Die "optimale Währungsunion" (OCA), die Ökonomie und die Politik

01.04.2015
Von A.F.Reiterer
Eine Grundsatz-Argumentation für oder gegen die Einheitswährung?

Robert Mundell ist ein bekannter Name in den ökonomischen Debatten und Polemiken über die europäische Einheitswährung und die EU. Sein mittlerweile ein halbes Jahrhundert alter Aufsatz über die optimale Währungsunion (optimal currency area ˗ OCA) dient den ordo-konservativen Gegnern des € als Ausgangspunkt. Ein weiterer Beitrag von ihm 10 Jahre später liefert dagegen den €-Fanatikern Argumente.

Es gibt aber auch diejenigen, die sich weder dem einen noch dem anderen Lager zurechnen. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Wirklichkeit ist nur jenseits solcher Dogmatik zu erfassen. Aber für uns sind diese Texte und weitere von Mundell höchst aufschlussreich. Denn da geht es um die Strukturen unseres Systems, wenn auch in verquälter Weise. Setzen wir uns also damit auseinander. Wir können Einiges lernen dabei.

"Wissenschaft" ist eine Stilfrage. Wenn dies irgendwo gilt, dann gerade in der Ökonomie. Unter diesem Gesichtspunkt ist Mundells Aufsatz von 1973 beachtenswert. Da hatte er gewissermaßen das Lager gewechselt. Beginnen sollten wir mit dem früheren Beitrag. 1961 hatte er auf der Basis von Inflationsraten und Transaktionskosten für eine "Optimale" Währungszone argumentiert, als ob es den Staat nicht gäbe. Die sollte jedenfalls nicht allzu groß sein.

Nun, 1973, wechselt Mundell ein wenig auch in die Politik. Aber der Stil bleibt frappierend. Ja, man wundert sich noch stärker. Seine Schreibweise grenzt fast ans Absurde. Er spricht, als ob er im 17. / 18. Jahrhundert lebte, in der Zeit des Boisguilbert und des John Law. Geld ist eine materielle Ware (da trifft er sich übrigens mit Marx), nicht abstrakter Wert, staatlich garantiert und reguliert. Einen externen Schock bildet für ihn, an erster Stelle (115), ein Ernte­ausfall. Dagegen muss man sich wappnen. Mit einer Währungsunion von zwei oder mehreren Staaten sei man besser gegen solche "externe Schocks" gewappnet. Eine Wirtschaftskrise ist also, nach dieser Sicht, ein Naturereignis. Ein lokaler Wolkenbruch führt zum starken Anstieg des Wasserspiegels in einem See. Sind mehrere Seen aber durch Kanäle verbunden, dann hält sich dies in Grenzen. Die Natur-Metapher wird zum Argument.

Mundells erste Argument lautet also: Eine gemeinsame Währung ist ein breiter Schock-Puffer. Dieses Argument wurde breit genutzt ˗ vor 2008.

Wie hinterhältig "linke" Sozialdemokraten argumentieren, zeigt am deutlichsten Josep Borrell aus Katalonien / Spanien (FAZ, 20. Juli 2004): „Ich habe im Europa-Wahlkampf erklärt, dass Spanien seine Truppen nicht aus dem Irak hätte zurück ziehen können, wenn es nicht den Euro gäbe“, denn dann hätten die USA die Abwertung der Pesete erzwingen können. Es war seine Partei, die Sozialdemokraten, die Spanien auf Biegen und Brechen und gegen den Widerstand der Bevölkerung in die NATO hineinführte. Das Argument aber ist geradezu lachhaft und an den Haaren herbei gezogen. Aber es ist eines der beliebtesten unter der mainstream-Politik auch der deklariert konservativen Seite. Der Euro rettet uns vor Geld- und Kurs-Krisen. Auch Günther Stummvoll, einer der konservativen Scharfmacher aus der österreichischen Wirtschaft, meinte (15. Mai 2011): „Was wäre den österreichischen Banken im Osten passiert ohne den Euro?“ Ohne den Euro hätten sich die Banken nicht in die hochriskanten spekulativen Geschäfte im Osten eingelassen. Aus denen wollten sie dann vom Staat durch Garantien, Kredite und Zuschüsse "gerettet" werden. Zur Förderung des Handels tragen fixe Wechselkurse kaum was bei. Das wissen wir aus empirischen – nicht theoretisch-doktrinär-ideologischen – Untersuchungen. Außen­handels-Überschüsse wirken für die Exporteure, nicht aber für den Großteil der Bevölkerung günstig.

