QE2: Feuer am Dach

17.11.2010
Globalisierung am Ende?
von Willi Langthaler
Vor unseren Augen entspannt sich ein weiterer Akt des großen Schauspiels der Krise des globalen Regimes. Unter dem Namen QE2 schöpft die US-Zentralbank mittels Rückkauf ihrer eigenen Staatspapiere 600 Mrd. Dollar und vielleicht mehr. Dieser Schritt ist nicht nur bei den anderen big players unerwünscht, sondern auch unter den US-Eliten selbst umstritten. Allerdings stellt sich die Frage welche Alternativen sie hat.

Wir gehen davon aus, dass dieses „quantitative easing“ (quantitative Lockerung) ihr Ziel – die USA wieder auf den Pfad wirtschaftlichen Wachstums zu bringen – nicht erreichen wird können. Selbst wenn es zu einer unmittelbaren Linderung der rezessiven Symptome kommt, verschärft die Maßnahme der Fed mittelfristig die globalen Krisenmomente. Andererseits bleibt dem US-Regime nicht viel anderes übrig. Werten sie den Dollar nicht ab, dann ist der Absturz jedenfalls sicher.

Insbesondere das Freihandelsregime, das von den USA nun an die drei Jahrzehnte gestützt wurde, führt zu einer strukturellen Fehlallokation von Kapital – nicht nur zur Spekulation, sondern zu gefährlichen Ungleichgewichten. Das zugrunde liegende Problem ist die ungleiche Verteilung, die zur Überproduktion, ist gleich Unterkonsumtion, führt. Der Kapitalismus tendiert dazu diese Schere aufgehen zu lassen, die Globalisierung hat sie aber besonders angetrieben. Bisher konnte der Kapitalismus den notwendigen Abbau solcher strukturellen Disproportionen nur in Form katastrophaler Krisen und Kriege durchführen. Das soll keine Voraussage sein im Sinne einer Notwendigkeit sein, denn auch aus der ausweglosesten Situation fanden sich zu bestimmten Unkosten noch Auswege. Aber es soll durchaus das Potential der Krise aufzeigen.

Ziele von QE2

Deklariertes Ziel der Fed (US-amerikanische Notenbank) ist es durch billiges Geld, d.h. durch sehr geringe Zinsen, die inflationsbereinigt auch unter null liegen können, die Unternehmen zu produktiven Investitionen zu bewegen. Damit soll die Arbeitslosigkeit wieder sinken, der darniederliegende Immobilienmarkt aufgerichtet werden, der private Konsum anspringen, kurz der bekannte expansive Zyklus des Kapitalismus wieder von vorne beginnen. Hinzu kommt die Angst vor einer Deflation, die mit diesem inflationären Impuls hintangehalten werden soll.

Abgestrittenes, aber offensichtliches Ziel ist gleichzeitig auch die Abwertung des Dollars gegenüber allen anderen Währungen, was amerikanische Waren global billiger macht. Die Exporte und der Konsum von US-Waren werden so gefördert, die Importe verteuert und entsprechend gedämpft. Damit soll die überbordend negative Handelsbilanz zurückführt werden.

Eine weitere Wirkung dieser Politik ist die Abwertung der Staatsschuld auf Kosten der Gläubiger bei extrem geringer Zinsenlast. Die USA verschulden sich derzeit gratis, während Länder wie Griechenland oder Irland von wahnwitzigen Zinsen erdrosselt werden.

Vergleich mit QE1

Es ist lehrreich einen kurzen Blick auf die unmittelbare Vergangenheit zu werfen und sich die Ergebnisse von QE1 anzusehen, das jedoch unter anderen Umständen vollzogen wurde und dem Umfang nach um einiges größer war. Zu den Dimensionen: Die USA haben ein BIP von rd. 14 Billionen Dollar. QE1 betrug mit 1,75 Billionen etwas als 10% des BIP, QE2 mit 600-900 Milliarden deutlich weniger.

