Einiges zu Ungarn

25.01.2012
Von Aug und Ohr - Gegeninformationsinitiative
Die neue Entwicklung hin zu einem Führerstaat hat sich seit längerer Zeit angezeigt (auf der Informationsebene unter anderem seit Jahren unbeanstandet mit der systematischen Verbreitung der Materialien, id est geschichtlichen Erfahrungen, des Horthy-Faschismus, des Klerikalfaschismus, der ungarischen Rassenideologien, des Nazifaschismus), und es ist durchaus möglich, daß der einigende Faktor des „Orbánismus“ keine Eintagsfliege bleibt, sondern ein interessantes Modell abgibt für künftige autoritär-rechtsradikal-faschistische Experimente anderswo – deren Aufgabe immer auch darin besteht, die kapitalistische Ordnung zu befestigen. Die Kontakte zur Haider-Strache-Partei sind ungebrochen und sind von mir an einem Beispiel dokumentiert worden (1)

Rebellionserfahrung wird zum Herrschaftswissen

Es gibt keine ehemalige Protestpartei, die so eine Kehrtwende gemacht hat wie die Fidesz – die ursprünglich, zum Teil, aus der - zunächst zaghaft gegen umweltfeindliche Megaprojekte aufbegehrenden - Jugend der wohlbehüteten Nomenklatura hervorgegangen ist.

Die Integrationskraft des kapitalistischen Systems kennen wir ja schon von anderen Phänomenen wie etwa den Grünen – die besonders in Österreich zu einer schmierigen kleinbürgerlichen Fratze des Systems verkommen sind. Aber allein mit den „fetten Posten“ kann man die enorme Rechtsradikalisierung der Fidesz nicht erklären, es kommen zwei weitere Momente hinzu, die für das Verständnis wesentlich sind.

Das eine ist ein ideologischer Faktor: Orbán (und vor ihm andere wie etwa Torgyán) haben eine antiimperialistische Rhetorik entfaltet, die der Linken eine Reihe von Wortmarken entlehnt und die den Widerstand eines unbeugsamen Volkes gegen die großen Imperialismen simuliert. Das entspricht aber einem realen Bedürfnis.

Ausbeutung des kollektiven Widerstandsgedächtnisses

Diese Rhetorik schlägt jetzt zu. Es mußte eines Tages dazu kommen, denn es war nur eine Frage der Zeit, bis der Fundus der vielen tatsächlichen früheren und erinnerten Rebellionen und Revolutionen dieses Volkes (oder besser der Völker Ungarns) gegen die jeweiligen imperialistischen Machthaber ausgewertet und ausgeweidet würden.

Daß nun tatsächlich ein Volk (hier nicht ethnisch verstanden), dessen Produktion zum großen Teil zerstört, dessen Produktionsstätten gleichermaßen ans Ausland wie an die bereitstehenden Geier der inländischen „sozialistischen“ Nomenklatura verscherbelt wurden, dessen erarbeitetes Eigentum von der dortigen Vermögensagentur ebenso willkürlich zerrissen und in alle Winde verteilt wurde, wie es in der DDR der Fall war, dessen Alte, dessen Greise wiederum, wie in den Dreißigerjahren, in Armut und Kälte dahindämmern und dessen größte nationale Minderheit ein Dasein von Verfolgten und Stigmatisierten führen muß und in Arbeitskasernen eingesperrt wird - daß sich so ein Volk doch wieder wie unter Fürst Rákóczy, wie 1848, wie in der Räterepublik, wie im Volksaufstand 1956, wie in der grassroot-Bewegung der letzten Achzigerjahre, der damals stärksten grassroot-Bewegung Europas, gegen die herrschenden Verhältnisse erheben könnte, aufbauend auf der historischen Erfahrung des widersprüchlichen Zusammenwirkens zwischen nationaler und sozialer Befreiung, die ihr stärkstes Experimentierfeld in den Kämpfen gegen die Habsburger hatte: das sollte eigentlich niemanden verwundern. Welcher Ungar läßt sich ein Sklavendasein gefallen?