In der Praxis hat sich die Währungsunion als ein Schock-Erzeuger und -Verbreiter ausge­wirkt. "Theoretisch" ˗ schreibt Piketty (2015, 17) naiv ˗ "hätten [die Länder der Eurozone] finanzielle Stabilität gewinnen müssen, was ganz offensichtlich nicht der Fall ist." Als die Banken- und Finanzkrise 2008 aus den USA zuerst nach Deutschland überschwappte, machte es die Einheitswährung unmöglich, einzelne Gebiete im €-Land davon abzuschotten, und damit begann die €-Krise.

Wir haben den Popstar der neuen Ökonomie erwähnt. So können wir gleich noch einen Exkurs riskieren. Im Vergleich zu Mundell bietet er den Vorteil, dass er in seiner Broschüre über die Euro-Krise mit einem höchst kriegerischen Titel ("Schlacht") nicht luftige, realitätsferne Theorie bietet. Er kommentiert die Realität. Zudem deklariert er sich politisch; er ist Sozialdemokrat. Und was will er? Eine "Vergemeinschaftung der Schulden". Hier wird es politisch heikel. Denn diese gemeinsamen Schulden sollen nun "demokratisch" kontrolliert werden. Dazu wünscht er sich einen Europäischen Senat. Das ist ein spezialisiertes Parallel-Parlament, ein Fiskal- und Finanzparlament. Es soll "eine neue Kammer [sein], ... deren Abgeordnete den Finanz- und Sozialausschüssen der nationalen Parlamente entstammen. ... Ein solcher Senat hätte den Vorteil, aus einem kleineren Kreis von Personen zu bestehen, die für ihre Beschlüsse in den betreffenden Ländern politisch Rede und Antwort stehen müssen" (105).Man glaubt fast, sich zu verlesen: Da gibt ein Euro-Turbo implizit zu, dass die Abgeordneten zum EP eben nicht "Rede und Antworten stehen müssen", dass sie politisch unverantwortlich sind, dass sie Schein-Demokratie spielen.

Aber Mundells Argument klingt trotzdem plausibel. Könnte also eine richtig dimensionierte Einheitswährung tatsächlich eine nützliche Funktion haben? Das Argument setzt eine Hetero­genität der Wirtschaftsgebiete voraus. Gerade das aber hat den € zur Katastrophe gemacht. Und doch ist da was dran, wenn wir es vorurteilslos und richtig durch denken. Nehmen wir das Argument vorweg: Ein politisch gesteuertes Währungssystem wäre ein dringliches Erfordernis. Es müsste seine Ziele klar definieren und dementsprechend seine Funktions-Mechanismen aufbauen. Die Idee eines europäischen und eines globalen Währungssystems hat hohen Wert und wäre ein Schritt zu einem neuen Internationalismus.

Politik über Ökonomie

Der entscheidende Punkt daran ist: Dieses Währungssystem dürfte nicht dem Markt überlas­sen werden. Denn "der Markt" bedeutet die Herrschaft der (Finanz-) Oligarchen, der Starken über die Schwachen. Weiters kann ein solches Währungssystem nur mit relativ kleinen Ein­heiten funktionieren, sagen wir es klar: mit (National-) Staaten. Es würde also im Gegensatz zu den seit einem halben Jahrhundert angestrebten Währungssystemen politisch steuerbar sein und es auch sein müssen, sollte man es für die Bevölkerung und nicht für die Eliten einsetzen.