In Gefolge der Finanzkrise 2008 wurden im Rahmen von QE1 neben Staatsanleihen vor allem Hypotheken aufgekauft, die die Krise ja ausgelöst hatten. Der Staat übernahm eine halbe Billion stark abgewerteter bis wertloser Hypothekenpapiere nachdem er zuvor die halbstaatlichen Hypothekarbanken gerettet hatte – die übrigens nach gängigen Schätzungen nochmals eine Viertel Billion brauchen werden. Hätte die Federal Reserve nicht so gehandelt, so wäre vermutlich das gesamte Bankensystem an der Last der faulen Hypotheken in die Knie gegangen. QE1 war insofern erfolgreich, weil es den akut drohenden Zusammenbruch abwendete.

Was jedoch nicht gelang ist die Wiederbelebung des Marktes. Die in Liquidität untergehenden Banken vergeben Kredite nur sehr zaghaft. Zu den erhofften industriellen Investitionen kam es ebenso wenig. Die US-Geschäftsbanken parken rund eine Billion bei der Notenbank anstatt sie in den Zyklus zu stecken. Oder das reichlich vorhandene Geldkapital floss in die Spekulation, wo sich wesentlich höhere Renditen erzielen lassen. Die US-Kapitalisten glauben selbst nicht daran, dass der Konsumrausch sich fortsetzen wird und noch weniger, dass sie diesen von US-Standorten aus gewinnbringend bedienen können. Das Kapital fließt an die Börsen, lässt die Kurse (Anleihen, Aktien, Derivate, Rohstoffe, Gewerbeimmobilien,…) steigen und schon baut sich eine neue Vermögenspreisblase auf, die durch keine entsprechende Entwicklung in der Realwirtschaft gedeckt ist.

Entscheidende Ausnahme: Die US-Häuserpreise grundeln noch immer. Mehr als 50% der Objekte (!) liegt unter dem Wert der auf sie aufgenommenen Pfanddarlehen. Selbst die extrem geringen Zinsen und die Tendenz zum Auftrieb der Vermögenspreise reichen nicht aus um dieses gesunkene Schiff zu heben. Unseres Dafürhaltens könnte nur ein enormer Einkommenszuwachs der traditionell Häuser kaufenden Mittelschicht die Depression der Privatimmobilien überwinden. Doch ein solcher ist nicht in Sicht, um so mehr als man gleichzeitig die Sparquote erhöhen will.

Insbesondere strömt das Kapital ins Ausland, in die Schwellenländer, wo sich enorme Renditen erzielen lassen. Das funktioniert so: Eine Großbank borgt sich Geld bei der Zentralbank um 1-2% und investiert in brasilianische Staatsanleihen mit 11% Verzinsung. Macht einen schönen Zinsgewinn von 10% ohne großes Risiko. Ganz abgesehen davon, dass man allein mittels Währungsspekulation über den sinkenden Dollar Gewinne einstreifen kann. Wer will da schon irgendwelchen zweifelhaften Industrieprojekten Kredite einräumen? Für ordentliche Boni ist da auch wieder ausreichend Spielraum. Glaubt man den Berichten der Mainstream-Medien, sind die Gratifikationen der Finanzelite wieder auf dem Niveau von vor 2008.

Durch die Nachfrage nach den Währungen der Zielländer der Kapitalflucht steigt deren Wert, was wiederum deren Exporte schwächt. Doch für das China nachempfundene Entwicklungsmodell bedeutet der Export alles. Gleichzeitig entwickelt sich eine Blase angetrieben durch die Immobilien. Einige Länder, auch traditionell marktliberale wie Brasilien, haben zum Selbstschutz verpönte kapitallenkende Maßnahmen ergriffen. Außerdem versuchen sie durch Dollarkäufe der Aufwertung entgegenzuwirken.

