Noch ein Flugzeug

06.10.2001

Kolumne aus San Salvador

Gestern gab es hier wieder ein schweres Erdbeben, es gab aber keine Personenschäden, außer, dass viele Leute einen Schock bekamen. Darüber wurde in den Zeitungen allerdings nur am Rande berichtet (Seite 21), denn es gibt wesentlich Wichtigeres: "US-Luftfahrtgesellschaften in der Krise – Unternehmen benötigen 24 Mrd. US$" (Seite 1); "Afghanistan bereitet sich auf den Heiligen Krieg vor"(Seite 2); "Bush: ,Bin Laden ist nur der Anfang" (Seite 3). So geht es weiter mit der Berichterstattung zu den Attentaten und ihren ökonomischen und politischen Auswirkungen bis zur Seite 18, mit einem Bericht zu einer Demonstration in San Salvador. Diese Demonstration hatte eigentlich nichts mit den Attentaten zu tun, sondern richtete sich gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik (bzw. gegen ihre völlige Abwesenheit) der Regierung und wurde von Gewerkschaften, NGO´s und der FMLN organisiert. Am Rande der Demo skandierten dann irgendwann 400 vermummte Jugendliche: "Noch ein Flugzeug, noch ein Flugzeug!" und verbrannten die amerikanische Flagge. Die Regierungsparteien und ihre Medien (also fast alle Zeitungen und Fernsehsender) stürzten sich natürlich dankbar auf diese makabere Randerscheinung und jetzt ist nur noch von "der von FMLN und Gewerkschaften organisierten anti-amerikanischen Demonstration zur Verhöhnung der Opfer des Terroranschlages" die Rede, "mit dem die Linke sich als Komplize von Terroristen" geoutet und "Schande über das ganze Land und jeden anständigen Salvadorianer" gebracht habe. Aber was solle man auch von Leuten erwarten, die selbst Terroristen waren (gemeint ist die ehemalige Guerilla FMLN).
Die Regierungspartei ARENA ist dringend dafür, diese Leute durch den Geheimdienst beobachten zu lassen, denn zwar dürfe jeder seine Meinung unabhängig von deren Inhalt frei äußern (schließlich sei man eine Demokratie und ein Rechtsstaat), aber diese Leute seien zweifellos eine Gefahr für die Nationale Sicherheit. Insofern kam der Auftritt der Vermummten zur rechten Zeit, denn vor ein paar Tagen hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass der salvadorianische Geheimdienst OIE illegal, weil nicht verfassungsgemäß Zustande gekommen, sei und seine Arbeit sofort einzustellen habe. Der Präsident hat schon verkündet, dass er das Urteil respektieren wird, aber nicht im Entferntesten daran denkt, sich daran zu halten. Denn schließlich leben wir in einem Rechtsstaat. Er hat´s ja auch nicht leicht, unser Francisco Flores. Da ist er tatsächlich kritisiert worden, weil die offiziellen Feierlichkeiten am 15.09. zum 180. Jahrestag der Unabhängigkeit erstmals seit Errichtung der Demokratie (wann das gewesen sein soll, gehen die Meinungen auseinander; die Angaben schwanken zwischen dem Jahr 1821 und dem Jahr 2376) unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Dabei weiß doch jeder, dass der salvadorianische Präsident nach dem US-amerikanischen das wichtigste Ziel der Terroristen dieser Welt ist, weil er so doll für Freiheit und Neoliberalismus eintritt.