Nieder mit EU und Euro, gegen die EU-Komplizität von Syriza!

01.03.2015
Von Aug und Ohr, Gegeninformationsinitiative
Am 26. 2. fanden sich in Athen etwa 1.200 Leute auf der Straße ein und marschierten vors Parlament. Hauptkraft war Antarsya.

Es war die erste gegen die Regierung gerichtete Demonstration, das vermerkten auch zahlreiche Medien. Antarsya, ein Zusammenschluß von insgesamt 9 Gruppen außerhalb und links von Syriza, fällt im allgemeinen unter „außerparlamentarische Linke“, da Antarsya nicht im Parlament ist, wiewohl einzelne Gruppierungen Abgeordnete in kleineren Teilgemeinden haben, so die antifaschistische Aufdeckerin Katarina Thoidou von der Sozialistischen Arbeiterpartei, die Abgeordnete in einer bisher von den Faschisten geprägten und terrorisierten Teilgemeinde Athens ist.

Cyberspießer.

Mit einer ziemlich scharfen Logik hat Antarsya in ihrem Aufruf vom 22. 6. (den wir übersetzt haben) die Notwendigkeit einer linken Wende gegen die Regierung argumentiert, und wir meinen, daß die Argumente zwar stimmig sind, aber daß sie mit dem gegenwärtigen Bewußtseinszustand der zusammengefischten größeren (und durchaus aufgeklärten) Kreise nicht vermittelt werden.

In den letzten Wochen hat sich zwei Mal gezeigt, daß auf Grund verschiedenen Manipulationen in bürgerlichen Modemedien wie Twitter große Menschenmengen in zahlreichen Städten Griechenlands auf die Straße gebracht werden konnten, daß dies aber ein vorübergehendes und konsequenzloses Phänomen war. Weder wurde das offene Mikrofon der zweiten Versammlung weitergeführt, noch wurde zu weiteren Kundgebungen aufgerufen. Wenn eine kleine Gruppe sich als „Bewegung der Plätze“ aufspielt, großspurig den „Bruch mit der EU und dem Euro“ per Lautsprecher ankündigt und dann wieder im Rachen des Vergessens verschwindet, dann ist dies wohl nur als verantwortungslos, wenn nicht als manipulativ zu bezeichnen.

Dies ging nicht weiter. Man muß sich aber fragen, was in den Hirnen dieser Leute vorgeht, wenn sie die Gelegenheit derartiger Massenkundgebungen nicht ergreifen und sie nicht weiterzuentwickeln versuchen.
Es ist das kleinbürgerliche, in sich eingeschlossene Bastlerphänomen, das ausschließlich vor dem Computer sitzt, von realer politischer Organisation keinen Dunst hat, und nun meint: Ach ich werde jetzt auch eine Kundgebung ins Leben rufen!

Es ist ein Aspekt der Privatisierung, der Monadisierung der Politik mit Hilfe der bürgerlichen Medien. EPAM zufolge ist das offene Mikrofon nicht weitergeführt worden, weil es von Syriza-Leuten verwaltet wurde, und schon von Anfang an zu bemerken war, daß die radikalen (im Grunde genommen gegen die Politik der Konzessionen von Syriza gerichteten, also Syriza aufs Korn nehmenden) Losungen überhandnahmen.

Einen Flashmob organisieren, der Traum eines jeden karrierebewußten Studenten, einer karrierebewußten Studentin. Manipulieren können!

Nicht ohne Grund sympathisieren solidarity4all-Leute, die ja nicht gerade als Parteigänger von Klassenkräften (Antarsya, KKE, EEK, KKE-ML, OKDE-Ergatiki Pali) anzusehen sind, mit diesen Vorhaben, wie einer von ihnen mir während der ersten großen Massenanhäufung mit grundlos leuchtenden Augen anvertraute. Er war vom Auflauf begeistert.

Wer war wütend?

Man soll nun die Quantität nicht fetischisieren, aber wir hatten hier einen sehr breiten Widerstand/Widerwillen, der entweder Syriza als Partei unterstützte, oder, wenn nicht die Partei an sich, so die Position Syrizas gegenüber den europäischen Instanzen unterstützte oder schlichtweg die Ablehnung der permanenten diktatorischen Einmischung in die inneren Belange Griechenlands zum Ausdruck bringen wollte. Hier ging es um die Souveränität eines Landes.

In der älteren Terminologie wird das auch als die „patriotische“ Komponente bezeichnet, die ihre Wurzel in der nationalen Befreiungsbewegung des 19. Jahrhunderts hat. Es bedarf politischer Empathie, um dieses Phänomen zu verstehen.

Sprachliche Defizite.

