Verschwunden

22.12.2004

Während die USA im Irak Wahlen inszenieren, ist der Verbleib Tausende Besatzungsgegner unbekannt

Viel steht für die Besatzungsmacht im Irak bei den für 30. Jänner 2005 angesetzten Wahlen auf dem Spiel. Alle bisherigen Versuche den Widerstand mit militärischen Mitteln zu vernichten, haben sich als vergeblich herausgestellt. Im Gegenteil, trotz kolonialer Massaker wie jüngst in Falluja, hat der Widerstand seine Schlagkraft unter Beweis gestellt. Dies erweist sich nur dank einer festen Verankerung in der Bevölkerung als möglich.

Auch die neokonservativen Kriegstreiber haben begriffen, dass die Wahlen die letzte Möglichkeit darstellen, relevante Teile der Bevölkerung in ihr Regime einzubinden. Ebenso sind sie auf internationaler Ebene die einzige glaubwürdige Legitimation für die Besatzung. Darum tun die Besatzer alles, um den Urnengang als legitim, demokratisch und frei darzustellen. Doch das ist mehr als lächerlich:

Erstens können Wahlen unter fremder Besatzung per definitionem nicht frei und demokratisch sein.

Zweitens sind ganze Teile des Landes unter dem ständigen Bombardement der Besatzer. Das gilt nicht nur für die dem Erdboden gleichgemachten Widerstandshochburg Falluja, sondern für viele andere Gegenden einschließlich der Millionenstadt Mosul. Die Besatzer haben bereits angekündigt, dass sie Unruhezonen von den Wahlen ausnehmen wollen. Wahlrecht kommt also nur denjenigen zu, die nicht offen Widerstand leisten und die Fremdherrschaft zumindest passiv hinnehmen. Von freien und allgemeinen Wahlen kann also keine Rede sein.

Drittens gibt es keine nur annähernd seriösen Wählerverzeichnisse. Die Aufzeichnungen aus der Baath-Zeit wurden von den Besatzern vernichtet. Nun versuchen sie sich auch die Bezugslisten des UN-Programms Oil-for-Food zu stützen. Doch wenn es um das blanke Überleben geht, dann sind die Menschen trickreich. Verstorbene Großeltern leben weiter, ein und dieselbe Person trägt sich an verschiedenen Orten ein, die Liste der möglichen Unregelmäßigkeiten ist lang, mit der sich Hungernde eine zusätzliche Essenration verschaffen. Wirklich umfassende Wählerverzeichnisse kann nur eine legitime, von der Mehrheit anerkannte Regierung anlegen.

Viertes wird der Wahlmodus von den Besatzern festgelegt, genauso die wahlwerbenden politischen Formationen von ihnen zugelassen werden. Wirklich demokratische Wahlen können eigentlich nur nach einer verfassungsgebenden Versammlung abgehalten werden, die die Modalitäten bestimmt.

Fünftens gibt es im Irak nach Schätzungen verschiedener Menschenrechtsorganisationen bis zu Hunderttausend politische und Kriegsgefangene, die als solche nicht anerkannt werden. Unter ihnen befinden nach Medienberichten auch sich zahlreiche Kinder, Frauen und alte Menschen. Dass in den Lagern gefoltert und gemordet wird, kann man sich nicht nur ausmalen, sondern musste selbst von den USA nach den Bildern aus Abu Ghraib eingestanden werden. Es muss vermutet werden, dass es sich nur um die Spitze eines Eisberges handelt, um so mehr als die USA ihr Lager in Guantanamo rechtfertigen und es nur logisch ist, dass anderswo ähnliche Installationen eingerichtet werden. Diesbezügliche Berichte aus Afghanistan sind bekannt. Die Besatzer verletzten damit alle Bestimmungen des Kriegs- und Völkerrechts, sowie die entsprechenden Regelungen der Menschenrechtskonventionen. Das elementare Recht auf einen Prozess, so zweifelhaft die Justiz von Washingtons Gnaden auch sein mag, gibt es natürlich nicht.

Hinzu kommt das Problem der Verschwundenen. In Zusammenarbeit mit den von ihnen geführten irakischen Truppen halten die US-Armee nach Belieben Menschen fest, über die sie niemandem, weder den Familien noch Menschenrechtsorganisationen, Auskunft erteilen. All das ähnelt frappant den von den USA unterstützten lateinamerikanischen Militärdiktaturen der 70er Jahre, wo zehntausende Oppositionelle bis heute verschwunden bleiben. Heute weiß man, dass sie aus Hubschraubern über offenem Meer gestürzt wurden, ihre Leichen eingemauert oder in Säure aufgelöst wurden und ähnliches mehr.

Der Fall Abduljabbar al-Kubaysi

Kubaysi, Vorsitzender der Irakischen Patriotischen Allianz, der eine vereinigte politischer Front des Widerstands schaffen wollte, wurde am 3. September 2004 aus seinem Bagdader Haus von US-Truppen verschleppt. Nach wie vor ist sein Verbleib unbekannt. Obwohl seine Frau das Rote Kreuz beauftragt hat, von den US-Militärbehörden Auskunft über ihren Ehemann zu erlangen, verweigern diese bisher jegliche Auskunft – auch der Familie, ihren Anwälten als auch Journalisten gegenüber. Im November teilte das Rote Kreuz in Genf Fr. Kubaysi sogar mit, dass sie für ihren Mann nichts mehr tun könnten.

Da Abduljabbar al-Kubaysi ein Jahrzehnt anerkannter politischer Flüchtling in Frankreich war, intervenierte ein lokales Solidaritätskomitee bei den Pariser Behörden ebenso wie beim Straßburger Europaparlament – bis jetzt ohne konkreten Erfolg. Weitere Versuche, wie beispielsweise eine parlamentarische Anfrage in Italien oder eine Vorsprache bei Amnesty International, sind geplant.

Willi Langthaler