Massive Angriffswelle gegen Opposition in der Türkei

26.02.2004

Die Menschenrechtsverletzungen der türkischen Regierung nehmen kein Ende

In den vergangenen Wochen sind in der Türkei mindestens 200 AktivistInnen, vorwiegend Mitglieder des TAYAD brutal angegriffen und festgenommen worden.

Eine kurzer Rückblick auf die jüngsten Ereignisse:

- Am 10. Februar wurden 19 Personen, die in verschiedenen Teilen Istanbuls Plakate mit der Aufschrift " In den Gefängnissen sind 107 Menschen gestorben, habt Ihr davon gehört?" aufhängten, von der Polizei zusammengeprügelt und festgenommen. Wegen völlig legaler Plakate mussten die Festgenommenen willkürlich einen Tag auf der Polizeistation verbringen...

- Auch in Ankara wurden 17 Personen aus dem selben Grund zusammengeprügelt und festgenommen. Die Polizei soll diesmal sogar Schüsse auf die Plakatierenden abgefeuert haben.

- Im Abdi Ipekci Park (Ankara), in dem Angehörige des TAYAD seit 5 Monaten einen Hungerstreik gegen die Isolation in den Gefängnissen führen, wurden 2 Angehörige festgenommen, weitere Menschen wurden aus ihren Wohnungen heraus verhaftet.

- Darüber hinaus wurden die Büros des Ankara Jugendvereins, des Vereins für grundlegende Rechte und Freiheiten, Idilcan Kulturzentrums und der Zeitung Ekmek ve Adalet durchsucht, nachdem ihre Türen mitten in der Nacht gewaltsam aufgebrochen worden sind. 4 der, an diesem Tag festgenommenen 32 Personen wurden verhaftet.

- Am Samstag, den 14. Februar 2004 wurden in Istanbul/ Mecidiyeköy Angehörige des Tayad bei einer Presseerklärung brutal angegriffen und festgenommen. Die etwa 60 Personen umfassende Gruppe von Angehörigen wurde von der Polizei attackiert, als sie sich vor der "Associated Press Agency" versammelte. Dutzende Menschen wurden dabei festgenommen. Der Angehörigenverein von Gefangenen TAYAD berichtet, dass Ruken Kilic bei der Festnahme eine Schädelfraktur und einen Armbruch erlitten habe. Auch die in Polizeigewahrsam genommenen Personen sollen Spuren von Misshandlungen an ihrem Körper aufweisen.

- Nach diesem Angriff begab sich eine zweite Gruppe vor das Gebäude, um eine Erklärung zu verlesen. Doch auch dieser Versuch endete mit einem Angriff und der Festnahme von etwa 20 Personen. Mustafa Erol soll infolge der Schläge und des Einsatzes von Pfeffergas sein Bewusstsein verloren haben.

- Die nächste Gruppe von Tayad Angehörigen begab sich daraufhin in das Büro der BBC, die sich ebenfalls im Gebäude dieser Presseagentur befindet. Die Angehörigen forderten die BBC Angestellten auf, einen Text an alle Presseagenturen zu faxen, und begannen in dem Büro zu warten.

- Währenddessen traf eine weitere Gruppe von Tayad- Angehörigen vor dem Gebäude ein. Bei einem Angriff der Polizei wurden diesmal 5 Personen festgenommen.

- Am 15. Februar wurden auch in Adana 5 Personen festgenommen, als sie die gleichen Plakate aufhängen wollten.

- Am 16. Februar wurden beim Plakatieren in Samsun zwei Personen festgenommen. Sie berichteten ebenfalls von Misshandlungen auf der Polizeistation. Vom Polizeipräsidium wurden sie jedoch noch am gleichen Tag freigelassen.

- In Mersin wurden beim Plakatieren zwei Personen festgenommen.

4 Angehörige des TAYAD, die nach Terminvereinbarung den Industriellen- und Arbeitgeberverband von Mersin, MESIAD aufsuchten, wurden vor dem Gebäude von der Polizei festgenommen.

- 3 TAYAD- Angehörige, die sich zur Handelsbörse in Izmir begaben, um ihre Frage zu stellen, "ob der Tod von 107 Menschen in den Gefängnissen bekannt sei" wurden ebenfalls unter Einsatz von Schlagstöcken festgenommen.

