Die Bauernbewegung als integraler revolutionärer Bestandteil des bolivarianischen Prozesses

21.01.2008

Interview mit Orlando Zambruno - FNCEZ (Nationale Bauernfront Ezequiel Zamora)

Der folgende Text ist die Zusammenfassung und deutsche Übersetzung eines Interviews mir Orlando Zambruno von der Nationale Bauernfront Ezequiel Zamora, das im August 2007 im Rahmen eines Besuchs auf der Bauernkooperative Zamora Vive im Südwesten Venezuelas geführt wurde.

Die Nationale Bauernfront Ezequiel Zamora (FNCEZ) entstand im Jahr 2000, nachdem sich mehrere regionale Bauernverbände versammelt und beschlossen hatten, sich zu einem nationalen Verband unter dem Namen des venezolanischen Volkshelden Ezequiel Zamora zusammenzuschließen.

Die Bewegung selbst begann jedoch schon zwischen 1996 und 1997 an der Grenze zu Kolumbien, als es seitens der Regierung unter Präsident Rafael Caldera zu Menschenrechtsverletzungen gegen Bauern kam. Die Studentenbewegung solidarisierte sich mit den Bauern und unterstützte deren Kampf gegen diese Übergriffe. Nach der Landreform 2001, die den Bauern mehr Rechte zusprach, fanden im ganzen Land zahlreiche Landbesetzungen statt, was die Großgrundbesitzer unter starken Druck brachte. Sie engagierten paramilitärische Gruppen, um gegen die Landbesetzer vorzugehen. Bei den Auseinandersetzungen wurden zwischen 2001 und 2007 168 Bauernführer ermordet.

Im Jahr 2002 intensivierte das US-Imperium seine Bemühungen, den venezolanischen Prozess durch ähnliche Mittel wie in Chile nach dem Wahlsieg des sozialdemokratischen Präsidenten Salvador Allende - also Destabilisierung, Blockade einzelner Industriegroßzweige, Streiks, etc. - zu diskreditieren. Auch die von den Großgrundbesitzern gegen die Bauern ausgeübte Gewalt verschärfte sich 2003 immer mehr und führte innerhalb der Bauernbewegung zu einer gewissen Demoralisierung. Daher sah sich die Nationale Bauernfront Ezequiel Zamora gezwungen, zivile Verteidigungskommandos zu gründen und sowohl regional durch verstärkte Landbesetzungen als auch in der Hauptstadt Caracas durch eine starke Mobilisierung der Massen, einschließlich der Arbeiter- und Studentenbewegung, zu agieren.

Innerhalb des bolivarianischen Prozesses gibt es moderate oder reformistische Gruppen, die sich gegen den Kampf der Bauernbewegung stellen. Das hat aber lediglich dazu geführt, dass sich die Anhänger der Nationalen Bauernfront immer mehr von ihrem Kampf überzeugt haben und sich in ihrer Strategie, eine sozialistische Volksmacht aufzubauen, bestärkt sehen. Außerdem war die Bauernfront immer stark bemüht, aus dem aktuellen Prozess heraus eine konkrete Politik zu entwickeln und dabei nicht Rezepte aus anderen Ländern wie Kuba oder der Sowjetunion anzuwenden, im Verständnis, dass es sich in Venezuela um eine andere politischen Phase und andere soziale Bedingungen handelt. Eine wesentliche Grundlage für die Weiterentwicklung der Politik der Bauernfront ist auch das Verständnis des politischen Denkens von Präsident Hugo Chávez. Man kann festgestellen, dass sich dieser nach dem Putsch im Jahr 2002 mehr an linke Positionen angenähert hat.

