Italien: Die populistische Chance

14.05.2018
Kann die Auflehnung gegen die EU-Regeln funktionieren?
von Wilhelm Langthaler
Bisher gab es zwei ernsthafte Versuche der Unter- und Mittelschichten sich gegen die vom neoliberalen Regime der EU diktierte Verarmung aufzulehnen. Namentlich in Griechenland sowie in England. Doch beide sind kläglich gescheitert. Die in Bildung befindliche neue italienische Regierung verspricht einen neuerlichen Versuch, sich gegen den Fiskalpakt und Co zu wehren. Was dürfen wir erwarten?
Spengt Italien die EUro-Regeln?

In Griechenland hat sich die Linksregierung zum Exekutor der EU-Schuldknechtschaft gemacht, gegen das Mandat des Volkes, das im Referendum mit 2/3 für die Auflehnung stimmte. In Britannien dachten die Tories Demokratie spielen und den Unmut der Arbeiterschaft auf ihre Mühlen lenken zu können. Sie hatten niemals damit gerechnet, dass die Mehrheit für den Austritt stimmen würde. Doch so sehr das Ergebnis den Eliten einen Schock versetzte, so wenig verloren sie die Kontrolle. Nichts mit „take back control“ für die Mehrheit. Sondern ein Austritt unter neoliberalen Vorzeichen.

Die italienischen Eliten hatten sich schon darüber gefreut, dass die Gefahr einer Regierung der Populisten abgewendet werden konnte – letztere schienen an ihren eigenen Schrullen gescheitert. Der Präsident bereitete bereits eine Übergangsregierung von sogenannten Technokraten vor, die ein Budget nach den Vorgaben der EU erstellen sollten. Neuwahlen wollte er erst nach Erledigung der Drecksarbeit durchführen lassen.

Diese Präsidentenregierung (wie sie sich nennt) käme einem kalten Putsch gegen die Verfassung gleich. Bereits 2011 war ein ähnliches Verfahren gewählt worden, um gegen den renitenten Berlusconi vorzugehen und stattdessen den neoliberalen Banker Monti zu inthronisieren.

In letzter Sekunde haben sowohl die Fünf-Sterne (5S) als auch die Lega doch die Hürden gesenkt – zu groß war der Druck der Wählerschaft, die das Scheitern nicht verstanden hätte.

Die Rechtskoalition von Forza Italia und Lega hatte darauf bestanden, sich nicht teilen zu lassen und damit die Führung inne zu haben. Doch für die 5S ist das konsequenterweise inakzeptabel, weil Berlusconi das oligarchische Regime der alten Eliten repräsentiert.

Seinerseits musste Luigi Di Maio, der Chef der 5S, seinen Anspruch auf den Posten des Präsidenten des Ministerrats aufgeben.

Die große Frage ist nun, wer Premier wird. Bisher konnte keine Einigung erzielt werden und das könnte zum Stolperstein werden. In einem gewissen Sinn mag diese Personalie auch der alten Elite als Einfallstor dienen. Staatspräsident Mattarella, der Garant der EU-Oligarchie, hat mehrfach sein angebliches Recht angemeldet, dazu das letzte Wort zu haben.

Die zweite entscheidende Frage ist jene nach dem Budget und der sozioökonomischen Politik. Salvini, Lega-Chef, hat klargemacht, dass er die „EU-Verträge neu verhandeln will, denn sonst erstickt Italien“. Beide Seiten wollen mit den EU-Defizitregeln sprengen und einen keynesianischen Nachfrageimpuls setzen.

Wie werden die EU-Eliten darauf reagieren? Das wird wesentlich davon abhängen, ob sie die Regierung als einkaufbar oder als feindlich betrachtet. Man hat in den letzten Jahren gesehen, dass die EU, um ihre eigenen Regime zu sichern, bei Renzi, Rajoy und selbst bei der von der Linken unterstützten portugiesischen Minderheitsregierung ein Auge zugedrückt hat.

Aber, wenn Di Maio und Salvini wirklich hart bleiben, dann wird es wieder zum „Terror des Spreads“ kommen. „Die Märkte verlangen…“ wird es heißen. Die EU-Eliten wollen ihre antisozialen Entscheidungen als Sachzwang camouflieren.

