Steueroasen? ˗ Globalisierung und Entglobalisierung!

01.02.2015
Von A.F.Reiterer
Gabriel Zucman, französischer Ökonom aus der Umgebung Pikettys und derzeit Vortragender an der LSE (London School of Economics), hat auf Einladung der AK Wien am 30. Jänner einen gut besuchten Vortrag in Wien gegeben. In schlichten und aussagekräftigen Sätzen hat er das Problem der Steueroasen aufgerollt. Nach kurzer Zeit hat man als Zuhörer aber reali­siert: Es geht um etwas Grundsätzlicheres als um die Tricks der Superreichen und ihrer politischen Helfer.

Es geht um Globalisierung.

Zucman verwies zu Beginn auf die wachsende Ungleichheit. Die bringt nicht nur die ständig größere Konzentration der Ressourcen mit sich. Sie erzeugt auch Widerstand aus der Bevöl­kerung und die Forderung nach Rück-Umverteilung. Und das wiederum kann nur über den Staat, über das Steuersystem gehen. Mit welcher Steuer? Typischerweise mit einer progressi­ven Einkommenssteuer, mit einer Vermögenssteuer und möglicherweise ˗ nicht im heutigen Österreich ˗ mit Erbschaftssteuern. Steht doch das Erben von Vermögen quer gegen jeden so heuchlerischen Anspruch unseres Systems, meritokratisch zu sein, auf Leistung aufzubauen.  Doch dagegen wehren sich die Ultrareichen. Und ihre Marionetten in den Regierungen weichen zurück. "Steuerwettbewerb", das Hinunterlizitieren von Steuersätzen für hohe Einkommen, beginnt.

Und es müssen keineswegs die offiziellen, formellen Steuersätze sein. Die blieben in den USA seit Jahrzehnten gleich. Aber die effektiven Steuersätze für die Konzerne sanken drastisch. Herr Juncker, EU-Kommissionspräsident hat uns vorexerziert, wie man dies macht: Als er noch Finanzminister und Ministerpräsident von Luxemburg war, hat er mit den "rulings" gearbeitet. Im Grunde sind die nichts anderes als Vereinbarungen mit den Banken und Konzernen: Ihr braucht nicht wirklich die Steuern zahlen, die bei uns Gesetz sind. Juncker hat gekränkt darauf hingewiesen, dass dies ja alle tun. Für ihn persönlich hat es sich ausgezahlt. Er musste nur noch durch eine Wahlniederlage beweisen, dass er sich wirklich nicht um die Bevölkerung kümmert ˗ das allerdings scheint eine eiserne Voraussetzung für einen Job in der Kommission zu sein.

Es entstehen also Steueroasen, meist Kleinstaaten, die sich auf Kosten der übrigen Welt bereichern wollen, indem sie den Ultrareichen sicheren Unterschlupf für ihre hinterzogenen Gelder anbieten.

Aber wie geht das? Machen wir erst einen Blick auf die Privaten, auf die Rentiers, auf die Bezieher der hohen Einkommen!

Man gründet in einem Land wie Luxemburg, der Schweiz oder auf den Virgin Islands eine anonyme Firma, und die besteht im Wesentlichen aus einem Briefkasten und einem Rechts­anwalt, der ihn mit vielen anderen Briefkästen betreut. In dieser Briefkasten-Firma werden nun die Eingänge verbucht. Die Behörden der Steueroasen wissen nicht, wer die eigentlich Begünstigten sind, vielmehr: Sie wollen es nicht wissen.

Wenn es sich aber nicht um eine Privatperson handelt, sondern um einen Transnationalen Konzern, dann wird es schon ein wenig komplizierter, gleichzeitig aber meist auch legaler. Denn dann muss man nur die Verrechnungspreise zwischen den Firmenbestandteilen so gestalten, dass der gesamte Gewinn dort anfällt, wo man möglichst wenig, oft gar keine Steuer zu bezahlen hat.

Denn das sind die Gelder, um die es sich wirklich dreht. Die paar hunderttausend € der Alice Schwartzer sagen wohl etwas über ihre Moral aus, sind aber ökonomisch ziemlich belanglos. Aber die Milliarden-Gewinne von Amazon, Google und Microsoft sind keineswegs belanglos.

Dazu muss nicht nur der betreffende Mikrostaat mitspielen. Es muss natürlich auch Kapital­verkehrsfreiheit geben, die fundamentale "Freiheit" nicht nur der EU, sondern des globalen Finanzsystems überhaupt.

Und damit sind wir beim eigentlichen Thema.

