Plattform Entwurf

17.06.2002

Palästina Koordination, 4. Juni 2002, Deutschland

von Hermann Kopp

Frieden und Gerechtigkeit für Palästina!
Schluss mit der Besatzung!

Seit dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 sind der Gasastreifen und das Westjordanland, bis dahin ausschließlich von arabischen Palästinensern bewohnte Gebiete, israelisch besetzt; Ostjerusalem wurde nach dem Krieg völkerrechtswidrig annektiert. Alle Aufforderungen der UNO und ihres Sicherheitsrats an Israel, sich auf die Vorkriegsgrenzen zurückzuziehen, wurden von den israelischen Regierungen permanent missachtet. Und nicht nur dies: Gleich nach dem Krieg wurde damit begonnen, in den besetzten bzw. annektierten Gebieten auf geraubtem arabischen Land jüdische Siedlungen anzulegen, mit dem offenkundigen Ziel, diese Gebiete auf Dauer unter israelischer Kontrolle zu halten.

Mit den Abkommen von Oslo 1993 verband die palästinensische Führung, aber auch ein Großteil der Friedenskräfte in Israel und in aller Welt die Hoffnung auf eine Beendigung dieses unerträglichen Zustands und auf einen Frieden, der den Interessen beider Nationen in der Region, der arabisch-palästinensischen und der jüdisch-israelischen, gerecht werden sollte. Die PLO als Vertretung des palästinensischen Volkes anerkannte das Existenzrecht Israels in den Grenzen von vor 1967 und verzichtete damit faktisch auf 78 Prozent des ursprünglichen palästinensischen Territoriums; im Gegenzug sollte sich Israel aus dem Westjordanland und dem Gasastreifen, den restlichen 22 Prozent des früheren britischen Mandatsgebiets Palästina, sukzessive zurückziehen und die politischen Befugnisse nach und nach an die neugeschaffene palästinensische Autonomiebehörde unter Jassir Arafat übertragen; bis 1999 sollte ein souveräner Staat Palästina entstehen.

Diese Hoffnungen trogen. Der Landraub und der illegale Siedlungsbau wurden nach "Oslo" verstärkt vorangetrieben; heute leben in Ostjerusalem 200.000, im Westjordanland und im Gasastreifen noch einmal 200.000 meist schwer bewaffnete Siedler, als Bestandteil eines kolonialistischen, von rassistischem Hochmut geprägten, mit militärisch-terroristischen Mitteln aufrechterhaltenen Okkupations- und Repressionssystems, das die Lebensverhältnisse der einheimischen palästinensischen Bevölkerung immer unerträglicher hat werden lassen. Darin sind die eigentlichen Wurzeln der "zweiten Intifada" zu suchen, die durch den provokatorischen Tempelberg-"Besuch" Ariel Sharons Ende September 2000 und die blutige Unterdrückung der palästinensischen Proteste dagegen ausgelöst wurde.

Die Besetzung schadet aber auch der großen Mehrheit der Israelis. Die gemessen an der Einwohnerzahl gigantische und modernst ausgerüstete Armee verschlingt Unsummen; weitere große Teile des Staatshaushalts werden für die Aufrechterhaltung und den Ausbau der Siedlungen verausgabt; die Staatsausgaben für soziale Zwecke werden deshalb immer weiter zurückgefahren. Darunter haben, wie überall, vor allem die ärmeren BürgerInnen Israels zu leiden. Aber auch die politischen Schäden, die die Besetzung für Israel mit sich bringt, sind immens: die Militarisierung und Entdemokratisierung der Gesellschaft nimmt zu, die rassistischen Muster, die den Konflikt ideologisch begleiten und stützen, treffen auch die sog. "schwarzen" (nichteuropäischen bzw. -amerikanischen) Juden und verschärfen damit die innerisraelischen Konflikte.

