Offener Brief an die beteiligten Organisationen des ZARA-Rassismus Berichts 2003

29.05.2004

Bezüglich der Vorwürfe gegen die AIK

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir richten dieses Schreiben an Sie, weil wir nicht glauben können, dass in einem gegen Rassismus gerichteten Bericht

a)chauvinistische, antimoslemische Ressentiments verwendet und toleriert werden dürfen, und

b)antirassistische AktivistInnen, die auf legale Weise für einen gemeinsamen, demokratischen Staat aller Menschen in Palästina und gegen die amerikanische Besatzungspolitik im arabischen Raum eintreten, auf derart unseriöse Weise als rassistisch und terroristisch verleumdet werden dürfen, wie es im Beitrag des Forums gegen Antisemitismus zum ZARA - Rassismusbericht 2003 passiert.

Wie fordern ZARA und alle beteiligten Organisationen auf sich von den antimoslemischen Diskriminierungen sowie von den Verleumdungen gegen die AIK zu distanzieren und für deren Entfernung aus dem Bericht zu sorgen.

Wir wollen unsere Forderung detailliert begründen:

Im Beitrag des Forums gegen Antisemitismus (im Folgenden mit FgA abgekürzt) werden in negativen Zusammenhängen pauschalierende Formulierungen wie "die Moslems" verwendet ("Die Nachrichten über den Irakkrieg lösen eine aufgeheizte Stimmung unter den Moslems in Europa aus", "Der Hass auf Israel und die Amerikaner wächst und somit auch die Bereitschaft für die Moslems in Europa selbst aktiv zu werden."). In einer Zeit des Anwachsens antiislamischer Ressentiments halten wir eine solche Ausdrucksweise für gefährlich und dem Antirassismus sicher nicht förderlich.

Nachdem im ersten Teil des Artikels (in dem die AIK noch nicht erwähnt wird) u.a. von revisionistischen Internetpostings, Drohbriefen, Al-Kaida Zellen in Wien, Verwischung von Antizionismus und Antisemitismus sowie von "regelmäßigen personellen und finanziellen Transfers, geleitet von Personen, die jederzeit gewalttätige Aktionen zu setzen imstande sind" die Rede ist, heißt es dann plötzlich, ein typisches Beispiel dafür sei die AIK. Sie habe im Jahr 2003 eine Veranstaltung mit einem "Terroristen" abgehalten (gemeint ist ein Mitglied der PFLP - Volksfront zur Befreiung Palästinas). Zum wiederholten Mal wird danach wider besseres Wissen der AIK unterstellt, sie würde ein "arabisches Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer" fordern. Außerdem bekäme sie Zuspruch seitens Neonazis und des Holocaustleugners Ibrahim Alloush. Zum Abschluss wird darauf hingewiesen, die Gefahr von Vorfällen wie Angriffen auf jüdische Personen sowie von Bombenanschlägen sei gestiegen, wobei diese Conclusio unmittelbar auf den Teil über die AIK folgt. Auf diese Weise soll die AIK in die Nähe des Terrorismus gerückt werden.

Das Wissen des FgA um die im Bericht erwähnten "regelmäßigen personellen und finanziellen Transfers, geleitet von Personen, die jederzeit gewalttätige Aktionen zu setzen imstande sind" ist bemerkenswert und es wäre interessant, woher das FgA solche Informationen bezieht. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass sämtliche Aktivitäten der AIK öffentlich und legal sind. Wenn das FgA die AIK als typisches Beispiel für die Abwicklung der eben erwähnten Transfers nennt, dann ist es also offenbar besser informiert als die Polizei, und wir fordern das FgA sowie die für die Erstellung des ZARA - Berichts Verantwortlichen auf, Beweise für derartige Anschuldigungen vorzulegen, oder diese zurückzuziehen.

Ob von irgendjemandem Drohbriefe an jüdische Personen und Einrichtungen verfasst worden sind und ob es in Wien Zellen der Al Kaida gibt, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir würden allerdings weder das eine noch das andere gutheißen. Die Ideologie der Al Kaida hat mit der unseren nichts zu tun, wir befürworten nicht ihre Vorgangsweise und sind auch an keinerlei Kontakt zu ihr interessiert.

Was die "Veranstaltung, bei der ein Terrorist auftritt" betrifft: Die PFLP ist, unabhängig davon, wie sie von bestimmten Organen der USA und der EU eingeschätzt wird, ein Teil der PLO, die von der UNO als offizielle Vertretung der PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten anerkannt wird. Ein Aktivist dieser Organisation, der als Freiwilliger am irakischen
Verteidigungskampf gegen den völkerrechtswidrigen US-Angriff teilgenommen hat, wird ohne jeden Beleg als "Terrorist" abgestempelt. Im übrigen ist die PFLP in Österreich nicht verboten.

