Selbstgebastelte Terroristen

24.10.2001

aus: Junge Welt, 22. 10. 2001

Der neue Paragraph 129 b zielt auch auf Unterstützer von Befreiungsbewegungen. Ein Handverkäufer der deutschsprachigen Ausgabe der Resistencia, des Organs der kolumbianischen Guerillabewegung FARC, wird verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Im Verlag 8. Mai, der die Zeitung herausgibt, findet eine Hausdurchsuchung statt, der Geschäftsführer wird ebenfalls verhaftet. Dieses Szenario könnte demnächst Wirklichkeit werden. Schließlich wurde auf einer Sitzung des Bundeskabinetts am 19. September die Einführung des neuen Paragraphen 129 b ins Strafgesetzbuch beschlossen. Er soll den 1976 eingeführten und 1987 verschärften Paragraphen 129 a ergänzen, der die Bildung und Unterstützung
von, die Mitgliedschaft in und die Werbung für terroristische und kriminelle Vereinigungen in Deutschland unter Strafe stellt. Die neue Verschärfung soll den Kreis der zukünftig Verfolgenden auf Mitglieder und Unterstützer internationaler "terroristischer Organisationen" ausdehnen. Dabei forderten Bürgerrechtsorganisationen sowie bündnisgrüne Politiker seit Jahren die Abschaffung des 129 a, der seit seiner Einführung heftig umstritten war. "In der Praxis werden damit vor allem mißliebige Meinungsäußerungen kriminalisiert: So wurden Journalisten der Unterstützung
terroristischer Vereinigungen beschuldigt, weil sie Bekennerschreiben militanter Gruppen abdruckten. Sprayer, die die Wände der Münchener U-Bahn mit dem Slogan "Krieg denPalästen" und einem fünfzackigen Stern bemalten, wurden in den 80er Jahren wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung zu zwölf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt". So beschrieb der Jurist Marc Holzberger die Auswirkungen des Paragraphen. Der Publizist Oliver Tolmein charakterisierte den 129 a als "ein flexibel einsetzbares Instrumentarium zur Ausforschung des Protestmilieus".
Ein Befund, der sich auf Fakten berufen kann, die die Bundesregierung kürzlich auf eine kleine Anfrage der PDS hin veröffentlichte. Danach endeten weniger als drei Prozent der Ermittlungsverfahren, die in den 90er
Jahren aufgrund des Paragraphen129 a eingeleitet wurden, mit einem gerichtlichen Urteil. Die eingestellten restlichen 97 Prozent waren für den Staatsschutz keineswegs nutzlos, denn der 129 a eröffnet eine Fülle von Möglichkeiten zur Überwachung großer Personengruppen.

Die Einführung des 129 b soll im Windschatten der Anschläge in den USA schnell über die Bühne gehen. Dabei reichen die Pläne dafür bis in den Dezember 1998 zurück, als der Rat der Innen- und Justizminister der EU alle Mitgliedstaaten verpflichtete, in ihr jeweiliges Strafrecht den Tatbestand der Beteiligung an einer "kriminellen Vereinigung" aufzunehmen. Damit könnte der alte Traum vieler Sicherheitspolitiker vom einheitlichen Rechtsraum EU Wirklichkeit werden. Legale politische Handlungen wie Demonstrationen, Presseerklärungen etc. können kriminalisiert werden, wenn sie als Unterstützung für eine terroristische Vereinigung gewertet werden.
Die Entscheidung, wann bewaffnet kämpfende Gruppen als Terroristen und
wann als Freiheitskämpfer zu gelten haben, behalten sich die Regierungen je
nach politischer Opportunität vor.