Weiter wie bisher?

29.09.2013
Die österreichischen Parlamentswahlen und ihre Aussage
von Albert F. Reiterer
"Wahlen ändern nichts, sonst würde man sie abschaffen." Ganz so unrecht hat der einsame Anarchist nicht, der seit Jahren das Karmeliter-Viertel mit seinen etwas schäbigen Plakaten ziert. Aber ganz recht hat er erst recht nicht.

Es gibt bei Wahlen zwei ganz unterschiedliche Ebenen: das (Wahl-) Volk und die Institutionen. Und so gibt es folgerichtig Bemühungen, Wahlen, wenn schon nicht abzuschaffen, so doch zu manipulieren. Denn noch gibt es Optionen, und die Elite fürchtet sich davor. Die Idee ist somit: Das Volk soll Dampf ablassen, ohne dass dies die großen Verfügenden gefährdet. Bisher hat dies ganz gut funktioniert. Wahlen sind heute auch auf nationaler Ebene weitestgehend eine Frage der Symbolik.

Machen wir einen Blick auf die Kräfte! Das Interessanteste sind nicht die Blöcke an sich, sondern ihre Ränder. Dass die SP noch einen etwas stärkeren Kernwähler-Block hat als die ÖVP, rettete sie nun schon ein weiteres Mal. Sie verliert zwar von Mal zu Mal. Aber noch ist die Mehrheits-Stimmung in Österreich: Augen zu und durch – weiter wie bisher! Aber dieser Konsens, wenn man das so nennen will, bröckelt.

Die ÖVP lebt potenziell noch mehr von der Tradition. Man braucht bloß einen Blick auf die Altersstruktur werfen: Sie ist eigentlich nur mehr bei den Alten stark. Das könnte, neben purer Unfähigkeit, auch Teil der Erklärung für ihren Wahlkampf sein. Von außen gesehen wirkt er gründlich misslungen. Nicht nur, dass es, wie so oft schon bei der ÖVP, eine reine Stamm¬wähler-Werbung war; sie konnten auch dies, wegen der Altersstruktur, nicht so ehrlich ansprechen. Wie soll man den eigenen Pensionisten klar machen, dass man die Pensionen stark kürzen will?

Die "Neos" sind in etwa dasselbe, wie in der BRD die AfD, nur dass sie radikal pro-EU sind, weil sie begriffen haben: die ist radikal neoliberal. Etwas verspätet, haben sich die Kinder von Thatcher, mit Eigennutz als dem einzigen Ziel, auch in Österreich etabliert. Als Partei aber sind sie ein Schritt zur Vertirolerung der ÖVP, wie in Innsbruck: drei unterschiedliche Listen, aber alle konservativ. Kein Zufall, dass der Spitzen-Kandidat aus dem Westen, aus Vorarlberg kommt.

Die FPÖ stand schon im Wahlkampf in der Zwickmühle: Soll man sich weiter als Fundamen¬tal-Opposition stilisieren – oder soll man schon Regierungs-Partei spielen? Die Tendenz ging in die zweite Richtung. Man gab sich ein wenig Euro-kritisch, nicht zu sehr: "Man wird doch noch darüber reden dürfen." Die Weichen zum Umfallen sind eindeutig gestellt.

Und die Linke? Es gibt sie in Österreich nicht. Die KPÖ wird einfach nicht ernst genommen. Wie auch? Die Erfolge in der Steiermark haben die Öffentlichkeit irgendwie als karitative Bewegung erreicht – ohne dass dies damit abgewertet sein soll. Aber eine politische Aussage ist damit offenbar selbst für die Steirer nicht verbunden. Im übrigen Österreich aber dominiert das Wiener Bild: Wurmfortsatz der Grünen.

Aber das bewegt sich alles reichlich nahe an der Oberfläche.

Der übergroße Teil der politischen Entscheidungen wird nicht mehr auf nationaler Ebene getroffen. Es sind die Brüsseler, Strassburger und Frankfurter Bürokraten, die bestimmen, eventuell auch noch die Regierungen in Berlin. Das wissen die Menschen mittlerweile. Und das ist der eine Hauptgrund für die sogenannte "Politikverdrossenheit". Man wählt häufig nur mehr, weil man den Regierenden eines reinhauen möchte, so ähnlich wie bei der lächerlichen EP-Wahl.

