Bundespräsidentenwahl: „Da muaß was g'schehen“

24.04.2016
Aber kann man da auch was machen?
Von Albert F. Reiterer
Der Weg ist das Ziel. Der Wahlkampf war sicher wesentlich interessanter als es die Wahl mit ihrem Ergebnis ist. Er hat die politische Transformation im politischen System Österreichs erkennen lassen, auch ihre engen Grenzen.

Aber Wahlen haben immer ihre zwei Seiten. Die Bevölkerung hat eine Gelegenheit, ihren Stimmungen Ausdruck zu geben, zugegeben, auf einem sehr gewundenen Weg. Aber die Ebene der Institution trägt einen hohen Symbolwert. Das gilt sogar in diesem Fall, wo das Ergebnis realiter belanglos ist. Der operative Charakter der Präsidentschaft geht bekanntlich gegen Null.

Die drei Personen mit den Spitzen-Ergebnis spiegeln die Stimmung in Österreich nicht schlecht.

Norbert Hofer demonstriert, dass sich die Subalternen rühren. Aber noch lassen sie sich weitgehend instrumentalisieren. Mit viel Ironie könnte man an den alten präfaschistischen Spruch erinnern: La Grande Proletaria si è mossa. Hofer ist die Verkörperung dieses Prozesses. Der Burschenschafter war persönlich-beruflich sicher nicht Oberschicht, vielleicht nicht einmal Obere Mittelschicht. Aber er gehört zu jenem gut funktionierenden und so widersprüchlichen Prozess des FPÖ-Aufstiegs. Die Burschenschafter repräsentieren eine alte Beihnah-Elite, schicken aber üblicher Weise den Herrn Strache, einen eher plebeischen Typ in den Wahlkampf. Der Erfolg dieser Strategie kann sich sehen lassen.

Da ist dann Van der Bellen. Das ist die Haupt-Verteidigungslinie des Systems. Diese abgestandene Mischung von heutiger Sozialdemokratie und Ciudadanos mit einigen Beimischungen aus dem kulturkonservativen Milieu („Heimat“) begeisterte die rüstigen alten Damen in den Provinz-Hauptstädten ebenso wie die aufstrebenden jüngeren und mittelalten Trendsetter in Wien: Zwar nur ein Fünftel der Bevölkerung, aber es sind die hegemonialen Schichten. Der „Standard“, das Hauptorgan des österreichischen Neoliberalismus, hat ihn ohne jede Zurückhaltung gepusht, und viel diskreter auch andere Medien. Im Zweiten Wahlgang hat er noch Aussichten. Noch funktioniert die Abwehr-Phalanx des Systems in diesem Land, vergessen wir das nicht. Der Leidensdruck ist im Zentrum nicht wirklich hoch, auch wenn die Verdrossenheit mit den Händen zu greifen ist.

Da ist sodann Irmgard Griss. Inhaltlich und auch persönlich unterscheidet sie sich wenig von Van der Bellen. Und doch signalisiert sie etwas deutlich Anderes. Mit ihrem unerwartet kritischen Bericht zu den Hypo-Alpe-Adria-Verbrechen und deren Verschleppung und Verschlimmerung durch die politische Spitze in Wien wurde sie zur Hoffnung eines Bevölkerungsteils, das von dieser Spitze die Nase voll hat. Dabei ist sie durchaus konservativ. Sie steht ebenso für das System wie Van der Bellen. Die ÖVP hat es in ihren Rachegelüsten wegen kritischer Bemerkungen über Pröll und Fekter versäumt, sie offiziell einzuvernahmen. Dieser kultivierten älteren Dame ist es gelungen, ohne Apparat und fast ohne Geld einen Riesenerfolg einzufahren. Es zeigt, was prinzipiell möglich wäre, wenn sich die Zivilgesellschaft zu einer entsprechenden Bewegung aufraffen würde. Und hier liegt die Gefahr, die sie für das politische Arrangement in Österreich darstellte. Aber damit ist ihre Rolle auch zu Ende.

Über den Rest brauchen wir kaum zu sprechen. Doch, einen müssen wir noch erwähnen. Die Freak-Gesellschaft – über die wir noch sprechen sollten – ist auch in der österreichischen Politik angelangt. Lugner verkörpert sie nicht schlecht. Er ist seiner Kultur nach Unterschicht und spricht auch das Lumpenproletariat an: Schließlich hat er versucht, seine Unterstützung zu kaufen. Das ist ein untrügliches Zeichen für Lumpenproletariat. Dass er gleichzeitig ein reicher Mann ist und prahlerisch darauf verweist, er habe schon 60 Millionen Steuern bezahlt, ergänzt das Bild. Die Freak-Gesellschaft ist aber nicht zuletzt eine (Untere) Mittelschicht-Erscheinung. Verbreitet und propagiert wird sie hauptsächlich von den Medien, und hier von den Fernsehsendern, ob öffentlich oder privat.