Damit kommen die Dollar übrigens zurück in die USA und halten die Liquidität weiter hoch. Für die Finanzwirtschaft ein goldenes Geschäft: Man borgt sich Dollar für wenig Zinsen, legt es im Ausland für höhere Zinsen an, dann bekommt man es für niedrige Zinsen zurückgeborgt und kann es dem Ausland noch einmal teuer andrehen.

Hinsichtlich des US-Handelsbilanzdefizits konnte QE1 ebenfalls kaum etwas bewirken. Nach wie vor saugt die USA Waren aus aller Welt und vor allem aus China auf. Der Ausfall des privaten Konsums wurde durch staatliche Intervention aufgefangen. Aus welchem Grund sollte nun weitere Liquiditätszufuhr auf einmal auf die Mühlen der US-Produzenten und nicht abermals über Importe abgedeckt werden?

Entscheidender Faktor Abwertung

Die dramatischen Monate der Finanzkrise nach dem September 2008 sahen eine Fluchtbewegung in den Dollar, der als letzte Sicherheit galt. QE1 bewirkte durch die starke Nachfrage nach der Weltreservewährung keine Abwertung. Daher blieb die US-Industrie inaktiv, obwohl sie knapp vor der Krise durch kleinere Abwertungen etwas angezogen hatte.

Der große Unterschied zu QE2 ist, dass das gegenwärtige Programm eine signifikante Abwertung des Dollars nach sich ziehen und damit der US-Wirtschaft einen Antrieb geben könnte. Es erheben sich aber zwei Fragen: Einerseits nach der notwendigen Quantität. Reichen die Fed-Maßnahmen aus? Andererseits bedeutet Abwertung auch eine Infragestellung des Dollars als Leit- und Reservewährung. Zudem kommt das Modell der großen Exportländer China, Deutschland und Japan unter Druck, wenn ihre Produkte nicht mehr importiert werden. An welchem Punkt der Abwertung (und zu welchen Unkosten) der Umschlag von Quantität zu Qualität stattfindet, lässt sich schwer absehen.

USA-China: vor dem Ende der globalistischen Symbiose

In den letzten 10 Jahren etablierten die USA und China im Rahmen der Globalisierung ein symbiotisches Modell, das nicht mehr dem klassischen Verhältnis zur Dritten Welt entspricht. Die USA blähten ihren Konsum mittels Kredit immer weiter auf und wurden zum mit Abstand größten Schuldner der Erde. China wiederum produzierte wie verrückt Waren, die in den USA gekauft wurden. Die so verdienten Dollar lieh man den USA durch den Kauf ihrer Staatstitel. Das funktionierte so lange auf immer höherer Stufenleiter, solange die Kredite bedient werden konnten und die Renditen und Renditeerwartungen stimmten. Doch die Masseneinkommen blieben stetig zurück. Irgendwann vielen die ersten Kredite aus (2007). Es ist kein Zufall, dass die Kette bei den Hypotheken auf Privathäuser brach. (Es ist ebenso wenig ein Zufall, dass die marktgläubigen Deutschen diese Subprime-Papiere gekauft hatten, während die Chinesen sich auf sichere Staatsanleihen beschränkten.) Wenn nicht die Staaten massiv interveniert hätten, wäre das gesamte Finanzsystem zusammengebrochen.

China will einerseits daher möglichst weg aus US-Staatsanleihen, die keine Rendite bringen, sich entwerten und dazu noch unsicher sind. Vorsichtig legt Peking nicht nur in anderen Währungen an, sondern versucht zumindest um einen Teil seiner rund 3 Billionen Dollar andere Werte wie Rohstoffe, Firmenbeteiligungen und Land zu erwerben. Doch diese Diversifizierung hat seine (engen) Grenzen. Denn Peking hält den Wechselkurs zum Dollar konstant. Wenn sie zu viele Dollar verkaufen, dann sinkt dieser und sie müssen noch mehr Dollar kaufen, um den Renminbi-Kurs zu fixieren. Solange China den Kurs konstant hält, müssen sie sich die frisch geschöpften Dollar von der Fed in die Hand drücken lassen.

