Krise vorbei? Eher nicht.

22.02.2013
Von Stefan Hirsch
Anmerkungen zum scheinbaren Ende der Eurokrise

Rückgang der Panik

Der Sommer 2012 brachte entscheidende Entwicklungen der Eurokrise. Nach einer Eskalation der Finanzmarktpanik Ende Juli betritt der Chef der EZB, Mario Draghi, die Bühne und spricht die Worte auf die die Finanzmärkte gewartet hatten: „Was auch immer notwendig ist“ – es können Staatsanleihen der Krisenstaaten ohne jedes Limit gekauft werden, um den Zusammenhalt der Eurozone zu gewährleisten. Eine solche Ansage konnte nur mit Zustimmung der deutschen Kanzlerin erfolgen. Diese schwieg dann auch wohlwollend, als die ultraliberalen Spinner der Deutschen Bundesbank von einer pragmatischen Mehrheit überstimmt wurden, völlig isoliert und auch von ihren üblichen niederländischen und finnischen Verbündeten verlassen.

„Was auch immer notwendig ist“ hat in jedem Fall für eine erste wirkliche Beruhigung der Finanzmärkte gereicht, das erste Mal seit dem Beginn der Eurokrise. Die Zinsen für 10jährige italienische Anleihen sind deutlich zurückgekommen (auf gut vier Prozent Ende Jänner 2013), spanische Anleihen rentieren etwas höher, haben sich aber auch aus dem Panik Territorium entfernt. Und griechische Banken verzeichnen im vierten Quartal 2012 wieder deutliche Mittelzuflüsse.

Draghi hat damit die Kraft einer aktivistischen Notenbank gezeigt, obwohl tatsächlich bis dato keine Intervention auf den Märkten erfolgt ist. Die glaubhaft vermittelte Entschlossenheit war ausreichend. Einer eskalierenden Marktpanik kann jetzt mit den unbegrenzten Mitteln der Notenbank entgegengetreten werden (die EZB kann ohne Ende Geld drucken), das reicht um eine Panik zu kontrollieren und die Risikoaufschläge der Krisenstaaten unter Kontrolle zu halten. Das entspricht fast dem Erfolg der amerikanischen Federal Reserve, deren Gelddruckaktionen die Weltwirtschaft vor dem totalen Absturz bewahren.

Ungelöste Probleme

Wäre die Finanzmarktpanik das entscheidende Problem der Eurozone, dann wäre in ein paar weiteren Monaten alles gelöst. Ist sie aber nicht. Die entscheidenden Probleme sind eine allgemeine Nachfrageschwäche, sowie die strukturellen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone, weil die südeuropäische Peripherie inklusive Frankreichs gegenüber dem deutschen Zentrum nicht konkurrenzfähig genug ist. Und während die Finanzmarktpanik zurückgeht, schreitet die Wirtschaftskrise voran: In Italien verschärft sich die Situation, in Spanien verharrt die Arbeitslosigkeit auf dem Niveau der 1930er Jahre. Frankreich kann eine Finanzmarktpanik vermeiden (es war immer klar, dass die EZB zur Rettung Frankreichs intervenieren muss – ohne Frankreich kein Euro), dennoch wird seine industrielle Basis von fehlender Konkurrenzfähigkeit zersetzt, dennoch steht die Konjunktur gewaltig unter Druck. Nachfrageschwäche und fehlende Konkurrenzfähigkeit ergänzen sich dabei in der gesamten Peripherie.

Von offizieller Seite wird immer wieder auf eine Verbesserung der Ungleichgewichte des Außenhandels hingewiesen und tatsächlich sind in den wichtigsten Krisenstaaten (etwa in Griechenland, Spanien, Italien) die Defizite der Außenwirtschaft deutlich zurückgekommen – weil die Löhne gekürzt werden und die Konkurrenzfähigkeit tatsächlich steigt, aber vor allem vor dem Hintergrund eines zusammenbrechenden Binnenkonsums. Wenn die Umsätze im italienischen Weihnachtsgeschäft um bis zu einem Drittel fallen, dann kostet das eine Menge Arbeitsplätze, aber natürlich sinken auch die Importe. Es werden weniger italienische Autos gekauft, weniger an der Küste Urlaub gemacht – aber natürlich auch weniger koreanische Fernsehapparate angeschafft.