Militärisch sind die Rechte der Palästinenser - schon angesichts des grotesken Ungleichgewichts der Kräfte - nicht durchzusetzen. Widerstand jedoch, auch bewaffneter!, gegen die Besatzung ist - auch völkerrechtlich - gerechtfertigt. Und ist notwendig, um den Besatzern, den Nutznießern der Besatzung (den Siedlern und dem militärisch-industriellen Komplex Israels), aber auch der Mehrheit der Israelis deutlich zu machen, dass ein friedliches Leben die Beendigung der Besatzung voraussetzt. Aber nicht jede Form des Widerstands kann deshalb gebilligt werden. Attentate auf unbeteiligte Zivilisten in Israel lehnen wir aus grundsätzlichen humanen wie politischen Erwägungen ab.

Eine politische Lösung setzt eine grundlegende Veränderung entweder der israelischen oder der US-amerikanischen Politik voraus. Der US-amerikanischen,
a. weil ohne massive Finanzhilfen (jährlich 3 Mrd. Dollar) aus dem US-Staatshaushalt Israel längst bankrott wäre: seine Verschuldung beträgt heute bereits über 100 Milliarden Euro - fast 20.000 Euro pro Einwohner! - und damit 96 % des jährlichen BIP (zum Vergleich: die des "bankrotten" Argentinien beträgt "nur" ca. 50 %)
b. weil ohne politisch-diplomatische Rückendeckung durch die USA sich Israel nie derart rücksichtslos über sämtliche die Region betreffenden UNO-Beschlüsse hinweg setzen könnte.
Aber eine Änderung der US-Politik ist allenfalls auf lange Sicht zu erwarten: die USA wollen und brauchen genau ein völlig auf sie angewiesenes Israel als strategischen Verbündeten in der Ölregion Naher Osten. Ein Israel, das in gutnachbarschaftlicher Koexistenz mit den arabischen Staaten lebt, wäre für sie nutzlos.
Wer eine politische Lösung will, die den Interessen von Palästinensern wie der großen Mehrheit der Israelis gerecht wird, muss deshalb vor allem auf eine Änderung der Politik Israels hinwirken. Dazu ist notwendig, die Mehrheit der Israelis, die objektiv unter der Besatzung leidet, zu einer politischen Mehrheit gegen die Besatzung zu machen. Die Formen des palästinensischen Widerstands sind nicht zuletzt daran zu messen, ob sie zu einer solchen Änderung beitragen. Die terroristischen Selbstmordanschläge tun dies gerade nicht, im Gegenteil. Sie arbeiten der israelischen Rechten in die Hände.

Wie eine Friedenslösung aussehen kann und muss, darüber gibt es zwischen den Friedenskräften in Israel und Palästina weitgehende Übereinstimmung:
- vollständiger Rückzug der israelischen Armee aus den besetzten Gebieten
- Auflösung aller Siedlungen
- Jerusalem als gemeinsame Hauptstadt zweier Staaten: Israels und eines zu schaffenden souveränen Staates Palästina
- prinzipielle Anerkennung des Rechts der Flüchtlinge von 1948 und 1967 auf Rückkehr oder Entschädigung durch Israel; Regelung der Einzelheiten im gegenseitigen Einvernehmen.

Wir sehen unsere Aufgabe darin,
a. in der deutschen Öffentlichkeit Verständnis für die gerechte Sache der Palästinenser zu wecken, die auch die Sache der Friedenskräfte in Israel ist;
b. praktische Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand und den Friedenskräften in Israel - z.B. der wachsenden Zahl israelischer Offiziere und Soldaten, die den Dienst in den besetzten Gebieten verweigern - zu organisieren;
c. Druck auf die Bundesregierung zu organisieren, damit diese gegen die israelische Besatzungspolitik Position bezieht, ihren Widerstand gegen Maßnahmen der EU, die Israel zur Einhaltung völkerrechtlicher Normen veranlassen sollen, aufgibt und alle Rüstungsexporte nach Israel einstellt;
d. alle Versuche zu bekämpfen, den Nahostkonflikt zur antijüdischen ("antisemitischen") Stimmungsmache zu verwenden; aber auch der demagogischen Diffamierung von Kritik an der Politik und der zionistischen Staatsideologie Israels als "Antisemitismus" entgegenzutreten.