Warum wird der rechte Populismus stigmatisiert?

Und nehmen wir an, es würde ein solches „Kuba in Europa“, ein solches Venezuela in Europa entstehen – was nicht der Fall ist - , ein linkes Gegenprojekt in Ungarn gegen das rechte Europa, gegen die Europäische Union, gegen die USA, gegen die unerträgliche Vorherrschaft Deutschlands in der EU und auch schon wieder die massive wirtschaftliche und hiermit politische Bevormundung durch die Österreicher, ein Anflug von Sozialismus in einem Land gegen die kontinentale Konterrevolution – ja würden dann nicht die EU, die USA, die NATO, die Gladios mit allen Geschützen auffahren?

Sie bereiten sich vor. Würden sie nicht tollwütig auf „die Ungarn“ losgehen wie zur Zeit die deutschen und österreichischen Medien auf Griechenland?

Counter-Kraft Fidesz

Der präventiven Counter-Politik von Fidesz und den rein rechtsradikalen und rein faschistischen Gruppierungen ist es wichtig, mögliche tatsächliche Kritik , möglichen echten Widerstand (der schon brodelt) abzufangen und die legitime Verbindung von nationalen und sozialen Interessen in den allbekannten ungarischen Chauvinismus umzubiegen – unter einem „antimperialistischen“ Deckmäntelchen, das sie brauchen wie die Luft zum Atmen. Wovon zahlreiche „Äußerungen“ Orbáns in Magyar Nemzet zeugen, dem Zentralorgan der Fidesz – das früher das Zentralorgan der grassroot-Bewegungen war und vorher das Organ der Patriotischen Volksfront.

Wer also die ungarische Geschichte nicht kennt oder nicht kennen will (und hierzulande wird nichts dafür getan, daß die Vergangenheit der gegen Wien rebellierenden Völker (besonders Ungarns) endlich Eingang ins allgemeine Geschichtsbewußtsein findet; man weiß ja hierzulande nicht einmal, warum die Votivkirche gebaut wurde: als Dank für die Errettung Franz-Josefs vor dem Anschlagsversuch eines ungarischen Revolutionärs, der hingerichtet wurde), wer die Kämpfe des ungarischen Volkes in der Vergangenheit nicht kennt, der wird nicht die Kraft verstehen, mit der die Reaktion agieren und manipulieren kann, die kalte Verve, mit der vergangener Widerstand wiederbeschworen und in ein großes antikommunistisches, repressives Entrechtungs- und Pauperisierungsprojekt umgesetzt und eingesetzt werden kann. Die Fidesz-Counter-Funktion im Interesse des Imperialismus und des agressivsten Sektoren des internationalen (Finanz-) Kapitals ist nur möglich mit Hilfe der Botschaft der behaupteteten Kontinuität mit den realen Kämpfen der unterene Schichten der Vergangenheit.

Schon während der Periode Antalls, also der ersten neokapitalistischen Phase Ungarns, wurde die népi-Bewegung der Zwischenkriegszeit - eine schwer mit irgendeiner anderen Bewegung eines anderen Landes zu vergleichende national-plebeische, zum Teil gar national-romantische Bewegung mit einem linken und einem rechten, antisemitischen Flügel (der Antisemitismus fand aber auch in Einzelbereiche des linken Flügels Eingang, zum Beispiel, aber nicht konstitutiv für sein Denken, bei Gyula Illyés) - für die ideologische Revitalisierung der sich bereits des Nationalismus bedienenden kapitalistischen Politik eingesetzt.

Counter-Kraft EU

Ungarn ist tatsächlich durch die EU-Diktatur bedroht, Ungarn (das in die NATO gelockt wurde, wogegen die Arbeiterpartei in der Neutralitätsbewegung Widerstand zu leisten versuchte) ist tatsächlich durch den EU-US-Imperialismus bedroht, denn man sieht jetzt schon, daß die EU-Diktatur die Massen ebenso aushungern will, mit oder ohne die Zuhilfe Orbáns, wie sie die Griechen bereits jetzt aushungert, und wenn ungarische Faschisten die EU-Fahne verbrennen, so entspricht dies einer realen und weit verbreiten Grundstimmung. Auch bei den studentischen Rebellionen Frankreichs der Achzigerjahre wurden bereits EU-Fahnen verbrannt, aber von Linken, eines der Bilder wurde damals in der Libération veröffentlicht.