Das Referat von Zucman war von Anfang weg eine Aussage über Globalisierung. Zucman hat dies nicht so gesagt. Er ist nämlich kein Globalisierungs-Kritiker. Man könnte sagen: im Gegenteil. Er hat in der AK auch seine Vorschläge präsentiert. Und die würden auf Art von Globalisierung hinauslaufen, die einem den kalten Schauer über den Rücken jagen: Er will "Androhung von Sanktionen... Das einzige, was wirklich zählt, ist das internationale Kräfte­verhältnis.... Kein Land kann sich gegen den gemeinschaftlichen Willen der Vereinigten Staaten und der großen Länder der EU stellen " (Zucman 1914, 15). Nun, das versucht man ja gerade zu spielen, zwar nicht gegen Steueroasen, aber gegen das Griechenland im Widerstand gegen die Austerität.

Wie auch Piketty, schlägt Zucman eine global einzuhebende Steuer auf Vermögen vor. Wer soll die einheben? Wer verteilen? Zucman nennt den IMF...

Auch ein Gegner der Globalisierung ˗ der politischen Zentralisierung des globalen Finanz-Kapitalismus ˗ wird dabei das politische System einzusetzen haben. Aber das ist unter den gegenwärtigen Umständen und der noch lange absehbaren Zukunft das internationale System, nicht ein Weltstaat. Der steht hinter den Ideen einer globalen Steuer.

Vom Standpunkt des nichtanarchistischen Theoretikers, welcher der sichtbaren Hand des Staats im Zweifelsfall immer noch eher vertraut als der unsichtbaren Hand der Finanz-Oligarchie, ist dies nicht unbedingt negativ. Eilends hinzuzufügen ist: Das ist kein naives Vertrauen in jede Art von Staat und erst recht nicht in den Staat des Finanzkapitals, der uns heute beherrschen will. Es ist allerdings ein gewisser Optimismus in die Kontrolle, welche eine mittlerweile sehr misstrauische Bevölkerung über diesen Staat auszuüben strebt ˗ eine Kontrolle, die derzeit weder auf globaler noch auf supranationaler Ebene effektiv sein kann.

Gehen wir zurück zu den Vorschlägen Zucmans: Ein globales Finanz-Register wäre ein deutlicher Schritt zu mehr Kontrolle der Konzerne, Unternehmen, Banken und Oligarchien hingegen eine höchst diskussionswürdige Idee. Sie würde tatsächlich einen zweiten Gedanken Zucmans massiv unterstützen: Ein solches Register würde es auch Nationalstaaten erlauben, einseitig ˗ ohne ad infinitum auf eine kaum kommende Einigung aller Länder zu warten ˗ eine anteilsmäßige Besteuerung des globalen Profits transnationaler Konzerne durchzuführen. Das würde das wichtigste Instrument dieser Konzerne unterlaufen: die Gewinnverschiebung in Steueroasen oder Niedrigsteuerländer durch manipulierte Verrechnungspreise.

Dies wäre keine simple und mit einer einfachen Bestimmung durchzuführenden Maßnahme. Und da sind wir wieder beim zentralen Thema. Globalisierung kann nicht mit einer einzelnen Maßnahme coupiert werden, und sei sie noch so wichtig. Die Strategie hinter allen solchen Maßnahmen muss eine allgemeine Ent-Globalisierung sein, eine De-Mondialisation, wie es unsere französischen Freunde nennen. Dies ist ein politisches Konzept, auf welches wir uns auch mit progressiven Gesinnungsfreunden einigen können, die mit Konzepten wie "Welt­revolution", "Sozialismus", etc., wie alle die Begriffe aus der Tradition der alten Arbeiter-Bewegung auch lauten, nichts anfangen können. Wir sind uns allerdings auch darüber im Klaren: Dies liegt völlig quer zu jenem Liberalismus, der sich zynischer Weise als Linksliberalismus bezeichnet. Er ist in Wirklichkeit ein verhüllendes Vokabel für die globale Diktatur einer intellektuellen Schicht. Sie will ihre Unterordnung unter die Finanz-Oligarchie nicht offen zugeben und begreift sie vielleicht teilweise auch nicht wirklich.

Ent-Globalisierung ist kein flüssiges Wort und kein zugkräftiges Motto. Wir sollten uns um eine andere Formulierung bemühen. Aber vorerst bezeichnet es eine Strategie, die auf Jahrzehnte hinaus den Kern jeder linken Politik darstellen muss.

31. Jänner 2015

Zucman, Gabriel (2014), Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird. Berlin: Suhrkamp. 118 Seiten.