Hugo Chávez wird von der Nationalen Bauernfront als zentrale Figur des bolivarianischen Prozesses wahrgenommen wird. Die Organisation unterstützt insbesondere dessen Außenpolitik, da der venezolanische Staatschef hier sehr interessante und ungewöhnliche Initiativen ergriffen hat, beispielsweise im Energiesektor oder mit der Gründung der "Bank des Südens". Die Unterzeichnung von strategischen Abkommen mit anderen linken Regierungen findet den Zuspruch der Nationalen Bauernfront. Auch die Tatsache, dass Chávez ebenfalls mit nicht-linken Regierungen taktische Allianzen eingegangen ist, wird von ihr angesichts der geopolitischen Bedeutung Venezuelas befürwortet. Chávez hat sich als internationale Figur etabliert und stellt ein Hindernis für das internationale Machtstreben des US-Imperiums dar, was von den Bauern unterstützt wird.

Der bolivarianische Prozess sieht sich zwei Hauptschwierigkeiten gegenüber, einerseits den externen Destabilisierungsversuchen durch das US-Imperium, die vor allem seit dem internationalen Auftreten von Chávez stark zugenommen haben, und andererseits internen Spannungen aufgrund der Versuche einer "Reformistenkaste", den Prozess zum Erlahmen zu bringen. Dazu zählen vor allem die Oligarchie und die Wirtschaftseliten des Landes, die dem Prozess feindlich gegenüber stehen und möchten, dass dieser ermüdet und schließlich zum Erliegen kommt. Die Reformistenkaste hat großen Einfluss auf die staatlichen Institutionen, und stellt ein Hindernis zwischen den Zielen des bolivarianischen Prozesses und deren konkreten Umsetzung dar. Dadurch werden die erwünschten Ergebnisse wie Verminderung der Armut, Sozialprogramme, etc. teilweise nicht erreicht, was die Gefahr in sich birgt, dass es zu einer generellen Enttäuschung und Verminderung des Prestiges von Chávez kommt. Die Nationale Bauernfront sieht sich hier in der Pflicht, auf interner Ebene gegen die Reformistenkaste anzukämpfen und zu vermeiden, dass diese ihr Ziel, das Volk von Chávez zu entfremden, erreicht.

Seit 2004 hat sich ein Phänomen herausgebildet, das als "Chavismus ohne Chávez" bezeichnet wird. Dem liegt der Gedanke zugrunde, das bolivarianische Projekt ohne den Kommandanten weiterzuführen. In einigen Gesellschaftssektoren kann man auch beobachten, dass sich Leute als "Chavisten" bezeichnen, aber aus wirtschaftlichen oder persönlichen Interessen nicht am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft interessiert sind. Diese Bevölkerungsgruppen sind vom Prozess abgesprungen, als Chávez begann, den Schritt in Richtung Sozialismus zu konkretisieren. Zambruno meinte, dass sich diese Gegensätze innerhalb der venezolanischen Gesellschaft im Jahr 2008 besonders deutlich herauskristallisieren würden. Er unterstrich hier die Rolle der Nationalen Bauernfront, die sich besser organisieren müsse, um die kommenden Schwierigkeiten überwinden zu können und der Rechten nicht die Möglichkeit zu bieten, die Probleme im linken Lager für sich zu nutzen. Viele linke und gesellschaftliche Organisationen hätten den Fehler begangen, den Prozess von außen zu betrachten und zu kritisieren. Die Bauernbewegung hält die Mobilisierung der Massen für ein sehr wichtiges Instrument, um diesen Fehler zu vermeiden. Sie selbst sieht sich als eine grundsätzlich marxistische und regierungsunabhängige Bewegung, die jedoch die Regierung und den bolivarianischen Prozess verteidigt und von innen her begleitet.

