EURO-Krise Fortsetzung: Spanien

02.05.2012
Von A.F.Reiterer
Die spanische Staatsverschuldung belief sich Ende 2011 auf 69,6 %. Österreich wies zum selben Zeitpunkt 71,8 % auf, und die BRD den deutlich höheren Wert von 81,7 %. Aber Spanien steckt mitten in einer schweren Schuldenkrise, und die Spekulanten gehen bereits vom Quasi-Konkurs aus. Österreich dagegen gilt als gesundes Land, und die BRD ist überhaupt das Muster für ganz Europa.

Die spanische Staatsverschuldung belief sich Ende 2011 auf 69,6 %. Österreich wies zum selben Zeitpunkt 71,8 % auf, und die BRD den deutlich höheren Wert von 81,7 %. Aber Spanien steckt mitten in einer schweren Schuldenkrise, und die Spekulanten gehen bereits vom Quasi-Konkurs aus. Österreich dagegen gilt als gesundes Land, und die BRD ist überhaupt das Muster für ganz Europa.

Es könnte kaum deutlicher werden als durch einen solchen Vergleich, dass die „Staatsschuldenkrise“ keineswegs eine Krise öffentlicher Schuld ist. Mittlerweile wissen fast alle: Dies ist eine Euro-Krise, eine Krise des Imperiums. Wie der gesamte Oliven-Gürtel ist auch Spanien gegenüber dem doppelt so produktiven Deutschland in einem gemeinsamen Währungsraum schlichtweg verloren. Die Kosten betragen derzeit eine Arbeitslosigkeit von einem Viertel der Erwerbspersonen, und sie werden noch steigen. Die Eliten, ob Wirtschaft, Sozialdemokraten oder Volkspartei, sind damit nicht unzufrieden. Die EU, vor allem Deutschland und seine Brüsseler Kommission, haben kurzfristig Schwierigkeiten damit. Sie hoffen aber, die Krise so wie bisher in ihrem Sinn nützen zu können.

Jedes Land hat seine Spezialität, und die Euro-Krise nimmt unterschiedliche Formen an. In Spanien spielte die Immobilienblase eine gewichtige Rolle. Lassen wir für den Moment die Ursachen beiseite. Was sich jetzt abzeichnet, ist zweierlei. Ein erheblicher Teil der spanischen Banken ist vom Platzen dieser Blase gefährdet. Denn, wie die NZZ (23. April 2012) in unübertrefflichem Zynismus schreibt: „Die Sozialisierung der Verluste der geplatzten Immobilienblase erfolgt erst allmählich.“ Die Immobilienblase entstand nicht zuletzt durch den Zufluss „nicht absorbierbarer“ EU-Fördermittel, d. h. aus den Mechanismen der Geldvergabe durch die Brüsseler Kommission, die ausschließlich auf gewisse formale Vorgaben und nicht auf ökonomisch-politische Sinnhaftigkeit abstellt. Aber eine Bedingung ist dabei immer auch die „Kofinanzierung“, die Übernahme der Hälfte durch den Nationalstaat. Dies war einer der Gründe für die Defizit-Wirtschaft Spaniens und nicht zuletzt seiner Regionen. Aus der Immobilienblase wird mit aktiver Beihilfe von EZB und EU eine tiefgehende Wirtschaftskrise und eine Staatsschuldenkrise gemacht. Die EZB bietet jetzt auch die Möglichkeit für einen kleinen Extra-Profit: Sie gab den Banken viele Dutzende Milliarden nahezu zum Null-Zinssatz. Die verwenden es, um damit jene spanischen Staatsanleihen zu ziemlich hohen Zinssätzen zu kaufen, welche internationale Spekulanten auf Grund der katastrophalen Entwicklung nicht mehr wollen. Der „Mehrwert“ soll im Zugriff des Zentrums zuerst auf die Peripherie und dann auf die eigenen Bevölkerungen bestehen.