Wir haben des Öfteren bereits auf das Totalversagen des EWS 1979 ˗ 1992 hingewiesen. Wie kann man nach dieser Erfahrung noch von dem politischen Potenzial eines Währungssystems aus Einzelstaaten sprechen? Das EWS scheiterte daran, dass es als Vorform der Einheits-Währung geplant und aufgebaut war. Es wollte die Wechselkurse ein für alle Male fixieren. Ein neues Währungssystem müsste von vorneherein die Option von Kurs-Anpassungen beinhalten. Um der Spekulation die Schneid zu nehmen, wäre es sinnvoll, von vorne weg regelmäßige Zeiträume der Überprüfung vorzusehen. Man könnte z. B. alle zwei Jahre eine Anpassungsrunde einplanen.

Wir sind voraus gesprungen. Denn nun kommt ein neues Argument. Und das erweist sich von absolut fundamentaler Bedeutung, wenn auch gar nicht im Sinne Mundells: Es geht um die Vorsorge gegen Unsicherheit. Unsicherheit ist eine nicht behebbare Bedingung menschlichen Lebens und damit auch von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Aber man kann mit ihr umgehen, sie bewältigen. Dazu müssen wir einmal wissen, mit welchem Charakter sie auftreten kann.

Hören wir den Ökonomen mit seiner naturalisierenden Darstellung! Er spricht von zwei Inseln, von denen die eine Frühjahrs-Weizen anbaut und die zweite Herbst-Weizen. Die reifen abwechselnd. Beide Inseln sind daher jeweils auf die jeweils anderen angewiesen. Denn die Güter sind nicht dauerhaft lagerbar. Die Inseln müssen also zwingend tauschen: Dabei ist die Gegenleistung jeweils um ein halbes Jahr verschoben. Was geschieht nun, wenn auf einer Insel eine Missernte eintritt, sie also nicht vollumfänglich liefern kann?

Die Konstruktion ist für einen modernen Ökonomen ärgerlich. Aber lassen wir uns einmal darauf ein. Mundells erste Alternative in dieser Krisensituation ist: Die Bewohner der einen Insel könnten zeitweise auf die andere übersiedeln. Jetzt wird es für uns interessant. Das war nämlich eine Strategie von Jägern und Sammler. Sie bauten Verwandtschaftsnetze und sonstige Allianzen auf. Im Falle es wirklich einmal eine Katastrophe gab, erhielten sie die Erlaubnis, ins Sammel- und Jagd-Gebiet der Verwandten zu ziehen.

Und da gibt es Wichtiges dazu zu sagen.

Eine materielle Vorsorge (Lagerung) ist längerfristig, etwa über ein ganzes Leben, unmöglich. Sie muss daher durch soziale Vorsorge ersetzt werden. Die "Steinzeit-Ökonomie" (Sahlins 1976) ist kein "ökonomisches" Arrangement. sondern ein soziales über Verwandtschafts-Beziehungen. Das ist eine fundamentale Erkenntnis.

Soziales Verhalten ist mehrdimensionales, auf hierarchisch höhere Sinnziele ausgerichtetes Handeln. "Ökonomisches" Handeln als arbeitsteiliges Verhalten ist eindimensional und funktioniert über eine direkte Gegenseitigkeit, die überdies keine echte Reziprozität darstellen muss. Wegen seiner Mehrdimensionalität und den darin enthaltenen viel breiteren Handlungs-Optionen ist soziales Verhalten in vitalen Krisen, etwa in Subsistenz-Krisen, in Hungersnöten, dem ökonomischen weitaus überlegen in Problemlösungs-Mechanismen.

