Vom Westen unterstützt: Abbas putscht gegen die gewählte palästinensische Regierung

21.07.2007

aus Intifada Nr. 24

Die Ereignisse, die Mitte Juni im Gazastreifen stattfanden, haben weltweit für Aufruhr gesorgt. Während die westlichen Medien von einem "Gottesstaat" in Gaza sprachen und gegen die islamische Widerstandsbewegung Hamas hetzten, löste der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde (PNA) Mahmoud Abbas putschartig die Regierung auf und rief eine "Notstandsregierung" aus.

Dieser Putsch von Abbas, eine demokratisch gewählte Regierung aufzulösen und eine Terrorwelle im Westjordanland zu lancieren, wurde von den westlichen Staaten begrüßt. Die Blockade des Gazastreifens wurde verschärft, wobei den Straßenkämpfern der Fatah freies Geleit ins Westjordanland und nach Ägypten gewährt wurde. Die offiziellen Medien Palästinas betreiben heute in Palästina, in der arabischen Welt und im Westen eine Diffamierungskampagne. Es sind daher einige Punkte zu klären, um die Ereignisse in den palästinensischen Gebieten zu verstehen.

Im Januar 2006 fanden im besetzten Westjordanland und Gazastreifen Parlamentswahlen zur Autonomiebehörde statt. Die Hamas wurde mit überwältigender Mehrheit gewählt. Dieser Wahlsieg der Hamas war eine Stellungnahme der Mehrheit der Bevölkerung der besetzten Gebiete gegen die Korruption der mafiösen, von Fatah geführten PNA. Die Bevölkerung hat klar für den Widerstand gegen die Besatzung und gegen den Kollaborationskurs gestimmt, der nach dem Oslo-Abkommen von Fatah eingeschlagen, und nach dem Tod Arafats von Abbas beschleunigt wurde.

Die westliche Reaktion auf den Wahlsieg der Hamas war, alle Hilfsgelder an die PNA, deren aufgeblähter Bürokratie-, und Sicherheitsapparat bislang von EU-Geldern abhängig gewesen war, zu sperren. Die westlichen Gelder flossen nunmehr an Abbas, um seine "Präsidentengarde" zu einer kampffähigen Truppe aufzubauen.

Die Fatah weigerte sich, an einer Einheitsregierung teilzunehmen und setzte auf den Sturz einer Hamas-Alleinregierung durch "internationalen" Druck.

Schon in den ersten Tagen nach den Wahlen drohte die seit 15 Jahren regierende Fatah mit Bürgerkrieg, falls die neue Regierung die Positionen und Interessen der Führer im aufgeblähten, fast ausschließlich mit Fatah-Mitgliedern besetzten und schließlich korrupten Behördenapparat gefährden würde. Durch weitere Bankenblockaden wurde die Auszahlung jeglicher Gelder an die Regierung verhindert. Während die Hamas-Minister versuchten, Spendengelder buchstäblich ins Land zu schmuggeln, um die Gehälter der nun seit Monaten unbezahlten Beamten auszuzahlen, schaffte die korrupte Fatah-Führungsriege ihr Geld aus dem Land.

Fatah nützte die Unzufriedenheit im mehrheitlich von ihren Funktionären besetzten PNA-Apparat, um eine Welle des Chaos im Land auszulösen. Die Fatah-Funktionäre erzwangen mit Gewalt einen Beamtenstreik und stürmten und sabotierten mehrmals das Parlament und andere von Hamas verwaltete Behörden. Die Polizeiapparate, auch durchwegs mehrheitlich von der Fatah besetzt, weigerten sich, den Anweisungen des Innenministers zu folgen, was die Hamas dazu zwang, einen eigenen Sicherheitsapparat, die "Exekutive-Truppen" aufzustellen. Diese wurden von Abbas nicht anerkannt und es war nur eine Frage der Zeit, bis diese in Konflikt mit den Fatah-Apparaten geraten würden.

Dieser Konflikt trat ein und seit September 2006 war der Alltag in Gaza von den Zusammenstößen der beiden Organisationen geprägt. An Eskalationen nicht interessiert, bemühte sich die Hamas um einen Kompromiss mit der Fatah. Die Fatah trieb aber die Eskalation weiter und alle Abkommen wurden von den "unkontrollierbaren" Milizen sabotiert. Fatah benützte den Dialog ausschließlich dafür, die Hamas zu immer weiteren politischen Zugeständnissen im Sinne der israelischen und der westlichen Anweisungen zu drängen.

