Kurz‘ Parallelgesellschaft

11.06.2018
Die antimuslimische Mobilisierung der Regierung ist eine Gefahr für die Demokratie und das friedliche Miteinander
von Wilhelm Langthaler
Kurz inszeniert sich als Kämpfer gegen den „politischen Islam“. Dieser schaffe eine „Parallelgesellschaft“ und stehe für „Radikalisierung“ – und beides bedrohe Österreich akut. Dabei erhält er Applaus von einer umfassenden parlamentarischen Querfront sowie einem gleichgeschalteten Medienapparat. Keiner will sehen, dass es sich in Wirklichkeit um eine Aufwiegelung gegen Muslime handelt, die zum feindlichen Anderen gemacht werden – regierungsoffiziell! Die Kampagne ist strukturverwandt mit dem historischen Antisemitismus, dessen politische Hauptträger die Vorgänger der heutigen Regierungskoalition waren.
Antiislamische Schmiererei Wiener Innenstadt

Diese massive Förderung der Feindbildproduktion durch die Eliten führt zu einem Generalverdacht gegen Muslime, ermutigt Diskriminierung und selbst Lynchjustiz (wie beim Burkaverbot vorgekommen) –sie schließt Muslime aus und drängt sie in Kurz‘ Parallelgesellschaft. Hinzu kommt die von der Regierung betriebene soziale Spaltung, die Bereicherung der Reichen und Verarmung der Armen, wiederum legitimiert durch einen Sozial- und Kulturdarwinismus, der ans 19. Jahrhundert gemahnt.

Was ist nun so gefährlich am politischen Islam?

Zunächst sei gesagt, dass die ÖVP die historische Partei des politischen Katholizismus ist, die über ein Jahrhundert die Religion für politische Zwecke genutzt hat. (Heute ist das schwieriger geworden, darum versucht Kurz den christlich-sozialen Ballast abzuwerfen, insbesondere die Nächstenliebe, die caritas, ist ihm ein Dorn im Auge.) Der alte christliche Kulturkonservatismus ähnelt übrigens jenem konservativer Muslime frappant. Warum aber ist das eine gut und das andere böse?

Der politische Islam wird vor allem deswegen angefeindet, weil er Reaktion auf den westlichen Kolonialismus und Imperialismus ist. Gleichzeitig kann sein Aufstieg zum Massenphänomen in den letzten Jahrzehnte auch als Folge des Scheitern der verwestlichen Eliten verstanden werden, die oft wütend vom Westen als zu weit links bekämpft worden waren. Erst nach dem Ende der Sowjetunion, wo sie sich von Entwicklungsdiktaturen zu neoliberalen Unterentwicklungsdiktaturen wandelten, wurden sie gut – wie Mubarak & Co. Die islamischen Bewegungen richtet sich oft gegen diese nun prowestlichen Regime, auch wenn sie selbst sozioökonomisch keine Alternative zum Neoliberalismus bieten.

Das westliche Narrativ setzt politischen Islam automatisch mit Terrorismus gleich. Das hält keiner seriösen Prüfung stand. Terror gegen Zivilisten im Westen wird nur durch einige extremistische Gruppen durchgeführt, die ganz am Rand stehen. Zudem ist deren Radikalisierung durch den offensichtlichen Ausschluss wie beispielsweise in Frankreich oft hausgemacht.

Würde der Westen aufhören, den israelischen Kolonialismus bedingungslos in seiner Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser zu unterstützen, hätte der islamisch inspirierte Terrorismus bald seine Grundlage verloren.

Denn der Zynismus dieser Unterstützung kennt keine Grenzen. Der Westen tritt als Verteidiger der Demokratie und der Menschenrechte auf, doch rechtfertigt er die israelische Apartheid mit dem Völkermord an den europäischen Juden (für den die Palästinenser keinerlei Verantwortung haben, denn der Antisemitismus ist ein europäisches Phänomen). Kein vernünftiger Palästinenser oder auch Araber kann eine solche Demokratie, nämlich eine, die nur für Herrenmenschen gilt, ernst nehmen. Niemand kann ihnen verdenken, dass sie auf die Suche nach Lösungen in ihrer eigenen Kultur und Geschichte gehen – und auch sie einen nicht nur politischen, sondern auch kulturellen Gegensatz zum Westen aufbauen.

In Wirklichkeit handelt es sich ja um einen einzigen Kulturraum in dem die jeweilige Binnendifferenzierung wesentlich größer als die zwischen Orient und Okzident ist, aber das will keine der beiden Seiten wahrhaben.

Fazit: aus demokratischer Sicht ist der politische Islam Teil der Gesellschaften des Nahen Osten und durch die von der Pumpe der globalen Ungleichheit erzwungenen Immigration auch unserer Gesellschaft. Wer eine demokratische und sozial gerechte Gesellschaft anstrebt, der muss auch mit dieser Strömung in Dialog treten.

