Serbien führt einen Kampf mit zusammengebundenen Händen

16.12.2022
Von T. Kojic
Zur Situation im Kosovo

Eigentlich befindet sich die Europäische Union in einer Notlage. Im Dienst der Weltherrschaftspolitik der USA und der NATO – seit des Krieges in der Ukraine machtvoller denn je –, mit stark gestiegener Inflationsrate (11,5 % Stand Oktober), abgeschnitten von Energiequellen, mit unglaublichen Ausgaben für den Kampf der Ukraine gegen Russland, lässt sie den Winter unvorbereitet in ihre Länder, weshalb ihre Bürger massenhaft protestieren. Gleichzeitig ist die EU politisch nicht in der Lage, die Probleme am Westbalkan, in die sie verwickelt war und ist, zu lösen. Es fehlt der diplomatische und politische Weitblick, zu lange war man auch im antiserbischen Narrativ eingeübt und regelrecht eingeschworen, um die Spannungen, die seit der Zerstörung Jugoslawiens existieren, zu lockern, geschweige denn zu lösen.

Serbien hat als Antwort auf den deutsch-französischen Vorschlag zur Lösung des Kosovo-Problems offen betont, dass es die Unabhängigkeit seiner südlichen Provinz niemals anerkennen werde. Zudem schafft es die EU nicht, die albanische Seite dazu zu bringen, das Brüsseler Abkommen, das am 19. April 2013 unterzeichnet wurde (dazu später mehr), umzusetzen. Wir sind Zeugen der Ohnmacht und der diplomatischen Widersprüchlichkeiten des Hohen Vertreters der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, des EU-Sonderbeauftragten Lajčák und anderer Beamter. Griechenland, Spanien, Rumänien, Zypern und die Slowakei haben den Kosovo immer noch nicht anerkannt, aus bekannten Gründen.

Die EU rechnet eigentlich nicht mehr mit einer Vollmitgliedschaft Serbiens, da das Land dafür den Kosovo anerkennen und die Sanktionen gegen Russland mittragen müsste. Beides wird nicht passieren.

Was aber jetzt gerade passiert, ist, dass der Kosovo um eine Mitgliedschaft in der EU angesucht hat. Kann das durchgehen, dass eine zur Unabhängigkeit proklamierte südliche Provinz eines Staates, der selbst weiter entfernt denn je ist, in die EU aufgenommen zu werden, um eine Mitgliedschaft ansucht? Und diejenigen Länder der EU, die es nicht anerkennen, wie sollen die jetzt mit diesem Antrag auf Mitgliedschaft umgehen? Das Völkerrecht, aber auch das Internationale Recht wären damit für alle Zeiten ad absurdum geführt. Serbien beantragte am 22. Dezember 2009 die EU-Mitgliedschaft und begann am 21. Januar 2014 mit den Beitrittsverhandlungen. Bisher hat es 22 der 35 geforderten Reformen erfüllt. Auf dem Thessaloniki-Gipfel der EU mit den Ländern des Westbalkans im Jahr 2003 wurde die Beschleunigung der Reformen und eine Vollmitgliedschaft in den nächsten 20 Jahren angekündigt (siehe Absatz zwei der Abschlusserklärung). Da dies nicht gelang, wurde vom griechischen Regierungschefs Kyriakos Mitsotakis im Juni dieses verlautbart, dass der Beitritt Serbiens erst 2033 möglich ist, wenn es bis dahin alles umsetzt, was die EU vorgesehen hat. Aber Serbien ist gar nicht mehr vom Wunsch eines Beitritts in die EU beseelt. China, Russland, Iran, Vereinigte Arabische Emirate heißen die neuen und immer noch alten Freunde.

Auch die Aufnahme Montenegros verzögert sich, obwohl es angeblich alle vorgeschriebenen Reformen erfüllt hat. Nordmazedonien und Albanien haben weder Gespräche noch Reformen in Angriff genommen, aber alle drei sind Mitglieder der NATO. Während also die EU ihr Spiel mit der Karotte am langen Stab spielt, der immer länger wird, ist die NATO viel erfolgreicher mit ihrer Politik der Einkreisung – und dadurch Bedrohung Serbiens.

