SYRIZA und die europäische Linke

24.02.2015
Von A.F.Reiterer
Sie geifern und schimpfen: "Finanz-Clowns aus Athen", "enthemmter Stil der neuen Regierung" (Presse, 22. Feber 2015), usw. Nicht dass die Wiener "Presse" irgendjemand in Europa interessiert; sie wird ja schon in Österreich nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Aber die FAZ, seit längerem im Stil von "Welt" und "Bild", oder auch die seriösere und wenn's geht noch reaktionärere "Neue Zürcher" tönen nicht anders. Und nun triumphieren sie. Und mit Recht.

Denn mit dem Total-Rückzug der Tsipras-Varoufakis-Truppe hat nicht nur die griechische Linke eine schwere Niederlage eingefahren. Die gesamte südeuropäische Linke, gerade erst im Entstehen, ist schwer beschädigt.

Über SYRIZA braucht man sich einerseits nicht wundern, und man tut es dann doch wieder. Hat sich niemand in der Führungsgruppe Gedanken gemacht, was passieren wird oder könnte? Hat niemand auch nur die Ansätze einer praktischen Politik durchgedacht, als der Wahlsieg wahrscheinlich wurde? Es musste doch jedem Menschen klar sein: Die EU und ihre Regierungen werden wirklich Alles daran setzen, das Übergreifen des griechischen "Virus" auf andere Länder abzuwenden. Ein Austritt aus dem Euro oder auch ein Hinausdrängen wäre eine gewaltige politische Niederlage. Aber besser Griechenland ist draußen, als dass Spanien und Italien in dieselbe Richtung gehen. Und was Spanien betrifft: Es wird ja allgemein gesagt, dass die spanische Regierung das Programm selbst geschrieben hat, das sie sich dann dem Schein nach von Brüssel aufdrängen ließ. Dass also die spanische Regierung zu den wilde­sten Gegnern eines neuen Griechenland gehört, ist eigentlich selbstverständlich.

Sicher, die von Grund auf fehlerhafte Analyse speziell bei Varoufakis und das Programm "Ende der Austerität + Euro" hat direkt dorthin geführt. Bleibt aber doch noch die geradezu unbegreifliche Naivität und politische Unbedarftheit, mit der die Leute in die so entscheidende erste Konfrontation gingen. Von einem zielgerichteten oder auch nur taktischen Verhalten war keine Spur zu erkennen. Das Auftreten von Varoufakis wurde damit aus einem selbstbewussten Verhalten zur Bobo-Pose.

In der NZZ vom Sonntag ist die Rede von den Verhandlungen, und da heißt es: "Dann kam am Freitag Dijsselbloems Moment der Rache. [Er] unterhielt sich über [Varoufakis'] Kopf hinweg am Telefon direkt mit Ministerpräsident Tsipras..." Nun könnte man sagen: Was kümmert uns die Befindlichkeit eines Dijsselbloem oder eines Schäuble, der sich dreimal in einem kurzen Interviews in der FAZ wie auch im deutschen Fernsehen über "Beschimpfun­gen" beklagte, nachdem er zuvor versichert hatte, dass er keine persönlichen Empfindlich­keiten habe... Aber wenn der Bericht über Dijsselbloems Telefonat mit Tsipras neben Varoufakis stimmt, dann heißt dies: Dieser Finanzminister hat keinerlei Autorität und keine Glaubwürdigkeit mehr. Wenn er (und Tsipras!) nur ein Funken politisches Verständnis über die nationale Taktik hinaus hätte, hätte dies nicht geschehen dürfen. Wie soll dieser Minister noch mit den anderen auf Augenhöhe verhandeln? Varoufakis kann eigentlich nur mehr abtreten.

