Weder Van der Bellen noch Hofer

18.11.2016
Von Michael Wengraf, Wissenschaftshistoriker und Publizist
Warum reagieren die Eliten panisch, ja geradezu hysterisch auf die Wahl Trumps oder den „Brexit“? Die Antwort ist simpel: Weil sich für die Beherrschten ein Ausweg aufzutun scheint: Die Flucht aus einer tristen Wirklichkeit, in der Existenzangst, Deklassierung, Perspektivlosigkeit und materielle Not große Teile der Gesellschaft dominieren.

Diese neoliberale Welt ist bestimmt durch global organisierte Ausbeutung und Umverteilung nach oben. An der sogenannten Peripherie wird das Leben zusehends unmöglich und in Europa oder den USA bietet sich ebenfalls ein düsteres Bild: Die Menschen verarmen mehr und mehr. Was hier durch Sozialabbau bzw. Demontage des Gesundheitssystem und öffentlicher Infrastruktur gespart wird, wandert geradewegs in Richtung Finanzkapital.
Obwohl diese Gesellschaft in immer kürzerer Zeit immer mehr an Werten schafft, werden die Menschen – bis auf eine verschwindende Minderheit – immer ärmer. Die Irrationalität feiert Triumphe. Eine gleichgeschaltete Meinungsmaschinerie verkauft uns diesen Wahnsinn als alternativlos – als den ehernen Gang der Dinge, aus dem es kein Entrinnen gibt. Im Gegenteil: Ein Ausbrechen aus der Irrationalität wird selbst als irrational dargestellt. Die Unvernunft des (neoliberalen) Profits erklärt sich in der Propaganda der Eliten zur Vernunft schlechthin. Ziel ist, dass der Mensch den dinglichen Zwängen, die ihn quasi wie eine unbeherrschbare Naturgewalt treffen, hilflos unterworfen bleibt. Er darf – und das hat seitens der Herrschenden oberste Priorität – vor allem kein handelnder, gestaltender werden.
In dieser Situation wählen ausgerechnet die US-Amerikaner ihre herrschende Elite ab, wollen die Briten aus dem vereinten Europa der Konzerne austreten! Was ist, wenn daraufhin die Welt doch nicht zusammenbricht, wie es die herrschende Logik immer wieder einbläut? Wenn sich gar ein Leben ohne neoliberale Zwangsjacke als denkbar und möglich auftut? Dann könnte mehr Menschen klar werden: Es gibt doch Alternativen, wir können eine andere Welt schaffen. Das muss vom Establishment, will es als solches überleben, unter allen Umständen verhindert werden. Deshalb trommelt die geballte und gleichgeschaltete Macht des Apparats wie wild gegen Euroexit und deshalb stellte sie sich in den USA kompromisslos und mit gigantischem Aufwand hinter Hillary Clinton.

Aus diesem Grund – wir leben in einer „One-World“ – wird hierzulande in einzigartiger propagandistischer Eintönigkeit von ebendieser Herrschaftsmacht auch Alexander van der Bellen voran getrieben. Er ist nicht nur der Kandidat des Establishments, er ist dessen letzte Bastion. Alle, die in diesem Lande (noch) etwas zu sagen haben, und daher für den Kult neoliberaler Unsterblichkeit stehen, vereinigen sich um ihn, hinter und neben ihm: Das beginnt bei den schwarzen EU-Lobbyisten Franz Fischler und Othmar Karas und inkludiert den „bunten Vogel“ Erhard Busek. Die Liste reicht weiter vom – durch Christian Konrad vertretenen – Raiffeisen-Konzern und dem Bau-Industriellen Hans-Peter Haselsteiner bis hin zum „linken“ Ferdinand Lacina. Das sind nicht ohne Grund alles Leute, die Karriere und Profit dem neoliberalen System zu verdanken haben. Menschen, die ihm dienten und deshalb großzügig bedient wurden.

Sozialdemokraten, ÖVP, Grüne und Liberale scharen sich – offen unterstützt von den Wirtschaftsbossen – hinter dem Einheitskandidaten: Auch in Österreichs muss, geht es nach ihnen, die Hoffnung auf Wandel getötet werden. Wer nun Van der Bellen wählt, stimmt für diesen Mord. Er unterstützt jene, die den Neoliberalismus retten wollen und Österreich bedingungslos unter dem Diktat einer Europäischen Union des Großkapitals halten möchten.
Vor allem aber bedeutet sich für Van der Bellen zu entscheiden eines: Die Werte der liberalen Beherrscher dieser Welt als die schlechthin allgemeinen, für alle gültigen anzuerkennen. Das hieße, mit den Eliten gemeinsam so zu tun, als lebten wir in einer liberalen, offenen, demokratischen und gerechten Welt, die es Wert ist, durch eine Wahl Van der Bellens, geschützt zu werden. Sich auf die Seite der Eliten zu schlagen, verfestigt schließlich die Funktion der – nicht nur! – gewendeten Linken als Ideologen und Apologeten des Systems. Sie erwiesen sich durch eine solche Unterstützung einmal mehr als Handlanger der Eliten und verlören noch mehr das Vertrauen der Massen, von denen sie ohnehin schon als Bewahrer des Bestehenden wahrgenommen werden.

Natürlich sind Leute wie Trump, Le Pen, Petry, Strache oder Hofer ebenfalls Teil des herrschenden kapitalistischen – wenn auch nicht neoliberalen – Systems. Als Auffangbecken für Unzufriedene instrumentalisiert, erfüllen sie letzten Endes eine systemrettende und nicht eine systemüberwindende Aufgabe. Deshalb ist selbstverständlich auch ein Hofer nicht wählbar. Wir stehen hier nur vor einer simplen Auseinandersetzung zwischen national-konservativem und neoliberalem Flügel der Herrschenden. Solange erstere für ihre Machtergreifung Verbündete brauchen, werden sie aber zu gewissen Konzessionen bereit sein. Auch aus diesem Grund bleibt das neoliberale Zentrum in diesem historischen Moment unser Hauptfeind. Es gilt aber vice versa: Wer durch einen Tsunami bedroht ist, der wird sich besser nicht in einen reißenden Sturzbach retten.