Aber soziales Verhalten ist auf lang andauernde Reziprozität ausgelegt. Nach aller Erfahrung funktioniert dies spontan nur in überschaubaren Kleingruppen. Es hat seine engen Grenzen in der sozialen Skala, in der Größe der Gesellschaft. Die kann man aus der historisch ethnologi­schen Erfahrung auch beziffern: Das funktioniert etwa bis in eine Größenordnung von 170 ˗ 200 Menschen, also z. B. in neolithischen Dörfern. Darüber hinaus bedarf diese verallgemei­nerte Reziprozität einer bewussten Organisation und (formalen) Institutionalisierung, einer politischen Regulierung. Erst recht gilt dies für den "ökonomischen" Austausch. Er muss politisch abgesichert sein, wenn er als Daseinssicherung funktionieren soll.

Staat

Wir kommen hier in eine historische und theoretische Debatte hinein, welche sich um den Aufbau und die Entwicklung des Staats dreht, der etwa ab einem Gruppen-Umfang von 3 bis 5 Tausend Menschen einsetzt. Damit aber gehen die Probleme erst richtig los. Es ist das historische Problem schlechthin. Denn wir wissen zu gut: Der Staat wurde sofort zum Herrschafts-Apparat, den kleine Gruppen einsetzten, um einer großen Mehrzahl ein Mehrprodukt abzuzwingen und (an sich selbst) umzuverteilen.

Die Problem-Lösung für die Unsicherheits-Frage und die Daseins-Vorsorge und für Vieles andere mehr liegt in der politischen Organisation. Eine individuelle Vorsorge ist erst recht unzureichend. Dies wäre das Projekt des Neoliberalismus, und wir finden es in immer neuen Angriffen auf die Unterschichten wieder. In einer modernen Gesellschaft, wo Millionen von Menschen unter der Bedingung weitgehender Anonymität und reduzierter individueller Verpflichtungen zusammen leben, kann nur eine dauerhafte politische Organisation die Daseins-Vorsorge bewältigen. In der Gegenwart ist dies jedenfalls der Staat. Über die Zukunft zu sprechen geht weit über die Problematik hier hinaus. Wir sind ohnehin bereits mitten in den Grundsatzproblemen drinnen. Aber trotzdem müssen wir es unbedingt zumindest benennen:

Die eigentliche historische Dialektik finden wir zwischen Daseins-Sicherung und Ausbeu­tung; zwischen Produktions- und Produktivitäts-Erhöhung einerseits und Ressourcen-Ver­nichtung durch politischen Konflikt zwischen Gruppen von Machthabern und Herrschenden.

Mundells Problem und die reale Problematik

Mit saisonalen Wanderungen von einer Insel zur anderen und wieder zurück wäre also die Modell-Situation des Ökonomen zu lösen, aber sie bringt viele Probleme. Nebenbei: Das wird ohnehin zunehmend praktiziert. ˗ Die Überlegung Mundells beinhaltet daher im zweiten Schritt, da er die Wanderungs-Lösung ablehnt, die Möglichkeit von kurzfristigen "Wert"-Veränderungen zwischen den Insel-Währungen: Ab- und Aufwertung. Denn plötzlich gibt es auf den Inseln ein Währung, eine Zentralbank und einen Staat. Und da gelingt ihm eine hübsche Formulierung: Wenn es also auf einer Insel eine Missernte gibt, und sie daher ihre Währung abwertet, um nicht das ganze Produkt an die andere Insel liefern zu müssen, dann "erscheint dies kurzfristig wie ein Geschenk [der anderen Insel an die mit der Missernte], aber langfristig hat es den guten Effekt, dass es eine Gewohnheit des 'Teilens' zwischen den Inseln etabliert."

Abwertung oder Währungsunion?

Eine weitere Möglichkeit wäre schließlich eine gemeinsame Währung. "Eine gemeinsame Währung sichert ein automatisches und gerechtes Teilen der Risiken solcher  Fluktuationen." Das ist, eine Ironie, im Grund das Argument für Abwertungen anstatt der für die Arbeitenden katastrophalen "inneren Abwertungen", des radikalen Absenkens ihres Lebensstandards...