Das Ganze wird für China immer teurer: Die Bank of China kauft Dollar – aber damit ist es noch nicht getan. Die chinesischen Exporteure wechseln ihre Dollar in chinesische Währung um, sie kaufen Renminbi. Die hohen Leistungsbilanzüberschüsse führen zu einer hohen Nachfrage nach Renmimbi und das bringt eine ständige Ausweitung der Geldmenge mit sich. In einer Wirtschaft am Rande einer Rezession, mit erhöhter Arbeitslosigkeit und nicht ausgelasteten Kapazitäten kann die Erhöhung der Geldmenge als Konjunkturimpuls dienen – in der chinesischen Wirtschaft, die seit Jahren mit Hyperwachstum um die 10 Prozent unter Volldampf fährt, führt das zu einer Vermögenspreisblase und Inflation. Was durch den niedrigen nominalen Wechselkurs an Konkurrenzfähigkeit gewonnen wird, verabschiedet sich wieder durch höhere Inflationsraten. Verteuern sich chinesische Produkte in Renminbi, so durch den fixen Kurs auch in Dollar, was daher einer realen Aufwertung entspricht.

Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, muss die Bank of China die zusätzlichen Renminbi wieder einsammeln – sie müssen „sterilisiert“ werden. Dafür verkauft die Bank of China Anleihen, vor allem an das staatlich kontrollierte Bankensystem. Aber für diese Schuldscheine sind natürlich Zinsen fällig, die deutlich über jenen in den USA liegen.

Den 2500 Mrd. Dollar stehen Renminbi-Verbindlichkeiten in ähnlicher Höhe gegenüber. In gewissem Sinn könnte man von einer kreditfinanzierten Währungsspekulation sprechen, allerdings einer ohne Gewinnmöglichkeit. Spätestens seit 2007 sind die Zinsen im Dollarraum niedriger als in China, und immer wieder lässt man den Renminbi doch ein wenig aufwerten. Zu negativen Zinserträgen gesellen sich also Wechselkursverluste (bei einer Aufwertung des Renminbi werden die Dollar in eigener Währung weniger wert). Die chinesischen Devisenreserven sind also nicht vergleichbar mit dem Goldschatz eines antiken Königs, sondern stellen ein großes Verlustgeschäft dar. Da der Staat für die Verbindlichkeiten der Notenbank aufkommen muss, haben wir es mit einer gewaltigen Subvention der Exportindustrie zu tun.

QE2 ist auch als Antwort auf diese chinesische Währungspolitik zu verstehen. Die Abwertung des Dollars ersetzt protektionistische Maßnahmen. Ab einem gewissen Punkt steht China die Fixierung des Wechselkurses nicht mehr durch und wird aufwerten müssen, womit automatisch die Exporte zurückgehen.

Pekings Strategie

China hat gegenüber allen anderen großen kapitalistischen Mächten einen großen Vorteil. Es hat zwar an der neoliberalen Globalisierung teilgenommen, doch hat es dabei nicht auf das Wirken des Marktes verlassen und konnte erst dadurch so massiv von ihr profitieren. Der chinesische Staat verfolgt Entwicklungsziele. So hat es weder seine Währung noch seine Anleihen frei handelbar gemacht und damit den Fehlbewegungen des Weltmarktes ausgesetzt. Genauso hat es den Kapitalfluss gesteuert. Die Investoren wurden zum Technologietransfer gezwungen, so dass China heute fast über die volle industrielle Palette bis auf ganz wenige Spitzentechnologien verfügt. Damit wurde ein ernsthafter globaler Konkurrent geboren, ein neues kapitalistisches Zentrum geschaffen.

Gegen den Nachfrageeinbruch 2008/09 steuerte Peking nicht nur mit denselben Instrumenten gegen wie der Westen (Hilfspakete, Kredit- und Geldexpansion) gegen, sondern auch mit gezielten staatlichen Investitionen in Infrastruktur etc. was im Westen praktisch nicht geschah. Bei den Löhnen und der Massenkaufkraft blieb Peking jedoch weiterhin zurückhaltend, denn damit ginge einer der zentrale Standortvorteile, der den Exportboom erst ermöglicht, verloren. Trotz staatlicher Lenkung bleibt China in dieser Hinsicht ein Gefangener der Globalisierung.

