Wider das Märchen vom gefährlichen Fremden

21.03.2020
Von Chihab Kraiem
Auswirkungen der aktuellen Pandemie auf unsere Kultur sind fast unvermeidlich. Wir müssen sichergehen, dass sie nicht von rechts kommen.
Großer Ärger beim Westen über den Erfolg Chinas gegen Corona

In den vergangenen beiden Wochen wurde das gesellschaftliche Leben in ganz Europa vom Covid-19 Virus erfasst. Fast alle Staaten regieren im Moment auf die gleiche Weise – Social Distancing, Überwachung der Öffentlichkeit1- zum Teil mit Methoden die zuvor für Antiterror Maßnahmen reserviert waren2 - und Schließung der Außengrenzen3. Zwar sind einige dieser Maßnahmen durchaus sinnvoll, um die Verbreitung der neuen Lungenkrankheit zu verlangsamen, doch neben den sinnvolleren Schutzmaßnahmen werden auch einige Entwicklungen beschleunigt, die uns Sorge bereiten sollten. Hierzu muss klargestellt werden, dass ich die Maßnahmen für Social Distancing und den Versuch die Ausbreitung zu verlangsamen für richtig halte und nicht davon ausgehe, es hier mit einer großen Verschwörung zu tun zu haben. Allerdings zeigt uns sowohl die jüngere als auch länger zurück liegende Geschichte, dass diese Krisensituationen dazu genutzt werden einerseits die eigenen politischen Interessen voran zu treiben und andererseits Schuld auf Außenstehende abzuwälzen.

Neben der Gefahr, dass „vorübergehende“ Überwachungsmaßnahmen des öffentlichen Raumes, auch nach Bewältigung der Krise beibehalten werden, ist es vor allem die rassistische Rhetorik, die einen Virus, dem ethnische, nationale und religiöse Grenzen fremd sind, klar einem gesellschaftlich Anderen zuweist. Dieser Rassismus ist nicht nur eine aktuelle Gefahr, sondern bleibt im Gedächtnis und kann zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgewärmt werden.

Beispiele hierfür finden sich in der Geschichte Europas viele. Während der Pestwellen des 14. Jahrhunderts, wurden jüdische Gemeinden, denen man vorwarf, die Krankheit durch Vergiften von Brunnen verbreitet zu haben, zu Opfern von Hass und damit einhergehender, mörderischer Gewalt.

Dieser Zuweisung einer Krankheit an einen kulturell Fremden, tat auch die Entdeckung der Krankheitserreger keinen Abbruch. Im Gegenteil, mit den Argumenten von Hygiene und Sauberkeit konnten nun, nach neuen, pseudo-wissenschaftlich-rassistischen Kriterien definierte Gruppen ausgegrenzt werden. So gingen der Verbannung der schwarzen Bevölkerung aus den urbanen Zentren in Südafrika Panikmache um Hygiene und der Verbreitung von Seuchen voraus1. Im Zuge der neuen Keimtheorie wurden Schwarze als „inhärent krank und schmutzig“2 und somit als Gefahr betrachtet. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass eine der ersten Maßnahme des Bürgermeisters von Bloemfontein im Zuge der Grippeepidemie von 1918 war, Schwarzen das Betreten seiner Stadt zu verbieten.3
Nachdem diese Epidemie die katastrophalen hygienischen Bedingungen in den Slums der industrialisierten Städte aufgezeigt hatte, begann man im Namen der Hygiene und Volksgesundheit die Behausung der weißen Arbeiterschaft aufzuwerten. Gleichzeitig wurde der Ausschluss der schwarzen Bevölkerung mit dem Natives Urban Areas Act von 1923 Gesetz. Auf diese Weise glaubte man auch sich des Problems der militanten schwarzen Arbeiterschaft entledigen zu können.4

Diese Idee, die Fremden als schmutzig und unhygienisch zu sehen, passt sowohl in ein dumpf-rassistisches, als auch ein paternalistisch-liberales Weltbild. Entweder erklärt man das Gegenüber wegen seiner Kultur als zur Hygiene und Sauberkeit unfähig, oder betrachtet es einfach als armen Menschen, der halt noch nicht durch weiße Intervention erzogen wurde. In beiden Fällen rechtfertigt es den Ausschluss von Menschen, die man nicht hier haben will. Im Zuge der Flüchtlingsbewegung von 2016 konnte man bereits oft genug Warnungen vor den exotischen Krankheiten und schlechten Hygienestandards, die mit den Fremden ins Land gelassen würden, hören. Diese Rhetorik wird nach der Covid-19 Pandemie nur verstärkt zurückkommen, und als Rechtfertigung herangezogen werden, jene Menschen, die im Moment mit österreichischer Hilfe an den EU-Außengrenzen zurück geprügelt werden, auch weiterhin ab zu weisen.

