Auf Seiten Iraks, heißt nicht auf Seiten Saddams

31.10.2002

Warum wir für die Niederlage der USA sind

Die seit 1990 andauernde, von den USA geführte Intervention gegen den Irak, vom Krieg 1991, über das Jahrzehnt des Embargos, unzählige Luftangriffe und dem nun in Vorbereitung befindlichen neuen Krieg, hat einen ganz eindeutigen Zweck. Es geht den USA um die Kontrolle und Beherrschung des Nahen Ostens und um den Erhalt der globalen Vorherrschaft. Die angloamerikanische Intervention hat damit einen klassisch imperialistischen Charakter. Im Gegensatz zu vergangenen Interventionen versuchen dies die Herren im Weißen Haus kaum mehr zu verstecken und selbst die westliche Presse muss dies allenthalben zugeben.
Die katastrophale Misere der Massen der arabischen Welt hängt ursächlich mit der amerikanischen Vorherrschaft in der Region zusammen. Während sie sich die Ölreserven aneignen, fördern sie kooperationsbereite Ölscheichtümer in willkürlich gezogenen Grenzen, die die übergroße Mehrheit der Araber in extremer Armut belassen. Allerorts und allen voran in Ägypten haben sie diktatorische Marionettenregime eingesetzt, die die Bevölkerung ausplündern. Und zu guter Letzt stehen sie hinter Israel, das die Palästinenser massakriert und vertreibt und als größte Militärmacht der Region im Dienste der USA die arabischen Nachbarn in Schach hält.
Wer sich dieser imperialistischen Architektur nicht unterzuordnen bereit ist – und das hat der Irak mit der Invasion Kuwaits getan – wird mit allen Mitteln, eben auch militärischen, bekämpft.
Ganz egal wie diktatorisch das Regime Saddam Husseins sein mag (alle proamerikanischen Regime der Region sind es ebenso und Israel ist gar ein Apartheid-Staat), Hoffnung für die arabischen Massen kann es nur geben, wenn das amerikanische Joch gelockert und schließlich abgeschüttelt wird. Eine Niederlage der USA würde der Bewegung der Volksmassen einen gewaltigen Auftrieb geben und alle proamerikanischen Diktaturen in Frage stellen. Es mag sein, dass der Baathismus dadurch kurzzeitig gestärkt würde, aber auch das irakische Volk würde über kurz oder lang den Wind der Freiheit aus der Region spüren. Umgekehrt würde ein Erfolg der USA das Elend der Massen noch drückender machen und würde die Diktaturen der Region stärken, einschließlich des rassistischen Israel und der Türkei.
Diese Position der Verteidigung eines unterdrückten, halbkolonialen Landes gegen den Imperialismus ist ein grundlegendes Prinzip revolutionärer antiimperialistischer Politik. Kommt es zu einem Konflikt zwischen solchen Ländern, dann sind die jeweiligen Formen der Regime zweitrangig. Denn im Hintergrund steht der Konflikt der unterdrückten und ausgebeuteten Volksmassen mit der imperialistischen Bourgeoisie. Der Sieg der "westlichen Demokratie" stärkt den Imperialismus, während der Sieg der "halbkolonialen Diktatur" letztlich den Volksmassen mehr Bewegungsspielraum gibt, denn sie sind es tendenziell, die diesen Kampf ausfechten und ihr Blut geben müssen.

Wille zur Macht - die irakische Baath-Partei

Die führende Partei des sozialen und nationalen Befreiungskampfs der irakischen Volksmassen war im Gegensatz zu den meisten anderen arabischen Ländern die Kommunistische Partei. Das war vor allem der Tatsache geschuldet, dass weder die Schiiten, die die Mehrheit der arabischen Bevölkerung des Irak bilden, noch die Kurden einen besonderen Hang zum Panarabismus zeigen und zeigten. Dieser war nur unter den Sunniten, die traditionell die Elite stellten, stark. Ein anderer Aspekt ist die historische Tradition des Jahrtausende alten sozialen Konfliktes, die es beispielsweise in Ägypten nie gab (1).