2010 scheint in China alles wieder beim Alten zu sein. Es kann von der Nachfragesubstitution im Westen und vor allem auch in den USA profitieren. QE2 wird die chinesische Industrie befeuern, solange die Währungsparität mit dem Dollar weiter besteht. Doch genau diese will Washington zu Fall bringen.

Chinas einzige Chance im Falle einer Eskalation des Währungskrieges ist sein Binnenmarkt. Die Löhne und Einkommen der Massen müssten hinauf und so der errichtete produktive Apparat dem Konsum des eigenen Volkes dienen. Mit der Akkumulationsgeschwindigkeit des letzten Jahrzehnts wird es aber durch den tendenziellen Ausfall des US-Marktes auf jeden Fall vorbei sein. Die Frage ist vielmehr, ob es zur sanften Landung oder zum Absturz kommt.

Hoffnungsloses Europa

Derzeit feiert Deutschland sich selbst. Die Krise sei überwunden und es gehe wieder aufwärts. Deutsche Investitionsgüter werden in China nachgefragt und Luxuswagen brauchen der Finanzadel und seine Entourage angesichts der Geldschwemme allemal. Doch das deutsche Wachstum bleibt verhalten. Bis dato wurde das Vorkrisenniveau noch nicht einmal erreicht. Es ist exportinduziert und so wie in China von der globalen Nachfrage abhängig. Ebenso wie in China beruhen die Exporterfolge auf der Schere zwischen sinkender Lohnquote und steigender Produktivität.

Das am Horizont dräuende Problem ist die Verkleinerung des Absatzes in den USA und damit die sinkende globale Nachfrage. Die USA, der größte Konsument der Erde, versucht die Handelsbilanzdefizite mittels Abwertung abzubauen und seine eigene Industrie wieder auf die Beine zu bringen. Der akute Zusammenbruch der Nachfrage konnte durch die staatlichen Interventionen verhindert werden, doch die Sparprogramme vor allem in Europa, die von Deutschland selbst verordnet werden, drohen gerade hier ein Nachfrageloch mit fatalen Konsequenzen auch für Deutschland hervorzurufen. Die EZB ihrerseits hat von allen großen Zentralbanken am wenigsten Interesse gezeigt, die Aufwertung des Euros zu verhindern. Während China bis auf weiteres den Renmimbi an den Dollar gekoppelt hält, wird der Euroraum am meisten an der Aufwertung leiden. Der andere Weg zur Nachfragestärkung ist durch die Politik der Eliten ebenfalls versperrt: Aus dem deutschen Binnenkonsum selbst soll wie in China die Nachfrage auch wieder nicht all zu sehr kommen, denn das hieße steigende Löhne und damit einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil.

Die europäische Peripherie befindet sich indes in der aller schlimmsten Bredouille. Sie hat das anglosächsische Modell mitgemacht, blähte den Kredit dank geringer Zinsen im Euro auf, konsumierte ordentlich, aber konnten mit dem Produktivitätswachstum des deutschen Zentrums nicht mithalten. Die Abwertung und dadurch Anpassung an den Produktivitätsabstand ist durch den Euro nicht möglich. Diesen Ländern wird ein rigoroses Sparprogramm verordnet, das die Nachfrage (auch für Deutschland) zusammenbrechen lässt. Gleichzeitig müssen sie enorme Zinsen zahlen, was sie an den Rand des Staatsbankrotts treibt (Griechenland, Irland, etc.). Großbritanniens Machthaber haben wie kaum andere ein ideologisches Brett vor dem Kopf und machen diese Rosskur gar freiwillig ohne den deutschen Stiefel im Nacken. Es handelt sich um eine Spirale immer tiefer in die Krise hinein.