Zwischen der katastrophalen wirtschaftlichen Situation und der Krisenbekämpfung der EU gibt es natürlich einen Zusammenhang: Alle, und besonders die Länder der Peripherie, müssen sich „Strukturanpassungsprogrammen“ unterwerfen: Staatliche Sparmaßnahmen, die den Binnenkonsum abstechen, die Löhne senken, die Konkurrenzfähigkeit stärken… und dann neue staatliche Sparprogramme, um einem Heer zusätzlicher Arbeitsloser die Unterstützung zu entziehen.

Das hat eine Reihe von Vorteilen. Einmal passt diese Politik ausgezeichnet zu den neoliberalen Politikvorgaben der letzten Jahrzehnte. Und damit gefällt sie der europäischen Presse: Mario Monti, in der Pose des Retters, der seinem Land die notwendigen Opfer abverlangt. Welche Redaktion kann das ohne feuchte Augen verarbeiten? Außerdem: Auf der Ebene der harten Volkswirtschaftslehre bringen ein paar Jahre der südeuropäischen Depression auch tatsächlich eine harte Anpassung der unterschiedlichen Konkurrenzfähigkeiten innerhalb der Eurozone.

Diese Politikvorgaben haben auch eine Reihe von Nachteilen: Die nach 2008 immer latente Wirtschaftskrise eskaliert durch wegbrechende Nachfrage zu einer Depression. In Südeuropa gibt es mittlerweile eine verlorene Generation, die bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent (in Spanien) keine Perspektive hat, vielleicht zur Auswanderung gezwungen wird. Die fortschreitende Depression macht die Bedienung der Schulden immer schwieriger. Und, vielleicht am gravierendsten: die langfristige Perspektive ist unklar. Eine Rezession, die durch mangelnde Konkurrenzfähigkeit verschärft wird, kann durch ein Wiedergewinnen dieser Konkurrenzfähigkeit und ein Ansteigen der Exporte beendet werden. Aber Exporte brauchen nicht nur Konkurrenzfähigkeit, sondern auch Nachfrage. Woher soll die Nachfrage für die südeuropäischen Exporte kommen? Die Eurozone befindet sich auf einem gemeinsamen Sparkurs, Deutschland plant schon wieder Nulldefizite. Selbst der IWF sieht die gesamte Eurozone 2013 weiter in der Rezession, und wir würden vermuten, dass die Prognosen weiter nach Unten revidiert werden. Wir halten es für ausgeschlossen, dass die Eurozone als Ganzes zum „Exportweltmeister“ werden kann. Eine für das Überwinden der Krise ausreichende zusätzliche Nachfrage wird nur zu einem Teil von außerhalb der Eurozone kommen. Wenn wir uns die Hoffnungen der Budgetkonsolidierer betrachten, dann glauben auch diese nur teilweise an eine Rettung durch den Export. Hauptsächlich soll ein „stabilitätsorientierter Sparkurs“, per Wiederbelebung des „Vertrauens“, einen Boom privater Investitionen auslösen. Aber diese Theorien waren von Anfang an unglaubwürdig und haben sich mittlerweile als Halluzinationen herausgestellt. Ohne Nachfrage gibt es auch keine privaten Investitionen – Vertrauen hin oder her.

Unabhängig von allen politischen Erwägungen, nach denen die Unterschichten nicht für diese Krise bezahlen sollen: Die neoliberalen „Strukturanpassungen“ und Notenbankinterventionen bekämpfen einen Teil der Krise (Unterschiede der Konkurrenzfähigkeit und Finanzmarktpanik), verschärfen aber einen anderen (Nachfrageschwäche und Depression). In der Folge: ohne einen grundlegenden Politikwandel ist ein Verharren der Eurozone in der Depression praktisch unvermeidlich.

Depression: Ende des Euro?

