Die arabischen Revolutionen können nur gemeinsam siegen

Vortragsreihe "Arabischer Frühling" im OKAZ
17.10.2011
Saeed Shihabi in Wien
Mohammad Aburous
Im Rahmen der Vortragsreihe „Arabischer Frühling“ war der bahrainische Oppositionelle Dr. Saeed Shihabi am 14. Oktober im Österreichisch-Arabisches Kulturzentrum in Wien zu Gast. In seinem Vortrag betonte der Anführer der Bewegung Freies Bahrain die Notwendigkeit, die Aufstände im Arabischen Raum in ihrer Gesamtheit als Erhebung gegen die regionale Ordnung zu betrachten. Shihabi warnte vor der Gegenbewegung in der Region, die von Saudi-Arabien angeführt wird. Sie hat das Ziel, die Demokratiebewegungen zu kanalisieren und die amerikanische und israelische Ordnung wiederherzustellen.
Shihabi

Der Anführer der republikanischen Bewegung „Freies Bahrain“ machte darauf aufmerksam, dass bisher keine der Bewegungen im Arabischen Raum ihre Ziele erreicht hat. „Die arabische Region ist seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts unter kolonialer Herrschaft. Nur die Kolonialherren haben sich geändert, früher waren es England bzw. Frankreich, heute die USA“. Nach Shihabi sind die USA „der größte Unterstützer der Diktaturen weltweit“. Über einen positiven Kurswechsel der US-Politik macht sich Shihabi keine Illusionen. „Sie haben anfangs die Revolutionen vorsichtig begrüßt, damit sie nicht auf der falschen Seite der Geschichte bleiben. Allmählich hat sich aber die traditionelle Diplomatie wiederhergestellt“.

Saudische Besatzung

Zur Lage in Bahrain erklärte Shihabi, dass die Insel praktisch unter saudischer Besatzung ist. Der saudische Einmarsch hat auf Einladung des jeweiligen Regimes zur Unterdrückung der Volksbewegung stattgefunden.
Shihabi wies die Behauptung der USA zurück, von der bevorstehenden Invasion der Saudis nichts gewusst zu haben. „Noch am 12. März war Robert Gates in Bahrain und traf bahrainische Staatsmänner. Am nächsten Tag kamen die Saudis. Glauben Sie, dass die Saudis so einen Schritt ohne US-Erlaubnis unternehmen würden? Erinnern Sie sich daran, was mit Saddam geschah, als er unerlaubt in Kuwait einmarschierte!“.
Im Moment befinden sich etwa 1600 saudische Soldaten in Bahrain. Sie sichern staatliche Einrichtungen und treten laut Shihabi in bahrainische Uniformen gegen Demonstranten auf.

Eine der ältesten arabischen Befreiungsbewegungen

Shihabi erinnerte daran, dass die bahrainische Befreiungsbergung zu den ältesten im Arabischen Raums zählt. Der regierende Khalifa-Klan kam im neunzehnten Jahrhundert mit der Unterstützung der Briten zur Macht und regierte, wie andere in anderen Emiraten am Golf unter dem „Anti Piracy Treaty“ mit England. Die herrschenden Klans waren eine Art politische Agenten und unterstanden den Vertretern der Britisch-Indischen Regierung. Schon in den 1920er-Jahren begannen die Aufstände in Bahrain gegen die britische Herrschaft und die Khalifa-Familie. Mehrere Großaufstände mit panarabischem und linkem Charakter fanden bis zur formalen Unabhängigkeit 1971 statt.

Im Kontext des britischen Abzugs aus den Kolonien östlich vom Suez-Kanal nach der Unabhängigkeit Indiens übergaben die Briten ihre Präsenz am Golf an die USA. Im selben Jahr wurde auch die Vereinigten Arabischen Emiraten kreiert. Die Khalifa-Familie regierte nach der Unabhängigkeit auf der Basis der Abstimmung über die Verfassung von 1973, die ein parlamentarisches System vorsieht. Diese Verfassung wurde jedoch 1975 eingefroren und es begann die despotische Herrschaft des Khalifa-Klans. Der britische Offizier Ian Henderson, verantwortlich u.a. für die brutale Unterdrückung der Mau Mau-Bewegung in Kenia (1952-1960), wurde nach Bahrain gebracht und gründete dort den „Spezialapparat“, der für die Liquidierung der linken und panarabischen Opposition zuständig war. Die Verbrechen von Henderson in Bahrain sind dokumentiert. Bezogen auf die Bevölkerung hatte Bahrain zu diesen Zeiten den größten Anteil an politischen Gefangenen weltweit.