Weit hat´s die EU gebracht, daß Faschisten der Bevölkerung die Wahrheit des Widerstandes gegen die EU vorsimulieren müssen.

Das schwächt den Widerstand gegen die EU wie nichts anderes.

In Skandinavien ist der Widerstand gegen die EU eine Sache der Linken; das Gefährliche an Ungarn ist nicht der dortige vorhandene Widerstand gegen die EU, sondern daß es die Rechten sind, die sich ihn unter den Nagel reißen. Die Arbeiterpartei hat sich auf eine EU-skeptische Position zurückgezogen, im Gleichklang mit den postkommunistischen moderaten Parteien Europas.

Im vorhinein würgt also die Rechte Volkswiderstand ab, den Widerstand der breiten Massen ab, oder wenn er da ist, kanalisiert sie ihn, macht aus Widerstand ein klassenneutrales Wut-Spektakel gegen die übernationale Counter-Kraft.

Wer hat uns verraten?

Das zweite Motiv neben dem der ideologischen Umfunktionalisierung von antikapitalistischen Impulsen ist die Korruptheit des „Sozialistischen“ Partei, die alles übersteigt, was „sozialistische“ Parteien in Europa, etwa in Italien, sich zuschulden kommen ließen oder lassen.

Aber das Wort „korrupt“ ist zu schwach. Linke palästinensische Gegner der PLO-Führung bezeichnen auch ständig deren Regierung als „korrupt“ – das Wort, möglicherweise auch falsch übersetzt, wird, besonders wenn es so oft wiederholt wird, fad und flach.

Die MSzP ist eher zu bezeichnen als: wesentlicher Bestandteil der Organisierten Kriminalität!

Die brutalsten kriminellen Akte – Spitzen des Eisbergs – sind im „Westen“ nie beschrieben worden, und es gibt wohl, besonders in Österreich, keine Zeitungsorgane, die einer derartigen Berichterstattung Platz bieten würden.

Gyurcsány etwa hat mit der ersten Fabrik, die er sich unter den Nagel gerissen hat – um später Millionär zu werden – O. K. auf unverblümte Weise praktiziert: Er bedrohte die Arbeiter, die neben ihm noch Aktien besaßen, mit dem Rauswurf, erpreßte sie also, kam so zum Gesamtbesitz des Unternehmens. Wer hat das dokumentiert? Magyar Nemzet – eine der stilistisch, kulturell, argumentativ hochstehendsten Zeitungen unter den rechten Zeitungen Europas. Man soll sich nicht wundern.

Wieso war das bereits O. K.? Weil eingebaut in ein Geflecht, ein System, gedeckt von einem System. Ein altes Geflecht, das der Nomenklatura, deren Positionen und Kenntnisse für die Spitzenpositionen im neuen Wirtschafts- und politischen System verwendet und umgesetzt werden konnten. Eine perfekte Deckung durch die Seilschaften des alten Systems. Die Seilschaften deckten einander auch im neuen System – das den neuen Kapitaleignern überall systematisch freie Hand ließ. Sie haben Riesenfirmen an sich gerissen, einander die besten Aufträge zugeschanzt. Es ging zu und geht zu wie in Sizilien. Wenn das nicht O. K. ist!

Banken und Mörder

Wie war es mit Bajnai? Zusammen mit Raiffeneisen International war er beteiligt an einem Raubzug, mit dem sich die Neokapitalisten einen Teil des Besitzes der ostungarischen Geflügelproduktion und deren Anlagen angeeignet haben, Lieferanten wurden- sehr kurz zusanmmengefaßt – trickreich betrogen, ihre Existenz vernichtet, eine Reihe von ihnen beging Selbstmord. Akteure, Verursacher: Raiffeisen und der spätere „sozialistische“ Ministerpräsident Bajnai, der eng in die Sache verwickelt war.

