Großes Zittern bei Spaniens Elite

26.05.2016
Von Gernot Bodner, Personenkomitee Euroexit gegen Sozialabbau
Am 26. Juni stehen in Spanien Neuwahlen zum Parlament bevor. Nach dem letzten Wahlgang am 20. Dezember hatten weder die spanische Rechte (Volkspartei, PP) noch die zweitplatzierte sozialdemokratische Linke (Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens, PSOE) nach massiven Verlusten die notwendigen Mehrheiten, um eine Regierungsbildung zu schaffen. Dies hing ursächlich mit dem Aufstieg von zwei neuen Gruppierungen in der spanischen Parteienlandschaft zusammen. Die aus den Anti-Austeritäts-Protesten der „Indignados“ (Empörten) hervorgegangene Linkspartei Podemos machte mit 20,7 % der Stimmen den Sozialdemokraten (22,1 %) den Platz der linken Opposition streitig. Auf der Rechten kanalisierte die Partei Ciudadanos (Bürger) viele Stimmen der durch Korruptionsskandale zerrütteten PP.

Das Scheitern des sozialdemokratischen Rettungsversuchs

Nach den Wahlen am 20. Dezember war rasch klar, dass die Rechte keine Mehrheit zusammenbekommen würde. Die Eliten hofften kurzfristig auf eine große Koalition aus PP und PSOE. Nach einem polarisierten Wahlkampf, in dem die Sozialdemokraten angesichts des Damoklesschwerts Podemos ihr „linkes Gesicht“ ausspielen mussten, waren die Gräben zur Rechten für eine Koalition jedoch zu tief. Die PSOE wusste außerdem, dass ihr ein Schicksal wie der griechischen PASOK drohe, sollte sie mit dem diskreditierten PP Chef Rajoy zusammengehen. So drehte sich bald alles um eine linke Koalition mit Podemos. Eine solche „Regierung des Wandels“ hätte mit einigen Juniorpartnern aus den Provinzen eine Mehrheit gehabt. Doch Podemos war nicht kostenlos als Königsmacher zu haben. Zur Diskussion stand eine Koalition mit einem Vizekanzler Pablo Iglesias und mehreren Podemos-Ministern. Programmatisch war vor allem die Frage der Selbstbestimmung der Provinzen ein Knackpunkt: Podemos sprach sich für das Recht auf ein Referendum aus (was sie in Katalonien und im Baskenland zur stimmenstärksten Kraft gemacht hatte). Besonders für die Rechte in der PSOE um die einflussreiche andalusische Regionalregierungschefin Susana Diaz war dies jedoch eine rote Linie.

Ende Februar schloss die PSOE dann ein vorläufiges Bündnis mit Ciudadanos, dem sich Podemos anschließen sollte. Man war sich dabei wohl im Klaren, dass dies nicht realistisch war. Es ging vielmehr um das gemeinsame Ziel der alten und neuen Elitenparteien, Podemos vor den Neuwahlen zu schwächen und zu diskreditieren. In einer breiten Medienoffensive warf man Podemos vor, durch die Ablehnung des PSOE-Ciudadanos Pakts für eine „progressive Regierung“ die Kontinuität der PP zu stützen. Interne Differenzen in mehreren Regionalgruppen von Podemos (vor allem um Fragen der Entscheidungsfindung und des Verhältnisses von Basis und gewählten Mandataren) wurden medial zu einer Spaltung zwischen Parteiführer Pablo Iglesias und seiner „Nummer 2“ Iñigo Errejón aufgebläht. Mit einer Basisbefragung zur Aufkündigung der Verhandlungen mit der PSOE und der Erneuerung ihres Organisationssekretärs gelang es Podemos jedoch, die Offensive abzuwehren

Unidos Podemos – Bevorstehendes Erdbeben durch linkes Wahlbündnis

Das Manöver kostete Podemos dennoch in den Umfragen einige Prozentpunkte. Gleichzeitig konnte die traditionelle Linke der Izquierda Unida (IU, Linksbündnis um die Spanische Kommunistische Partei) wieder Zuwächse verzeichnen, die bei den Dezemberwahlen an Podemos verloren gegangen waren. Jedoch bedeutet das ungleiche spanische Wahlrecht, dass IU proportional sehr wenige Abgeordnete trotz guter Stimmenzahl bekommt (z.B. brauchte IU im Dezember 2015 pro Abgeordnetenmandat über 400.00 Stimmen, die PSOE dagegen nur knapp über 60.000). Dementsprechend gab es für beide Linksparteien Grund, ein Wahlbündnis zu versuchen. Nach mehreren Wochen Verhandlungen einigte man sich auf eine gemeinsame Plattform. Die ersten Umfragen zeigten, dass dieses Linksbündnis auf über 23 % der Stimmen hoffen kann und damit deutlich vor der PSOE liegt.

Herausforderungen für das Establishment und auch die Linke

Die spanischen Eliten aber auch die EU sehen den Wahlen am 26. Juni unruhig entgegen. Es ist zu erwarten, dass sich das Szenario des 20. Dezember wiederholt und keine Kraft auf eine klare Mehrheit zur Regierungsbildung kommen wird. Verschlimmernd kommt dazu, dass Podemos/IU wohl die erste Geige auf der Linken spielen werden. Die Sorgen des Establishments sind dabei zweier Art: zum ersten ist eine neue Linkspartei, die noch nicht domestiziert ist und unter einem starken Druck ihrer Wählerbasis steht, ein großer Unsicherheitsfaktor. Syriza in Griechenland hat zwar gezeigt, dass sich auch eine Linkspartei jenseits des Establishments schnell anpassen kann. Aber dennoch bedeutet es eine Periode der Unsicherheit, in der die Eliten zumindest teilweise die Kontrolle der politischen Entwicklungen verlieren. Dazu kommt die zweite, spezifisch spanische Sorge: in die mögliche Regierungskrise verquickt sich eine ungelöste Staatskrise durch Regionalregierungen in Katalonien und im Baskenland, die ein Unabhängigkeitsreferendum einfordern. Es ist zu hoffen, dass der 26. Juni für das Bündnis Podemos-IU ein starkes Ergebnis bringt und die spanische Linke, sollte sie in Regierungsverantwortung kommen, die Lehren aus Griechenland nicht vergisst: denn ohne Bruch mit dem Euro-Regime wird auch in Spanien keine soziale und demokratische Alternative möglich sein.