Reisebericht aus Palästina

05.02.2005

Brief von Donna Mulhairn an ihre Mutter

"Liebe Mutter!

Jetzt bin ich Jerusalem, dem Herzen des Heiligen Landes.

Ich glaube, ich spüre, dass Du darüber, dass ich endlich hier angekommen bin, noch aufgeregter bist als ich. Ich erinnere mich noch daran, wie ich Dir das erste Mal, als wir vom Einkaufen zurückkamen, bei Kaffe und Kuchen von meinen Reiseplänen erzählte.

Dein liebes Gesicht wurde sehr, sehr ernst, und in Deinen Augen war die Angst zu sehen, als ich Dir meine Entscheidung bekanntgab, wieder in den Irak zurückzugehen. Aber Du warst stark genug, das zu akzeptieren und Du hast mich nicht gebeten, es nicht zu tun. Aber als ich Dir sagte, ich würde es mir so einrichten, dass ich rechtzeitig zu Weihnachten in Betlehem sein würde, sah ich, wie sich Dein Gesicht veränderte und Deine Augen aufleuchteten. Es war, als ob die Freude, die Du aus dieser Nachricht bekamst, die Sorge um mich wettmachte, die ich zu so einem gefährlichen Zeitpunkt nach Bagdad fahre.

"Nun ja, meinetwegen!" sagtest Du schließlich, als ich Dir alles erklärt hatte. Du weißt nicht, wie sehr mich das erleichtert hat. Wenn also meine Reise in das Heilige Land bewirkt hat, daß ich Deinen Segen für meine Arbeit im Irak erhielt, dann muß es für dich offensichtlich ein besonderer Ort sein.

Ich denke wohl, dass Du das Heilige Land gut kennst, Mutter, du liest tagtäglich die Bibel, daher sind dir die Ereignisse und Orte vertraut, durch die dieses Land berühmt wurde. Hier ist ja sogar ein Ort, der nach Dir benannt wurde: der Berg Carmel. Ich kann es kaum erwarten, Dir von dort eine Postkarte zu schicken.

Das wird Teil meiner Pilgerfahrt sein. Ich hoffe, alle die Orte besuchen zu können, die für mich Bedeutung haben. Hoffe, als Pilgerin in der Altstadt von Jerusalem die Via Dolorosa entlangzugehen, dort wo Jesus ging, über den See Genezareth zu fahren, die Straßen von Nazareth kennenzulernen und natürlich am Weihnachtsabend in Betlehem der Mitternachtsmette beizuwohnen.

Stell Dir das doch vor, Mutter! Ich war glücklich, und zwar unser beider wegen, als ich in der vergangenen Woche aus Jordanien zur israelischen Grenze kam.

Nervös war ich aber auch.

Weißt du, ich habe Dir nicht alles über mein Vorhaben erzählt, zumindest nicht alle Einzelheiten, so werde ich es jetzt tun. Ich möchte meine Zeit darauf verwenden, Israel und die heiligen Stätten, die uns beiden so sehr am Herzen liegen, kennenzulernen, aber ich habe auch die Absicht, mich in die besetzten palästinensischen Gebiete zu begeben, denn ich möchte wissen, was dort vorgeht und wie ich mich dazu verhalten soll.

Ich weiß, dass Du keine Nachrichten hörst und Dich für Politik nicht interessierst, aber ich glaube doch, dass es Dir klar ist, dass die Dinge im Heiligen Land nicht gut laufen. Du wirst wohl all die Schlagworte gehört haben, die für den Konflikt stehen: Die PLO, die Zionisten, Yasser Arafat, Ariel Sharon, Selbstmordattentate, militärische Willkür, die Ermordung von Zivilpersonen, das Niederreißen von Häusern und der Friedensprozess, von dem niemand etwas hat.

Es mag doch wohl einen Grund dafür geben, Mutter, daß ich in den letzten Jahren immer deutlicher die Schreie der Palästinenser gehört habe, die unter einer grausamen Besatzung leiden, und den Schmerz der israelischen Mütter, deren Kinder durch Selbstmordattentäter ums Leben kommen. Dazu möchte ich jetzt Stellung nehmen.

Verzeih mir, dass ich Dich nicht früher darüber informiert habe, aber ich war nicht sicher, ob meine Pläne wirklich Gestalt annehmen würden. Ich bin noch immer nicht sicher. Ich spüre nur, wie die Krise im Heiligen Land bei den Menschen auf der ganzen Welt Streit und Schrecken verursacht. Ich wollte mir davon selbst ein Bild machen, wollte sehen, ob ich zu einem Verständnis der Situation gelangen kann, wollte beide Seiten des Konflikts verstehen und vielleicht einen Ausweg finden. Das habe ich damit gemeint, als ich Dir sagte, dass ich hier an einem "Friedensprojekt" teilnehmen werde. Ich weiß noch nicht genau, wohin mich das führen wird, mit was für Situationen ich konfrontiert sein werde und was für Menschen ich da kennenlernen werde, aber ich verspreche Dir, dass ich Dir von jetzt an alles erzählen werde. Du weisst ja, Du kannst mir vertrauen, daß ich nichts Verrücktes (oder allzu Verrücktes) anstellen werde!