Als am 14. Juli 1958 die Freien Offiziere gegen das proimperialistische Regime des Königs erfolgreich putschten, quollen die Straßen Bagdads und der anderen großen Städte des Landes vor Menschen über. Die Volksmassen, vielfach kommunistisch beeinflusst, feierten die Machtübernahme der fortschrittlichen Offiziere als Beginn der Revolution.
Doch sehr schnell bildeten sich zwei Pole, jener um Quasem, der keine andere Wahl hatte als sich auf die Volksmassen und sehr unwillig auf die KP zu stützen, und jener um Arif, der die arabischen Nationalisten einschließlich der noch unbedeutenden Baath, sowie Moslembrüder und Großgrundbesitzer, die eigentliche Stütze der britischen Herrschaft und des Königs, um sich versammelte. Der Streit um die arabische Einheit, die Arif zu befürworten und Quasem abzulehnen schien, war nur vorgeschoben. Denn wie sich später herausstellen sollte, wollten auch die Nationalisten verschiedenster Couleur nicht die zweite Geige hinter Nasser spielen. Vielmehr ging es um die Unterdrückung der Kommunisten, so wie es Nasser in Ägypten vorexerziert hatte.
(Hier sei nebenbei und retrospektiv bemerkt, dass die Stellung, die die KP gegen den Panarabismus einnahm, ungünstig war. Es konnte nicht darum gehen, die Millionen und aber Millionen mobilisierende Idee der arabischen Vereinigung gegen den Imperialismus abzulehnen, sondern ihr einen demokratischen Charakter zu geben, sie mit den sozialen Interessen der Volksmassen zu füllen und sie so zu realisieren. Die Vereinigte Arabische Republik (VAR) hätte nicht die Unterordnung unter den Rais am Nil bedeuten müssen.)
Als im März 1959 in Mosul die Arif nahestehende Front einen Aufstand der Garnison anzettelte, wurde dieser umgehend unter Führung der KP erfolgreich niedergeschlagen. In den nächsten Monaten befand sich die KP auf dem Höhepunkt ihrer Macht, wahrscheinlich dem höchsten Punkt, den eine kommunistische Partei jemals in der arabischen Welt erreicht hat. Ihren Führern war klar, dass Quasem sie nicht nur nicht an der Macht beteiligen, sondern sie auch zurückzudrängen versuchen würde. Sie stellten sich die Frage der bewaffneten Machtübernahme, der Revolution, die damals selbst den nationalistischen Militärs möglich schien und beantworteten sie in der schlechtesten sowjetischen Tradition mit einen klaren Nein. Das von Stalin für die Kolonialrevolutionen wiederaufgewärmte Argument Kautskys gegen den Oktober, nach dem es sich um eine bürgerliche Revolution handeln würde und daher der Bourgeoisie die Führung zukäme, gab den Ausschlag für die selbstmörderische Entscheidung. Eine kommunistische Machtübernahme hätte der sich gerade stürmisch entfaltenden arabischen Befreiungsbewegung und der internationalen antikolonialen Bewegung (im gleichen Jahr wurde Batista in Kuba gestürzt) ihren Stempel aufgedrückt und den Gang der Geschichte grundlegend verändert.
Ab nun war die Reaktion in der Offensive. Quasem ging schrittweise gegen die Kommunisten vor. Doch der Hauptschlag wurde 1963 von der Koalition um Arif geführt, in der die baathistische paramilitärische Nationalgarde die Hauptrolle spielte. Quasem selbst wurde ermordet genauso wie zahllose Kommunisten, deren Partei in den Untergrund gedrängt wurde. Nur in den Armenvierteln der Hauptstadt leistete man bewaffneten Widerstand, der jedoch schnell ausgelöscht war. Tausende wurden verhaftet und es kam zu einem richtiggehenden Massaker an der mächtigsten linken Bewegung des Nahen Ostens, die sich von diesem Schlag nicht mehr erholen sollte.
