Das Massaker von Falluja und die Wahl-Farce

04.01.2005

Interview mit Sammi Alaa

Sammi Alaa, 38, ist ein irakischer Kommunist der wegen politischer Verfolgung ins Exil nach Dänemark gehen musste. Angesichts der Unterstützung der "Irakischen Kommunistischen Partei" (IKP) für das Embargo und die Kriege gegen sein Land brach er mit der Partei und schloss sich der "Irakischen Patriotischen Allianz" (IPA) an, welche die demokratischen und antiimperialistischen Kräfte in Opposition zu Saddam sammelte.

Intifada: Ist das Massaker von Falluja den strategischen Zielen der Besatzung dienlich oder könnte es sogar nach hinten losgehen?

Sammi Alaa: Die von den USA in Falluja begangenen Verbrechen übersteigen alles bisher im Irak gesehene. Es handelte sich um keinen Kampf zur Zerschlagung der Guerilla, sondern um die Auslöschung von Zehntausenden, die in der belagerten Stadt verblieben waren. Wohnvierteln wurden von Flugzeugen, Hubschraubern und mit schwerer Artillerie beschossen, während die Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln sowie die medizinische Versorgung unterbrochen wurde. Wo die Marineinfanterie vorrückte und dennoch auf Widerstand stieß, versuchte sie dem Straßenkampf auszuweichen, zog sich zurück und setzte sogar Phosphorbomben und Nervengas ein. Das ganze war keine Schlacht, sondern eine Massenvernichtung von Menschen, ein kleines Hiroshima.

Die Besatzer haben dieses Kriegsverbrechen aus zwei Gründen begangen: Erstens um sich für die Niederlage zu rächen, die ihnen der Widerstand im April zugefügt hatte und die größte Demütigung seit Vietnam darstellen könnte. Zweitens um jene politischen Kräfte zum Schweigen zu bringen, die eine Teilnahme am so genannten politischen Prozess, sprich der Wahlfarce, ablehnen.

Aber das Signal wird das Gegenteil bewirken. Der Widerstand wird nicht nur überleben, sondern seine Kräfte sogar konsolidieren. Wir haben das bereits am Beispiel der Operation gegen Samarra im September gesehen. Heute sind die Partisanen in der Stadt wieder sehr aktiv. Auch die in Mosul zur Schau gestellte Fähigkeit am Höhepunkt des Gemetzels von Falluja zuzuschlagen, zeigt nicht nur die ungebrochene militärische Kraft des Widerstands, sondern auch die politische Unterstützung aus dem Volk. Andernfalls wäre es unmöglich aus einer so großen Stadt die bewaffneten Kollaborationskräfte zu vertreiben. Darüber hinau hat der Angriff den Wahlboykott durch die "Vereinigung der Muslimischen Gelehrten" (AMS) und der Bewegung von Muqtada al-Sadr provoziert.

Intifada: Was denkt die IPA über die Wahlen?

S. A.: Jedwede von der Besatzungsmacht installierte Institution ist illegitim. Das gilt genauso für die von ihr durchgeführten Wahlen. Wir werden die Wahlen boykottieren und wir werden unser Bestes tun um so viele als möglich davon zu überzeugen nicht mit ihrer Stimmabgabe der Besatzung Legitimität zu verleihen.

Intifada: Die IPA widmete sich dem Aufbau einer politischen Front der wichtigsten Kräfte des Widerstands. Offensichtlich hat das nicht funktioniert. Selbst einige Kräfte, die behaupten die Besatzung abzulehnen, haben ihre Teilnahme am Urnengang angekündigt.

S. A.: Wir glauben, dass der Widerstand nicht nur auf der militärischen, sondern auch auf der politischen Ebene Fortschritte macht. Viele der panarabischen und linken Kräfte, die an den Wahlen teilnehmen wollten, konnten davon überzeugt werden sich der Boykottkampagne anzuschließen. Auch die AMS ist dazugekommen. Das sind gute Zeichen.

Diese Tendenz ebnet den Weg für die politische Front. Alle, die zum Boykott aufrufen werden für die Front angesprochen. Obwohl unser Sekretär Abduljabbar al-Kubaysi von den Besatzern verschleppt wurde und bis heute verschwunden bleibt, gehen unsere Bemühungen weiter. Es ist klar, dass ohne eine solche Front die Befreiung von der fremden Besatzung unmöglich ist.

Intifada: Gibt es Neuigkeiten von al-Kubaysi?

