Resolution der Internationalen Konferenz

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16.01.2010
Dezember 2009
Antiimperialistisches Lager
Im Dezember fand in Chianciano, Italien, die Internationale Konferenz des Campo Antiimperialista statt. Thema auf der Konferenz waren die historisch-systemische Krise des Kapitalismus, die neuen geopolitischen Konflikte und die allgemeinen politischen Aufgabenstellungen, die dem Campo daraus erwachsen.

(a) Der Zusammenbruch der internationalen Wirtschaft in Folge der im September 2008 in den USA ausgebrochenen Finanzkrise (die ihrerseits von einigem Krachen im Gebälk im vorangegangenen Jahrzehnt angekündigt worden war) ist keine zyklische Rezession, auf die unausweichlich ein "Wiederaufschwung" folgt. Sie ist vielmehr der Vorbote einer
historisch-systemischen Krise des westlichen Kapitalismus, d.h. vor allem des begrenzten Kreises imperialistischer Länder, die nach dem Zweiten Weltkrieg das Gravitationszentrum des internationalen Kapitalismus konstituiert und nach dem Zusammenbruch der UdSSR, nicht ohne Widerstand, die Welt dominiert haben.

(b) Die historisch-systemische Krise dieses imperialistischen Gravitationszentrums bedeutet nicht, dass die kapitalistische Produktionsweise insgesamt am Ende sei, dass sie in die "finale" Phase oder in die Phase der "Todesagonie" eingetreten sei. Das, was gerade untergeht, ist viel mehr das ökonomische, soziale und politische Kapitalismusmodell, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg im gesamten Westen durchgesetzt hat, die historisch determinierte Form des Kapitalismus, welche auf Weltebene hegemonial war. Diese Gesellschaftsform, die wir "opulente Gesellschaft" nennen und die sich auf den zwanghaften Konsumismus der großen Massen als "Entwicklungs"motor stützt, die sich durch die Transformation des Proletariats in "neue Mittelklasse", die Finanzschlächterei und die Ausbeutung der Peripherie und durch die Akkumulation jener Superprofite charakterisiert, die den so genannten Turbokapitalismus hervorgebracht haben. Die „opulente Gesellschaft“ und der Turbokapitalismus befinden sich aufgrund ihrer eigenen hypertrophen Entwicklung in Agonie.

(c) Wir sind daher nicht nur mit dem Ende eines Aufschwungs konfrontiert, mit einer möglicherweise längeren Rezession (Stagnation). Wir befinden uns in einem Übergang von einer Phase zur nächsten, die epochale Dimensionen hat, und zwar von der Größe jener drei grundlegenden Etappen der modernen Geschichte des Kapitalismus. Die erste hat, dank der industriellen Revolution und der Niederlage der französischen Ambitionen, die Grundlage für die Vormachtstellung des englischen Kolonialismus gelegt. Die zweite, zwischen Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, war der Übergang zum Imperialismus und eröffnete den Zyklus der konfliktbehafteten euro-amerikanischen Vorherrschaft. Die dritte begann nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Auslöschung der deutschen Hegemonie in Europa und der japanischen in Asien und machte den Weg frei für die definitive Vorherrschaft des US-Imperialismus, wobei einige Zeit lang durch die Sowjetunion ein Gegengewicht herrschte.

(d) Kein epochaler Übergang solcher Dimensionen war schmerzlos. Jeder einzelne rief tiefe revolutionäre und konterrevolutionäre Brüche in den jeweiligen Ländern hervor, ebenso wie schwere geopolitische Turbulenzen und Kriege zwischen Nationen und Nationenbündnissen. Der Übergang vom ersten Nachkriegszyklus zum Turbokapitalismus fand nicht in homöopathischen Dosen statt, sondern brachte ein Jahrzehnt (die 1970er Jahre) hervor, das von tiefen sozialen und politischen Spannungen und scharfen internationalen Konflikten gekennzeichnet war. Auch der historische Übergang, vor dem wir uns nun befinden, drängt die Menschheit in eine Periode tiefgreifender und chaotischer sozialer und internationaler Turbulenzen, welche die Welt, die Rangordnung und die Hierarchien zwischen den hegemonialen Mächten radikal verändern und die westlichen Gesellschaften dazu zwingen werden, sofern sie dem schmerzhaften Niedergang entgehen möchten, gesellschaftliche, politische und Lebensweisen anzunehmen, die sich grundlegend von den heute dominanten unterscheiden.

