Auf den Hund gekommen

23.05.2002

Anmerkungen zu einer Diskussion in der "Volksstimme"

In der KPÖ-eigenen "Volksstimme" fand in den vergangenen Wochen eine Debatte zu "Israel und Palästina" statt, die einen Paradigmenwechsel vom Antizionismus zu einer Position signalisierte, die sich zwischen Äquidistanz und offener Parteinahme für den zionistischen Staat bewegte.
Ausgelöst wurde diese unsägliche Debatte durch einen Beitrag von Thomas Schmidinger, in dem der Sozialdemokrat Fritz Edlinger, Vorsitzender der Gesellschaft für österreichisch-arabische Beziehungen, der Komplizenschaft mit arabischen Diktaturen bezichtigt wird. "Während nun der neue GÖAB-Präsident seine Hasstiraden gegen Israel öffentlich kundtun kann, fährt eine GÖAB-Delegation in den Sudan, um an den Feierlichkeiten anlässlich des zwölften Jahrestages des Amtsantritts von Omar Hasan al-Bashir teilzunehmen". Ginge es nach Gesinnungskommissaren a la Schmidinger wären derlei Hasstiraden untersagt. Zumindest öffentlich. Edlinger hatte es sich unter anderem herausgenommen, Israel als "Muster eines Unrechtstaates" zu bezeichnen. Der Volksstimme-Autor machte sich erst gar nicht die Mühe, die Behauptung des Sozialdemokraten, den er mit der Attitüde eines "Linksradikalen" attackiert, inhaltlich zu überprüfen. Denn allein die Verwendung bestimmter Begriffe im Zusammenhang mit Israel fällt unter die Kategorie "Relativierung des Holocausts" und unterliegt hiermit dem Verbotsverdikt der politischen Korrektheit.
Natürlich könnten man kritisieren, dass die österreichisch-arabischen Beziehungen elitären Charakters sind und nicht die Volksmassen, oder um das "Volksstimme"-kompatibel auszudrücken: Zivilgesellschaften zum Ansprechpartner haben. Was Schmidinger aber suggerieren will, ist, dass auf Seiten der Ölscheichs steht, wer gegen den Zionismus Stellung bezieht. Das ist eine ebenso platte wie absurde These. Denn das antagonistische Subjekt, dem sich der zionistische Staat gegenübersieht, sind die arabischen Massen und nicht die Ölscheichs. Israel und die arabischen Kompradorenbourgeoisien sind Teile des imperialistischen Funktionszusammenhanges. In der Sicherung der neokolonialen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse im Nahen Osten liegt die Mission des jüdischen Staates. Dem wird der Zionismus als kolonialistisches und rassistisches Projekt gerecht. Israels "Fortschrittlichkeit" hat die arabische Rückständigkeit zur Voraussetzung.
Natürlich ist das Verhältnis zwischen den arabischen Kompradoren und dem Staat Israel von tiefen Widersprüchen geprägt, zumal die reaktionären Regime immer wieder zu Zugeständnissen an die antizionistische Stimmung der Volksmassen gezwungen sieht. Als zutiefst elitäres Projekt stellt Israel eine ständige Herausforderung der arabischen Eliten dar, führt es ihnen ihre eigene Inferiorität in Permanenz vor Augen. Israel ist der Zuchtmeister der kapitalistischen Modernisierung in der Region, der in allen Konflikten zwischen den emanzipatorischen Tendenzen und den volksfeindlichen Eliten sein Gewicht zugunsten der arabischen Reaktion in die Waagschale warf.
Der von der "Volksstimme" dokumentierte Rückfall eines Teils der vorgeblich radikalen Linken in den prozionistischen Diskurs von 1967 – demokratisches Israel versus halbfeudale Diktaturen – war keine zufällige Fehlleistung, wie es aus der Weyringergasse beschwichtigend hieß. Die anschließende Diskussionsrunde bestätigte vielmehr den Verdacht, dass mit Schmidingers Edlinger-Anmache ein Signal gesetzt werden sollte. Die armselige Polemik erwies sich als das Pilotenprojekt einer Serie, in der das Parteiorgan deutlich machte, den antizionistischen Konsens in der KPÖ aufbrechen zu wollen.