- Mitglieder des Tayad reichten am Dienstag (17.02.) gegen die willkürlichen Angriffe und Rechtsverletzungen der Polizei eine Anklage beim Sultan Ahmet Gericht in Caà°aloà°lu ein. ()

Die Angehörigen des TAYAD verweisen auf die Ereignisse der vergangenen Woche und erklären:

"Die JuristInnen lassen verlauten, dass alle ihre Meinung ausdrücken können, dass alle sagen könnten, was sie wollten. Sie sagen, es gäbe keine gesetzlichen Hindernisse hierfür. Kein einziger Mensch, der von sich behauptet, JuristIn zu sein, behauptet das Gegenteil. Aber trotz allem ist Recht in diesem Land keine Münze wert. Sowohl Meinungsfreiheit als auch Demokratie sind dem Gewissen der mit Schlagstöcken bewaffneten PolizistInnen überlassen. Erst eine Woche davor, am 6. Februar wurden ca. 50 Personen am Taksim Platz (Istanbul) in Gewahrsam genommen. Sie wurden von der Polizei "entfernt", noch bevor sie mit der Presseerklärung beginnen konnten. Sogar Menschen, die sich zu diesem Zeitpunkt zufällig am Taksim Platz befanden, wurden in Gewahrsam genommen. Gegen die Festgenommenen sollen Ohrfeigen, Tritte, Schlagstöcke und Gassprays eingesetzt worden sein. Während der Fahrt zur Sicherheitsabteilung auf der Vatan Strasse wurden sie in Polizeibussen zusammengeschlagen. Unter den Festgenommenen befanden sich auch alte und kranke Menschen. In die Busse wurde Gas gesprüht und die Türen daraufhin verschlossen. Die Menschen erlitten Erstickungsgefahr. Diejenigen, die aus den Bussen gebracht wurden, wurden durch Korridore geführt, in denen sich auf beiden Seiten mobile Einsatzkräfte befanden. Dort wurden sie bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen. Während des Gewahrsams wurden die Menschen bedroht, beschimpft, erniedrigt und entwürdigt. Die Demagogien "Wir treten der EU bei", werden nichts an dieser Realität verändern."

Weitere Razzien und Festnahmen
Der Polizeiterror gegen demokratische Einrichtungen und Personen in der Türkei setzte sich auch noch am 19. Februar fort. Der TAYAD-Vorsitzende Tekin Tangün wurde willkürlich von der Polizei festgenommen. Nach einer Reihe von polizeilichen Eingriffen in den vergangenen Wochen wurden nun der Marmara Tayad und die lokale Zeitung "OkmeydanའHalkà½n Sesi Gazetesi" (Stimme des Volkes von Okmeydani) gestürmt.

Am 19. Februar tauchten gegen 16:45 Uhr Einheiten der Anti-Terrorabteilung der Istanbuler Polizei beim Verein des Marmara Tayad auf. Nachdem die Polizei bei ihrer Durchsuchung des Vereines nichts Verbotenes auffinden konnte, hielt sie dies in einem Protokoll fest und verließ etwa nach 1 Stunde das Gebäude. Aber die Willkür machte auch hier nicht Halt: Als der Tayad-Vorsitzende Tekin Tangün gegen 20.20 Uhr das Gebäude verließ, stürzten sich plötzlich Polizisten auf ihn und nahmen ihn fest. Den Angaben von Tayad Angehörigen zufolge, die versuchten einzulenken, als Tekin Tangün in einen Minibus der Anti-Terrorabteilung verfrachtet wurde, handelte es sich um die gleichen Polizisten, die zuvor das Gebäude durchsuchten.

Nach einem 4-tägigen Verhör wurde der TAYAD- Vorsitzende Tekin Tangün am 23. Februar vom Staatssicherheitsgericht von Istanbul (DGM) verhaftet. Dabei stützte man sich lediglich auf die Aussage einer Person, die Tekin Tangün überhaupt nicht kennt. Diese Aussagen wurden eindeutig von der Polizei diktiert. Bei der Person handelt es sich um einen Gefangenen im Kirklareli Gefängnis, wo sich bekanntlich Aussteiger befinden. Ohne jeglichen Beweis, schlicht aufgrund der Aussage irgendeiner Person wurde der TAYAD Vorsitzende verhaftet.