Bereits jetzt versucht Trump die von seiner und den Vorgängeradministrationen ermöglichte Krise für seine Abgrenzungspolitik zu nutzen und verkündet Grenzschutz wäre Gesundheitsschutz.5 Antisemitische Verschwörungstheorien werden im Internet verbreitet und finden Anklang bei rechten Politikern6 und Menschen meiden asiatische Geschäfte und Restaurants.7

Die Führung von China und den USA weisen sich gegenseitig den Virus zu und Orban macht Einwanderer als die Verbreiter der Epidemie aus.8

Passend ist hier Trumps Beharren darauf von dem „Chinesischen“ Coronavirus zu sprechen. Der Virus wird einer feindlichen Nation zugeschrieben. Historisch geschah dieses Wegweisen einer Krankheit auch etwa bei der Syphilis, die unter anderem als Spanische -, Schottische -, Englische -, Französische und Polnische Krankheit bezeichnet wurde.9 Die Grippepandemie von 1918 wurde fälschlicherweise „Spanische Grippe“ als bekannt, weil Spanien als neutrales und damit nicht der Kriegszensur unterliegendes Land, als einziges darüber in den Zeitungen berichtete.10

Dass die jetzige Krise und die einschränkenden Maßnahmen einen bleibenden Eindruck in unserer Gesellschaft hinterlassen werden liegt auf der Hand. Es gilt jetzt dafür zu sorgen, dass diese Einflüsse von Links kommen. In den USA werden im Zuge der Krise Forderungen nach einer universalen Gesundheitsversorgung, der Auflösung der KZs für nicht dokumentierte Migranten und Gefängnisreformen laut. Auch wir sollten jetzt Forderungen nach einer Rücknahme der Einsparungen der letzten Jahre stellen. Aber es gilt auch dafür zu sorgen, dass die Einflüsse von rechts im Keim erstickt werden. Das gilt für die Erfassung unserer Bewegungsdaten ebenso wie jede rassistische Rhetorik. Schwarz-Grün hat bereits mehrfach demonstriert wie sehr sie bereit sind Migranten den Rechten zum Fraß vorzuwerfen und die Befugnisse der Polizei auszuweiten. Es liegt an uns dagegen zu halten!

 

Chihab Kraiem studiert Geschichte in Wien. Sein besonderes Interesse gilt Gender Verhältnissen, Dekolonialisierung und der Etablierung von rassistischen Stereotypen.

1 https://www.britannica.com/place/Johannesburg-South-Africa/The-local-lev...

2 Fabio Terence Palmi Zoia, SANITIZING SOUTH AFRICA: RACE, RACISM AND GERMS IN THE MAKING OFTHE APARTHEID STATE, 1880-1980. (Dissertation Indiana University 2015)

3 Howard Phillips, The Local State and Public Health Reform in South Africa: Bloemfontein and the Consequences of the Spanish Flu Epidemic of 1918. In: Journal of Southern African Studies 13, 2 (Jänner 1987), 210-233.

https://salzburg.orf.at/stories/3039797/

https://orf.at/stories/3157666/

4 Susan Parnell, Sanitation, segregation and the Natives (Urban Areas) Act: African exclusion from Johannesburg's Malay Location, 1897-1925. In: Journal of Historical Geography; London Vol. 17, Iss. 3, (Juli 1991), 271-288.

5 https://www.nytimes.com/2020/02/29/us/politics/trump-rally-coronavirus.html

6 https://www.latimes.com/california/story/2020-03-01/gop-candidate-for-l-...

7 https://www.theguardian.com/us-news/2020/feb/21/nyc-chinatown-coronaviru...

8 https://www.msn.com/en-gb/news/world/hungarys-orban-blames-foreigners-mi...

9 https://web.archive.org/web/20110613055541/http://www.fu-berlin.de/press...

10 https://www.popularmechanics.com/science/environment/a1970/4219884/

11 https://www.derstandard.at/story/2000115828957/mobilfunker-a1-liefert-be...

12 https://www.aljazeera.com/news/2020/03/israel-anti-terror-technology-cou...

13 https://www.noen.at/in-ausland/coronavirus-ungarn-grenzschliessungen-ab-mitternacht-burgenland-coronavirus-grenzkontrolle-196523855