Vernünftig – im Rahmen des kapitalistischen Systems – wäre es, bei einer gemeinsamen Währung auch entsprechende europäische Anleihen zu begeben und damit den Zinsaufschlag für die Peripherie zu verringern oder ganz einzuebnen. Die Konsumnachfrage müsste auch an den Rändern (natürlich noch mehr im Zentrum) möglichst erhalten bleiben und gleichzeitig durch staatlich gelenkte Interventionen die Produktivität erhöht und an jene des Zentrums angeglichen werden. Oder aber die Eurozone beschränkt sich auf jene Länder im Zentrum mit ähnlichen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und daher auch Wirtschaftspolitik. Der Euro ist für einen so ungleichen Wirtschaftsraum, in dem zudem keine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik betrieben werden kann, eine Bürde. Es ist durchaus möglich, dass er daran zerbricht.

Casinokapitalismus am Ende

QE2 ist das Eingeständnis, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher, dass die Krise nicht überwunden und ein Aufwärtszyklus nicht vor der Tür steht.

Wenn die Fed die Finanzmärkte nicht mit Geld fluten und damit gleichzeitig den Dollar abwerten würde, zöge das den Rückfall in die Rezension nach sich. Eine solche kann angesichts der strukturellen Probleme der hohen Verschuldung und insbesondere der daniederliegenden Häuserwerte sowie gleichzeitig der geringen Renditeerwartungen zu einem neuerlichen Finanzkrach führen.

Die einzige Rettung, das Projekt der Abwertung, bedeutet ihrerseits jedoch einen tiefen Einschnitt in das globale Wirtschaftsregime und die führende Rolle der USA.

Das System des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus (ein Aspekt der Globalisierung) des letzten Vierteljahrhunderts war unter anderem auf die Wertstabilität des Dollars gebaut, der damit auch Weltreservewährung war. Nach dem bereits beschriebenen Modell konnten die USA damit Kapital anziehen. Die Spirale aus hohen Renditen, Zustrom weiteren Kapitals, Kreditausdehnung, noch höhere Renditen drehte sich immer schneller bis sie platze wie das Pyramidenspiel des Wallstreetjongleurs Madoff. Geld verdiente man ohne Arbeit, Arbeit machte arm aber Armut konnte man per Kredit beseitigen. Doch die Party ist vorbei.

Durch die extrem hohe Liquidität gibt es war wieder Tendenzen zu einer Blase. Doch die grundlegenden Probleme sind zu groß als dass diese wieder über Jahre wachsen könnte. Vor allem ist da die Abwertung, die alles ändert.

Unmittelbar wünscht die US-Notenbank, dass die Nachfrage nach dem Greenback sinkt und er günstiger wird. Doch mittelfristig können die Konsequenzen enorm sein. Die Entwertung treibt nicht nur zur Bewegung aus dem Dollar, sondern innerhalb der Dollarzone aus der Geldform, dem Medium des Finanzsektors. Verringert sich so also der Zufluss von Kapital kann das die Wallstreet empfindlich schwächen. Ein Zurückstutzen des Finanzparasitismus ist zwar für die Realwirtschaft kein Schaden, doch werden die Sturmtruppen der Fondsmanager mit Sicherheit Widerstand leisten.

Zudem heißt Abwertung in der Tendenz auch steigende Zinsen und damit Verteuerung der Staatsschulden, was wiederum Druck auf den Leitzinssatz ausübt und damit letztlich auch auf die Industrie.

Natürlich wird diese Entwicklung auch politische Konsequenzen zeitigen. Zwar sitzt Washington letztlich am längeren Hebel und zwingt seine Interessen der Welt auf, doch wird dafür ein politischer Preis zu zahlen sein: dem bereits massiv wirkenden Moment zum Multipolarität weiter Auftrieb zu geben und damit die unumschränkte Vorherrschaft der USA zusätzlich brüchig zu machen.