In einem einzigen Beitrag – ein Interview mit dem israelischen Historiker und Linkssozialisten Michel Warschawski – wird eine Position vertreten, in der der antagonistische Widerspruch zwischen den nationalen und demokratischen Bestrebungen der Palästinenser und der kolonialistischen und rassistischen Staatsdoktrin Israels angesprochen wird. Leider nur in Ansätzen, denn die Redaktion hatte sich vorbehalten, das Interview um mehr als die Hälfte zusammenzustreichen. So konnte Platz geschaffen werden für ein Schlusswort des Herrn Schmidinger, in dem er in Beantwortung einer Entgegnung des GÖAB-Vorsitzenden größenwahnsinnig versicherte, bezüglich Israel keineswegs "ein Kritikverbot verhängt" zu haben. Fritz Edlinger wird ihm diese liberale Haltung zu danken wissen.
Nach einer sachlichen Darstellung der Nahost-Situation durch Gunnar Landgesell erreichte die Debatte ihren unrühmlichen Höhepunkt. "Jungle World"-Autor Thomas v.d. Osten-Sacken belehrte die "Volksstimme"-Leser, dass sich die Nahost-Akteure, ob Israelis oder Palästinenser , in einem "Teufelskreis der Entmündigung" befänden. Israelis wie Palästinenser sind für den Mann mit dem preußischen Junkernamen zur "verdinglichte Manövriermasse" im Konflikt zwischen Europa und den USA geworden. "Deshalb können sich die Herrschenden auch kaum vor Forderungen und guten Tipps einer auf den Hund gekommenen Linken retten, wie die Katastrophe denn besser, das heißt zuungunsten der Juden zu verwalten sei". Also ganz gleichgestellt sind Palästinenser und Israelis in ihrer Entmündigung und Verdinglichung nun doch wieder nicht. Die Exklusivität jüdischen Leidens muss bewahrt bleiben. Worin ja auch die Legitimationsideologie des exklusiv jüdischen Staates besteht: dass der Antisemitismus das ewig treibende Motiv der internationalen Gemeinschaft sei. Ein Strafverfahren gegen Scharon zu fordern, ist für den Herrn von und zu der Gipfel der moralischen Verkommenheit, ein Paradebeispiel für "linken Antisemitismus".
"Im Vergleich mit EU-Technokraten und einer solchen Linken", fährt der Mann aus dem Dschungel nostalgisch fort, verkörpern Arafat und Scharon eine längst verflossene, aber bessere Vergangenheit". In dieser besseren Vergangenheit ließ Scharon die Massaker von Sabra und Schatila verüben. Auch wenn die Gegenwart nicht minder grausam ist, besteht für die Palästinenser kaum Anlass für sentimentale Reminiszenzen. "Eine solche Linke": Sie muss tatsächlich auf den Hund gekommen bzw. geistig umnachtet sein, wenn das Organ einer kommunistischen Partei derlei Dokumente des Wahnsinns veröffentlicht.
Zu schlechter letzt durfte auch noch Karl Pfeiffer, als notorischer Stänkerer auf Palästina-Veranstaltungen berüchtigt, für die israelische Friedensbewegung das Wort ergreifen. Seine Sorge gilt der demographischen Entwicklung. Sollten demnächst mehr Palästinenser als Juden die Religion bevölkern, dann würde eine jüdische Minderheit über eine palästinensische Mehrheit herrschen, befürchtet Pfeiffer. Dann wäre Israel kein demokratischer Staat mehr. Ist es das jemals gewesen? Die zionistische Kolonisierung, die Errichtung eines exklusiv jüdischen Staates bildete von Beginn an die Negation der Demokratie. Deshalb orientieren wirkliche israelische Friedensaktivisten auf die Aufhebung Israels als jüdischer Staat und die Herstellung eines säkularen, demokratischen Staat. Was Pfeiffer und die Seinen wirklich befürchten, ist nicht der Verlust des demokratischen, sondern des jüdischen Charakters des Staates Israel. Deshalb sind sie so vehement für die Zweistaatenlösung, für die strikte Separation der beiden Völker: Für einen demokratischen jüdischen und einen palästinensischen Staat, wie Pfeiffer schreibt. Die Demokratie bleibt für die Israelis reserviert.
Das ist das traurige Resultat einer "Volksstimme"-Diskussion, in der die Ablehnung einer rassistisch-kolonialistischen Politik zur Disposition gestellt wurde.

Werner Pirker