1999: neuer König, altes Regime

Dr. Shihabi erklärte, dass die aktuelle bahrainische Bewegung schon vor Jahren begann. Daher mache er sich keine Sorgen um ihr Fortbestehen.

Nach dem Tod des Emirs Isa Ben Salman 1999 traten die USA für eine politische Lösung der gesellschaftlichen Konflikte ein. Der Sohn Hamad Ben Isa deklarierte den Staat zur konstitutionellen Monarchie und ließ politische Gefangene frei. Er versuchte, die Opposition in einen Reformprozess zu integrieren. Das Tauwetter hielt jedoch nicht lange an. 2002 schuf der König eine neue Verfassung, die in Bezug auf demokratische Rechte weit hinter der alten steht. Im Gegensatz zur Verfassung von 1973 wurde diese keinem Referendum unterzogen. Einige Oppositionsparteien akzeptierten die Situation und traten bei den Wahlen an, andere lehnten diesen Trick ab. „In unsren Augen hat der König bei der Abschaffung der Verfassung von 1973 jede Legitimität verloren“. Ergebnis war die Spaltung der Bewegung Freies Bahrain in „Al-Wifaq“ [arab. für Konsens], die bei den Wahlen von 2006 kandidierte, und die Bewegung „Haqq“ [arab. für Recht], welche die Wahlen boykottierte.

Shihabi fühlt sich in seiner damaligen Position gegen die Wahlbeteiligung bestätigt. „die Ereignisse der letzten Jahre haben die Unernsthaftigkeit des Regimes bezüglich Reformen gezeigt. Nach der Unterdrückung der Proteste vom März sind die moderaten Parteien aus dem machtlosen Parlament zurückgetreten. Sie sind in unsere Richtung näher gerückt, und nicht umgekehrt“.

Politische Einbürgerungen

Dr. Shihabi ging in seinem Vortrag auch auf das oft in einem konfessionellen Kontext interpretierte Thema der Einbürgerungen. „Das Regime möchte die Herrschaft einer kleinen Elite im Lande sichern, indem es den Charakter der bahrainischen Gesellschaft verändert. Jährlich werden tausende aus Saudi-Arabien, Syrien, Jordanien und Pakistan eingebürgert. Im Falle der Saudis leben einige nicht einmal in Bahrain“. Viele Anhänger der Sicherheitsapparate sind eingebürgerte Jordanier, Syrer und Pakistanis. Aus Shihabis Sicht versucht das Regime die Demographie zu seinen Gunsten zu verändern. Er betrachtet jedoch die Bevölkerungspolitik des Regimes als kurzsichtig, weil „sich auch eingebürgerte Sunniten spätestens in der zweiten Generation als Bürger fühlen werden und wie alle anderen Mitbürger ihre demokratischen Rechte verlangen werden. Was machen sie dann? Sie ausbürgern?“.

Shihabi zweifelt an der Fähigkeit des Petrogeldes, durch eine breitere Aufteilung die Verhältnisse langfristig zu stabilisieren. „Wirtschaft ist nicht alles. Es geht bei den arabischen Aufständen auch um Würde. Kein Staat kann modern sein, wenn der Mensch dort keinen Wert hat. Welche Moderne ist das, wenn man glaubt, man kann das Volk gegen ein importiertes Volk umtauschen?“.
Hingegen lehnt Shihabi die Einbürgerung grundsätzlich nicht ab. „Menschen die lange genug im Land lebten und sich als Teil dieser Gesellschaft fühlen, sind herzlich willkommen. Die Einbürgerungen sollen den legalen Kriterien entsprechen und nicht heimlich und politisch gesteuert sein“.