Nach einer Reihe gescheiterter Vermittlungsversuche seitens der arabischen Regierungen, vor allem Ägyptens und Jordaniens, gelang es dem Saudi-Arabischen König Abdullah, die obersten Vertreter der beiden Organisationen zu direkten Verhandlungen nach Mekka zu bringen. Diese Vermittlungsversuche waren jedoch in der Quintessenz nicht mehr als verschleierter Druck auf die Hamas, einseitig und ohne jede Gegenleistung die bewaffneten Aktionen gegen Israel einzustellen, Israel direkt oder indirekt anzuerkennen und die Schlüsselpositionen der Autonomieregierung an die Fatah abzugeben.

Die saudische Initiative kam im Kontext der allgemeinen Eskalation und Isolierungsversuche gegen den Iran und Syrien, der medialen Stimmung der Hetze gegen die Schiiten und der Zuspitzung der Lage im Irak und im Libanon. Saudi-Arabien versuchte hier eine politische Führungsrolle im regionalen Geschehen zu erlangen, um wenigstens den Widerstand in Palästina zu neutralisieren, falls es zu einer westlichen Eskalation gegen den Iran (mit all ihren regionalen Folgen) kommen sollte.

Im Februar 2007 unterzeichneten beide Organisationen ein Abkommen, das von den fortschrittlichen Kräften stark kritisiert und als eine Kapitulation der Hamas gesehen wurde. Hamas versprach, alle von der PLO unterzeichneten Abkommen (in diesem Fall ging es um das Oslo-Abkommen) zu respektieren. Eine Regierung der Nationalen Einheit wurde gebildet, in der die Hamas zwar den Regierungschef stellte, jedoch auf alle ausschlaggebenden Ministerien verzichten musste.

Da die Verhandlungen zur Regierungsbildung erst nach dem Abkommen liefen, das heißt nachdem Hamas vor allem "die von der PLO unterzeichneten Abkommen" respektiert hatte, hatten Abbas und Fatah die Oberhand. Obwohl die Hamas die Position des Regierungschefs und der meisten Minister behielt, bekam die Fatah die ausschlaggebenden Positionen der Regierung zugesprochen: das Außen-, und das Finanzministerium. Das Informationsministerium ging an den liberalen Mustafa Barghuti. Für das wichtige und lange umstrittene Innenministerium wurde nach mühsamen Verhandlungen eine parteilose Person vereinbart. Der neue Innenminister musste gleich nach dem Amtsantritt feststellen, dass ihm durch ein Dekret des Präsidenten Abbas alle Kompetenzen entzogen wurden. Abbas ernannte Mohammad Dahlan, den Fatah-Führer in Gaza zum "Sicherheitsberater". Dieser sollte de facto die Sicherheitsapparate in Gaza kontrollieren. Dahlan ist die Hauptfigur der Sicherheitskoordination mit den Israelis, der Hauptverantwortliche für die Zusammenstöße mit Hamas und schließlich der starke Mann innerhalb der Fatah. Dieser Beschluss lähmte den "neutralen" Innenminister und hinderte die Integration der von Hamas gebildeten "Exekutive-Truppen" in die Sicherheitstruppen der PNA. Die Ernennung Dahlans war somit nichts anderes als eine Provokation, die der Regierungsbildung jeden Sinn entzog.

Daher war es nur eine Frage der Zeit, bis die militärischen Auseinandersetzungen wiederaufgenommen wurden, was tatsächlich geschah und nur durch die israelischen Angriffe zeitweise unterbrochen wurde.

Die Fatah bereitete systematisch ihren Putsch gegen die Regierung vor. Waffen und Gelder flossen ununterbrochen an die Fatah-Milizen. Dahlan bewegte seine "Präventivsicherheitstruppen" zu mehreren Aktionen und Morden gegen Hamas-Funktionäre in Gaza. "Unbekannte" griffen Journalisten und ausländische Vertretungen an. Ein Zustand "kreativen Chaos" wurde geschaffen und die "Einheitsregierung" war somit handlungsunfähig.

Dies konnte nur geschehen, nachdem Abbas und Dahlan die oppositionellen Kräfte innerhalb der Fatah-Bewegung ausgeschaltet hatten. Die Milizen von Dahlan haben der israelischen Armee klare Hinweise über jene Fatah-Kräfte gegeben, die gegen die Pläne von Abbas und Dahlan waren, sodass diese Kräfte neutralisiert werden konnten.