Nehmen wir Mundells Demonstration noch einen Moment ernst! Dann ergibt sich selbst­verständlich etwas Anderes: Eine Währungsordnung (a monetary order, eine Geldordnung) muss keineswegs eine Einheitswährung sein. Eine bewusste politische Regulierung auf internationaler Ebene, ein Währungssystem, eine Geldordnung, kann ganz anders aufgebaut sein. Denn nun beginnen sich unabweisbar die wesentlichen politischen Fragen zu stellen: Wer hält die politische Macht, im nationalen Staat wie in der inter- oder der supra-nationalen Ordnung? In wessen Interesse wird sie ausgeübt, wohin wird verteilt, welche Politik verfolgt?

Bis hierher könnten wir die Argumentation des neuen Artikels noch im Rahmen der alten OCA-These sehen. Nun ändert sich dies völlig. Das hängt mit der Art des Argumentieren dort zusammen:

Das ideale Währungsgebiet wäre nach Mundells Text 1961 jenes, in welchem die Inflations­rate flächendeckend etwa gleich wäre. Die möglichst niedrige Teuerung in Bayern soll gleich der in Hamburg sein. Mundell spricht von Regionen und stellt sie gegen nationale bzw. staatliche Währungen. Diese sind nicht notwendig optimale Währungsgebiete – man denke an die Lira in Italien, die DM seit 1991 in der neuen BRD oder auch den US-$. Denn eine "Region" ist eine Einheit, in welcher Faktor-Mobilität herrscht. Zwischen ihnen aber sind die Faktoren immobil: Hamburger gehen nach Bayern und Sachsen nach Österreich. Aber Griechen und Portugiesen gehen nicht (mehr) nach Deutschland. Aber stets ist die Rede von der Inflationsrate, nicht von dem, was ihre Unterschiede zwischen den Währungen und den Gebieten verursacht: der Produktivität bzw. den Produktivitäts-Differenzen.  Es war schon damals nicht klar, ob sich Mundell dessen voll bewusst war.

Die Produktivität verschwindet 1973 vollkommen aus der Diskussion. Übrig bleibt nur mehr die Frage der Reserven und der ("Opportunitäts"-) Kosten von Reservehaltung.

Damit wir klar sind: Reserve bilden eine wichtige Frage. Aber die strategische Entscheidung, die auch eine Frage der politischen Einschätzung von internationalen Risiken ist, geht sofort in der neoklassischen Ideologie unter, wenn nach den "optimalen" Reserven gefragt wird.

Wir können dies an zwei Absätzen demonstrieren. "Ein gemeinsames Währungssystem" (und nicht currency union!) ˗ schreibt Mundell (121) ˗ erlaubt es einem Land, die Last von Zufalls-Schwankungen (!) über die Zeit zu verteilen. ...Das führt zu unfreiwilligen Krediten seitens der anderen Mitglieder." Wieso sind die Kredite "unfreiwillig"? Bei der Gründung der WU wissen doch alle Mitglieder, dass diese implizite gegenseitige Kreditgewährung ein Ziel und Hauptmittel der WU ist ˗ oder jedenfalls sein sollte. Es ist allerdings realistisch: Die Politik der Troika, d. h. der EU, besteht gerade darin, diese freiwillig eingegangenen Verpflichtungen vermeiden zu wollen, obwohl sie weiß, dass sie nicht vermieden werden können. In Wirklichkeit ist dies ein sekundäres Problem. Der entscheidende Punkt ist: Sie wollen alle Länder zu einer bestimmten Politik zwingen.