Sozialdemokraten und österreichische Banker. Ausführlichst dokumentiert in Magyar Nemzet und Lokalzeitungen.

Diese und ähnliche Sachen sind ein gefundenes Fressen für die Rechte, und die sozialistische Tageszeitung Népszabadság hatte zum Geflügel-Skandal nur rabulistische Ausflüchte bereit – wiewohl ein linker MSzP-Dissident, ein Gerechter in der Partei, sich ebenfalls für die Wahrheit in dieser Sache einsetzte.

Der maßlose Haß, die maßlose (und zusätzlich gesteuerte) Wut vieler gegen den „sozialistischen“ Teil der Organisierten Kriminalität, und auch schon gegen „die Ausländer“, ja die Österreicher - wo findet er ein Gefäß? Die Rechte stellt es zur Verfügung.

Über Jahre gab es keine brauchbaren Analysen der ungarischen Situation in Österreich, und der österreichische Journalismus und die österreichische Politik haben alle Raubzüge der ungarischen Wirtschaftspolitik mitvollzogen und gutgeheißen, respektive verschwiegen, und zu Orbán, Torgyán, den Faschisten, die ja nicht erst seit gestern in Ungarn auftreten, haben sie bis vor kurzem geschwiegen. Nun darf man sich nicht wundern, wenn es um Österreich explodiert.

Vor einigen Jahren hat die Rechte Elemente des 56-er Volksaufstandes mit einem neuen Sturm auf den Rundfunk (der 1956 realiter stattfand) simuliert, aber es waren auf der Straße viele Sektoren der Bevölkerung, und keinesfalls nur Rechte. Zum großen Teil Leute, die heute auf die Kundgebungen der Szolidaritás gehen (s. u.)

Die Rechte will die potentielle Linke für sich haben. Und daß es ihr so gut gelingt, ist nur allzu verständlich, denn wer vor dreißig, vierzig Jahren bewußt gelebt hat, dem graust es oft heute noch vor dem Wort „Sozialismus“. Er mag ein echter Sozialist gewesen sein, ihm ist es ausgetrieben worden. Das ist die derzeitige Stärke der Rechten.

Und die Rechte kann natürlich mit vollem Recht argumentieren, daß die maßlose Korruption der „Sozialisten“ auch nach dem Systemwechsel noch weitergeht.

Nützlichkeit des neuen gewerkschaftlichen und radikaldemokratischen Kampfes und Integrationsversuche

Wenn nun, und nun komme ich zum allerletzten Punkt, eine frühere Volksrebellion künstlich nachgeahmt und zitiert wird, dadurch sowohl die gegenwärtigen als auch die vergangenen Kämpfe entwertet werden; wenn die MSzP zu einer Partei der Verbrecher wird und sich die gesteuerte Volkswut sich auf dieses sozialdemokratische Brigantentum werfen kann (so wie sich die Wiener Bevölkerung eines Tages auf das Brigantentum des Wiener Rathauses werfen wird und damit den modernisierten Nazis endgültig in den Sattel helfen wird), so sind die Mittel der Manipulation des gekränkten und betrogenen Volkes damit noch nicht erschöpft.

Imperialismus, Nationalismus und Militarismus versuchen, in der Situation der letzten Monate auf eine neue Weise zu intervenieren. Es ist kein Ende der Populismen.

Wir wir wissen – und das hat Ungarn mit Italien gemein – gibt es auf parlamentarischer Parteienebene gegenüber der radikalen Rechten kein linksdemokratisch-zivilistisches Gegengewicht mehr: die MSzP ist implodiert ebenso wie die PSD/PD. Beide Schwesterparteien sind nur mehr ein Schatten ihrer selbst und wollen, ja können dem radikalen rechten Block und der EU-Auspressungsmaschinerie keinen Widerstand mehr entgegensetzen.