Und so geschah es am 14. Juni 2007, dass Hamas ein für alle Mal mit den Apparaten von Dahlan und seiner Gefolgschaft abrechnete. Der schnelle Kollaps der Dahlan-Truppen war nicht einmal von den Angreifern erwartet worden. Die Fatah-Führung verließ Gaza in Richtung Israel, Ägypten, Jordanien und schließlich Ramallah. Die Kämpfer ergaben sich und die Machtzentren von Abbas und Dahlan in Gaza fielen sukzessive. In drei Tagen brachten die "Exekutive-Truppen" den gesamten Gazastreifen unter ihre Kontrolle. Bei der Mehrheit der Bevölkerung herrschte allgemeine Freude, als die Polizeistationen und Gefängnisse der berüchtigten "Präventivsicherheit", einst durch Folter und Horrorgeschichten bekannt, in die Hände der Hamas fielen. Die militärische Entscheidung kostete insgesamt 120 Menschenleben, ein viel geringerer Blutzoll als jener, welchen die Provokationen der Fatah und die begrenzten Konfrontationen der letzten Monate gefordert hatten (400). Ein weiterer Grund für die schnelle Entscheidung war die Tatsache, dass ein wesentlicher Teil der Fatah sich weigerte, an den Kämpfen teilzunehmen. Die betroffene Führung war selbst innerhalb der Fatah-Reihen unbeliebt. Die verbliebenen Fatah-Führer in Gaza begrüßten den von Hamas gewagten Schritt, die "korrupte Bande" zu beseitigen, riefen zu einem nationalen Dialog auf und verurteilten die Politik von Abbas.

Lernunfähig oder vom Ausland gesteuert, reagierte Abbas und Fatah mit einem wahren Putsch im Westjordanland. Fatah-Funktionäre griffen Hamas-Mitglieder an. Als Rache für die Hinrichtung des Führers der Aqsa-Brigaden in Gaza, wurden in Nablus zwei Hamas-Aktivisten entführt und ermordet. Die Büros und zivilen Einrichtungen der Hamas, sowie alle Behörden unter Hamas-Verwaltung wurden angegriffen.

Parallel dazu führte Abbas einen politischen Putsch durch und erklärte den Notstand: Die Regierung der Nationalen Einheit wurde aufgelöst, das Parlament außer Kraft gesetzt und eine Notstandsregierung gebildet. In seiner Rede vor dem Zentralrat der PLO bezeichnete er die Hamas als Mörderbande, lehnte jeden Dialog mit ihr ab. Daraufhin wurde die Geldblockade der EU- und USA aufgehoben und die Gelder flossen wieder an die umstrittene Notstandsregierung. Parallel dazu gab Israel eingefrorene PNA-Gelder frei und erklärte ihre Unterstützung für Abbas. Gleichzeitig verhängte Israel eine Hungerblockade über Gaza. Strom und Brennstoffe wurden abgedreht und die Grenzen in Koordination mit dem ägyptischen Regime geschlossen.

Am Montag, dem 25. Juni findet in der ägyptischen Stadt Sharm-el-Sheich ein Gipfeltreffen statt, wo neben Abbas und dem israelischen Primärminister Ehud Olmert auch der jordanische König Abdullah und der ägyptische Präsident Mubarak die Maßnahmen gegen Hamas koordinieren werden. Erwartet wird eine scharfe Hungerblockade über Gaza und eine israelische Militäreskalation. Beide sollen dazu dienen, den Boden für internationale Truppen zu ebnen. Die Regierung von Abbas ist zur direkten Kollaboration übergegangen, um den Widerstand in Gaza ein für alle mal zu beseitigen.

Es steht noch offen, ob die unzufriedenen Fatah-Aktivisten diese korrupte Führung lange erdulden werden. Stimmen werden lauter, die die korrupte Bande von Gaza vor Gericht stellen wollen. Abbas und seine Gefolgschaft werden für die schmachvolle Niederlage in Gaza verantwortlich gemacht. Große Teile der Fatah sind mit der Kollaborationspolitik von Abbas nicht einverstanden. In Gaza hat tatsächlich eine Spaltung der Fatah stattgefunden, die auch auf das Westjordanland übergreifen könnte. Erfolgt ein Wechsel in der Fatah-Führungsspitze, so ist ein weiterer Dialog zwischen den beiden großen Organisationen möglich. Die Fatah steht heute vor der historischen Entscheidung, die Beseitigung der korrupten Gaza-Bande für eine Reform innerhalb der Bewegung zu nützen, oder andernfalls ihre Geschichte als Hauptträgerin des palästinensischen Anspruchs auf Selbstbestimmung in der unrühmlichen Rolle des direkten Kollaborateurs mit der israelischen Besatzung zu beenden.

Die Hamas, die sich bis jetzt sowohl in Gaza als auch im Westjordanland zurückhält und die Deeskalation sucht, steht auch vor mehreren Optionen. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob der Machtwechsel in Gaza ein Wechsel zugunsten des Widerstands oder ein Wechsel des Sicherheits- und Verhandlungspartners der Israelis ist.
Es ist die Basis beider Bewegungen, die diese Fragen entscheiden wird.

Arabischer Palästina-Club
24. Juni 2007
Wien