MiFID ˗ Der Staat der Finanz-Oligarchie, die EU

11.07.2014
Von A.F.Reiterer
Das EP, das Pseudo-Parlament der EU, hat Mitte April 2014, in seiner letzten Sitzung in der alten Zusammensetzung, eine neue Version von MiFID angenommen ˗ „Markets in Financial Instruments Directive“. Publiziert im Amtsblatt und damit Recht (aber noch nicht in Kraft) wurde 2014/65/EU am 15. Mai 2014. „Das Zocken hat ein Ende“, freut sich ein Herr Thomas Ulmer, MdEP, CDU. Aha! Sehen, was ein Börsenmensch dazu sagt (NZZ, 17. 6. 2014: EU-Richtlinie mit Nebenwirkungen): „Für die europäischen Börsen hat die erste Mifid-Richtlinie ein dereguliertes Umfeld mit sich gebracht, … (insbesondere) durch Plattformen, die nicht den gleichen Regeln wie Börsen unterworfen sind.“

Insbesondere hat MiFID den Hochfre­quenzhandel massiv gefördert und ausgeweitet, diese besonders gefährliche und schmutzige Form der Spekulation (Christoph Boschan, Börse Stuttgart). Und ein anderer Betroffener, ein Finanzberater, charakterisiert die Änderungen von MiFID II gegenüber MiFID lapidar: „Viel Lärm um wenig… Insgesamt präsentieret sich das neue Regime aber eher harmlos“ (Fonds professionell 18. April 2014).

Es kann schon sein, dass der EP-Abgeordnete MiFID einfach nicht verstanden hat. Das wäre wenig verwunderlich. Sorgt sich doch die Einleitung zum Vorschlag der Richtlinie seitens der Kommission auch darum, dass „die Mitglieder des Leitungsorgans [der handelnden Unterneh­men] über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen und die Risiken verstehen, die mit der Tätigkeit der Firmen verbunden sind“ (Vorschlag für MiFID II vom 20. Oktober 2011, KOM(2011)656). Und aus den Mitgliedsstaaten werden ja nicht die hellsten Köpfe dorthin gesandt.

MiFID gehört mit der Währungsunion und der „Bankenunion“ (SSM, SRM) zu den kenn­zeichnendsten und wichtigsten „Errungenschaften“ der EU. Diese Regulierung oder vielmehr: Deregulierung der Spekulation präsentiert uns den Spiegel für die EU als Staat der Finanz­oligarchie. Verabschiedet 2004 und folgend im „Lamfalussy-Verfahren“, im sogenannten abgekürzten Gesetzgebungsverfahren ˗ auf diesen Punkt müssen wir später noch etwas aus­führlicher zurück kommen ˗ will MiFID, wie üblich, „harmonisieren“, „die den Mitglieds­staaten eingeräumten Ermessensspielräume reduzieren“, „die Integration fördern, „die Markt­effizienz durch die Beschränkung auf ein Minimum von Transparenz, Kontrolle und Anleger­schutz“ stärken (wirklich, so steht‘s im Text!) und, kurz gesagt, den Spekulanten freie Bahn schaffen.

MiFID besteht aus einer Rahmenrichtlinie, einer Durchführungsrichtlinie und einer Durchfüh­rungsverordnung. Ich zögere, im Detail auf die Regelungen einzugehen. Wie die Finanzmärk­te selbst, sind diese Regelungen keineswegs sonderlich komplex, aber ungeheuer kompliziert. Das heißt: Es geht vor allem um eine Fülle von Einzelheiten, die man schwer in wenigen großen Linien zusammenfassen kann, außer in der Einen ziemlich trivialen: Das Finanz- und Spekulationskapital wird in seinen Bedürfnissen bedient.

Was ist aus Sicht der EU und des Finanzkapitals das Problem? Die Börsen, jedenfalls die in Europa, sind hoch reguliert. Das ist für das spekulative Kapital in Aktion unerfreulich. Es gibt daher seit mehr als einem Jahrzehnt eine deutliche Tendenz, diese Regulierung zu umgehen und den außerbörslichen Handel (OTC – "over the counter", in Wien würde man eher sagen: "unter der Budel" und nicht bei der Kasse) auszuweiten. Andererseits hat sich gezeigt, dass dieser unregulierte Handel besonders gefährlich für die Stabilität der Märkte ist.