S.A.: Die Besatzungsbehörde verweigert weiterhin jede Auskunft zu seinem Fall, sei es gegenüber seiner Familie, dem Roten Kreuz bzw. dem Roten Halbmond, geschweige denn gegenüber Journalisten. Während die USA also angeblich demokratische Wahlen in Szene setzen, lassen sie die politischen Repräsentanten des Volkswiderstands verschwinden. Sie diffamieren den Widerstand als Entführer und Terroristen während sie selbst entführen, foltern und das Volk terrorisieren – alles in Verletzung der entsprechenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Wir werden die Solidaritätskampagne für Abduljabbar und alle politischen Gefangenen im Irak fortsetzen und bedanken uns gleichzeitig für die Unterstützung, die wir bisher von den verschiedenen antiimperialistischen Kräften aus Europa bekommen haben.

Intifada: Einige arabische Medien behaupten indes, dass trotz al-Sadrs Verurteilung des Massakers von Falluja und seines Aufrufs nicht zu den Urnen zu gehen, er dabei ist mit al-Sistani eine Teilnahme an den US-gesteuerten Wahlen auszuhandeln. Diese Medien vermuten, dass dahinter ein Abtausch steht: Als Gegengeschäft zu einer Milderung der US-Aggression gegen den Iran verpflichtet sich Teharan dazu die schiitischen Kräfte im Irak zur Teilnahme an den Wahlen zu bewegen.

S. A.: Der Iran hat der US-Besatzung von Anfang an geholfen. Daher haben sich auch die pro-iranischen Parteien bereitwillig an den Marionettenregierungen beteiligt. Aber die iranischen Handlanger werden im Volk immer unbeliebter. Viele einflussreiche schiitische Gelehrte haben bereits zum Wahlboykott aufgerufen. Ich zweifle daher daran, dass die Behauptung, dass es Verhandlungen zwischen al-Sadr und al-Sistani gäbe, stichhaltig ist.

Es stimmt allerdings, dass al-Sadr unter großem Druck der USA und ihrer lokalen Werkzeuge steht. Al-Sistani wirbt zusammen mit den Amerikanern mit allen Mitteln für die Wahlen. So wurden die Büros al-Sadrs geschlossen, seine Funktionäre verhaftet und er selbst nach dem Blutbad von Falluja unter Hausarrest gestellt

Ein viel sagendes Beispiel ist der schiitische Kleriker al-Husseini aus Kerbala, der zum Wahlboykott aufrief. Einer seiner Anhänger montierte auf seinem Geschäft ein Transparent mit der Aufschrift "Nein zu den Wahlen". Er wurde kaltblütig ermordet während al-Husseini in den Untergrund abtauchte. So wird verständlich, warum die Bewegung al-Sadrs sich zurückhält.

Intifada: Wie kommentieren Sie den Boykottaufruf des "Nationalen Gründungskongresses" (NFC) von Jawad al-Khalisi, einem schiitischen Kleriker?

S. A.: Das ist Teil der beschriebenen allgemeinen Tendenz. Wir heißen seine Entscheidung willkommen. Trotzdem sei uns die Frage erlaubt, warum es zur Entscheidung, sich aus dem so genannten politischen Prozess zurückzuziehen, des Massakers von Falluja bedurfte?

Intifada: Die westlichen Medien behaupten immer wieder, dass ein mehrheitlich sunnitischer Boykott zu einem Bürgerkrieg mit den Schiiten führen könnte.

S.A.: Sie wollen uns glauben machen, dass die Ajatollahs wirklich das Volk anführen. Tatsächlich wollen diese über das von den Besatzern installierte System von religiösen und ethnischen Quoten an die Macht. Aber auf der Ebene des einfachen Volkes wird weder die amerikanische Strategie des Teile-und-Herrsche noch die Kollaboration akzeptiert. Die Kleriker sind daher unter großem Druck von unten die Wahlen zu verurteilen und einige haben dem schon nachgegeben. Die US-Strategie wird nicht greifen und es wird zum gewünschten konfessionellen Bürgerkrieg nicht kommen. Der Krieg, den es tatsächlich schon gibt, ist jener zwischen den Besatzern und ihren Handlangern auf der einen Seite und dem Widerstand und den ihn unterstützenden Volksmassen jenseits aller religiösen Unterschiede auf der anderen Seite.

Leider wird dieses Gerede vom Bürgerkrieg nicht nur vom US-Imperialismus dazu benutzt, sein Scheitern in der Schaffung von demokratischen Verhältnissen und die Tatsache zu legitimieren, dass sich stattdessen die Rechtlosigkeit ausbreitet. Sondern auch viele selbsternannte europäische Linke verwenden dieses kolonialistische Argument.

Intifada: Wir danken für das Gespräch.

Florenz, 27. November 2004

Das Interview führte Willi Langthaler.