Bittere Medizin

De USA sitzt fester denn je in ihrem Sattel der Selbstherrlichkeit und verdient sich mit den Lieferungen von Flüssiggas nach Europa eine goldene Nase. Am Balkan hat sie die Zügel weiter in der Hand. Der kosovarische Premier Albin Kurti weiß, auf wen er sich verlassen kann: „Der einzige Weg, der den Erfolg des Kosovo garantiert, ist die Zusammenarbeit mit unseren Partnern und insbesondere mit den USA.“

Russland und China sind auf diesem Boden nicht physisch präsent, und die Verhandlungen von New York wurden nach Brüssel verlegt. Die UN-Resolution 1244, die besagt, dass Kosovo zum serbischen Staatsgebiet gehört, wird in Brüssel nicht anerkannt. Serbien kämpft mit gebundenen Händen für sein Land. Die USA und Großbritannien haben freies Geleit für die Verwirklichung ihrer Interessen, ebenso wie damals der UN-Sicherheitsrat bei der Zerstörung des Sozialismus und der Schaffung einer neuen Weltordnung freies Geleit hatte. Völkerrecht und Diplomatie gibt es nur als einseitige, bittere Medizin.

Jugoslawien, dann Serbien wurde in den letzten dreißig Jahren enormer Schaden zugefügt: durch Sanktionen, einen verheerenden Bombenkrieg und über zwanzig Jahre frechste Beharrlichkeit darauf, dass Serbien gefälligst einen Teil seines Territoriums veräußern und sich so „eine Eintrittskarte" für die Aufnahme in die EU kaufen solle.

Serbien besteht auf die Umsetzung des Brüsseler Abkommens. In dem Abkommen ging es unter anderem um die Gründung eines Verbands der serbischen Gemeinden im Kosovo. Die serbische Regierung will einen Gemeindeverband nach öffentlichem Recht, der auch exekutive Aufgaben übernehmen darf. Dies kommt für die kosovarische Regierung und den kosovarischen Verfassungsgerichtshof nicht infrage. Stattdessen schickte Kurti Spezialeinheiten in den Norden des Kosovo, der ethnische mehrheitlich von Serben besiedelt ist. Serbien reagierte daraufhin mit der Forderung nach 1.000 Sicherheitskräften und der Stationierung seiner Armee. Es pocht damit auf die Umsetzung der Resolution 1244.

Der Kosovo ist besetztes Gebiet

Die Resolution 1244 wurde am 10. Juni 1999 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angenommen. Sie besagt, dass eine vereinbarte Anzahl von (ursprünglich jugoslawischem, nun serbischem) Personal zurückkehren und bestimmte Funktionen ausüben darf. Das wird nun von der serbischen Regierung eingefordert. Annalena Baerbock winkte ab, schließlich sorgt die KFOR-Mission seit 1999 für die ungestörte Zerstörung von Kirchen- und Klöstern, Friedhöfen und Häusern seitens der UÇK und des davon übriggebliebenen Mobs. Wir erinnern uns an den März 2004, vier Jahre vor der Proklamierung der Unabhängigkeit des „Kosova“, als in nur zwei Tagen rund 4.500 Serben ihre Häuser verlassen mussten. Seit dem Kriegsende 1999 wurden in der „Friedenszeit“ rund 150 serbisch-orthodoxe Kirchen und Klöster in der Region von kosovo-albanischen Extremisten zerstört. Immer wieder wurden Serben umgebracht, so im November 1998, als sechs Burschen – der jüngste war 15 Jahre alt – in einem Kaffeehaus in Peć in einem Kugelhagel umkamen. Seit 2008 kommt es auch immer wieder zu Übergriffen auf serbische Zivilisten durch die Polizei, eingesetzt werden Gummigeschosse, auch mit Todesfolgen. Die kosovarische Seite gibt an, sie würde gegen „Schmuggel“ vorgehen.

Interessant ist auch, wie die deutschsprachige Berichterstattung zu diesem Thema orchestriert vorgeht: Vom serbischen Säbelrasseln ist die Rede, davon, dass Serbien Soldaten in den Norden Kosovos schickt etc. Das soll den Eindruck vermitteln, Serbien, nicht die Albaner, würde den bewaffneten Konflikt schüren und herbeisehnen. Dagegen äußerte sich der serbische Präsident Vučić in einer Pressekonferenz am 15.12.2022 dezidiert zum Brüsseler Abkommen sowie der Resolution 1244 und wann diese wirklich und endlich zum Tragen kommen. Das wird in der westlichen Presse nicht zitiert.

Es ist offensichtlich notwendig und höchst an der Zeit, dass die serbische Regierung ihre Zustimmung zur Lösung des Problems unter der Schirmherrschaft der EU zurückzieht und energisch staatliche und diplomatische Aktivitäten einleitet, damit die Kosovo-Frage ausschließlich im UN-Sicherheitsrat im Einklang mit den Grundsätzen des Völkerrechts sowie der Resolution 1244 diskutiert und gelöst wird.