Doch erst 1968 konnte Baath mittels eines weiteren Putsches die alleinige Macht erobern. In einem wesentlich veränderten internationalen Umfeld – 1967 vernichtete Israel im 6-Tage-Krieg den Nasserismus, während global die Befreiungsbewegungen und die Sowjetunion wesentlich an Terrain gewonnen hatten – schwenkte die Partei nach links, lehnte sich an die UdSSR an, verstaatlichte die Ölproduktion und vervollständigte die Landreform, die unter Quasem nur zaghaft angegangen worden war. Insbesondere die Erlangung der nationalen Souveränität über die Erdölreserven war ein schwerer Schlag gegen den britischen Imperialismus und wurde nicht nur vom irakischen Volk, sondern in den arabischen Massen der ganzen Region begeistert aufgenommen. Es war auch die Voraussetzung der nun folgenden Unterstützung der KP für das Baath-Regime, die sie zwischen 1973 und 1975 bis in die Regierung führen sollte. Der zuvor versuchte Ausgleich mit der kurdischen Führung um Barzani war gescheitert.
Das nun sprudelnde schwarze Gold machte den Irak innerhalb nur weniger Jahre zu einem reichen Land und erhöhte auch den Lebensstandard der Massen erheblich. Bildungs-, Gesundheits-, und Sozialsystem erreichten für arabische Verhältnisse ein bisher nicht bekanntes Ausmaß und waren in der Region allseits anerkannt.
Das Regime stand nun auf festen Füßen und entledigte sich zusehends der KP. Auch die Beziehungen zum Westen wurden wieder aufgenommen und 1975 kam es im Abkommen von Algier zum Ausgleich mit dem amerikanischen Alliierten, dem Schah-Regime, das in der Folge zur Unterdrückung des vom Iran unterstützten kurdischen Aufstandes führte.
Als der Schah 1979 gestürzt wurde, griff Saddam Hussein in einem Anfall von byzantinischem Größenwahn den Iran mit der Unterstützung der USA und wohl auch mit der stillschweigenden Duldung der UdSSR, die erst kurz zuvor in Afghanistan gegen die islamische Konterrevolution einmarschiert war, an. Der achtjährige Krieg sollte zum größten Verbrechen der Baath an den Interessen des sozialen und nationalen Befreiungskampfes der Völker der Region werden. Nach gewissen Anfangserfolgen machte sich die Überlegenheit Persiens bemerkbar. Nur die austarierende Intervention der Vereinigten Staaten auf Seiten des Iraks, deren Interesse die Schwächung beider Kriegsparteien war und die damals die bis heute gültige Doktrin des "dual containment" entwarfen, ließ den Krieg nach Ausblutung beider Parteien in einem Patt enden, dessen einziger Sieger der Imperialismus war.
Der Irak konnte diesen höchst kostspieligen Krieg nur aufgrund gewaltiger Kredite der Golfstaaten, allen voran Kuwaits und Saudi-Arabiens, führen. Nach dem Krieg stießen die Interessen Iraks mit jenen der Golfstaaten massiv zusammen. Einerseits war das Zweistromland durch den Krieg zur stärksten arabischen Militärmacht aufgestiegen und rüstete nach Kriegsende noch weiter. Andererseits war es aufgrund von Förderengpässen an hohen Ölpreisen interessiert, während die Golfstaaten im amerikanischen Interesse die Preise niedrig hielten.
So illegitim der Staat Kuwait aus der Sicht der Interessen der arabischen Massen auch sein mag, so legitim sein Anschluss an den Irak bzw. in eine größere arabische Einheit auch sein mag (2), so lag dem Angriff abermals eine größenwahnsinnige politische Fehleinschätzung zu Grunde – vielleicht noch kolossaler als jene von 1980. Wenn der Irak den isolierten Iran nicht zu besiegen vermochte, wie konnte er dann annehmen, den hinter Kuwait stehenden USA Paroli bieten zu können, zumal die UdSSR nicht mehr existierte. Anzunehmen, dass die USA indifferent zusehen würden, wie es Aussagen von US-Regimevertretern (3) suggerierten, kann nur als Aspekt der einfältigen Fehleinschätzung betrachtet werden.
Mit dem Krieg der Heiligen Allianz gegen den Irak leiteten die USA ihre globale Alleinherrschaft, genannt "Neue Weltordnung" ein.