Angriffe auf orthodoxe Juden auf der Straße sowie auf Synagogen und jüdische Schulen, wie sie in Europa vorkommen, haben nichts mit dem - dessen ungeachtet legitimen - palästinensischen Recht auf Widerstand gegen die israelische Besatzung zu tun und werden von uns bedingungslos abgelehnt.

Auch eine Störaktion gegen eine Kundgebung zum Gedenken an das Novemberpogrom von 1938 am 9.11. 2003 wurde von der AIK unmissverständlich verurteilt, wobei darauf hinzuweisen ist, dass sogar das FgA selbst nach diesem Vorfall angemerkt hat, dieser hätte sich wahrscheinlich nicht ereignet, wenn die Kundgebung nicht unter das Motto "Solidarität mit Israel" gestellt worden wäre.

Was die erwähnte Verwischung von Antiimperialismus, Antizionismus und Antisemitismus betrifft, so gehören wir zu denen, die regelmäßig vor den Gefahren einer Gleichsetzung des Judentums mit dem Zionismus warnen und darauf hinweisen, dass Juden und Jüdinnen in aller Welt keinesfalls für die Vergehen des Staates Israel verantwortlich sind. Im Jahr 2003 haben wir das u.a. mit einer eigens zu diesem Thema abgehaltenen Veranstaltung ("Ist Antizionismus gleich Antisemitismus?") sowie im Rahmen unserer Verurteilung der antijüdischen Anschläge in Istanbul ausführlich klargestellt. Zu der erwähnten Veranstaltung (Hauptredner: Michel Warschawski vom Alternative Information Center in Israel) war auch Dr. Ariel Muzicant als Redner eingeladen, erschien aber leider nicht.

Die AIK weist jeden Versuch, den Holocaust zu relativieren oder gar zu leugnen, auf das Schärfste zurück. Das wurde von unserer Seite zur Genüge klargestellt. Auch im Rahmen unserer Erklärung, Ibrahim Alloush greife das zionistische Argument, der Holocaust rechtfertige die Vertreibung hunderttausender AraberInnen aus Palästina, auf, und versuche, es durch seine Relativierung des Holocaust zu entkräften, wurde dieses Vorgehen Alloushs eindeutig verurteilt.

Die vom FgA aufgestellte Behauptung, die AIK habe von Alloush irgendeine Art von Zustimmung erhalten, ist überhaupt völlig aus der Luft gegriffen.

Seit Jahren erklären wir in unseren Publikationen zum Nahostkonflikt, dass dessen gerechte und dauerhafte Lösung unserer Einschätzung nach nur in einem gemeinsamen, demokratischen Staat mit gleichen Rechten für die jüdische und die arabische Bevölkerung, in dem selbstverständlich auch die jüdische Bevölkerung eine anerkannte Nation ist (und keine "geduldete Minderheit"), erfolgen kann. Es ist hinlänglich bekannt, dass wir diese Position vertreten. Die Behauptung des FgA, die AIK würde ein rein arabisches Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer fordern, ist nichts als eine weitere Unwahrheit in diesem "Bericht", um die falschen Vorwürfe des Nationalismus und des Antisemitismus zu begründen.
Des weiteren ist im Bericht noch die Rede von "Personalisierungen und Verschwörungstheorien, Lobpreisungen und Gewaltverherrlichung". Was mit Personalisierungen gemeint ist, sollte das FgA selbst näher erläutern. Zum Thema Verschwörungstheorien ist zu sagen, dass wir Behauptungen wie z.B. diejenige, "die Juden" würden hinter der US - amerikanischen Politik stehen, oder Ausdrücke wie "jüdische Lobby" immer bekämpft haben und weiterhin bekämpfen werden, ebenso wie die Konstruktion einer "jüdischen Weltverschwörung" oder auch den Glauben an die Echtheit der antisemitischen Ochrana-Fälschung "Die Protokolle der Weisen von Zion".

Die Tatsache, dass wir uns solidarisch mit dem irakischen und dem palästinensischen Widerstand erklären, hat nichts mit "Lobpreisungen und Gewaltverherrlichung" zu tun, sondern ist eine Verteidigung des elementaren, von der UNO festgeschriebenen, Rechtes auf Widerstand gegen Besatzung. Wir heißen dabei keine Gewalt gegen Zivilpersonen gut.

Abschließend weisen wir auf die seit Monaten laufende, von AIK - Mitgliedern wesentlich mitinitiierte und von Mitgliedern verschiedener antifaschistischer Organisationen getragene Kampagne Den Nachkommen der jüdischen Vertriebenen ein Recht auf die österreichische Staatsbürgerschaft! hin und laden Sie ein, sich an der Unterstützung dieser Kampagne zu beteiligen.

Mit freundlichen Grüßen

Gunnar Bernhard
Irina Vana
Margarita Langthaler
Kurt Kann