗ so erfolgreich ist, muss man wohl auf ein Nachhinken dieses Landes in der politischen Kultur sehen.

Die Oligarchie und die politische Klasse aber hat die Wahlen hinter sich. ein klein wenig fürchten sie sich doch vor allen Wahlen. Wie sie reagieren, hat sich eben gestern, am Sonntag, gezeigt. Gegen die Stimmung der großen Mehrheit in der BRD hat sie ein kräftiges Zeichen gesetzt: Hermann van Rompuy erhielt den Karls-Preis. Das ist bemerkenswert. Denn diese Figur ist selbst in der konservativen Öffentlichkeit nicht gut beleumdet. Als seine Laudatoren lud er selbst Vertreter jener Kräfte aus der Ukraine ein, die soeben einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen. Denn diese Terroristen sind nicht nur gegen den Putsch, sondern verlangen auch noch Selbstbestimmung.

Gleichzeitig bilden sich neue sozialdemokratische Parteien, welche noch nicht das schmutzige Erbe der alten Sozialdemokratie mit sich schleppen. Das waren sehr kurzfristig in der BRD die Grünen, bevor sie zur eigentlichen Kriegspartei wurden. In Österreich beginnt dieser Zyklus erst. Das sind vor allem Parteien, wie sie jetzt auch der mainstream der SYRIZA verkörpert. In der BRD war die LINKE als Typus dieser Parteien bei den EP-Wahlen und schon vorher bei den Bundestags-Wahlen nicht ausgesprochen erfolgreich.

Noch einmal zurück zum Gedichtchen am Anfang. Ich habe versucht, es per Google zu finden. Ich war erfolglos. Die ersten zwei Strophen findet man in einem sehr alten „Spiegel“-Bericht über die Schweiz. Der ist darauf angelegt, die Schweiz grundsätzlich mies zu machen. Ulrich Dürrenmatt war der Großvater des Friedrich Dürrenmatt und konservativer Journalist in Bern, dem offenbar die noch viel konservativere „freisinnige“ Zeitung auf den Geist ging. Aber selbst in einer Gedichtsammlung von ihm im Netz findet sich dieses Stück nicht: Die NZZ hat anscheinend genug Einfluss und kann dies verhindern. Und die liberale Hegemonie wird sich wohl auch an der „alten Hure“ stoßen.

AFR ˗ 30. Mai 2014