Kollektivbestrafungen sind Kriegsverbrechen

27.09.2004

Bericht über eine Häuserzerstörung in Nablus/Balata

Im Morgengrauen des 23. September zerstörten israelische Soldaten das Haus einer 10-köpfigen Familie im Flüchtlingslager Balata/Nablus.

Dieses Vorgehen war eine geplante kollektive Bestrafung dafür, dass der älteste Sohn der Familie - der 26-jährige Ala - sich am Vortag trotz Aufforderung der Soldaten nicht den Israelis ergeben hat. Ala ist eine "wanted person", er gehört den AlAqsa-Brigarden an und wird für die Vorbereitung einiger Anschlaege gegen Israelis in Palästina und Israel mit verantwortlich gemacht.

Bestraft wurde nun eine ganze Familie, der es nie möglich war, ihre jungen Kinder vom Steinewerfen gegen israelische Jeeps abzuhalten, geschweige denn, ihren erwachsenen Sohn vom bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung fernzuhalten.

Dieser Bericht schildert die Beschreibung der Mutter. Sie war schon am gleichen Tag in der Lage, uns vom Geschehenen zu berichten, lediglich Zeitmangel erlaubte ein Treffen erst am Freitag nachmittag.

"In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch schlugen um 2 Uhr Soldaten unten an die Haustür, brachen sie dann auf und verschafften sich mit 30 Mann Zutritt in unser Haus. In aggressiven Ton, der sich die ganze Zeit nicht ändern sollte, befahlen sie mir, meinem Mann und den anwesenden 6 Kindern (Ala haelt sich schon seit langem nicht mehr im Haus auf, eine Tochter ist verheiratet und wohnt woanders), sich im Wohnzimmer zu sammeln. Sie befragten uns nach der Anzahl unserer Kinder und wieviele anwesend seien. Mein Mann antwortete ihnen. Sie fragten nach Ala - über ihn konnten wir ihnen keine Auskunft geben. Dann fragten sie nach den Waffen im Haus. Ich erzählte ihnen wahrheitsgemäss, das keine vorhanden seien.

Sie fragten, ob Ala sich vielleicht im Haus seiner Schwester aufhielte und wo dies denn sei. Ich antwortete, dass ich nicht wisse, wo sie wohne (sie lacht). Daraufhin nahmen sie meinen Mann aus dem Zimmer und fragten ihn nach dem Sohn. Er sagte ihnen, dass es ihm nie möglich war, seine kleinen Kinder zu kontrollieren. Wie könnten sie ernsthaft erwarten, dass er über den Verbleib und die Absichten von Ala Bescheid wisse?

Danach nahmen sie meinen Sohn Ibrahim -13 Jahre alt - mit hinaus. Sie schlugen ihn und fragten ihn nach seinem Bruder. Er weiss natürlich genauso wenig wie wir alle. Als ich sein Schreien hörte, wollte ich zu ihm. Dies wurde mir verweigert.

Die nächste Stunde sperrten sie uns wieder alle zusammen ein und durchsuchten das ganze Haus nach Waffen. Dabei haben sie nicht nur alle Schränke und Schubladen ausgeleert, sondern auch zerstört, was sie zerstören konnten.

Danach verliessen sie das Haus, nicht ohne meinem Mann mitzuteilen, dass er seinen Sohn zur Aufgabe zwingen solle. Andererseits würde unser Haus zerstört."

(Am Tag darauf suchten wir diese Familie in ihrem Haus auf, um ihnen Unterstützung von Seiten ISM anzubieten. Sie lehnten dankend ab, da sie noch keine Dringlichkeit sahen, würden uns aber sobald sich daran etwas ändere, informieren und dann willkommen heissen. Dies sollte nicht mehr möglich werden.)

"In der darauffolgenden Nacht kamen sie wieder, schlugen an die Tür und brüllten, wenn wir ihnen nicht sofort öffnen würden, würden sie schiessen. Ich hatte nicht einmal Zeit, mein Kopftuch umzubinden, mein Mann öffnete ihnen die Tuer. Wieder gingen sie äusserst brutal vor, sperrten uns alle in einen Raum. Mein Mann sagte ihnen, dass er mit unserem Sohn gesprochen habe, dieser sei unter keinen Umständen bereit, sich zu ergeben.

Die Soldaten sagten uns dann, wir hätten 10 Minuten Zeit, um rauszubringen, was immer wir retten wollen. Ich sah mich in den nächsten Minuten dann nicht nur gezwungen, meine Kinder anzuziehen und zu beruhigen, sondern auch das Nötigste einzupacken und herauszuschaffen. Es gelang uns lediglich, 2 Matratzen und einige Taschen mitzunehmen. Wir hatten wirklich nicht mit dieser Schnelligkeit gerechnet, das ganze traf uns unerwartet. Während ich noch schnell etwas zusammenpackte hatte einer der Soldaten ein kleines Bild entdeckt, welches mein 3-jähriger Sohn um den Hals trug. Es zeigt einen kürzlich getöteten Freund unserer Familie. Brutal riss der Soldat dem Kleinen die Kette vom Hals und zerbrach das Bild.

Die Soldaten führten uns dann ins Nachbarhaus, wo wir wieder in einen Raum gesperrt wurden. Ich wollte meine weinenden Kinder beruhigen - einer der anwesenden Soldaten sagte jedoch zu mir `Wenn Du eine Ton von Dir gibst, erschiesse ich Dich.` Eine Stunde mussten wir ungewiss ausharren. In dieser Zeit musste ich mich ein paar mal übergeben, da ich ein nervöses Magenleiden habe. Dann teilten uns die Soldaten mit, es würde gleich sehr laut werden, wir sollen uns nicht erschrecken, sie würden jetzt unser Haus in die Luft jagen. Es gab dann einen ohrenbetäubenden Knall. Ich erfuhr später, dass durch die Druckwelle alle an unser Haus anschliessenden Wohnungen teilweise mit zerstört wurden. In einer von ihnen verletzte eine berstende Fensterscheibe 2 im Kinderbett davor schlafende Kleinkinder.

Ich möchte abschliessend nur noch Gott danken, dass mein Sohn noch lebt. Unser Haus werden wir baldmöglichst wieder aufbauen und wiedereinziehen.

Einer der Soldaten hat einen bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen. Er sagte zum Schluss zu meinem Mann, dass er unserem Sohn sagen soll, dass er auf sein Handy aufpassen solle. Es würde abgehört. Und er respektiere, was er tue und respektiere ihn als ein Kämpfer gegen die menschenverachtende Besatzung."

Während des ganzen Gesprächs machte die müde aussehende Frau einen sehr selbstsicheren, starken Eindruck. Immer wieder dankte sie Gott, dass ihre Familie noch unverletzt und vollzählig ist.

Ich will versuchen, morgen einige Fotos des `Hauses` mit zu verschicken. Hoffentlich klappt es.

Viele Grüsse

Hanan