Was könnte die populistische Regierung dem entgegensetzen? Nur die Mobilisierung eben dieses Volkes. Sind sie dazu willens und/oder fähig?

Bisher haben die Grillini immer davor zurückgeschreckt, zudem haben sie ja nicht einmal einen Parteiapparat, sondern lediglich eine Internet-Blase. Die Lega wiederum kann durchaus mobilisieren, aber zu den klassischen rechten chauvinistischen Themen. Soziale Fragen sind nicht ihr Terrain.

Zudem darf man nicht vergessen, dass die Lega im industriellen Norden in Koalition mit Berlusconis Forza Italia de facto die Macht innehat. Sie macht dort den Spagat zwischen einem Teil des kleinen Unternehmertums und der zersplitterten Arbeiterschaft.

Aber: Eventuell gefällt es Salvini die ganz große Partie zu spielen. Zudem, seine Elitenkientel will abwerten können. Sie spüren am eigenen Leib die Katastrophe des Euro für das industrielle Modell des Nordens. Salvini bekäme die einmalige Chance in einer alten rechten Konzeption die Arbeiterschaft mit einem Teil der kapitalistenklasse zusammenzuschweißen.

Flax tax für seine Leute. Grundeinkommen von 780 Euro ohne zeitliche Begrenzung für die Fünf-Sterne und den Süden. Das muss die Lega akzeptieren, denn schließlich sind die 5S der nominal stärkere Partner. Aufhebung des neoliberalen Arbeitsgesetzes Fornero, Mindestlohn, Gratis-Kindergrippen. Zudem will Salvini im Süden sowieso Fuß fassen, was für eine Partei, die vor einem Jahrzehnt noch für die Abspaltung des Nordens war, sicher einige Anstrengungen und Zugeständnisse erfordert. Da ist auch die Tradition der „sozialen Rechten“. Und gemeinsam wollen sie den Spielraum gegenüber der EU erhöhen und kokettieren mit der Idee der Währungssouveränität.

Aber: nix is fix. Weder ist zu diesem Zeitpunkt die Regierungsbildung abgeschlossen, noch der Konfrontationskurs mit der EU besiegelt. Es kann auch sein, dass sie klein beigeben oder sich in die Knie zwingen lassen, sich innerhalb kurzer Zeit verbrauchen und die Eliten bei Neuwahlen über ihren Medienapparat eine neue Blase à la Macron oder Kurz steigen lassen können.

Ganz entscheidend wird die Frage der Migration. Insbesondere die Lega führt seit Jahren eine chauvinistische Kampagne insbesondere gegen Muslime. Werden sie „die Sau rauslassen“ und den Mob mit medienwirksamen Aktionen wie Deportationen und polizeistaatlichen Maßnahmen bedienen? Das würde jedenfalls isolierend wirken. Oder aber spielen sie die Frage auch gegen die EU, die eigentlich versprochen hat, die Flüchtlinge aufzuteilen, was sie aber nicht kann?

Umgekehrt muss sich die Linke fragen, was sie in den Vordergrund stellen will: die Vorwürfe des Rassismus, Faschismus, Populismus, etc. und damit mit den Elitenwölfen zu heulen? Oder die Bereitschaft zu signalisieren, in der sozialen Frage gegen die Eliten Unterstützung zu gewähren.

Falls diese Regierung auch nur einen Teil ihrer Versprechungen ernsthaft durchzusetzen versucht, wird sie gegen die zu erwartende heftige Obstruktion der Eliten geführt von der EU die Unterstützung von unten und damit auch von Teilen der Linken brauchen. Ist sie intelligent, will sie den Kampf wirklich gewinnen, wird auch die Lega versuchen ein nicht all zu weit rechts situiertes Profil einzunehmen.

Jedenfalls besteht die Chance darauf, der neoliberalen Oligarchie einen schweren Schlag zu versetzen. Denn wenn einmal eine Breche geschlagen ist, dann ist das extremistische wirtschaftsliberale Korsett insbesondere des Euros nicht mehr zu halten.

Verweise