Besonders letzteres Phänomen ist relevant, denn allein mit dem Syriza-Milieu – über das sichtbarlich die große anwesende Masse weit hinausging, läßt sich kein nationaler (und sozialer) Widerstand aufbauen. Nun hat Antarsya einfach nicht die Sprache, sich an diese Leute zu wenden. Sie hat eine konsequente Klassensprache, aber sie kann sie nicht produktiv variieren. Sie verbleibt immer innerhalb ihrer eigenen Terminologie, die zwar von der Sache her richtig ist, aber ein wenig übersetzt werden müßte. Sie beharrt immer auf ewig denselben Forderungen (Raus aus der EU, Raus aus dem Euro!), die ja aus der Sicht eines nationalen und sozialen Widerstands die logische Konsequenz einer antikapitalistischen und antiimperialistischen Analyse sind, aber sie reichern sie nicht an, indem sie auf die konkreten Bedürfnisse der Menschen eingehen.

Warum haben sie zum Beispiel als zentrale Losung nicht gesagt: „Wir haben jetzt genug, wir lassen uns das nicht mehr bieten!“

Dies wäre auf „die Deutschen“ gemünzt gewesen, und nicht zu unrecht, hätte aber die große an sich Syriza-affine Masse und die Masse, die solidarisch ist mit dem Syriza-Versuch, Position gegen „Europa“ zu beziehen nicht vor den Kopf gestoßen.

Denn diese „zwei Massen“ (und es wird auch, etwa von Efimerida ton Syntakton, bestätigt, daß sich die große Straßenpräsenz nicht auf Syriza-Unterstützer reduzieren ließ) befinden sich jetzt in einer Art double-bind-Situation. Sie sind in nuce ein großer antiimperialistischer Widerstand, freuen sich aber zusätzlich, daß sie etwas unterstützen können und daß sie – das wird häufig zitiert – einmal nicht „gegen etwas“ sondern „für etwas“ demonstrieren können. Aber auf dieses „Positivsein“ ist es nicht reduzierbar. Sie manchen die Erfahrung, daß sehr viele Kräfte zusammenstehen, das ist es im wesentlichen.

Nun gibt es derart viele (erzwungene und erpreßte) Rücknahmen und Konzessionen seitens der Syriza-Führung, daß viele schwankend werden müßten. Aber die dürfen nicht durch eine allzu schroffe Logik der radikalen Linken vor den Kopf gestoßen werden, sondern sie müßten sacht in das Lager der radikalen Linken hinübergeführt werden, etwa mit der Losung „Deutschland erpreßt uns und erpreßt Syriza“, was ja auch stimmt. Damit wird den Syriza-Anhängern noch einmal die Möglichkeit gegeben, sich mit dem „Opfer“ Syriza zu solidarisieren. Aber eine neue Sprache wird nicht gefunden – und Sprache ist Ausdruck der Konzepte und der Erneuerungsfähigkeit der Konzepte – und es werden die alten Slogans in die Dunkelheit geheult, die man schon seit Jahrzehnten kennt, wie etwas „Das Volk duckt sich nicht, es kämpft“ und dergleichen.

Das hatte zur Folge, das fast ausschließlich militante Angehörige der Antarsya-Gruppierungen, auch nicht aller, zu sehen waren, und zusätzlich die Revolutionäre Arbeiterpartei, die sich dem Zug angeschlossen hatte, aber niemand Neuer dazugewonnen wurde. Aus dem großen Pool wurde nicht gefischt, auch fällt auf, daß es vorher keine Plakate gegeben hatte.

Ja, übers Internet und über die Prin (Wochenzeitung der Neuen Linken Strömung) allein kann man keine großen Massen mobilisieren, schon gar nicht solche, die über kein Internet verfügen, und solche gibt es auch in Griechenland!

Klassensubstanz, erweitert.

Allerdings ist das politische Potential, der politische Gedankenschatz, der Widerstandswille in der Antarsya beträchtlich, viele ihrer Gruppierungen sind eng mit linken Gewerkschaftsfraktionen, mit der linken, unahängig(er)en (!) Gewerkschaftsbewegung, und im allgemeinen mit den Protesten und Aktionen der Lohnabhängigen verbunden, haben also einen reellen Bezug zur Arbeiterklasse. Das betrifft in allererster Linie, wie ich meine, die Sozialistische Arbeiterpartei. Es ist zu wünschen, daß sich dieses Widerstandspotential einwickelt. Die Präsenz bei dieser Kundgebung war auch deshalb so spärlich, weil es kurz zuvor einen fürchterlichen Wolkenbruch und auch ein kurzes scharfes, extrem aggressives Gewitter gab, vor dem wohl viele geflüchtet waren.

Aber der nicht-quantitive Aspekt, das Neue der scharfen Gegenposition fiel auch vielen bürgerlichen Zeitungen auf, und insgesamt 16 Zeitungen berichteten, z. T. mit ausführlichen Bildern über das Regen-Event.

Es war übrigens eine Kundgebung, die außerdem von EPAM, Plan B von Alavanos und EEK (der Revolutionären Arbeiterpartei) mitgetragen wurde. Hier sehen wir einen der Kerne des Widerstands gegen die europäische Diktatur – in dem Antarsya ergänzt wird, der noch über Antarsya hinausgeht.

Suche nach gemeinsameren Wegen.