Die Gründe, warum sie 1991 den Krieg nicht bis zur Vernichtung des Baathismus fortsetzten, sind vielfältig. Erstens waren sie zu einem richtigen Kolonialkrieg, den der Marsch auf Bagdad eingeschlossen hätte, nicht bereit. Die eben erst verkündete Neue Weltordnung verhieß Entspannung und Dämpfung von Konflikten (natürlich unter der Hegemonie Washingtons). Da konnte man einen langwierigen Kolonialkonflikt nicht brauchen. Zweitens war nicht abzusehen, wie sich ein geschwächtes Baath-Regime verhalten würde. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass es zur Kooperation, wie es sie schon mehrfach gegeben hatte, zurückkehren würde. Drittens gab es keine politische Alternative. Den kurdischen Kräften konnten nicht zu viele Machtbefugnisse eingeräumt werden, denn das hätte einem Kurdenstaat Vorschub geleistet, den der US-Verbündete Türkei auf keinen Fall dulden konnte. Gleichzeitig hätte es auch die territoriale Integrität des Iraks gefährdet, was seinerseits alle Grenzen insbesondere auf der arabischen Halbinsel in Frage gestellt hätte – eine Horrorvorstellung für die Familie Saud, ebenfalls ein strategischer US-Verbündeter. Viertens hätte die arabisch-schiitische Opposition zwar nicht im gleichen Maß die Einheit des Irak gefährdet, jedoch vermutlich den iranischen Erzfeind gestärkt. Überhaupt hätte ein zu schwaches Regime in Bagdad Teheran begünstigt. Übrigens existieren alle diese Widersprüche bis heute und machen den USA Probleme.
Kooperation in der bipolaren Welt der 70er und 80er Jahre sah auch anders aus als die von den USA unter ihrer Alleinherrschaft geforderte. Hätte Saddam Hussein die Bedingungen der USA akzeptiert, dann wäre er zu einem Hampelmann wie Hosni Mubarak verkommen. Das käme einer Selbstvernichtung gleich, zu der weder der irakische, noch der syrische Baathismus bereit ist.
In der Folge des Kriegs von 1991 wurde das Land dem zehnjährigen völkermörderischen Embargo unterworfen, begleitet von Luftangriffen variierter Intensität – eine Aggression, die auch nach Angaben von UN-Beamten rund 1,5 Millionen Menschen das Leben gekostet und das irakische Volk ins Elend gestürzt hat.
Zusammenfassend kann die Baath-Partei als Versuch einer vor allem militärischen bürgerlichen Intelligenz verstanden werden, die nationale Selbständigkeit auf Basis des Kapitalismus zu erlangen. Unter besonderen internationalen Bedingungen konnte dies streckenweise durch die Verstaatlichung der gewaltigen Ölreserven gelingen, deren Verwendung auch für die subalternen Klassen einen spürbaren sozialen Fortschritt brachte.
Der von einer militaristisch-nationalistischen Selbstüberschätzung inspirierte Angriff auf den Iran hat das Land jedoch schlagartig wieder in die Abhängigkeit vom Westen und seinen lokalen Vasallen getrieben. Um diese Abhängigkeit abzuschütteln, griff Saddam Hussein in der gleichen Logik Kuwait an – mit noch schlimmeren Folgen.
Der Baathismus hat damit letztlich bewiesen, seine eigenen Ziele der nationalen Souveränität nicht dauerhaft erreichen zu können, geschweige denn, den Interessen der Unterklassen zu dienen, deren Meinungsäußerung vollständig unterdrückt wurde. Allerdings muss man ihm auf der anderen Seite zugute halten, nicht vollständig kapituliert zu haben.