Der zweite, noch wichtigere Grund ist ebenfalls auf dieser Ebene zu suchen. Im Jargon der EU-Politologen spricht man von input-Legitimität und output-Legitimität, u. ä. Phrasen (Scharpf). Dahinter steht die richtige Erkenntnis: Wenn es den Menschen halbwegs passabel geht ("output-Legitimität"), dann sind sie ohne weiteres auch bereit, über mangelnde Partizipation und eher abstrakte Mitbestimmung ("input-Legitimation") hinweg zu sehen. Das funktionierte einiger Maßen bis zur Euro-Krise. Dann kam die Krise und mit ihr die unverschämten Geschenke an die Banken unter dem Vorwand der Griechenland-Hilfe, und als Komplement dazu die Kürzungen bei den Pensionen und die Aussicht auf radikalen Sozial-Abbau auch in Österreich. Dies Alles fand in einem Umfeld statt, der Allen klar machte: Ihr habt nichts zu sagen! Das Motto war: Goschen halten!

Doch Österreich steht in diesem Prozess noch ziemlich am Anfang. Teil des wohlhabenden und hoch entwickelten westeuropäischen Kerns, spürt die Bevölkerung vorerst noch mehr die Drohung als die realen Auswirkungen. Im Gegensatz zur politischen Rhetorik in der BRD ist die hiesige sanft. Man sagt den Menschen, was sie wünschen: Es wird schon nichts passieren! Es wird uns allen weiterhin gut gehen. Einige Zeitungen bemühen sich zwar, die Kettenhunde des Kapitals loszulassen, von Außen die NZZ, hier der "Standard". Aber die wirken nicht wirklich wie Beißer, eher wie Zwergpudel. Da sei Faymann und sein Team vor!

Weiter wie bisher? Es wird schon nicht so schlimm kommen, so rechnen die meisten. Österreich ist nicht Griechenland und auch nicht Italien. Sicher, die Pensionen werden von Jahr zu Jahr gekürzt. Das Gesundheits-System ist noch ein Mythos; aber an allen Seiten wird daran geschabt. Die Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzungen, von SPÖ und ÖVP jeweils an unterschiedlichen Seiten betrieben, werden mit Sicherheit kommen – wenn sich die Bevölkerung nicht rechtzeitig wehrt.

Die €-Krise ist nicht vorüber. Einige haben sich bemüht, den courant normal zu erklären, weil die €-Zone nach 6 Quartalen erstmals wieder wachse – 0,3 %. Aber die Linke möge ihre Hoffnung nicht auf die Depression setzen! Ausgerechnet EZB-Draghi versucht, die Euphoriker einzubremsen und einen Fortgang der Krise herbeizureden. Und er stößt bei den Spekulanten an der Börse auf Wohlgefallen. Bisher hat die Krise den Eliten genutzt. Die politische Klasse hat mit einigem Erfolg schwer reversible Tatsachen geschaffen: Sie hat mit dem "europäischen Semester" die nationale Budget-Hoheit drastisch eingeschränkt und damit den Kernbereich der parlamentarischen Demokratie abgebaut.

Österreich war bisher wirtschaftlich begünstigt. Ein kurzer Taucher 2009 (BIP -3,8 %) ist aufgeholt. Doch nun machen sich die Folgen der deutschen (und österreichischen) Brutal-Politik bemerkbar und schlagen zurück auf die Kern-Länder. Wer soll schließlich die Exporte kaufen, wenn die Menschen überall verarmen? Aber: Für die nächsten 5 Jahre ist von der "abgesandelten" österreichischen Wirtschaft und Politik der Druck genommen: Die kann nun, wie sie möchte, zumindest eine Zeitlang. Die Angst um den eigenen politischen Posten ist weg. Und da wird sie "entfesselt" agieren. Die, welche heute die Augen geschlossen haben, werden es als erste spüren: Es geht nicht weiter wie bisher. Der Schuldenschnitt wird ja kaum mehr die Banken treffen. Die EZB und die Regierungen haben ihnen die giftigen Papiere schon weitgehend abgenommen. Und wieder einmal wird "Schluss mit Lustig" und dem Wohlfühl-Kurs sein. Wie sagte SP-Ministerin Claudia Schmied, nachdem sie als Bankerin eine halbe Milliarde verspielt hatte? "Wir müssen Alle unseren Beitrag leisten!"

AFR, 29. September 2013, 19.00 Uhr