Aber der gute Wille fehlt nicht bei Antarsya. Mit großer Akribie wird der Beschluß der gemeinsamen Beschlußfassung und die Strategie, sich nach außen zu wenden, erarbeitet. Innere Einheit, Offenheit nach außen. Nach einer Sitzung des Koordinationsausschusses von Antarsya am Freitag den 20. 2., kam von diesem Komitee der Vorschlag für eine gemeinsame Kundgebung und ein Aufruf zu mobilisieren, der „an alle Kräfte der antikapitalistischen und antiimperialistischen Linken sowie er linken EU-Gegner“ gerichtet war. Warum soll so ein Vorschlag nicht von Antarsya ausgehen? Er war auch gerichtet an die KKE, sowie an diejenigen bei Syriza, die das Abkommen ablehnen.

Die Kundgebung sollte sich als eine erste Reaktion gegen die „neue, umgeformte Memorandenpolitik“ verstehen. Zu weiteren Mobilisierungen wird aufgerufen, sobald das Abkommen im Parlament zur Abstimmung gelangt. Eine Syriza-interne Abstimmung hat bereits stattgefunden.

Die Forderung der totalen Schuldenstreichung wider weiterhin aufrechterhalten. Dazu wird es von Antarsya eine eigene Kampagne geben. Ziel ist die Schaffung einer großen Gesamtinitiative zur Streichung der Schulden. In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß die Parlamentspräsidentin Zoí Konstantinopoúlou die Einrichtung eines griechischen Schulden-Audits, also eines öffentlichen, mit Fachleuten bestückten Forums unter Beteiligung der Bürgerschaft, angekündigt hat.
Die KKE ist nicht faul und hat, sicherlich nicht auf den Wink der Antarsya, für Freitag den 27. 2. eine eigene Großdemonstration in Athen und weitere in anderen Städten gegen die von Brüssel aufoktroyierte Vereinbarung angekündigt. Der Parteivorsitzende Koutsoúbas bekam aus diesem Anlaß ein Solidaritätsschreiben von Mikis Theodorakis, der, zusammen mit Manolis Glezos zu den entschiedenen Gegnern des Abkommens gehört.

Am darauffolgenden Tag, am Samstag den 28. 2., zeigt sich, daß die EPAM ihre Versammlung auf dem Syntagmaplatz mit offenem Mikrofon fortsetzt. Jede Woche soll so etwas stattfinden. Schwerpunkt liegt auf der Information über wirtschaftlichen Aspekte, weil über die die gefährlichste Desinformation in den Medien vorherrscht, wie mir ein EPAM-Aktivist mitteilte, pädagogischer Kern sind die Selbstdarstellungen und Fragestellungen der beteiligten Zuhörer. Es ist also bereits sowas wie ein Schulden-Audit im kleinen und korrespondiert ein wenig mit den Ideen und Konzepten der CADTM. Die dialogisierende Versammlung soll aber nicht auf wirtschaftliche Aspekte beschränkt werden.

Inzwischen hat Antarsya bereits zugesagt, sich an diesem wöchentlichen Forum zu beteiligen. Wir haben also die Aussicht auf die wöchentliche Präsenz einer Allianz zwischen einer wichtigen Klassenkraft und einer sozialpatriotischen Kraft, beide – einigermaßen disparate – scharfe EU-Gegner. In Diversität liegt die Würze. Das wären zwei von den insgesamt 4 radikalen EU- und NATO-Gegnerinnen, die die „Antarsya-Demonstration“ vom 26. 2. getragen haben.

Die gegen das Abkommen von Brüssel agierenden Kräfte bestehen also aus der KKE (die, wie weithin bekannt, immer gesondert mobilisiert, sie ist die stärkste Kraft, das darf man nie vergessen!), aus der Antarsya-EPAM-Aktions- Allianz, zusätzlich Plan B und EEK, und ein weiterer Kräfte-Pol ist die Syriza-Linke.

Bei der Syriza-internen Abstimmung hat sich gezeigt, daß 4 Minister gegen das Abkommen sind, darunter Lafazanis, der auch die Linke Plattform von Syriza anführt, eine Reihe von Abgeordneten sind dagegen, die stärksten Einwände bei der Diskussion zur Abstimmung kamen von Aktivisten der maoistischen KOE (Kommunistische Organisation Griechenlands) und Kókkino („Rot“). Letztere beide waren bereits bei der zweiten Massenversammlung der sogenannten Bewegung der Plätze aufgetreten, mit jeweils scharfen Thesen gegen die Regierungsposition. Schließlich hat Zoí Konstantinopoúlou (die nicht zur linken Plattform gehört) mitgeteilt, daß sie bei der endgültigen Abstimmung im Parlament nicht für das Abkommen votieren würde. Die Kommunistische Plattform von Syriza ist „natürlich“ dagegen.

Man kann also nicht sagen, daß das abkommenfeindliche Lager – in dem die EU- und Euro-GegnerInnen eine dominierende Rolle spielen – nur eine Angelegenheit von verbohrten Randgruppen wäre. Das kann man nicht sagen – bei aller leisen Kritik an Antarsya.