Die EU-Kommission hat also bereits vor einem Jahrzehnt versucht, diese Problematik anzugehen. Der Grundsatz war: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Einerseits möchte sie nicht völlig die Kontrolle verlieren. Andererseits will sie aber dem Spekulations- und Finanz-Kapital nicht weh tun. Also schafft sie eine Kategorie von Pseudo-Börsen. Die Bezeichnun­gen sind nicht gar so wichtig: MTF – Multilateral Trading Facilities, OTF – Organized Trading Facilities, SI – Systematische Internalisierer, usw. Es gibt Regelungen, einige Publizitätspflichten etwa, aber sie sind außerordentlich schwach, in den Begründungen der Richtlinie heißt es selbst "minimal". Und ebenso definiert sie eine Reihe von Akteuren mit "minimalen" Verpflichtungen. Sie müssen sich z. B. registrieren und auch gewährleisten, dass sie ihre eigenen Konstruktionen auch verstehen. Man hält es kaum für möglich, aber auch das steht so im Text. Es ist also eine Legalisierung bestehender Praktiken und gleichzeitig der Versuch, nicht ganz den Überblick zu verlieren. Gleichzeitig gibt es eine Fülle von Ausnahmen.

Damit ist dieser Bau, die Richtlinien und die Verordnungen, kennzeichnend für die Vorgangs­weise der EU. Aber auch wenn man sich teilweise lustig machen muss über diese umfang­reichen Texte – sie sind blutig ernst zu nehmen. Ich würde sogar sagen: Sie gehören zu den wichtigsten Politikmaßnahmen nach den Verträgen und den immer stärker in den Vorder­grund tretenden Mauscheleien auf den Räten ("Schuldenbremse", "Europäisches Semester").

Und damit kommen wir zu einem Thema, welches inhaltlich nicht unmittelbar damit zusammenhängt. Diese Vorhaben wurden im Lamfalussy-Verfahren, im "abgekürzten Gesetzgebungs-Verfahren" durchgezogen. Und das ist schlicht eine Ungeheuerlichkeit. Um die EU-Politik "effizienter" zu machen – das ist ein Lieblingsvokabel auch in den diversen Rechtstexten – delegiert man solche politisch außerordentlich weit reichende Regelungen mit einem diffusen Auftrag an ein Komitee, das dies wiederum aufgliedert und an Sub-Kommissionen weitergibt. Und die schreiben nach dem Wunsch ihrer Klienten, die von der Regelung betroffen sind, die Rechtstexte. Niemand hat wirklich mehr eine Übersicht, vermutlich nicht einmal die Spitzen der Bürokratie selbst.

In Österreich nennt man so etwas formalgesetzliche Delegation, und es ist verfassungs­gesetzlich ausdrücklich verboten. Denn das ist die Abdankung jeder theoretisch noch möglichen demokratischen Kontrolle, auch im Rahmen des parlamentarischen Systems. Ein Vorgehen dieser Art würde vom Verfassungsgerichtshof unbedingt aufgehoben werden.

Das ist also, u. a., die "Demokratisierung" nach den Wünschen des EU-Parlaments bzw. seiner dominanten Kräfte, von den Konservativen bis zu den Grünen.

Es ist natürlich nicht die einzige Weise, wo sich dieses Pseudo-Parlament als Teil der Bürokratie und ihr eifrigster Zuarbeit erweist, aber es ist besonders stoßend. Auch hier zeigt sich wieder: Dieses Monstrum kann nicht reformiert werden, es ist reformunfähig. Es muss systematisch zerschlagen werden, und das gilt Institution für Institution. Kann schon sein, dass dieses Pseudo-Parlament noch nicht so besonders wichtig ist. Aber es maßt sich immer mehr Kompetenzen an. Es wird also, mit diskreter Unterstützung sowohl der Kommission als auch der meisten nationalen Regierungen immer wichtiger. Und es hat bereits jetzt ein erhebliches Erpressungs-Potenzial.

Die Stellung nicht nur zum Euro, sondern zur gegenwärtigen EU insgesamt ist der entschei­dende Punkt, an dem sich eine konsequente Linke identifiziert – oder auch nicht. Selbst Kräfte, die sich selbst links positionieren, die sich sogar auf den alten Leninismus berufen, schrecken davor zurück, hier klar Stellung zu beziehen. Sie werden damit wider Willen zu Helfershelfern des Finanzkapitals und seines Leitungsausschusses.

10. Juli 2014

RICHTLINIE 2014/65/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU.

VERORDNUNG (EU) Nr. 600/2014 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 15. Mai 2014  über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (Neufassung).

(MiFID 1) RICHTLINIE 2004/39/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates.

VERORDNUNG (EG) Nr. 1287/2006 DER KOMMISSION vom 10. August 2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufzeichnungspflichten für Wertpapierfirmen, die Meldung von Geschäften, die Markttransparenz, die Zulassung von Finanzinstrumenten zum Handel und bestimmte Begriffe im Sinne dieser Richtlinie