Der neue angekündigte Krieg wird die letzte Probe auf das Exempel sein. Doch es ist unwahrscheinlich, dass das baathistische Regime diesen Angriff überstehen wird können. Konventionell-militärisch ist der Aggressor unverhältnismäßig überlegen. Die einzig mögliche Verteidigung ist der Volkskrieg in den großen Städten gegen die Okkupanten. Doch mit seiner militaristisch-dikatorischen Herrschaftsform ist das Regime unfähig einen solchen zu führen, denn es verfügt in keiner Weise über die politische Hegemonie. Es ist undenkbar, dass das Regime eine Volksmiliz bildet, denn es weiß sich durch die Verteilung von Waffen an die Unterklassen als in seiner Existenz gefährdet. Sobald der staatliche Repressionsapparat durch die zu erwartenden verheerenden Luftangriffe zerrüttet oder gänzlich zerfallen ist, wird der Baathismus jede Unterstützung von unten verlieren (aber auch von oben, denn die Baath ist längst auch für die Bourgeoisie zum Alptraum geworden).
Die vorhandenen alternativen politischen Führungen, die kurdischen Parteien und der schiitische Widerstand (alle anderen sind im Irak kaum existent), haben kein unmittelbares Interesse an einem Volkskrieg, ganz abgesehen davon, dass die kurdischen Parteien diesen in den vorwiegend arabischen Städten gar nicht führen könnten. Beide wollen auf den angelsächsischen Bajonetten zur Macht – was nicht heißt, dass sie nicht in der Folge mit diesen in Konflikt geraten können.

Perspektiven des unvermeidlichen Krieges

Das Kriegsziel der USA ist klar: die Beseitigung des baathistischen und die Einsetzung eines Marionettenregimes. Letztendlich geht es ebenso darum, eine mögliche Achse Damaskus-Bagdad-Teheran zu verhindern und den Iran, den wichtigsten Opponenten in der Region, zu bedrohen, dem der Angriff als mächtiger Schuss vor den Bug gelten soll. Fürderhin will man am Golf neben dem durch die inneren Spannungen zunehmend unsicheren Verbündeten Saudi-Arabien ein zweites Standbein errichten. Das Regime der Königsfamilie Saud hat sich durch seine proamerikanische Haltung sowie durch die nepotistische Verteilung der Ölrente zu sehr exponiert und könnte in den zu erwarteten Konflikten und Kriegen zerfallen.
Zwar scheint ein angloamerikanischer militärischer Sieg über den Baathismus angesichts des exorbitanten Kräftemissverhältnisses möglich oder gar wahrscheinlich. Eine ganz andere Frage ist allerdings die Einsetzung einer lebensfähigen Satrapenherrschaft. Da stehen die USA vor mehr als erheblichen Schwierigkeiten.
Die aus ihrer Sicht beste Lösung wäre eine die massiven Luftangriffe begleitende Kommandoaktion gegen Saddam Hussein und seine engste Umgebung und in der Folge ein von den USA orchestrierter Militärputsch, der dem baathistischen Staatsapparat einfach eine andere Spitze gibt. Doch diese Variante ist mit sehr vielen Unwägbarkeiten behaftet und wenig wahrscheinlich. Sobald der Staatsapparat unter dem Druck der Bombardements sich aufzulösen beginnt, kein zentrales Kommando mehr vorhanden sein wird, ist sie nicht mehr gangbar.
Es scheint um vieles wahrscheinlicher, dass die USA sich mit den lokalen bewaffneten Kräften der Opposition werden arrangieren müssen, die wiederum das politische Vakuum dazu benutzen werden, sich Machtpositionen zu sichern. Das gilt vor allem für die schiitische Führung, die auch 1991 zum Aufstand rief, denn die kurdischen Parteien haben ihre Einflusszonen bereits abgesteckt und erheben keinen Anspruch auf den gesamten Irak. In gewissem Sinn kann von einer Analogie mit Afghanistan gesprochen werden, wo die USA praktisch die Nordallianz an die Macht bombten. So wie sie in Afghanistan letztlich prorussische Kräfte stärkten, so werden sie im Irak die Verhältnisse zugunsten proiranischer Kräfte verschieben – was nicht in ihrem Sinn sein kann.
Eine dritte Möglichkeit ist die offene militärische Besetzung des Landes, die schließlich zur Installierung eines Königs oder einer ähnlichen Marionette, die sich sehr stark auf die amerikanische Militärmacht stützen muss, führen könnte. Doch dies würde einen gewaltigen militärischen Aufwand bedeuten, zu dem selbst den USA die Ressourcen fehlen. Bereits heute bezeichnen amerikanische Strategien die globale Entfaltung der US-Militärmacht als "overstretched", das heißt als zu ausgedehnt. Ganz zu schweigen von den politisch-militärischen Gefahren, denn es könnte sehr schnell zu einem bewaffneten Volkswiderstand kommen.