Serbien kann und wird niemals akzeptieren, dass seine südlichen Provinzen Kosovo und Metochien von ihrem Mutterland getrennt werden. Sich auf die Resolution zu beziehen, ist auch eine moralische Kategorie, denn Kosovo ist ein besetztes Gebiet, die KFOR ist nur ein Pleonasmus für die NATO und ihr Kommando befindet sich in Brüssel und nicht in New York. Aber Brüssel gehört New York. Das wissen wir seit dem 24.02.2022 noch besser.

Deutschland will ein ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen werden. Wie soll das vonstatten gehen, wenn Frau Baerbock mit sofortiger Ablehnung reagiert hatte, als sie hörte, dass Serbien anfragen werde, ob es Truppen und Personal in den Norden Kosovos schicken könne. Auch der US-Gesandte für den Westbalkan, Gabriel Escobar, lehnte das sofort entschieden ab. Heute hat der US-Botschafter Hill in Belgrad gemeint, dass Serbien sehr wohl eine solche Anfrage stellen dürfe, er ruderte also ein bisschen zurück.

Die UN-Resolution 1244 ist ein gebrochenes Versprechen

Die UN-Resolution 1244 ist imperativ und es ist beschämend, dass sich die westlichen politischen Akteure und Unterzeichner nicht daran halten möchten. Unter Punkt 4. auf Seite 37 wird festgehalten: „bekräftigt das Recht aller Flüchtlinge und Vertriebenen auf eine sichere und ehrenvolle Rückkehr in ihre Heimat;“ sowie Punkt 4 auf Seite 40 und 41: „(…)  bestätigt, daß nach dem Abzug eine vereinbarte Zahl jugoslawischen und serbischen Militär- und Polizeipersonals die Erlaubnis zur Rückkehr in das Kosovo erhält, um die Aufgaben nach Anlage II wahrzunehmen; (…)

(…) Zurückkehrendes Personal

Ausrüstung für das zurückkehrende Personal; Mandat, in dem seine Aufgaben festgelegt sind; Zeitplan für die Rückkehr des Personals; Abgrenzung der geographischen Einsatzbereiche des Personals; Regeln für die Beziehungen dieses Personals zu der internationalen Sicherheitspräsenz und der internationalen Zivilmission.“

Das Dokument wurde auf der 4003. Sitzung mit 13 Stimmen ohne Gegenstimme bei 2 Enthaltungen (China, Russische Föderation) verabschiedet.

Weder in der EU noch in den USA fragt sich irgendjemand, warum von den 226.418 (die albanische Seite publiziert die Zahl 215.346) Vertriebenen aus dem Kosovo kaum jemand zurückgekehrt ist. 9.000 davon leben seit über 20 Jahren in Flüchtlingszentren in serbischen Städten, die anderen haben sich verteilt, auch in Montenegro und ins Ausland. Was ist mit ihren Grundstücken, Wohnungen, Häusern, Feldern? Die Verkäufe gehen über irgendwelche windigen Anwälte über die Bühne. Um die 60% des serbischen Privateigentums ist usurpiert. Die UNMIK-Organisation Housing and property directorate hat allein im Jahr 2003 28.000 Rückgabeanträge von Serben erhalten. Immer noch sind über 789 Serben spurlos verschwunden. 187.129 der Vertriebenen leben in Serbien, 30.289 in Montenegro und ca. 9.000 in Mazedonien.

Nur 28.500 sind in den Kosovo zurückgekehrt, davon 12.500 Serben.

Die UN-Resolution 1244 muss also endlich umgesetzt werden. Serbien will keinen Krieg.

 

Bildquelle: Vreme

Quellen u.a.:

https://de.euronews.com/2022/06/10/gipfel-sudosteuropaischer-lander-herzensanliegen-fur-olaf-scholz

https://www.diplomatisches-magazin.de/artikel/wie-deutschland-einen-staendigen-sitz-im-un-sicherheitsrat-verspielte/

https://www.un.org/depts/german/sr/sr_99/sr1244.pdf

https://www.vreme.com/vreme/strogo-onemogucen-povratak/

https://kossev.info/rekordan-broj-izbeglica-u-svetu-na-kosovu-mnogi-cekaju-da-se-vrate-u-svoje-domove/

 

 

Wien, 15.12.2022

Tatjana Kojić