Ein kurzer Einschub! Ist es denn für die Deutschen, auch die Arbeitenden, nicht günstig, wenn das Land hohe Außenhandels-Überschüsse hat? Aber wie kommen die zustande, und wie wirken sie? Wegen der Währungsunion kann ja keine Aufwertung mehr stattfinden. Die Gewinne in der Exportwirtschaft steigen, weil der Produktivitätszuwachs nicht an die Arbeitenden weiter gegeben wird. Dies ist der erste Verlust für die arbeitende Bevölkerung. Ein kleiner Teil des Zusatzgewinns wird genutzt, die Außenhandelspreise etwas zu senken; damit schlägt man die Konkurrenz aus dem Feld. Weil aber keine Aufwertung stattfindet, sind die Importpreise deutlich höher, als sie sein müssten. Bei den „Schiller-Wahlen“ 1969 hat die SPD am Walserberg Flugblätter verteilen lassen: Wenn wir die Wahlen gewinnen, bekommen Sie für Ihre Mark in Österreich und Italien um so und soviel mehr. Sie hat die Wahlen gewonnen. Aber das ist natürlich nicht nur eine Angelegenheit des Urlaubs im Ausland, es gilt ganz allgemein. Das ist der zweite Verlust für die Arbeitenden. Die hohen Gewinne im Außenhandel machen die BRD in der Tendenz zu einem Rentnerstaat, für die Oberschichten natürlich. Dies lässt nochmals die Preise steigen: der dritte Verlust für die Arbeitenden. Für einen kurzfristigen kleinen Vorteil zahlen die Menschen längerfristig also ziemlich deutlich.

Zurück nach oder zu Spanien.

Standard & Poor’s, die Rating-Agentur, hat am 26. April die Kreditwürdigkeit Spaniens herab gestuft. In der Begründung ist das Banken-Sprachrohr diesmal weniger nüchtern und konzise als auch schon. Zuerst freut sie sich über das Klassenkampf-Programm der Regierung, über die Lohnkürzung und die neuerlichen Entlassungen („Flexibilisierung“). Und schon im nächsten Satz murmelt sie ganz widersprüchlich vom Crash-Programm und der Schrumpfung des BIP; zuerst spricht sie vom Erfolg des spanischen Außenhandels – dann weist sie auf die Probleme des Exports und die Zahlungsbilanz hin; zuerst erwartet sie ein “neues Gleichgewicht“ (rebalancing) –dann stuft sie das Land um zwei Stufen zurück.

Dabei hat die Regierung noch die Begebung neuer Anleihen als Erfolg gefeiert: Sie hat die geplante Summe untergebracht, und zwar zu nicht so schlechten Bedingungen. Was ist davon zu halten?

Die EZB umgeht auf diskrete Weise ihre Regeln, und zwar in doppelter Weise. Target2 ist gedacht als ein Clearing-System; das wird von der spanischen Regierung und den Banken missbraucht und als Kredit-Mechanismus benutzt. Bereits eine Viertel Billion betragen die spanischen Verbindlichkeiten dort. Zum anderen hat die EZB ihr „sehr langfristiges“ Kredit-Programm LTRO (man beachte, dass „sehr langfristig“ hier drei Jahre heißt) in den Dienst des bail out gestellt. Der „Erfolg“ der letzten spanischen Kredit-Aufnahme führt sich nicht zuletzt darauf zurück, siehe oben. Und im Hintergrund steht weiter der sogenannte „Schutzschirm“, in letzter Zeit häufig: die „Brandmauer“. Eine halbe Billion ist offenbar für diesen Fall eingeplant. Werner Faymann möchte noch mehr Geld an die Banken verschenken und drängt auf eine Erhöhung des Betrags.