Folgt aus einen langen Depression automatisch ein Zerfall der Eurozone? Nein. Zerfall oder Fortbestand der Eurozone sind im Wesentlichen eine politische Frage. Das Beispiel Griechenlands, sowie die Bereitschaft zur Intervention der EZB zeigen, dass das deutsche Zentrum Europas im Augenblick entschlossen ist den Euro zu halten. Denn mittlerweile hätte es einen ganzen Haufen von Möglichkeiten gegeben sich der Währungszone zu entledigen. Ein bisschen mehr Intransigenz an der richtigen Stelle und die unkontrollierte Finanzmarktpanik hätte alles weggeräumt. In den entscheidenden Momenten ist aber immer die deutsche Zustimmung zu den Rettungsmaßnahmen erfolgt. Und angesichts des Umfangs der bisher geflossenen öffentlichen Gelder wird ein Gesinnungswandel immer teurer. Heißt: Beim nächsten Panikanfall wird die EZB aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich intervenieren, Griechenland wird irgendwann einen weiteren Schuldenschnitt bekommen… So lange die Depression andauert, sind die Mittel des deutschen Staates de facto unerschöpflich, denn irgendwo muss das viele Geld ja hin, für das es keine investive oder konsumptive Verwendung gibt. Und weil Deutschland die sicherste Adresse ist, kann es auch immer Geld borgen. Solange die Bundesbank nicht zu viel Theater über Inflationsrisiken macht(oder überstimmt werden darf), kann auch die EZB ewig Geld drucken.

Euro ja oder nein wird daher nicht an den Finanzmärkten entschieden, sondern in Rom, Madrid, oder vielleicht in Paris. Die Frage ist wie lange die Peripherie politisch dazu in der Lage ist den jetzigen Kurs mitzutragen. Entgegen seiner Pose hat Monti Italien nicht gerettet (das war die EZB), sondern in eine katastrophale Konjunkturkrise geführt. Wenn, so wie in Griechenland, die Unterschichten allein gegen die Austerität stehen, und die Oligarchie mit Zähnen und Klauen an Europa festhält, dann kann auch eine längere Periode einer wirtschaftlichen Katastrophe ohne institutionellen Bruch durchgetaucht werden. Aber Griechenland zeigt auch: irgendwann dauert die Katastrophe zu lang, das politische System beginnt zu erodieren. Und für Italien (und mit Abstrichen Spanien) gilt: Ein echtes (industrielles) Bürgertum, mit Interessen im Binnenmarkt – wie lange kann dieses einen Kniefall vor dem Spardogma und den Interessen der deutschen Exportlobby tolerieren? Denn die deutsche Exportlobby ist tatsächlich der einzige Teil der europäischen Gesellschaft, den die Krise relativ kalt lassen kann, solange der Euro nicht zerfällt: Was sie an Absatz in Südeuropa verliert, kann sie durch niedrige Zinsen und schwache Währung in anderen Markten kompensieren, wenigstens teilweise.

In der gesamten südeuropäischen Peripherie ist eine Erosion des politischen Systems zu bemerken. Zumindest in Italien auch zunehmende Opposition innerhalb der Bourgeoisie – wie sonst lässt sich der Schwenk Silvio Berlusconis interpretieren, der die Austerität attackiert und Monti seinen Kniefall vor der EU-Kommission und Merkel vorwirft? Natürlich ist Berlusconi nicht vollständig glaubwürdig – an der Regierung hatte der Mann ausreichend Zeit einen anderen Kurs der Krisenbekämpfung zu fordern – falsch wird es dadurch aber nicht. Natürlich ist das ein Wahlkampfmanöver – aber es ist ein Wahlkampfmanöver das in der Lage ist einen wesentlichen Teil des Bürgertums einzubinden.

Für die nähere Zukunft bleiben einige Möglichkeiten: Einmal eine schnelle Wunderheilung der Eurozone. Wir können uns das nicht vorstellen, aber wir können uns irren. Zum Zweiten eine völlige Kapitulation der Unterschichten und die Selbstaufgabe des Bürgertums, in einer Depression die weitere Jahre dauern wird. Wir wollen das nicht hoffen, aber so etwas ist möglich. Zum Dritten, und das ist die wahrscheinlichste Variante, gibt es ein politisches Erdbeben, weil die Peripherie nicht mehr bereit ist den Katastrophen-Kurs mitzutragen. Und dann ist alles möglich, bis zu einem völligen Zerfall des Nachkriegssystem und der EU-Integration.