In beiden Ländern haben wir dahingegen das interessante Phänomen, daß die Gewerkschaftsbewegung stärker wird und die Gewerkschaften nummehr zu dem maßgebenden Ersatz-Pol eines breiten linksdemokratischen/bürgerlich linken (durchaus realen) Widerstands gegen den Abbau der sozialen Rechte durch die extreme Rechte geworden sind.

In Ungarn ist es eine Vielzahl von Gewerkschaften, die sich vermehren wie seinerzeit die Roma-Organisationen. Oft stehen Branchenforderungen am Beginn, wie im vergangenen Sommer die der Polizisten, Gefängniswärter und Feuerwehrleute, von denen viele Tausende demonstrierten, und an diese anfänglich standespolitischen Kundgebungen schließen sich immer – seit den Neunzigerjahren - große Massen von Unorganisierten und reell Betroffenenen an, „das Volk“, mit eigenen weit über das Standespolitische hinausreichenden Forderungen. So war´s auch im vergangenen Frühsommer.

Das bringt ungeheure Massen auf die Beine. Seit der Zeit des „realen Sozialismus“ weiß man aber, wie man Massen knebelt. Das Know-How ist über Generationen tradiert worden.

Wie sieht nun die Kanalisierungs-, Umbiegungsstrategie aus?

Aktive Gewerkschaften werden eingekauft, Pseudogewerkschaften werden mit schmutzigen Mitteln gepusht.

Wie geht das?

Ursprünglich flexible und mobilisierungskräftige Gewerkschaften, wie der Zusammenschluß Liga oder die aus einem genuin linken Projekt hervorgegangenen und jetzt am Ende ihres Daseins christlich gewordenen Arbeiterräte (Munkástanácsok) hat die Orbán-Regierung durch exlusive Verhandlerei auf ihre Seite gezogen, mit dem Effekt, daß dieser Dachverband/diese Gruppierung nicht mehr mit den anderen auf die Straße gehen, nicht mehr mobilisieren.

Zweite Strategie: Die bewußt und gezielt klassenindifferente (aber mit relevanten proletarischen Forderungen garnierte) Aufblähung einer sich erst vage formierenden Bewegung. Aus der Bewegung der Feuerwehrleute, Soldaten und Polizisten entwickelte sich eine neue Bewegung unter einem (wie manche meinen) charismatischen Führer, die Szolidaritás, die den Namen einer früheren linken, unter anderem mit libertären Kräften zusammenarbeitenden Gewerkschaft trägt, aber mit ihr nichts zu tun hat. Die jetzige Szolidaritás (bewußt nach der Solidarność benannt!) ist aber „weder eine linke oder eine rechte politische Richtung … , sondern eine neue Mitte …“ (2) und ihr Führer, Péter Kónya, tritt auf Kundgebungen zumeist im Kampfanzug auf. Er war mehr als ein Jahrzehnt lang als oberster, und erfolgreicher, gewerkschaftlicer Vertreter der Soldaten tätig. In der kapitalistischen Ära! Nach dem Systemwechsel!

Nun gruppieren sich, kristallisieren sich um die Populistisch-Standespolitischen, die sich als die neue Opposition gerieren, in typisch ungarischer Manier alle Unzufriedenen und Protestler und es kommt wieder zu Massenkundgebungen, die sich teilweise mit neuen internetgenerierten zivilistischen Bewegungen, die eine sehr große Bedeutung erlangt haben, überlappen.

Allen gemeinsam ist, daß sie in radikaler und zum Teil wütender Opposition zum politischen Betrüger Orbán stehen. Dieser Sammlungseffekt ist – wenn auch von einigen trüben Quellen angeleiert - zweifellos nützlich, und das scharfe Verdikt der Munkáspárt, die Soldatenbewegung des Kónya sei bloße Fremdsteuerung und die Facebookgruppen und deren Mobilisierungen seien nichts als ein Regenerierungsversuch der Sozialistischen Partei, hat einen Kern von Wahrheit. Aber nur der Kern ist wahr. Denn diese brodelnden Bewegungen selbst sind die, aus denen, gerade mit Hilfe der praktischen lebensbezogenen Forderungen der Gewerkschaften, zwingend Klassenforderungen erwachsen müssen.

