Palästina: Augenzeugenbericht einer angehenden österreichischen Ärztin

03.09.2002

Teil 4

In der Nacht vom 27. zum 28. August erfolgte ein schwerer Angriff mit Apaches in Gaza Stadt, in unmittelbarer Naehe des Hauptquartiers des Roten Halbmonds. Zerstoert und beschaedigt wurden dabei unbewohnte sich im Bau befindende Haeuser. In der darauffolgenden Nacht erfolgte ein weiterer Angriff in Gaza Stadt, dem vier Mitglieder einer Familie zum Opfer fielen, die Mutter mit drei Kindern. Am 30. August starben in Rafah ein vierzehnjaehriger und ein sechzehnjaehriger, einer durch einen Kopfschuss, der andere durch einen Schuss in den Brustkorb. In der Nacht vom 31. August zum 1. September wurde in Khan Younis in der Gegend von El Touffah einer 20 Jaehrigen Frau ins rechte Auge geschossen, zwei weitere Menschen erlitten Splitterverletzungen im Zuge von Haeuserzerstoerungen. Ich arbeite diese Woche in Rafah, ganz im Sueden an der Grenze zu Aegypten. Waehrend Gaza Stadt noch tatsaechliche Infrastruktur aufweisst, wie beispielsweise gepflegte Parkanlagen, so findet man in Khan Younis schon etwas weniger Infrastruktur, aber zumindest noch ein belebtes Stadtzentrum mit gefuellten Marktstaenden. Wenn man dann bis nach Rafah vorgestossen ist, sieht man den Unterschied sofort. Rafah hat wohl ein Zentrum, aber die sichtbare Armut, die Zerstoerungen und das gesamte staubige Strassenbild zeigen das Gesicht eines andauernden Krieges. In Rafah hoert man auch waehrend des Tages Schuesse und Artellerie. Gut die Haelfte aller Ausfahrten mit der Rettung sind am Tag psychosomatische Faelle, in der Nacht sind fast die gesamten Ausfahrten Schussverletztungen oder psychosomatische Probleme. Die Infrastruktur in Rafah scheint dem andauernden Krieg erlegen zu sein. Als ich in Khan Younis arbeitete, betreute ich einen Fall in El Karrara, der jeden Tag wegen etwas anderem ins Spital gebracht wird. Am Vortag war es Fieber gewesen, bei mir waren es Rueckenschmerzen. Auch hier lag das vor, was hier etwas beilaufig psychic case genannt wird, und das war auch kein Wunder. Das Wohnhaus dieses Mannes war direkt neben einem israelischen Watchtower, direkt neben dem Stacheldrahtzaun, die Entfernung dazwischen war vielleicht die Haelfte von der zwischen Haas Haus und Stephansdom.
Es gibt hier zahlreiche Leute, unter anderem auch zwei Sanitaeterinnen in Rafah, die vor zwei Jahren nach Gaza kamen, um ihre Familien zu besuchen, und dann im Zuge des Ausbruchs der Intifada nicht mehr ausreisen durften. Ihr jordanischer Pass ist abgelaufen, sie bekommen keinen neuen Ausweis von den Israelis ausgestellt, und sind damit praktisch nicht existent. Sie koennen nicht mal nach Gaza Stadt fahren, wegen dem Checkpoint zwischen Khan Younis und Gaza Stadt. Eine von ihnen hat dann geheiratet, mittlerweile hat sie zwei Kinder, die beide Ausweise haben, wie auch ihr Mann, nur sie ist im Sueden des Gaza Streifens gefangen. Was hier ueberall praesent ist, ist die Solidaritaet mit dem Irak. Sowohl in Khan Younis als auch in Rafah sah ich schon Lautsprecherwagen, bestueckt mit palaestinensischen und irakischen Fahnen, die dazu aufriefen, Bilder von Saddam, oder irakische Fahnen aus den Fenstern zu haengen. Die Sanitaeter mit denen ich ueber den Irak geredet habe, waren sich alle bewusst, dass ihre Gemeinsamkeit mit dem irakischen Volk die ist, dass sie gegen den Westen, gegen die USA stehen. Waehrend der Irak hier also beliebt ist, kommen die Golfstaaten mitunter nicht so gut weg, auch Saudi Arabien nicht, man fuehlt sich hier verraten von den arabischen Nachbarn.