Du kannst Dir also vorstellen, mit was für widersprüchlichen Gefühlen ich mich der Grenze näherte: einerseits war ich aufgeregt und gespannt, als ich mir vorstellte, dass nun Galiläa vor mir lag, andererseits befiel mich ein mulmiges Gefühl beim Gedanken an den militärischen Kontrollpunkt an der Grenze zur Westbank.

Die Aufgeregtheit und Gespanntheit schwand recht schnell, und ich fühlte mich unbehaglich, als ich durch die Grenzstation auf israelisches Gebiet gelangte. Ich spürte, dass da etwas einfach nicht stimmte. Ich habe mein ganzes Leben keine so ausgetüftelten Sicherheitsmaßnahmen gesehen. Gleich nach der Ankunft wurde allen Reisenden das Gepäck weggenommen, und man nahm sich nicht die Mühe zu erklären, wo das Gepäck jetzt hinkam und wann es einem wieder zurückgestellt würde. Wir hatten dann durch die Metalldetektoren durchzugehen, das Handgepäck wurde durchsucht, und das schien ja noch ganz normal – war ebenso normal wie sonst der Vorgang beim Einchecken oder beim Eintritt in ein Gebäude mit Hochsicherheitsvorrichtungen. Von da an aber war nichts mehr normal. Wir mußten durch einen Apparat durchgehen, der wie eine geheimnisvolle Zeitmaschine aussah. Man musste da in eine hohe, hellangestrichene Vorrichtung hinein, musste die Füße aufheben, um über einige unverständliche Barrieren zu gelangen und dann wurde einem gesagt, dass man einige Sekunden lang stillhalten solle. In dem Augenblick wurden vom Boden aus rauchige Dunstschwaden mit einem lauten Geräusch auf den Körper geblasen, und es war, als würde man geföhnt und mit einem riesigen Haarspray eingesprayt.

Ich sah, wie vor mir einer nach dem anderen in die Maschine hineinging, um dort drinnen mit der rauchigen Dunstluft geföhnt zu werden. Es gab keine Tafel keinen Hinweis, keine Erklärung dafür, was das für ein Gerät und was seine Funktion war.

Ich wollte es nicht glauben, dass die Leute da alle hinein und wieder herausgingen, ohne eine Frage zu stellen.

Ich konnte nicht anders, ich fragte ruhig einen israelischen Wachesoldaten, der die Warteschlange beaufsichtigte "Was ist das?" Er gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass er kein Englisch konnte. Ich war schon ein bisschen nervös und bekam feuchte Hände, als ich an der Reihe war und in diese unheimliche Maschine hineinmusste, ohne zu wissen, was das war und was mir da widerfahren würde. Ich machte es einfach den Leuten vor mir nach, ging über die ganzen Hindernisse drüber, bekam einen Luftschwall ab, von dem meine Kleider in die Höhe gehoben wurden und meine Haare wie die eines Models auf einer Werbeaufnahme nach hinten geblasen wurden.

Ich musste husten, der Rauch nahm mir die Luft, ich versuchte es noch einmal. Ich fragte die Wachsoldatin auf der anderen Seite: "Was hat das für eine Funktion?" Sie verstand meine Frage, gab aber keine Erklärung. Sie zuckte bloß mit den Schultern: "Ich weiß nicht". Ich drängte sie nicht, aber als ich mich umdrehte und mir die Maschine noch einmal ansehen wollte, sah ich ein Brett, an dem seitlich vier quadratische Elemente angebracht waren. Ich sah genauer hin und erblickte Photos von mir, die von verschiedenen Blickwinkeln aus aufgenommen worden waren. "Aha!" sagte ich zur Soldatin,, "Werden damit Photos gemacht?" Sie zuckte wieder mit den Schultern und antwortete nicht. Das war offensichtlich eine der Funktionen der Maschine, aber das erklärt nicht das Geblase, das auf einen losgelassen wird.

Ich war immer noch verwirrt, als ich mich hinten an die Schlange vor dem Visaschalter anstellte. Die Reihe der Wartenden war lang und bewegte sich nur langsam vorwärts. Ich aß mein Mitgebrachtes, stand da, bewegte mich alle 20 Minuten ein paar Zentimeter weiter und beobachtete alles genau.

Ich hörte, wie allen eine Reihe von Fragen vorgelegt wurde, einige wurden durch die Sperre durchgewinkt, andere – darunter waren einige französisch sprechende Männer – hatten sich an den Rand zu stellen und zu warten.

Mir kribbelte es im Magen. Siehst Du, Mutter, Israel passt sehr genau darauf auf, wen es ins Land lässt. Die prekäre Situation im Land verlangt diese extremen Sicherheitsmaßnahmen und aus dem Grund werden Leute oft von den Grenzen abgewiesen.

