Achillesferse Integration

27.10.2009

Die Integrationsdebatte hat Österreich wieder fest im Griff. Bewaffnet mit einer neuen Studie des Meinungsforschungsinstituts Gfk Austria präsentierte Innenministerin Maria Fekter von der ÖVP Vorschläge, mit denen den Minderheiten die Rute ins Fenster gestellt werden sollte.

Die Darbietung an Kuriositäten reichte von einem Eid auf die österreichische Fahne bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft bis hin zur Streichung der Familienbeihilfe bei fehlendem Schul- oder Lehrbesuch. Gestützt werden die Forderungen Fekters scheinbar durch die Ergebnisse der Studie. Demnach wären vor allem junge und stark religiöse Personen mit türkischem Migrationshintergrund schlecht in die österreichische Gesellschaft integriert.

Damit eröffnet die Innenministerin ein weiteres Kapitel in der endlosen Debatte um die Integrationsfrage – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der nahenden Wiener Gemeinderatswahl. Schon jetzt versuchen sich SPÖ und ÖVP mit Integrationspapieren, -verträgen und anderen Vorschlägen zu übertrumpfen. Die politisch korrekte Linke hat dem kaum etwas entgegen zu setzen, außer den althergebrachten Phrasen eines kulturellen Pluralismus. Dieser läuft jedoch letztendlich Gefahr, sich in einem gesellschaftlichen und politischen Relativismus zu verlieren. Denn die Betonung der kulturellen Vielfalt einer Gesellschaft kann über die tatsächlichen Konfliktlinien nicht hinwegtäuschen. Während die Rechte diese gesellschaftlichen Konflikte benennt, sich aber auf die Seite der herrschenden Strukturen stellt, übt sich die Linke bloß in der Leugnung jener Konfliktlinien.

Dabei liegt in der Integrationsdebatte durchaus Potenzial für die Linke begraben. Denn in dieser Diskussion äußert sich im Wesentlichen nichts anderes, als die Krisenhaftigkeit der Mehrheitsgesellschaft. Das Problem der Integration ist keineswegs ein Problem der immigrierten Minderheiten, sondern vielmehr der Strukturen in der Mehrheitsgesellschaft. Angesichts bestehender Probleme bei der Integration jener Minderheiten, drängt sich die Frage auf, warum so wenig Interesse an einer politischen und kulturellen Teilnahme an der Mehrheitsgesellschaft besteht.

Der Schlüssel zur Erklärung dieses Phänomens liegt in der Form begründet, wie heute Hegemonie in den europäischen Gesellschaften hergestellt wird. Denn während die Mehrheitsgesellschaft von sozialer Desintegration und politischem Desinteresse geprägt ist, wird von den Minderheiten genau das Gegenteil verlangt. Der wesentliche Unterschied liegt darin begründet, dass immigrierte Minderheiten ethnisch-kulturelle Gruppen und Kollektive haben, welche diese Rolle einnehmen können.

In der Integrationsproblematik reflektiert somit die Mehrheitsgesellschaft ihren eigenen Mangel, sozialen Gruppen Anreize zur Einbindung in die Gesellschaft zu bieten.  In der hysterisch geführten Integrationsdiskussion will die herrschende Elite Stärke demonstrieren, doch darin äußert sich nichts anderes als eine fundamentale Hegemonie-Krise eben dieser herrschenden Eliten. Darin liegt die eigentlich Kuriosität und die Paradoxie von Fekters Vorschlägen begründet.

Sebastian Baryli