Exportbasiertes Entwicklungsmodell gefährdet

QE2 ist mit der Abwertung ein Angriff auf all jene Staaten, die strukturelle Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften. Diese haben ihre Wirtschaftsstruktur auf den Export ausgerichtet und gleichzeitig einen zur Wirtschaftsleistung geringen Inlandskonsum. Damit sind traditionell Deutschland und Japan gemeint. Gegenwärtig befindet sich allerdings in erster Linie China im Visier.

Die Exportstaaten versuchen der Aufwertung ihrer Währung durch den Aufkauf der ausgeschütteten Dollar entgegenzuwirken. Doch das wird nicht nur immer teurer je mehr die Fed den Geldhahn aufdreht, sondern hat auch die beschriebenen Nebenwirkungen. Setzt Washington diese Politik fort, dann werden unweigerlich die Exporte in die USA und die aus ihnen generierten Überschüsse sinken.

Angesichts dieses sich abzeichnenden Nachfragerückgangs scheint die Europa von Frankfurt verordnete Politik des öffentlichen Sparens nichts anderes als einen Rückfall in die Rezension bewirken zu können. Nötig wäre vor allem eine Erhöhung der Masseneinkommen, die den Binnenkonsum stärken. Bisher schreckte China von einer solchen Politik zurück, die durch die höheren Löhne die Exporte nochmals verteuern.

Wir sind also nicht mit einem Nullsummenspiel konfrontiert, wo die einen nun weniger und die anderen dafür mehr konsumieren werden. Der Binnenkonsum, sofern er überhaupt als politische Strategie verfolgt wird, kann den Verlust des US-Marktes nur schwerlich kompensieren. Alles deutet darauf hin, dass die aggregierte globale Nachfrage sinken wird. Wirtschaftliche Prozesse verlaufen im Kapitalismus selten linear, sondern folgen abgeleiteten, also steileren Kurven. Der Nachfragerückgang (basierend auf dem Ende der US-Kreditblase) kann also zu einem Absturz führen.

Während die genannten Exportländer einschließlich China über eine umfassend entwickelte Wirtschaft verfügen, stellt sich die Situation für die Rohstoffexporteure tendenziell noch schwieriger dar. Der chinesische Boom hat zu einer Hausse der Rohstoffpreise geführt, von der Länder wie Russland, Brasilien, Chile aber auch Australien und Neuseeland profitierten.

Die hohe Liquidität, für die QE2 sorgt und die nach Anlage möglichst außerhalb des Dollars sucht, hat die Rohstoffpreise vorerst einmal beflügelt und wird das kurzfristig auch weiterhin tun. Eine Kontraktion bei den Exporteuren von höher verarbeiteten Produkten wird in der Folge einen noch stärkeren Niedergang bei den Exporteuren von Rohstoffen und geringer verarbeiteten Waren haben. Die alte Falle der sich verschlechternden „terms of trade“, die nun für eine Dekade ausgesetzt war, kann wieder aktiv werden.

Die angestauten Krisenmomente sind also enorm und der Casinokapitalismus findet zu einem Ende. Die Globalisierung besteht aber nicht nur aus der Dominanz des Finanzmarktes, sondern auch aus dem Freihandelsregime. Geht dieses auch einem Ende zu? Zunächst einmal werden die Exportstaaten versuchen das Exportmodell möglichst aufrecht zu erhalten. Protektionistische Maßnahmen würden sich damit gegen sie selbst richten. Aber setzen die USA ihren Kurs des Währungskrieges fort (was keineswegs sicher ist), stirbt in Folge der Export und müssen jene Staaten auf ihre Binnenmärkte zurückgreifen, dann könnten die Eliten zu einem Punkt kommen, wo sie auf Protektionismus umschwenken. Der Ablösung des Wirtschaftsregimes des Freihandels würde die Ablösung des politischen Regimes des Monopolarismus des American Empire entsprechen.