Die Nationale Bauernfront Ezequiel Zamora organisierte 2005 zum ersten Mal eine landesweite Versammlung, zu der auch internationale Organisationen wie z.B. das "Antiimperialist Camp" eingeladen wurden. Auf diese Weise möchte die Bauernfront dazu beitragen, auf internationaler Ebene Informationen über den tatsächlich in Venezuela stattfindenden Prozess zu verbreiten. Die internationale Politik der Nationalen Bauernfront schließt auch eine enge Zusammenarbeit mit der Landlosenbewegung in Brasilien und die Mitgliedschaft in der Bauernorganisation "Và­a Campesina" sowie in der Lateinamerikanischen Koordination der Landorganisationen (CLOC) ein. An der Basis arbeitet die Nationale Bauernfront im Aufbau einer besseren Organisation der Bauern in ganz Venezuela, wie beispielsweise in der Kooperative Zamora Vive im zentral-südlichen Bundesstaat Barinas. Trotz fruchtbarer Böden importiert Venezuela noch immer 74% seiner Lebensmittel, weshalb die Souveränität in diesem Versorgungssektor eine absolute Priorität ist. Hier ist die Bauernbewegung an mehreren Fronten tätig: im produktiven Bereich, bei den Landbesetzungen und in organisatorischer Hinsicht. Es wird momentan die Linie verfolgt, die 24 im ganzen Land erfolgreich existierenden Bauernstützpunkte zu stärken, um der Bevölkerung zu zeigen, dass es möglich ist, neue Macht- und Produktionsverhältnisse zu schaffen. Eine weitere wichtige Strategie ist die permanente Mobilisierung des Volkes, um den bolivarianischen Prozess weiter zu treiben, da dieser noch lange nicht durchgesetzt ist, mit dem langfristigen Ziel, den Sozialismus zu erreichen.

Die Bauernstützpunkte operieren auf den Landabschnitten, die den Großgrundbesitzern während den Landbesetzungen abgerungen werden konnten. Die Nationale Bauernfront legt einen besonderen Schwerpunkt auf den Bildungsprozess, also die Ausbildung ihrer Basis, ihrer aktiven Mitglieder und in letzter Zeit auch verstärkt ihrer Funktionäre. Der Bildungsprozess findet hauptsächlich in Versammlungen oder Workshops statt. Zweimal im Jahr hält die Nationale Bauernfront eine 20-tägige regionale Schulung sowie eine 30-tägige nationale Schulung ab. Besonders engagierte Teilnehmer an den regionalen Schulungen werden für die nationale Schulung ausgewählt, zumal sie das Potential haben, zu militanten Organisationsmitgliedern ausgebildet zu werden. Diese Struktur sieht mehrere Arbeitsgruppen vor, in denen sich die Bauernvertreter mit konkreten Themenbereichen befassen; weiters gibt es die Allgemeine Kommission und die Politisch-Pädagogische Kommission, die u.a. für die Logistik während der Tagungen verantwortlich ist. Dieser strukturelle Aufbau ermöglicht es, dass die Bauern ihre eigene Organisation von der Basis her bilden. Die Schulen, in denen die Tagungen stattfinden, werden von den Bauern eines jeden Stützpunktes selbst errichtet. Da sich die Nationale Bauernfront bewusst ist, dass sich dieser Prozess inmitten eines gesellschaftlichen Konflikts entwickelt, haben die Schulungen auch einen defensiven-offensiven Charakter. Sicherheit und Vaterlandsverteidigung sind eines der Themen der Schulungen. Dabei werden nicht nur theoretische Ansätze besprochen, sondern auch praktische Übungen in bewaffneter ziviler Verteidigung durchgeführt. Außerdem werden die Bauernstützpunkte ständig bewacht. Die Nationale Bauernfront ist sich bewusst, dass der Prozess wenn nötig auch mit Waffengewalt verteidigt werden muss. Eine weitere Aktivität der Bauernfront ist das landesweite Kindercamp, das eine Woche lang abgehalten wird und an dem sechzig Kinder teilnehmen, die als zukünftige Funktionäre oder militante Mitglieder in Frage kommen. Die Nationale Bauernfront bemüht sich im Sinne eines permanenten Prozesses aber auch in dem Bewusstsein zu handeln, dass dieser Prozess und seine Verteidigung nicht leicht sein werden.