Ich weiß, es Du würdest es kaum verstehen, dass es jemandem einfallen könnte, Deine Tochter würde jemanden Böses wollen, aber in ihren Augen bin ich leider verdächtig. Ich war davor gewarnt worden, dass man mich peinlich genau nach meinen Gründen für meine Reise nach Israel ausfragen würde. Mein Paß mit dem irakischen und dem syrischen Visum und auch die Blutflecken (in Falluja hatten Soldaten auf mich geschossen) würde ohne Zweifel ihr Interesse wecken.

Der Schalter war mit jungen Mädchen in khakigrünen Uniformen besetzt. Ich war verblüfft über ihr Alter. Sie waren, wie die anderen Einwanderungsbeamten, kaum älter als 19 oder 20 Jahre. Ich war ganz erleichtert darüber, dass da so viele junge Mädchen waren. Ich schreckte mich vor dem Gedanken, von einem riesigen israelischen Macho-Soldaten in aggressiver Manier ausgefragt zu werden und mich von ihm provozieren zu lassen.

Ich versuchte, die Situation im positiven Licht zu sehen und befahl mir, ruhig zu bleiben. Ich atmete tief durch und sagte mir mehrmals: Bleib unter allen Umständen gelassen. Wütend zu werden hilft dir nicht. Es sei ja ganz leicht, so versuchte ich mir klarzumachen, meine irakischen Projekte zu erklären, und hier würde ich das Hauptaugenmerk auf meine Pilgerfahrt lenken.

Als ich schließlich zum Schalter kam, war ich ganz gelöst und freundlich. Das junge Mädchen in der Armee-Uniform und mit einem Gewehr an der Hüfte, fing an zu fragen. "Sind Sie schon in Israel gewesen?" "Nein." "Warum kommen Sie nach Israel?" Ich bin eine Pilgerin.

"Was sind Sie?"

"Eine Pilgerin. Ich mach eine Pilgerfahrt", sagte ich gereizt.

"Was ist eine Pilgerin?" fragte sie.

Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ich bin hier am Einwanderungsschalter an der Grenze zum Heiligen Land, an dem alljährlich Tausende Pilger einreisen, und sie kannte das Wort "Pilger" nicht.

Geduldig erklärte ich: "Ein christlicher Pilger besucht die heiligen Stätten, an denen sich Jesus aufhielt". Und ich zeige ihr das Kreuz an meiner Halskette. Sie nickte und verstand sofort. Ich war erleichtert, das war ja meine einzige Möglichkeit, ohne Probleme zu einem Visum zu gelangen.

Sie sah sich meinen Paß durch, sah auf mich, fragte mich noch einiges und eben, als ich dachte, der Staat Israel würde einen christlichen Pilger mit Dollars, die er an den heiligen Stätten ausgibt, willkommen heißen, vernahm ich das unvermeidliche "Bitte nehmen Sie Platz! Wir kommen wieder zu ihnen zurück!"

Ich beschloss, nicht nachzufragen, warum ich wieder zu warten hatte, atmete wieder tief durch und sagte mir meinen Spruch vor: Ruhig bleiben!

Das hatte eine so gute Wirkung, dass ich auf einem Plastikstuhl des Warteraumes einschlief. Schätzungsweise eine Stunde später wurde ich aufgeweckt, als eine junge Soldatin an meiner Schulter rüttelte.

"Folgen Sie bitte diesem Mann!"

Ich richtete meine Augen langsam in die Höhe, auf den Mann, den sie mir gezeigt hatte. Das Herz fiel mir in die Hose: Da war der große israelische Macho-Soldat, den ich mir in meinen Alpträumen vorgestellt hatte. Er wandte seinen Blick in meine Richtung, ohne mich anzusehen und machte mit einer Hand ungeduldig ein Zeichen, dass ich ihm folgen sollte. Noch ganz verschlafen, griff ich nach meinem Gepäck und eilte ihm nach, er ging mir schnell voran, mit dem Rücken zu mir, quer durch die Massen der Wartenden.

Es tut mir leid, dass ich Dir das sagen muß, Mutter, aber das war der Beginn einer sechs Stunden lang andauernden Quälerei, die mich so traurig machte, dass ich schon beschloß, wieder kehrtzumachen, nach Jordanien zurückzufahren und nie wieder hierher zurückzukommen.

Mein anfängliches Gefühl, dass hier etwas schrecklich falsch läuft, wurde mir bestätigt: die unheimliche Maschine, die Mädchen mit ihren Gewehren, die Fragen. Ich spürte nur Angst und Ärger in mir, und war noch nicht einmal durch den Einwanderungsschalter gekommen.

Ich will Dich nicht traurig machen, aber ich möchte, dass Du weißt: Im Heiligen Land ist nicht alles zum besten bestellt. Ich werde Dir weiter erzählen, was in der Folge passiert ist.


Deine D."