Gegen wen geht Kurz-Strache vor?

Die kleinste Gruppe ist ein Verein, der von einer Abspaltung der MHP, der Grauen Wölfe, betrieben wird – BBP, eine etwas stärker islamisch gefärbter rassistischer Nationalismus. MHP/BBP sind extrem staatstreu. Sie bildeten der tiefe Staat und haben für die Nato den schmutzigen Krieg gegen Linke und Kurden mit Zehntausenden Todesopfern geführt. Kurz macht da eine Kindesweglegung. Seine Vorgänger haben diese Leute unterstützt. Erst vor sehr kurzer Zeit, nach dem Putsch in der Türkei, hat sich die MHP auf ein Bündnis mit Erdogan eingelassen, was ihr gar nicht gut bekommt. Wir haben mit diesen Leuten nichts am Hut, es sind Pinochetisten. Aber sicher keine Vertreter des politischen Islam. Wir wissen nicht, ob sie in Österreich Verbrechen begangen haben. Aber sie werden nicht deswegen verfolgt. Sondern nur, weil sie eine Moschee betreiben. Und das sollte ihr demokratisches Recht sein.

Die zweite verfolgte Gruppe ist die Arabische Kultusgemeinde. Diese hat sich erst als Folge des neuen Islamgesetzes gebildet, das Unterschiede der Glaubensinterpretation als Grundlage von Vereinen in antidemokratischer Weise verbietet, und daher nur mehr Raum für nationale Differenzierung lässt. Die Kultusgemeinde ist bunt zusammengewürfelt, nur um Anspruch auf Vertretung in der IGGÖ zu haben. Geführt wurde sie von einer Person, die mittlerweile wegen Veruntreuung in Untersuchungshaft sitzt und allgemeinen einen schlechten Ruf wegen ihrer dubiosen Geschäftstätigkeit besitzt – nur nichts mit politischem Islam am Hut hat. Genauso wie ihr Nachfolger.

Es gibt salafitische Moscheen in dem Verein, aber auch eine Sufi-Moschee wird angeführt – was einige salafitische Strömungen wiederum nicht wollen. Salafismus ist jedenfalls ein weiter Begriff, der von sehr unterschiedlichen Richtungen in Anspruch genommen wird. Er heißt so viel wie Rückkehr zu den Wurzeln. Eine mögliche Interpretation ist ein extremer Quietismus, also das Akzeptieren jeglicher weltlichen Herrschaft. Man könnte es auch als unpolitischen Islam bezeichnen, aber in Wirklichkeit ist es ein politisch de facto prowestlicher Konservativismus (zum Beispiel die ägyptische Nur-Partei aber auch andere). Sie unterstützen die blutige Sisi-Diktatur in Ägypten, die von den USA, Deutschland und Saudiarabien am Leben erhalten wird. Und mit der sie blendende Geschäfte machen. Es sind sozusagen die guten Moslems. Kurz begeht also seine zweite Kindesweglegung.

Die dritte Gruppe ist die ATIB, sicher die bedeutendste, den die beiden anderen sind billige Bauernopfer. Sie ist mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet verbunden. Vor Erdogan gab es mit ihnen seitens der Behörden eine enge Zusammenarbeit. Hier ist der Vorwurf auch nicht direkt politisch, sondern die Auslandsfinanzierung, wie sie im Islamgesetz unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz untersagt wird. Denn alle anderen Religionsgemeinschaften erhalten sehr wohl ausländische Finanzhilfe, beispielsweise die nicht minder konservativen Evangelikalen, da scheint es aber kein Problem zu sein.

Für Meinungs- und Religionsfreiheit

Unter dem Motto Kampf gegen den politischen Islam sind in Wirklichkeit die Muslime als solche gemeint – und so versteht es auch die Mehrheit der Muslime.

Muslime bilden an die 7% der österreichischen Bevölkerung. Schließt man sie aus, diskriminiert und demütigt man sie, wird man Widerstand ernten. Nicht nur das, mit der Terrorhysterie wird ein Polizeistaat wie in den USA gerechtfertigt, der zunehmend die Meinungsfreiheit einschränkt. Wer für Palästina eintritt wird zum Antisemiten gestempelt und wird irgendwann ins Gefängnis wandern.

Wir wollen das Gegenteil, wir wollen eine demokratische, friedliche und sozial gerechte Gesellschaft. Wer hier lebt und arbeitet, wer hier seinen Lebensmittelpunkt hat, der soll als Teil dieser Gesellschaft behandelt und betrachtet werden, selbst wenn er durch die Konfrontation der letzten Jahre mitunter eine Kultur entwickelt hat, die nicht unseren Zielen entspricht.

Anders gewendet: Wenn der VP-FP-Chauvinismus die Sau herauslässt, warum erwartet man dann von Muslimen politisch korrekt zu sein?

Verweise