Das Alles wäre die Sache der Griechen, der griechischen Bevölkerung und der griechischen Regierung, wenn, ja wenn nicht durch ganz Europa ein Ruck gegangen wäre. Natürlich wussten und wissen wir, dass dieses SYRIZA-Programm zum Scheitern verurteilt ist; wir nannten es nicht ohne Grund "linkspopulistisch". Aber für einen Gutteil der Bevölkerung war es ein starker Hoffnungsschimmer. Das war es auch für andere südeuropäische Kräfte. Podemos / Ganemos in Spanien hat fasziniert nach Griechenland geschaut. Das komplette Zusammenbrechen nach diesem Auftreten hat also eine fundamentale politische Bedeutung, für Griechenland und für die anderen Länder in Südeuropa.

Im Gegensatz zur Linken aus der alten Tradition hat Beppe Grillo dies erkannt. In seinem heftigen Stil hat er bereits vor vielen Wochen kundgetan, was er davon hält: Im Euro bleiben und gleichzeitig ein Anti-Austeritäts-Programm zu vertreten ist eine Absurdität. Und mit Grillo im Vergleich zu Tsipras und Pablo Iglesias von Podemos haben wir auch die fundamentale Ebene erreicht.

Die politische Linke aus der alten Tradition heraus mit ihren im hegemonialen Diskurs so völlig verankerten intellektuellen Sprechern ist einmal mehr am Scheitern. Es bedarf einer neuen Linken, die sich durch die Schnörkel und Ornamente der alten "proletarischen" Linken nicht mehr beirren lässt, einer neuen plebejischen Linken. Für einen kurzen Moment hat SYRIZA den Eindruck erweckt, in diese Richtung zu gehen: als Tsipras die ANEL ins Boot nahm und sich damit einen Dreck um die Befindlichkeiten der mitteleuropäischen Sozial­demokraten, z. B. der deutschen Linkspartei, scherte. Die hätten ihm zu gern Potami aufgedrückt, diese Euro-freundlichen und EU-hörigen "Links"-Liberalen. Aber es hat sich doch nur als eine kleine taktische Finte erwiesen. Wäre auch in Ordnung, sich eine Truppe von persönlichen Ehrgeizlingen und ohne wirkliche politischen Ziele einzukaufen, die fast nichts kostet. Aber der Punkt ist: Es war NICHTS als ein parlamentarischer Kniff und gar nicht der Wille, die eigene Politik durchzusetzen, wenn nötig, auch gegen das Jaulen angeblich befreundeter Kräfte.

Wie diese neue Linke aussehen kann, wissen wir noch nicht. Das M5S wird es ziemlich sicher nicht sein, obwohl es die interessanteste Erscheinung im Europa der letzten Jahrzehnte ist. Doch zu sehr sind die Leute dieser Gruppe einfach schnell zusammen gefischt. Zu sehr sind viele in ihr, vor allem unter den neuen Parlamentariern, auf traditionelle Politik, auf Ämter und Würden, auf "konstruktive Zusammenarbeit" mit so schmutzigen Figuren wie Renzi aus. Umgekehrt ist das autoritäre Diktieren von Oben herab des Grillo oder das Agieren des Casaleggio hinter der Bühne sicher nicht die politische Strategie, die Erfolg haben kann.

Aber es ist ein Schritt in eine Richtung, die sicher mehr verheißt als etwa SEL in Italien oder ähnliche altlinke Rhetoren. Wie eine neue Linke aussehen kann, ist derzeit ganz unklar. Gerade, wenn man selbst aus der alten Linken heraus kommt und gleichzeitig mit viel Skepsis deren politischen Bemühungen analysiert, gebricht es einem an Phantasie. Aber eines ist klar: Das Modell der "proletarischen" Bewegung, die in Wirklichkeit immer eine Intellektuellen-Bewegung mit ˗ früher ˗ Arbeiter-Gefolgschaft und ˗ heute ˗ ein Generalstab ohne Truppe war bzw. ist, ist von Grund auf gescheitert. Eine neue Bewegung muss und wird sich durch Versuch und Irrtum durchsetzen, oder vielleicht auch nicht. Doch es wird einige Anläufe brauchen, bis es wirklich etwas bringt. Wenn wir optimistisch sind, können wir auch SYRIZA / PODEMOS / usf. als solchen Anlauf sehen.

24. Feber 2015