(e) Die erste gigantische Konsequenz der aktuellen Krise ist die Redimensionierung der alten westlichen imperialistischen Hochburgen, während hingegen der Osten zum neuen Hauptmotor der Weltwirtschaft werden wird. Die, nicht unmittel- sondern mittelbare Konsequenz der Verschiebung des Mittelpunkts der kapitalistischen Weltwirtschaft von West nach Ost, mit China als Hauptdarsteller, wird ein geopolitisches Erdbeben von historisch-strategischen Dimensionen auslösen. Kurz, wir treten in eine historische „post-okzidentale“ Phase ein, in der die Menschheit entscheiden wird müssen, ob sie Gefangenen eines noch barbarischeren Kapitalismus bleiben möchte, oder aber Kurs auf einen erneuerten Sozialismus nimmt.

(f) Die Präsidentschaft von Obama bezeichnet keineswegs eine strategische Wende für den nordamerikanischen Imperialismus. Sie bedeutet eine Änderung seines modus vivendi, nicht seines modus essendi. Die USA werden, angesichts des Risikos der Implosion ihres eigenen Imperiums, nicht akzeptieren, das Feld zu räumen. Sie werden im Gegenteil mit allen Mitteln kämpfen, alle präventiven Mittel ergreifen, ohne jenes des Krieges auszuschließen, um sowohl die Verschiebung des Mittelpunkts der Weltwirtschaft auf die andere Seite des Pazifik zu verhindern, als auch, dass China zur eigentlichen Supermacht aufsteigt. In dieser Perspektive sind das Bündnis mit der Europäischen Union und die Konsolidierung der NATO für die USA unverzichtbare Faktoren. Die Europäische Union ist nicht nur der Hauptwirtschaftspartner der USA, sie ist der wichtigste strategische Verbündete, mit dem die USA die Weltherrschaft teilen, der bewaffnete Wächter, dazu abgeordnet die Wiedergeburt der russischen Macht zu verhindern.

(g) Der Widerstand, den der amerikanische Superimperialismus seinem Niedergang entgegensetzen wird, wird also erbittert sein und er wird auf Weltebene stattfinden. Denn von der imperialen Vormachtstellung hängen seine interne Stabilität, seine soziale Kohäsion und die lähmende ideologische Wirksamkeit des „amerikanischen Traums“ ab. Ohne diese Vormachtstellung sind die USA dazu verurteilt auf interne Probleme noch nie da gewesenen Ausmaßes zu stoßen. Wenn unsere Analyse richtig ist, dann bedeutet das, dass in der nahen Zukunft Konflikte unterschiedlicher Formen und Ausmaße entstehen werden, dass die USA mit jedem zur Verfügung stehenden Mittel (von den auf Sabotage ausgerichteten Revolutionen, über mit dem UNO-Label versehenen Sanktionen, bis hin zur präventiven Gewalt) versuchen werden, jedwedes Aufflammen von Volkswiderstand und jede wirklich feindliche Nation niederzuwerfen. Obama will das ideologische Paradigma der rettenden imperialen Mission der USA nicht loswerden. Er denkt nicht daran, die Militärausgaben zu reduzieren, ebenso wenig den gigantischen nordamerikanischen Militärapparat. Er wird auch nicht das Zentrum, von dem der globale Expansionismus ausgeht, angreifen: den so genannten militärisch-industriellen Block.

(h) Es wäre ein Fehler die ferne Zukunft mit der Gegenwart oder der nahen Zukunft zu verwechseln. Die Abrechnung mit China und der eventuelle Block unter seiner Führung ist nur eine langfristige Tendenz. Starke Gegentendenzen müssen berücksichtigt werden. Die beiden Giganten stützen sich heute gegenseitig. Wenn der kriegerische Ausgang auch im Bereich des Möglichen ist, bedeutet dies nicht, dass er unmittelbar bevorsteht. Es könnte auch eine langes Intermezzo einer chinesisch-amerikanischen Weltherrschaft geben, das den anderen regionalen Protagonisten, insbesondere den russischen, indischen, arabischen, brasilianischen etc., einige Brösel übrig lässt. Natürlich ist ein derartiges Gleichgewicht nicht mit einer langfristigen Befriedung der Welt gleichzusetzen, es schließt auch nicht aus, dass die beiden Giganten durch Stellvertreter in einem oder anderen Winkel der Welt aufeinander losgehen.