Keine Konfessionelle Bewegung

„Die Menschen in Bahrain rebellieren nicht, um bloß mehr Husseiniyyas [schiitische Gebetsräume] zu bekommen“, wies Dr. Shihabi die Vorwürfe des schiitischen Sektierertums und der Abhängigkeit vom Iran zurück und ordnete sie der Propaganda des Regimes und Saudi-Arabiens zu. Er erinnerte daran, dass 1970 dem Anspruch des Irans auf Bahrain mit einer Volksabstimmung begegnet wurde, wobei die Mehrheit der Bevölkerung für die Unabhängigkeit gestimmt hatte. „Es sind nicht nur die Schiiten, die gegen den Despotismus“ des Khalifa Klans sind. Auch die Sunniten sind gegen die absolute Herrschaft der Khalifas. An den Mobilisierungen im Februar und März nahmen Schiiten und Sunniten teil. Auch unter den Verhafteten sind Anführer beider Konfessionen. Der König jedoch beantwortete die Reformforderungen mit einem konfessionellen Diskurs, indem er behauptet, die Schiiten wollen die Macht übernehmen. Einen Bürgerkrieg mit konfessionellem Hintergrund schloss er aus. „Es ist bis jetzt nie passiert, dass aus konfessionellen Gründe Menschen angegriffen oder Sachen zerstört wurden. Erst unter saudi-arabischer Besatzung sind Moscheen zerstört und Schiiten aus dem öffentlichen Dienst entfernt wurde. Sie haben sogar Ärzte verhaftet, die bei den Ereignissen erste Hilfe an die Verletzten leisteten. Vor Kurzem verlor die bahrainische Fußballmannschaft sechs zu null, und in Bahrain macht jeder die Regierung dafür verantwortlich, da sie gute Spieler aus der Mannschaft entfernte, nur weil sie schiitischem Hintergrund haben“.
Er betonte den politischen Charakter der Bewegung. „Unser Anliegen ist es nicht, zu bestimmen, welche Gruppe regiert, sondern wie das Land regiert wird. Es ist nicht akzeptabel, dass ein Klan alle wirtschaftlichen Ressourcen des Landes in der Tasche hat und nur das Nötigste in die Staatskassa zahlt. In der bahrainischen Regierung sitzen auch 17 Angehörige des Khalifa-Klans!“. Wenn das angesprochen wird, so kontert das Regime mit einem konfessionellen Diskurs. „Das zeigt, dass der Konfessionalismus das Instrument des Regimes und nicht der Opposition ist“.

Zum Verhältnis zum Aufstand in der mehrheitlich schiitischen Ostregion in Saudi-Arabien erklärt Schihabi, diese sei eine eigene Entwicklung in Saudi-Arabien und hängt nicht direkt mit der Lage in Bahrain zusammen. „Die Bürger der Ostregion ist sowohl ideologisch am wenigsten beeinflussbar von der reaktionären wahabitischen Staatsdoktrin als auch wirtschaftlich trotz marginalisiert. Das macht sie zu Aufständischen. Jedoch sind sie eine Bevölkerungsminderheit und können die Opposition gegen die Saudi-Herrschaft nicht führen. Wichtiger ist die Entwicklung der Bewegung in andren Teilen im saudischen Reich“.

Was das Verhältnis zum Iran betrifft, so übertreibt laut Shihabi das Regime den iranischen Einfluss. „Es ist ganz normal, dass es im Iran Sympathie für Schiiten gibt. Jedoch hat der Iran die bahrainische Bewegung nicht stärker unterstützt als die anderen Bewegungen im Arabischen Raum“. Für Shihabi besteht der Hauptwiderspruch mit dem Saudi-Regime, denn „es ist Saudi-Arabien, das heute in Bahrain tötet, zerstört und verhaftet, nicht der Iran“.

Shihabi wies Spekulationen über iranische territoriale Ambitionen in Bahrain zurück. „Der Iran ist ein großes Land und braucht die Annexion von Bahrain nicht. Da würde das politische Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Iran nicht stimmen. Bekanntlich erkennen sich beide Staaten an und unterhalten heute noch diplomatische Beziehungen.

Saudi-Arabien, Revolutionen und die regionale Konterrevolution

Saeed Shihabi sieht eine aufsteigende gesamtarabische Bewegung gegen despotische Regime und Fremdherrschaft. Er warnt vor eine Gegenbewegung, welche die US-Hegemonie in der Region befestigen möchte und von ihren zwei Stützen, Saudi-Arabien und Israel geführt wird. „Seit dem Abgang Mubaraks wird an eine Gegenbewegung mit US-Druck und Saudi-Geld gearbeitet. Konfessionalismus ist in diesem Kontext ein willkommenes Instrument. Sie möchten Sunniten gegen Schiiten gegeneinander ausspielen, wie in Bahrain und im Libanon, Salafiten gegen Schiiten, Salafiten gegen Sufis wie in Ägypten und im Maghreb, Moslems gegen Christen wie in Ägypten usw.“.
Für Shihabi ist der regionale Zusammenhalt unverzichtbar. „Besiegen sie in einem Land die Bewegung, so schreiten sie ins nächste weiter. Z.B. steht die Bewegung heute bei Syrien vor einem Dilemma. Die Forderungen der Syrer nach Freiheit und Würde sind durchaus legitim. Jedoch wird die Bewegung durch die saudische und US-amerikanische Intervention deformiert. Keiner kann eine US-Herrschaft als Alternative zu Assad akzeptieren“.
Er betonte die Wichtigkeit der Ereignisse in Ägypten, wo „ein Sieg der Revolution regional zur Umkehr der Verhältnisse führen wird“. Genauso würde eine Niederlage in Bahrain die Niederlage der anderen Bewegungen beschleunigen.

Verweise