Wie bereits in Jugoslawien und Afghanistan werden die USA ihre militärisch-politische Vorherrschaft mit dem Krieg verlängern können. Doch gleichzeitig werden sie die Widersprüche im globalen imperialistischen System, dessen Zentrum sie sind, nicht nur im Nahen Osten, sondern in der ganzen Welt vertiefen. Der Iran, der bereits in Afghanistan vom amerikanischen Eingreifen profitierte, wird lachender Dritter sein. Die arabische Straße wird die eigenen Regimes in einer Weise unter Druck setzen, dass ihr Überleben am Spiel steht. Der bespiellose Unilateralismus gegenüber den eigenen Verbündeten wird die Spannungen in der Heiligen Allianz selbst enorm erhöhen. Die Partner haben verstanden, dass sie sich in einer furchtbaren Zwickmühle befinden. Sie bedürfen des großen Bruders in Washington zur Durchsetzung ihrer imperialistischen Interessen, doch jeder Krieg macht sie noch abhängiger, ordnet sie noch weiter unter – eine Tendenz, die sie hintanzuhalten versuchen werden.
Die Möglichkeiten einer antiimperialistischen Bewegung insbesondere in der arabischen Welt und in Europa stehen jedenfalls besser als während des ganzen vergangenen Jahrzehnts.

(1) Das Zweistromland wurde seit der persischen Herrschaft von mächtigen sozialrevolutionären Bewegungen erschüttert, von denen oft nur indirekte Zeugnisse erhalten blieben. In der vorislamischen Zeit war die bekannteste diejenige Mazdaks, die von Gerhard Schweizer gar als "religiöser Kommunismus" bezeichnet wurde (Iran- Drehscheibe zwischen Ost und West, Düsseldorf 1983, S.38). Mesopotamien ist ebenso der Entstehungsort der Schia, die zweifellos gegenüber der Sunna zumindest mit sozialreformerischen, bisweilen aber auch mit sozialrevolutionären Elementen aufgeladen ist. Unter den Abbasiden kam es zum Aufstand schwarzer Sklaven im Schatt-el-Arab, der unbestritten starken Einfluss auf die radikale schiitische Gruppe der Quarmaten ausübte. Karam Khella bezeichnet den von ihnen um die Jahrtausendewende errichteten Staat als sozialistisch (Geschichte der arabischen Völker, Hamburg 1988, S. 163) Im Gegensatz dazu war am Nil zwar immer scharfe Klassenherrschaft zu beobachten, die die Fellachen bis auf das letzte ausbeuteten. Soziale Bewegungen haben nie eine geschichtsmächtige Rolle gespielt.
(2) Grundsätzlich ist die koloniale Grenzziehung im arabischen Raum weitgehend willkürlich. Besonders infam ist sie allerdings am bevölkerungsarmen aber ölreichen Golf, deren Reichtümer für die Entwicklung des arabischen Zentralraumes von entscheidender Bedeutung wäre. Diversen kooperationsbereiten Notablen wurden schickt Ölfelder zugesprochen, die man zu Staaten erklärte und somit dem Anspruch der Millionenmassen entzog. Im Fall Kuwaits kommt noch hinzu, dass dem Irak damit die Küste sowie Tiefwasserzugang zum Golf versperrt wird.
(3) "Wir wollen zu den innerarabischen Problemen keine Stellung nehmen, beispielsweise zu ihrem Konflikt mit Kuwait. Wir hoffen, dass sie ihr Problem durch alle notwendigen Maßnahmen lösen. Das einzige, was wir wünschen, ist, dass sie zu einer schnellen Lösung kommen." April Glaspie, US-Botschafterin in Bagdad, im persönlichen Gespräch mit Saddam Hussein am 25.7.90. aus: W. Wolf, "Bombengeschäfte", S. 71

20. Oktober 2002