(i) Jedenfalls zwingt die gegenwärtige Krise die USA nicht, ein tatsächliches multipolares Gleichgewicht zu akzeptieren. Die USA meiden wie die Pest jene Idee, der zufolge die Welt in Einflusszonen unter den verschiedenen regionalen Mächten aufgeteilt werden muss, die Idee einer polyzentrischen Weltordnung, die gerade das Ende ihrer unwidersprochenen Vorherrschaft bedeuten würde. Dennoch ist die Erwähnung einer solchen multipolaren Weltordnung durch einige subimperialistische Regionalmächte nicht aus der Luft gegriffen, sondern drückt das ökonomische und politische Gewicht aus, das sie errungen haben. Diese Diskrepanz darf nicht unterschätzt werden. Sie könnte ein entscheidender Faktor weltweiter Instabilität werden. Der kurze georgische Konflikt, d.h. des dornigen, und es sei hinzugefügt – unlösbaren, russisch-amerikanischen Konflikts und wie dieser die unterschiedlichen Diplomatien gelähmt hat, ist dahin gehend lehrreich.

Es ist eine Tatsache, dass die USA nicht nur ihre militärische und logistische Präsenz in rund hundert Ländern verteidigen, sondern diese auch ausbauen (bspsw. der eklatante Fall der Militärbasen in Kolumbien oder in Usbekistan). Wo immer Konflikte wie der in Georgien sich in anderen Teilen der Welt am Horizont abzeichnen, sollten die antiimperialistischen Widerstandsbewegungen ihre Einstellungen nicht verändern, denen zufolge die Niederlage der USA und ihrer Vasallen die bevorzugte Option ist.

(l) Wir haben gesagt, dass die historisch-systemische Krise des westlichen Kapitalismus (Imperialismus) nicht kurzfristigen Ausmaßes sein wird. Wir sind erst beim ersten Akt, der eine gesamte historische Periode einläutet: den Anfang vom Ende der absoluten Vorherrschaft des Westens. Wir treten in die Phase der hartnäckigen und scharfen Reaktion des Westens auf seinen eigenen Niedergang ein. Aus diesem Grund wird diese Phase von Erschütterungen gekennzeichnet sein, die zunächst graduell, später jedoch katastrophal sein werden. Diese Erschütterungen werden auch die EU voll treffen, deren fragiles Gebäude zusammenbrechen könnte und mit ihm die strategische euro-atlantische Allianz.

Es gibt heutzutage keine strategischen Kräfte, die das Schicksal Europas von jenem der USA abkoppeln wollen. Alle Kräfte des Systems, seien sie der Rechten, dem Zentrum oder der Linken zuzurechnen, betrachten sich im gleichen Boot wie die Amerikaner. Wenn dieses vom Sinken bedroht sein sollte, wenn der alte Maulwurf der Krise genügend gegraben haben wird, werden von außerhalb des herrschenden Systems Kräfte entstehen und vor dem Dilemma stehen, die Abtrennung von den USA durchzuführen, nach Osten zu blicken und der Unterwerfung unter das andere Ufer des Atlantiks ein Ende zu bereiten.

(m) Das Ende der opulenten Gesellschaft, die sich auf den zwanghaften Konsum stützt, auch in Europa, die Unfähigkeit der dominanten Oligarchien, eine Union zu entwerfen, die konstitutiv nach dem Muster der USA konzipiert ist, die bereits manifeste Krise seiner Institutionen und politischen Vertretungen, ruft die schwachen revolutionären Kräfte Europas zu neuen und großen strategischen Aufgaben. Diese werden noch eine Zeit lang unter ihrer gegenwärtigen Machtlosigkeit leiden, die sich in einigen Ländern zu einer dramatischen Isolation auswachsen könnte. Eine neue Welle von Massenmobilisierungen, das Wiederaufflammen des sozialen Konflikts ist jedoch unumgänglich, doch es ist wahrscheinlich, dass diese Mobilisierungen in einer ersten Phase auch offen reaktionäre Formen annehmen werden. Aufgrund der historischen Tatsache, dass die Linke in die Verwaltung des imperialistischen Kapitalismus eingebunden wurde und diesem damit geholfen hat, ihn in der ideologischen Form der "political correctness" zu legitimieren, könnten sich die Revolten auch gegen den linken Flügel dieser Eliten richten. Die Antiimperialisten müssen diese Impulse und Tendenzen der antisystemischen Proteste aufgreifen und organisieren und sie in eine antikapitalistische Richtung orientieren. Das bedeutet, in der Mobilisierung der progressiven Teile in der ersten Reihe zu stehen und die reaktionären Elemente zurückdrängen. Es ist in diesem Sinne notwendig, neue Formen des politischen Ausdrucks zu suchen, die es möglich machen, dank exemplarischer Aktionen breiten Konsens zu erlangen.