Relevanz des zivilistischen Sektors im ungarischen Kontext

Und wenn man für den langandauernden Volkskrieg ist - man muß sich mit den Nuancen der demokratischen Bewegungen und Experimente auseinandersetzen!

Im ungarischen Kontext haben die dortigen Grünen (LMP; Lehet Más Politika, „Eine andere Politik ist möglich“) durchaus, als einzige aktive oppositionelle Parlamentspartei (denn die MsZP ist völlig gelähmt), eine wichtige Funktion – auch wenn viele von ihr wieder abspringen, in der jetzigen Situation haben die linksbürgerlichen Gruppierungen (wie sie die Munkáspárt kennzeichnet) eine wichtige Funktion: im Kampf für die Pressefreiheit, gegen die neue autoritäre Verfassung, für eine neue Republik, gegen den Abbau der Rechte der Lohnabhängigen – Letzetees ist auch ein Thema Kónyas.

Wer die zivilistische Vielfalt – den renovierten Pfeiler der Zivilgesellschaft, die selbst ein tragendes Element der kapitalistischen Herrschaft ist - unterbewertet, ist ein Tagträumer. Wer die vorübergehende Nützlichkeit dieser aufbegehrenden und fluktuierenden Phänomene leugnet, ist realitätsfremd. Denn vielen von ihnen ist gemein ein staatsskeptisches, ein staatsfeindliches Element, ein machtskeptisches, oft ein kapitalskeptisches Element. Dort wird experimentiert, was für einen großen antikapitalistischen Block wertvoll sein könnte. Ich nenne nur den Kampf für die Pressefreiheit, der in Ungarn seit 1848 in allen politischen Kämpfen eine außergewöhnlich zentrale Bedeutung gehabt hat.

Es will zwar letztendiglich mit den neuen internetgenerierten Gruppierungen (über die aber in Népszabadság und besonders Népszava regelmäßig berichtet wird) einen neue, zivilere Bourgeoisie an die Macht, aber einen Großteil der Themen hat sie derzeit mit dem Proletariat gemein. Denn von der neuen Autokratie sind sowohl aufgeklärte/prekarisierte Bürger, Kleinbürger, Studenten wie verelendende Proleten betroffen, vom Abbau der sozialen und Arbeitsrechte sind alle Lohnabhängigen oder Marginalisierten betroffen.

Eine knallharte Klassenpolitik muß gleichzeitig bei den Massen sein, mit den Massen lernen und notfalls mit den Massen irren, sich aber manchmal auch von den Massen separieren. Das ist eine Frage des Zeitpunkts.

Gewerkschaften; Bewegungen für soziale und politische Rechte; und Arbeiterpartei: drei sehr heterogene Elemente, die aber kon-konstitutiv sind für ein Phänomen einer Bewegung des breiten Unwillens/des breiten Widerstands gegen eine gefährliche Sonderform von Knast-Gesellschaft, Revanchismus und Rassenhaß.

Ein großer Teil der neuen Bewegungen ähnelt denen in Spanien, sie realisieren radikale Öffentlichkeit, radikale Demokratie (ohne die es keinen Sozialismus gibt), sie erkämpfen gegen die ständigen Verbote ein permanentes Versammlungsrecht - wie in Athen (3).

Projektbezogene Massenbewegungen

Hier habe ich nur die großen Akteure der Opposition gegen den Orbánismus angesprochen, es gibt aber von Zeit zu Zeit im Land Massenmobilisierungen gegen spezielle Projekte ähnlich wie in Italien (Vicenza, Val di Susa). So fand vor Jahren eine breite Mobilisierung in Pécs statt, die sich gegen die Errichtung einer NATO-Aufklärungsstation in unmittelbarer Nähe der Altstadt gewandt hat, und es gibt nach wie vor vertikale und, um den modischen Terminus nochmals zu gebrauchen, grassroot-Bewegungen, wie etwa ein radikal vertikales studentisches Protestprojekt, das sich mit dem Ziel, sich öffentliche Räume anzueignen, selbst zu schaffen, auch und gerade öffentliche Räume in den Universitäten, knallhart gegen die Bevormundungspolitik der dortigen verhaßten und abgehobenen studentischen Standesorganisation, der HÖOK wendet (4).