Der zweite Punkt passt ganz dazu. Noch immer wird in der Ökonomie Ricardos Theorem von den komparativen Kosten gelehrt. Internationale Arbeitsteilung finde sinnvoller Weise so statt ˗ heißt es ˗ , dass, grob gesprochen, jedes Land das erzeuge, was es mit den geringsten Kosten leisten könne. Hier ist nicht der Platz, dies im Detail nachzuschreiben. Aber das war bereits eine Ideologie, eine bewusste Verfälschung der Wirklichkeit, als Ricardo dies schrieb. Mundell nimmt die Ideologie auf und führt sie zur outrance: Er meint, die beste Kombination seien Nord-Süd-Paare ˗ und das ist in der EU denn auch geschehen! In einer Fußnote (122) aber finden wir plötzlich eine Anwandlung von Realismus: "Wenn in diesem Paar ein Partner dominiert, dann haben wir Imperialismus."

Und was heißt dies politisch?

Lassen wir die dogmatische Auseinandersetzung mit einem Ökonomen, dem die Stockholmer Reichsbank für seinen fachlichen Kulturgehorsam mit dem Wirtschafts-Nobelpreis belohnte (1999). Wir müssen die wesentlich wichtigeren realistischen Konsequenzen ziehen.

Den entscheidenden Punkt in der Währungsproblematik treffen diese Überlegungen nicht. Insbesondere hat sich in der €-Krise in Südeuropa erwiesen: Das Problem der Reserven ˗ das derzeit in Griechenland existiert und akut ist ˗ wurde erst induziert vom Grundproblem des Crashes, wie ihn die EU und ihre Troika dort provoziert hat. Dieses Grundproblem aber war die ungleiche Entwicklung und die Unmöglichkeit, infolge der Währungsunion darauf mit Abwertung zu reagieren. Das aber war politisches Absicht und Ziel.

Man wirft der konsequenten Linken oft vor, sie mache aus dem € und der WU einen Fetisch. Wir können diesen Anwurf ganz gut zurück geben. Wir wissen nur zu gut, dass es nicht die Währungsunion ist, gegen die wir uns grundlegend zu wenden haben. Es ist die EU als solche. Sie setzt die WU als Hauptinstrument ihrer Politik der Gesellschaftsspaltung national und international ein. Das ist der Kern der EU-Politik seit 1986/92, seit der offen neoliberalen Wende in Frankreich, der BRD und damit in der EG insgesamt.

Aber wir können das Instrument und die Politik; die Struktur und den Inhalt; das technische Werkzeug und das soziale Ziel nicht voneinander trennen. Wenn wir uns gegen die Politik der Gesellschaftsspaltung, der Umverteilung nach oben und der zunehmenden Entdemokratisie­rung stellen, so müssen wir mit den Werkzeugen beginnen. Ihr Einsatz trifft die Menschen recht unmittelbar.

Der € und die Währungsunion wurden darüber hinaus von der EU zum Symbol ihrer Politik aufgebaut. Wir haben somit ein umfassendes Ziel. Seine Beseitigung wäre ein gewaltiger Schritt hin zu einer menschlicheren Gesellschaft. Dabei stehen bleiben dürften wir natürlich nicht. Das politische Ziel liegt jenseits der Währungsunion.

Literatur

Mundell, Robert A. (1961), A Theory of Optimum Currency Area. In: AER 51, 657 – 665.

Mundell, Robert A. (1973), Uncommon Arguments for Common Currencies. In: Johnson, Harry G. / Swoboda, Alexander K., eds. The Economics of Common Currencies: Proceedings. Cambridge, Mass.: Harvard University Press.

Mundell, Robert A. (1997), Optimum Currency Areas. Extended version of a luncheon speech presen­ted at the Conference on Optimum Currency Areas, Tel-Aviv University, December 5, 1997. http://www.columbia.edu/~ram15/eOCATAviv4.html

Piketty, Thomas (2015), Die Schlacht um den Euro. Interventionen. München: Beck.

Reiterer, Albert F. (2014), Der Euro und die EU. Zur Politischen Ökonomie des Imperiums. Bergkamen: pad.

Sahlins, Marshall (1976), Stone Age Economics. London: Tavistock.

McKinnon, Ronald I. (2004), Optimum Currency Areas and Key Currencies: Mundell I versus Mundell II. In: JCMS 42, 689 ˗ 715.