Die Antiimperialisten könnten sich dort, wo sie nicht im Stande sein sollten, neue politische Massenbewegungen zu gründen, gezwungen sehen, nicht nur mit kompatiblen politisch-sozialen Kräften gemeinsame Fronten einzugehen, sondern auch für eine gewisse Zeit und dort wo es sich als notwendig erweist, sowie mit dem Ziel, die so teuer erworbenen Errungenschaften zu retten, mit Bewegungen zusammenzufließen, welche die doppelte Funktion von Anziehungspunkten antagonistischer Kräfte und insofern eines Damms gegen die reaktionäre Flut ausüben könnten. In beiden Fällen muss der Antiimperialismus mit einer antikapitalistischen Perspektive verbunden werden, andernfalls droht die Unfähigkeit den subversiven sozialen Kräften, welche die Mechanismen der sozialen Marginalisierung langsam aber unumgänglich hervorbringen werden, eine Stimme zu geben.

(n) Die andauernde amerikanische Entschlossenheit die eigene Vormachtstellung zu verteidigen, nimmt den Widerstandsbewegungen und folglich unserer spezifischen politischen Rolle nichts von ihrer Zentralität, sondern drängt sie dazu, sich zu repositionieren, zu reorganisieren, ihre Aktionen neu auszurichten, sich im neuen magma-ähnlichen geopolitischen Kontext zu bewegen und dabei die Räume, die sich aufgrund neuer strategischer Rivalitäten (und nicht nur der sino-amerikanischen, sondern auch jener zwischen den USA und den diversen subimperialistischen Mächten) öffnen werden; kurz, in die neuen Ritzen der Verletzlichkeit des amerikanischen Imperiums Keile zu treiben.

Eine Phase lassen wir hinter uns, nämlich jene der auf nationalistischen, korporativen oder identitären Territorien eingegrenzten Abwehrkämpfe, Kämpfe von Widerstandsbewegungen, die weder kommunizieren noch sich gegenseitig unterstützen konnten, außer auf symbolische und wenig wirksame Art. Diese werden dazu gezwungen sein, längerfristiger zu denken.

(o) Die Perspektive der internationalen antiimperialistischen Front wird eine drückende Notwendigkeit. Wir sprechen nicht nur von Volksbewegungen oder legitimen bewaffneten Widerstandsbewegungen. Wir sprechen von Nationen, die versuchen dem erdrückenden Griff des Imperialismus unter US-Führung zu entkommen. Unter ihnen nicht nur Venezuela oder Bolivien, sondern auch der Iran und der Sudan. Das Bild des Abkoppelns ganzer Länder und Regionen des Planeten aus dem räuberischen imperialistischen Umkreis bekommt erst jetzt historische Aktualität. Die antiimperialistische Front und das Abkoppeln müssen die beiden Beine des neuen Widerstands der unterdrückten Völker werden, andernfalls drohen sie zwischen dem amerikanischen Amboss und dem chinesischen Hammer unterzugehen. Es ist daher kein Paradoxon, dass die konfliktträchtige sino-amerikanische Weltordnung und die Zwistigkeiten in unterschiedlichen Gebieten zwischen den USA und verschiedenen subimperialistischen Mächten neue Räume des Manövrierens, der Autonomie und der Unabhängigkeit eröffnen könnten.

(p) Vor dem Hintergrund des gezeichneten Szenarios werden wir danach trachten müssen, dass zwischen den beiden kapitalistischen Weltgiganten, zwischen dem untergehenden und dem aufstrebenden, ein dritter Pol von Ländern und Kräften, inklusive der europäischen, entsteht, die sich bemühen gesellschaftliche Systeme vorwiegend kollektivistischer Natur durchzusetzen, den jeweiligen nationalen Gegebenheiten entsprechend. Die Widerstandsbewegungen sind daher aufgerufen, über sich selbst hinauszuwachsen, die alten und neuen Herren herauszufordern und an einer Perspektive der Befreiung festzuhalten, die Schritt für Schritt zum Sieg der Unterdrückten über die Unterdrücker, zu ihrer Emanzipation führen muss, d.h. in der historischen Perspektive eines neuen Sozialismus, der schließlich das zusammenführen wird können, was die Menschheit bis heute getrennt hielt: Gleichheit und Freiheit, Demokratie und Autorität, Individuum und Gemeinschaft, Zivilisation und Natur, Revolution und Tradition.