Es handelt sich hier um ein Komplott und den weiteren Versuch, die demokratische Opposition in der Türkei mundtot zu machen.

Ein weiterer Justizskandal ereignete sich gestern (25.02.) bei der Urteilsverkündung im Prozess zum Armutlu Massaker, bei dem vor zwei Jahren 4 Menschen unter dem Einsatz der Sicherheitskräfte getötet wurden. Ohne jegliche gesetzliche Grundlage wurden alle Angeklagten mit der Behauptung der Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation zu je 12,5 Jahren Haft verurteilt.

Um gegen diese ungesetzlichen Strafen zu protestieren, hatten sich Angehörige des TAYAD (Verein der Angehörigen von Gefangenen) vor dem Gerichtsgebäude versammelt. Dabei wurden etwa 60 Personen von der Polizei physisch angegriffen und festgenommen. In einer schriftlichen Erklärung betont TAYAD, dass bei dem Armutlu-Prozess nicht die Mörder sondern die Opfer angeklagt sind und nun zusätzlich bestraft werden. Er fordert die sofortige Freilassung aller Festgenommenen und protestiert gegen das ungesetzliche Gerichtsurteil.

Der Verein TAYAD setzt sich seit 1984 aktiv gegen die Menschenrechtsverletzungen in den türkischen Gefängnissen sowie gegen andere anti-demokratische Maßnahmen ein. Insbesondere seit Einführung der F-Typ Isolationsgefängnisse in der Türkei, die bisher den Tod von 107 Menschen verursacht haben, sind die Mitglieder des Angehörigenvereins in die Schusslinie des türkischen Staates geraten. Denn es ist seither kaum ein Tag vergangen, an dem der TAYAD nicht auf den Straßen, vor den Fabriken, vor EU-Institutionen und selbst im Ausland, die Aufmerksamkeit auf die unmenschlichen Bedingungen in den Gefängnissen lenkte. Seit einiger Zeit läuft in der gesamten Türkei eine Kampagne gegen die Zensur, die über die das immer noch andauernde Todesfasten in den Gefängnissen und die Isolationshaft verhängt wird.

Angesichts der anhaltenden Repression und gewaltsamen Unterbindung demokratischer Aktivitäten, rufen wir dringend alle fortschrittlichen, sensiblen Menschen auf, einen Solidaritätsbesuch bei den Angehörigen des TAYAD in der Türkei abzuhalten und bei Ihrer Rückkehr über die Lage in der Türkei zu berichten.

Internationale Plattform gegen Isolation
Rue Stevin 190, 1000 Brüssel - Belgien
Tel: 0032 2 230 08 66
isolation@post.com
Tel: (++43) (0)664 561 27 97 (Österreich)


PROTESTNOTEN BITTE AN FOLGENDE STELLEN:

Staatspräsident:
Mr. Ahmet Necdet Sezer,
Cumhurbaskanligi
06100 Ankara,
Turkey
Fax: +90 312 468 5026

Innenminister:
Mr Abdulkadir Aksu
Ministry of Interior
Ià§isleri Bakanligi
06644 Ankara, Turkey
Tà©là©gramme: Interior Minister, Ankara, Turkey
Fax: + 90 312 418 17 95
aaksu@icisleri.gov.tr

Justizminister :
Mr Cemil Cià§ek
Ministry of Justice
Adalet Bakanligi
06659 Ankara, Turkey
Tà©là©gramme: Justice Minister, Ankara, Turkey
Fax: + 90 312 418 5667
ccicek@adalet.gov.tr

Außenminister:
Mr Abdullah Gül
Office of the Prime Minister,

Basbakanlik,
06573 Ankara, Turkey
Fax: + 90 312 417 04 76
agul@mfa.gov.tr

Polizeipräsident:
Mr Gökhan Aydiner
Emniyet Genel Müdürlügü
Dikmen Caddesi No : 89
Dikmen / ANKARA
bphism@egm.gov.tr
Fax: + 90 312 231 96 05

Polizeidirektor von Istanbul

Mr. Celalettin Cerrah

Fax : 00 90 212 636 18 32