Die Oligarchie kann nicht mit dem Stimmzettel besiegt werden

26.06.2012
Der Kampf um die Macht des Volkes geht über die Straße
Von Wilhelm Langthaler
Alle jene, die auf der Seite der Subalternen stehen, hatten (berechtigterweise) auf einen Wahlsieg von Syriza gehofft. Tatsächlich ist das ausgezeichnete Ergebnis für das „Bündnis der radikalen Linken“ ein starkes Signal sowohl an die Eliten als auch an die europäische Bevölkerung. Doch zeigt es gleichzeitig auch die Grenzen.

1) Wer A sagt will B keinesfalls sagen

Die Wahlergebnisse kann man in gewisser Weise als Pattsituation interpretieren. Auf der einen Seite steht die Mehrheit der Bevölkerung entschieden gegen das von der Troika diktierte Hungerprogramm. Auf der anderen Seite wollen sie keinen radikalen Bruch mit der Herrschaft der Oligarchie. Sie sind sich der Konsequenzen der Ablehnung des Austeritätsprogramm nicht bewusst oder sie scheuen davor zurück. Ausdruck dessen ist der mehrheitliche Wunsch nach dem Verbleib in der Eurozone, den auch Syriza proklamiert hat. Das ganze Programm von Syriza ist von diesem Widerspruch durchdrungen.

2) Euro-EU versus nationale Volkssouveränität

Kern von Syrizas Konzept ist das „soziale Europa“, wie es von einem guten Teil der europäischen Linken vertreten wurde – nicht umsonst stellen die Eurokommunisten das Rückgrad von Syriza. Das soziale Europa bedeutet nichts anderes als den Ordnungsrahmen der Oligarchie zu akzeptieren, die sich die EU und den Euro zu ihrer Stärkung geschaffen haben. Alles läuft darauf hinaus, den Institutionen, die dazu dienen die Eliten vor den Interessen der Volksmassen zu schützen, eine soziale Politik aufzwingen zu wollen. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass es im Rahmen der EU ungleich hindernisreicher ist, Umverteilung nach unten durchzusetzen, als auf der Ebene der Nationalstaaten. Zwar herrscht national die gleiche Oligarchie, aber es ist leichter die breite Masse zu mobilisieren und die Institutionen sind nicht in gleicher Weise gepanzert. Das Einfordern der nationalen Souveränität geht Schritt für Schritt einher mit dem Kampf für die Volkssouveränität, die formal zumindest in den Nationalstaaten noch verankert ist, in der EU aber ausgemerzt wurde.

Anders gesagt: soll das griechische Volk warten, bis der Rest Europas nachzieht? Ein solches Rezept wäre der Weg in die sichere politische Niederlage. Die Unterschiede zwischen den Nationen sind einfach zu groß.

3) Angst vor dem eigenen Sieg

Hätte nun doch Syriza den ersten Platz erobert, so wären die Eliten schwer erschüttert worden. Es wäre vermutlich nur mehr mit einer offenen Verletzung der formalen Demokratie möglich gewesen, eine der Oligarchie dienstbare Regierung zu etablieren. Wir wagen zu behaupten, dass die EU-Eliten für diesen Fall keinen politischen Plan gehabt hätten. Mit einem so offenen Nein zu ihrer Politik waren sie noch nie konfrontiert.

Strafmaßnahmen hätten sie auf jeden Fall gesetzt. Austritt aus der Eurozone? Vielleicht. Doch hätten sie gleichzeitig auch das Land und seine Banken in den Bankrott geschickt, der ihnen selbst hunderte Milliarden Euro an Abschreibungen kosten würde? Schwer vorstellbar.

Syriza wäre indes für ein solches Szenario genauso wenig, wenn nicht noch weniger vorbereitet gewesen. Unter dem Damoklesschwert des Staatsbankrotts ist es durchaus möglich, dass sie zurückgerudert wären und einen (selbst ungünstigen) Kompromiss eingegangen wären, zumal auch die Herrschenden dringend daran interessiert gewesen sein mussten, einen Brandherd nicht zum Lauffeuer zu machen.