Und wer hat sich hier die Mühe gemacht, die Bewegung in Pécs zu vermitteln? Man darf sich nicht wundern, daß man wie der Ochs vorm Tor steht und die politischen Prozesse in Ungarn – die nun einmal ein wenig anders sind als die in anderen Ländern (wenn man von der Korruptheit der Sozialdemokraten absieht) - nichts versteht. Und wo sollte man das publizieren? Selbst die Linke hier besteht von hinten bis vorn nur aus Zensur und ist nur fähig, Bewegungen wahrzunehmen und zu propagieren, die ihren eigenen gleichen.

Zum Abschluß

Warum machte ich auf die Rhetorisierung und Ideologisierung aufmerksam? Weil eines Tages völlig freie Reden des Widerstandes entstehen werden und man das kalte, manipulierte Pseudo-Widerstands-Wortmaterial von Orbán und Genossen fein unterscheiden wird müssen von der feurig-rationalen Sprache des Aufstandes.

So wie das heuchlerische Europa sich heute auf Ungarn einschießt, so wird es dann erst richtig auf das ungarische Volk losschießen. Ja sie schießen präventiv heute schon gegen ein künftiges genuines Aufstands-Ungarn. Daß es heute bereits eines wäre, das wollen Orbán und Konsorten den unteren Volksschichten weismachen.

Warum machte ich auf die Sozialdemokratien aufmerksam? Weil wir einen Sozialismus aufbauen müssen gegen die Sozialdemokratien. Oder zusammen mit Teilen, die sich von der Sozialdemokratie abgesprengt haben (5)

Warum machte ich auf die Vielfalt von heterogenen und zum Teil (noch) vagen Bewegungen aufmerksam? Weil Links-Sein heißt: Das Kleine und Widersprüchliche unter die Lupe zu nehmen. Praktisch zu sein und zusammeln. Und daneben auch die historische Tiefendimension nicht zu vernachlässigen.

Ungarn verstehen heißt: Im eigenen Land für die Rechte der Ungarn und Ungarinnen mitkämpfen.

(1) AuO: Antisemitische Hetze im Café Zuckergoscherl!, Indymedia Austria, 3. 10. 2007
http://at2.indymedia.org/newswire/display/56098/index.html

(2) Christian-Zsolt Varga, Marco Schicker: Ungarischer Frühling? … Interview mit dem Chef der Szolidaritás-Bewegung, Péter Kónya, Pester Lloyd, 18. 1. 2012

(3) AuO: Der Bürgermeister von Athen: Weg mit den Zelten und Hütten am Syntagma-Platz! Indymedia Austria, 21. 7. 2011, http://at.indymedia.org/node/21001

(4) Die hiesige ÖH-gesteuerte Pseudoprotestbewegung nach dem Zerfall der Audimax-Besetzung hat es zu verhindern gewußt, daß etwas wie die Politik einer solchen vertikalen Bewegung hier im Rahmen des internationalen Treffens am Campus bekannt gemacht wurde, stattdessem luden sie aus Ungarn einen ihrer flachen Freunde ein, der über die antiautoritäre studentische Protestbewegung nichts zu berichten wußte und nur ein paar Anmerkungen in typisch schleimig-kleinbürgerlicher Melancholie von sich gab.

Eben erfahre ich, daß die grün- und sozialdemokratisch gefärbte Wiener ÖH, dieses sich links nennende Parteienscheusal, den Betriebskindergarten am Campus abschaffen will.

(5) Wie etwa der ungarischen MEBAL, die eine der klarsten, transparentesten und informativsten Websites von allen Bewegungen eingerichtet hat