Dazu wäre viel und doch auch wieder wenig zu sagen. Es sind zwei Ziele, die im Vordergrund stehen. Die EU-Eliten haben sich derart mit dem Euro identifiziert, dass man ihn halten will, koste es was es wolle: Das ist die eine Sache. Darüber wird im Zentrum entschieden, nicht in Griechenland oder Spanien. Das ist die europäische Version des maoistischen Prinzips: „Die Politik an die erste Stelle setzten.“

Weiters geht es um die Banken. Hier stecken die finanziellen Interessen. Dabei geht es nur insofern um die Banken der Peripherie, als deren Zusammenbruch das erste Ziel gefährden könnte. Außerdem sind die Summen nicht so überwältigend, wenn man sie mit dem bisher eingesetzten Geld vergleicht. 28,2 Mrd. € machen angeblich die Verluste der größten vier griechischen Banken bisher aus. Aber es geht um die BNP, die Deutsche Bank, Commerzbank, RBS, KNG, etc., und um deren Aktionäre.

Und die Bevölkerungen?

Wir werden in wenigen Tagen sehen, wie sehr sie sich in Griechenland haben einschüchtern und verwirren lassen. Zu Spanien ist zu sagen, dass die Regierung bisher kaum etwas zu fürchten hatte. In Portugal steht es nicht anders, und in Italien braucht es noch Zeit: Dort scheint am ehesten das bisherige Parteiensystem auseinander zu fallen.

Als vor fast vier Jahrzehnten die Sowjetunion immer mehr in die Systemkrise rutschte, gab es in der westlichen Linken, und vor allem im bestorganisierten Teil, den Kommunistischen Parteien, zwei Reaktionen. Die erste lautete: Jetzt erst recht, und zwar ohne Analyse oder fundamentale Reflektion. Das war die Tendenz in Frankreich und in Portugal. In Italien und Spanien aber entstand der „Euro-Kommunismus“, wahrhaft ein €-Kommunismus. Es war ein Programm gezielter und konsequenter Sozialdemokratisierung. Der exponierteste Sprecher war Giorgio Napolitano: Man hat ihn belohnt, er ist heute Staatspräsident und steht sozioökonomisch rechts von Berlusconi. In Spanien war es die Gruppe des Santiago Carillo, die dies betrieb und damit frühzeitig den PCE sprengte.

Und eine dritte Alternative gibt es nicht?

Die Bevölkerung traut der Linken nicht. Nach der erstickenden Hegemonie neoliberaler Öffentlichkeit in den letzten zwei Jahrzehnten kann dies wenig verwundern. Aber das ist nicht der einzige Grund. Die klassische Arbeiterbewegung – Sozialdemokratie und kommunistische Linke – war eine Intellektuellen-Tendenz. Sie hat die Arbeiter-Gefolgschaft benutzt, um ihre Politik durchzusetzen. Das brachte viele Erfolge; aber schließlich führte es zur Gegenwarts-Struktur, zur Transformation der Demokratie in die Bürokratie und des Wohlstandsstaats in den globalen Finanzkapitalismus. Die Unterschichten wenden sich daher heute plebeischen Tendenzen zu. Und die stehen rechts. Man sollte also achtgeben. Die Wähler der Marine Le Pen geben ihre Stimme zwar einer rechtsextremen Partei; aber ein wesentlicher Teil dieser Wähler steht nicht rechts. Sie sind gegen das System und wählen die, welche das für ihren Geschmack am deutlichsten macht.

Wenn Spanien in einen griechischen Prozess schlittert, und alles deutet darauf hin, dann kann die EU das Land kurzfristig, wie Griechenland, heraus kaufen und ihre Politik der Peripherisierung fortsetzen. Dann aber stellen sich zwei Fragen: Wird die Bevölkerung dies auf Dauer hinnehmen?

Und die nächste Frage ist: Gleich zwei weitere Kandidaten für einen ähnlichen Prozess stehen an: Frankreich und Italien. Hier wird das Geld auch für die kurzfristigen Freikäufe nicht mehr ausreichen. Dann stellt sich tatsächlich die Systemfrage in der EU. Die heißt aber nicht Sozialismus oder was Ähnliches. Die nüchterne Wirklichkeit erlaubt dieses Pathos nicht mehr. Die wird schlicht heißen: Endgültiges Ende der bisherigen höchst unvollkommenen Demokratie oder Renationalisierung.

2. Mai 2012