Ein tatsächliches Ausscheiden aus dem Euro und ein gleichzeitiger Staats- und Bankenbankrott wäre Syriza angelastet worden. Ihre Idee vom Ende der Austerität im Rahmen der EU-Elitenherrschaft wäre sehr früh an der der Realität zerschellt, denn sie haben dieses Szenario gegenüber ihrer Basis einfach ausgeblendet. Unter den gnadenlosen (propagandistischen) Peitschenhieben der kapitalistischen Oligarchie wäre Syriza wohl zerfallen. Ein Teil wäre zurück unter die Fittiche der Pro-Elitenfront gekrochen, die das europäische Zentrum im Rücken hat und sich um Nea Dimokratia gruppiert. Ein anderer Teil hätte sich wohl gegen Euro und EU radikalisiert.

In der gegenwärtigen Oppositionsrolle kann Syriza indes den inneren Widerspruch in ihrer politischen Position länger ungestraft aufrecht erhalten. Doch die Klärung und Auflösung ist unvermeidlich und die dargestellte Polarisierung wird sich ebenso einstellen – nur etwas langsamer und weniger schmerzhaft.

4) Bruch mittels Wahlen nicht möglich

Selbst wenn Syriza eine Regierung bilden hätte können, heißt das noch lang nicht die Macht in der Gesellschaft zu übernehmen. Die Oligarchie ist mit tausend Fäden an die Macht gebunden und werden sie gekappt, dann reagiert sie mit Sabotage und Gewalt. Das hat sich im Verlauf der Geschichte an den unterschiedlichsten Orten schon vielfach gezeigt.

Um den Bruch und die Entmachtung der Oligarchie durchzukämpfen, um radikale Maßnahmen im Interesse der Mehrheit1 durchsetzen zu können, bedarf es der breiten und tiefen Mobilisierung der Volksmassen. Sie müssen diese Schritte durchsetzen und verteidigen. Dabei sind Zusammenstöße mit den Handlangern der Eliten, dem Staatsapparat und aufziehenden faschistischen Kräften zu erwarten. Letztlich gilt es die große Mehrheit auf die Seite der Revolution zu ziehen und die Reste des alten Regimes niederzuringen. (Wie hartnäckig sich diese halten können, sieht man in Ägypten.)

Von einem solchen Programm ist Syriza weit entfernt. Als ganzes wird sich die Formation auch nicht in diese Richtung entwickeln können, aber Teile durchaus, die neue Bündnisse eingehen werden können.

5) Krise vertieft sich weiter

Mit der Regierungsbildung durch ND ist für die Eliten nur die unmittelbare Gefahr des Verlusts der Exekutive abgewendet, aber sonst nichts weiter gewonnen. Die neue Regierung hat weder Programm noch Kraft etwas anderes zu tun, als Handlanger der Troika zu sein und damit das Land immer tiefer in den Abgrund zu führen. Fünf Jahre Austerität und Rezession haben die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Die Banken und der Staat gingen innerhalb kurzer Zeit Bankrott, wenn sie nicht von EU-Institutionen solvent gehalten würden.

Es besteht indes auch keine Hoffnung auf Verbesserung im Rahmen der gegenwärtigen Herrschaftsordnung. Die staatlichen Schulden sind durch die Austeritätspolitik bewirkte Kontraktion zu hoch, um abgebaut werden zu können. Die Gläubiger fordern jedoch die Fortsetzung der staatlichen Ausgabenkürzungen. Die Abwärtsspirale kann sich also nur fortsetzen. Damit wird auch der Widerstand von unten sich weiterentwickeln und radikalisieren. Die ND-Regierung steht auf äußerst schwachen Füßen und die staatlichen Institutionen pfeifen aus dem letzten Loch. Die politische Implosion ist bereits passiert, eine institutionelle kann noch kommen.

Es ist durchaus möglich, dass die griechischen Eliten sich wieder einer autoritären Lösung, wie sie sie in der Geschichte schon benutzt haben, zuwenden. Die europäische Oligarchie kann das derzeit (noch) nicht offen unterstützen, aber mit der Vertiefung der Krise auf europäischer Ebene, die auch zum Zerfall von Euro und EU führen kann, werden sich alte Sicherheiten zunehmend auflösen.

25. Juni 2012