Zugrunde liegende Ursachen und Lösungsansätze

Grundlegendes Problem der Krise ist die wachsende Ungleichheit, die sinkenden Lohnquoten und damit eine strukturell immer stärker hinter dem Angebot nachhinkende Nachfrage, die durch das Platzen der Kreditblase akut und durch die Rettungspakete nur aufgeschoben wurde. Hinzu kommt die Massierung von explosiven Ungleichgewichten, wie sie in der globalen Handelsbilanz zum Ausdruck kommen.

Könnte man den globalen Kapitalismus politisch wie ein Mischpult steuern, müsste man zuvorderst eine gleichmäßigere Einkommensverteilung sowohl innerhalb der Staaten als auch noch mehr zwischen diesen einstellen. Damit spränge die Nachfrage schnell über das Angebot und würde den kapitalistischen Motor wieder antreiben.

Gleichmäßigere Verteilung würde zwar auch über den Markt zu gleichmäßigeren Investitionen führen. Aber nicht ausreichend. Grundsätzlich lenkt der Markt das Kapital dorthin, wo die höchsten Renditen zu erwarten sind, zum Beispiel gegenwärtig in die diversen Formen der Spekulation, während produktive Investitionen zumindest in den USA gescheut werden. Der Markt hat sich zumindest als unzureichendes, wenn nicht überhaupt im großen Maßstab als ungeeignetes Instrument zur Kapitalallokation erwiesen. Um die aufgestauten Ungleichgewichte abzubauen bedarf es der politischen, der staatlichen Investitionslenkung und zwar nicht nur in der Krise, sondern prinzipiell.

So simpel und plausibel die notwendigen Eingriffe sind, so politisch revolutionär sind sie. Niemand kann ernsthaft annehmen, dass die herrschenden Oligarchien sie systematisch ergreifen würden. Die Geschichte hat gezeigt, dass die kapitalistischen Eliten sich äußerst schwer tun, diese simplen Hebel einzusetzen, weil sie gegen ihr unmittelbares Interesse als Kapitalisten und ihre Organisationen, die kapitalistischen Staaten, gehen, auch wenn sie zur Rettung des Systems als ganzem notwendig wären. Wenn sie Maßnahmen in diese Richtung ergreifen haben, dann nur sehr partiell, niemals umfassend und global, wie es nötig wäre.

Grundsätzlich strebt das Kapital nach Verwertung, nach Rendite. Und der ist nun einerseits der Lohn und andererseits der Konkurrent (ob als Unternehmen oder als Staat) im Weg. Der Kapitalist will Lohnerhöhungen bei der Konkurrenz, die USA in China, aber niemand bei sich selbst. Das Wirtschaftwunder China war auf geringen Lohnkosten aufgebaut. Und die Globalisierung nivellierte nach unten. Selbst wenn in der Notlage da und dort die Schere zwischen Produktivität und Lohnquote wieder etwas zugemacht werden sollte, gibt es keinen Anlass anzunehmen, dass diese Maßnahmen unter der Führung der kapitalistischen Eliten nicht nur bescheiden und vor allem partiell bleiben.

Folgt man den Erfahrungen der Geschichte erweist sich die zerstörerische Kontraktion als wahrscheinlichere Variante. Konfliktlinien gibt es ausreichend. Die Logik des Kapitalismus ist klar: mors tua vita mea. Der Krieg bietet sich als ultima ratio an, die anderen zu den global notwendigen Abstrichen zu zwingen. Die militärische Überlegenheit der USA wird so zu ihrem wichtigsten Konkurrenzvorteil.

Ansetzend an den genannten einfachen und einsichtigen Notwendigkeiten der gerechten Verteilung und der politischen Lenkung kann eine Alternative zum Kapitalismus und seiner Logik einsetzen, die auf das Gemeinwohl zielt. Die Erfahrung lehrt indes, dass diese neue Gesellschaft nicht allein den Gesetzen der blanken Wirtschaft folgen darf, sondern dem viel umfassenderen Primat der menschlichen Emanzipation.

November 2010

Verweise