Die Regierung hat eine solche Abfuhr erlitten, gerade einmal zusammen ein Fünftel der Stimmen, dass sie eigentlich auf der Stelle zurück treten müsste. Das wird sie natürlich jetzt erst recht nicht tun.

Doch kennzeichnend für die letzten Wochen war der Wahlkampf selbst. Nicht nur der selbst deklarierte Kasperl hat sich zum Kasperl gemacht. Alle ohne Ausnahme haben den Wurstel gespielt, die Rolle, welche ihnen nicht zuletzt die privaten Fernsehsender aufgedrückt haben. Aber alle haben mitgespielt. Nun ist es bei dieser Politik und für dieses Amt durchaus angebracht, den Unterhaltungswert in den Vordergrund zu stellen. Aber es war mehr ein Programm für unterbelichtete Journalisten. Die Bevölkerung hat nur mäßig Anteil genommen, wie die, an der Propaganda-Dampfwalze gemessen, niedrigen Zuschauer-Zahlen bei den sogenannten Fernsehduellen zeigen. Das ist einerseits nicht nur verständlich, sondern aus der Warte des linken Beobachters durchaus erfreulich. Aber gleichzeitig leidet nicht nur die gegenwärtige politische Klasse darunter. Politik als mögliches Korrektursystem oder, man wagt es kaum zu sagen, als bewusstes Steuerungsinstrument der Gesellschaft kommt als solche in Misskredit. Das ist vermutlich teilweise geplant und von den Eliten erwünscht. Denn nichts fürchten sie mehr als eine Willensäußerung der Bevölkerung. In diesem Sinn hat der Wahlkampf im Interesse der Herrschenden doch wieder funktioniert, auch wenn die aktuelle politische Klasse stark gelitten hat.

Österreich ist einerseits Teil des Zentrums. Andererseits haben es die Regierenden hier zu einem Wurmfortsatz der BRD gemacht, schon fast ohne Spielraum. Das an sich würde die Bevölkerung wahrscheinlich wenig stören, obwohl die Abneigung gegen die „Piefkes“ stets erheblich war. Aber mit der Abhängigkeit haben die Herrschaften natürlich auch die Politik von dort importiert. Und das stört einen zunehmend größeren Anteil in der Bevölkerung. Diese Wahl war und ist ein Schuss vor den Bug der Eliten. Aber auch nicht mehr. Um wirklich einen Bruch zu bewirken, müsste schon noch ziemlich viel passieren. Das ist politisch eher unwahrscheinlich. Die hohe Arbeitslosigkeit allerdings, in einem Land, das seit Jahrzehnten stolz war auf die niedrigste Beschäftigungslosigkeit in Europa, wird langsam etwas bewirken. Aber sie lähmt natürlich auch, macht phlegmatisch und passiv.

Eine Linke ist, mit Ausnahme der Steiermark, hier inexistent. Die Frage ist, ob eine aufzubauen wäre. Der Versuch, ausgerechnet bei dieser belanglosen Wahl eine „linke“ Kandidatur („Wien Anders“!!) zu portieren, ist gescheitert. Man kann sagen: glücklicher Weise, angesichts des Charakters dieser Wahl. Aber es ist doch kennzeichnend, dass nicht einmal eine solch handzahme Position es schaffte. Dass die Wiener KP aus Angst um ihre in diesem Spektrum maßgebliche Position da nicht mitspielte, half beim Misserfolg der Beinahekandidatin mit.

So bleibt nur die trübe Hoffnung, dass, in fünf, sechs Jahren, nach einer Regierungs-Periode der FPÖ (- ÖVP?) sich diese Partei ähnlich decouvrieren wird, wie seinerzeit die Haider-FPÖ in der Schüssel-Regierung. Selbst das ist optimistisch gedacht. Denn erinnern wir uns: Als die Haider-FP an ihrer puren Unfähigkeit zusammenbrach, hat nicht etwa die Linke gewonnen. Eine solche gab es schlicht nicht. Es war die Strache-FP, welche dies zielstrebig genutzt hat.
Aber die eigentliche Frage ist: Wir von der Linken können uns nicht auf solche Wahlen abstützen. Wir müssten neue Formen der politischen Arbeit entwickeln. Aber gleichzeitig, und gegen die kindischen anarchistischen Sprüche an den Hauswänden, muss klar sein: Ohne diese Wahlen geht es nicht. Und wenn man schon an solchen Wahlen im Vorfeld scheitert, dann ist der Weg wirklich noch sehr lang.

24. April 2016, 18.45 Uhr