Die Einsamkeit Bolivars

02.01.2003

Resolution der Antiimperialistischen Koordination zur Situation in Venezuela

Der venezolanische Präsident vor einer tief gespaltenen Nation

Seit etwa einem Monat sind jene sozialen und politischen Kräfte, die im April dieses Jahres bereits einen Staatsstreich gegen den gewählten Präsidenten Venezuelas Hugo Chavez versucht hatten, wieder auf der Strasse: die Bourgeoisie und Oligarchie mit ihren traditionellen Parteien COPEI und AD, ein großer Teil der Mittelklasse, die Arbeiteraristokratie des Erdölsektors, Teile der alten Staatsbürokratie und der Militärhierarchie, die um ihre Positionen und Privilegien fürchten, und schließlich die Medien. Der Imperialismus scheint noch in Warteposition zu verharren, wann der günstigste Moment da sei, gegen die "antidemokratische Regierung" offen zu intervenieren. Dieses Zögern ist sicher auch vor dem Hintergrund des kommenden Irakkrieges zu verstehen, in den die USA nicht mit einer zweiten Front in Südamerika gehen wollen.
Die Methoden der rechten Opposition der sogenannten "Demokratischen Koordination" erinnern an Chile 1973: eine Unternehmerstreik, die Mobilisierung der Mittelklassen, ständige Desinformation durch die Medien, um ein Klima des Chaos und der Unregierbarkeit zu schaffen, sowie Gewaltaktionen um den Eindruck eines bevorstehenden Bürgerkrieges zu provozieren. Die wichtigste Waffe der Opposition ist die Bestreikung und Sabotage der Erdölindustrie, da das Land und der Staat zu einem Gutteil von den Einkünften dieses verstaatlichten Sektors abhängen. Die Opposition weiß, dass Chavez hier intervenieren muss, um den Erdölexport wieder zu aktivieren und einen Staatsbankrott abzuwenden. Das wird der Moment sein, wenn sie nach der Hilfe des Imperialismus gegen die "diktatorische und gewalttätige Regierung" rufen. Die Einmischung des OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) Chefs Gaviria angesichts der Besetzung einiger Medien durch Chavez-Anhänger "um zu vermitteln" war bereits ein Vorspiel für die imperialistische Verteidigung der "Demokratie und Meinungsfreiheit". Doch die Opposition hat erklärt nicht verhandlungsbereit zu sein und bis zum Sturz der Chavez-Regierung weiterzumachen.
Chavez ist in einer verzwickten Lage. Ein Kompromiss scheint schwierig. Wenn die Regierung durch die Mobilisierung der bolivarianischen Zirkel, der armen Schichten der Vorstädte und der loyalen Truppen zurückschlägt, ist eine aktive Intervention des Westens möglich, um die "Legalität" zu verteidigen. Wenn Chavez aber seine Anhänger nicht mobilisiert, wird die Opposition ihre Sabotage in der Erdölindustrie weiterführen, wissend dass keine Regierung das über längere Zeit ertragen kann. Die Nation ist politisch zwischen Arm und Reich gespalten, die Einheit ist zerbrochen. Ein Zögern von Chavez – geblendet durch die Illusion des geeinten Vaterlandes – die armen Klassen zu organisieren und zu mobilisieren, die bereits ungeduldig auf den Aufruf zum Kampf warten, könnte in einem Desaster wie in Chile 1973 enden, als Allende ebenfalls zögerte und damit der Reaktion einen taktischen Vorteil gab, der ihr erlaubte ihn und die organisierten Unterschichten zu zerstören.
Die internationalen Kräfteverhältnisse sind sicher nicht günstig für Chavez, der bereits die beste Möglichkeit versäumt hat gegen die Opposition vorzugehen, nämlich nach dem gescheiterten Putschversuch im April, als die Rechte durch ihre Niederlage geschwächt war. Möglicherweise gibt es jetzt eine zweite Möglichkeit. Die kommende US-Aggression gegen den Irak scheint das US-Engagement zugunsten der Opposition in Venezuela einzuschränken auf eine "Einmischung niedriger Intensität", etwa durch punktuelle Blockaden durch US-Konzerne wie Exxon sowie politische und finanzielle Hilfe für die Opposition. Doch angesichts des Irakkrieges ist es unwahrscheinlich, dass die USA der Opposition neuerlich zu einem riskanten Bürgerkriegsabenteuer raten. Denn die USA wissen, dass die Regierung Chavez noch wichtigen Rückhalt in der Bevölkerung und auch in der Armee besitzt. Ein Sieg in einem Bürgerkrieg ist daher nicht garantiert und seine Auswirkungen könnten regionale Dimensionen annehmen. Da die USA eine Niederlage wie im April und einen unkontrollierbaren Konflikt in jedem Fall vermeiden wollen, scheinen sie abzuwarten. Mit einer Gegenmobilisierung würde Chavez heute nicht nur seine reaktionären Gegner schwächen können, sondern auch den internationalen antiimperialistischen Widerstand gegen den US-Krieg stärken. Die Losung der "zwei, drei, vielen Vietnam" ist aktueller denn je, um den Widerstand gegen die imperialistische Aggression führen zu können und um neue revolutionäre Möglichkeiten zu eröffnen. Eine internationale antiimperialistische Front ist dafür ein Schlüssel.
Wird Chavez diese Möglichkeit nutzen oder wird er weiterhin blind in die illusionäre Einheit der Nation hoffen und seine Anhänger unter den armen Klassen zurückrufen? Wir fürchten dass Chavez auf die Zeit setzt und davor zurückschreckt, die möglicherweise unkontrollierbaren revolutionären Energien unter den Armen in Bewegung zu setzen. Wenn die imperialistische Unterstützung für die Opposition nicht stärker wird, könnte Chavez mit seinem Abarten tatsächlich noch einmal Glück haben und die Oppositionsfront würde alleingelassen abbröckeln. Doch auch das wäre nur ein Waffenstillstand, wie nach dem April, vor dem nächsten Versuch. Wie Berthold Brecht einmal sagte: Einen Kampf kann man verlieren, aber den Kampf, den man nicht führt, hat man bereits verloren.
Wenn der moderne Bolivarianismus nicht wie Simon Bolivar vor 180 Jahren enden will, alleine und verlassen nicht nur von den Reichen, die um ihre Privilegien fürchten, sondern auch von den Armen, die ungeduldig einen radikalen Wandel erwarten, geblendet durch die Illusion der Vereinigung der unversöhnlichen Interessensgegensätze in der Nation, dann muss er den Schritt zu einer antiimperialistischen, revolutionären und antikapitalistischen Bewegung gestützt auf die armen Klassen wagen.

Nieder mit der reaktionären pro-imperialistischen Opposition!
Gegen die Reaktion - mit der organisierten Kraft der armen Klassen!

Antiimperialistische Koordination, 28 Dezember 2002