Vive le Non!

27.05.2005

Für den Sieg der französischen Verfassungsgegner

Für den Sieg der französischen Verfassungsgegner, gegen das neoliberale und atlantische Europa!

1. Am 29.5 entscheidet Frankreich in einer Volksabstimmung über die Annahme der europäischen Verfassung. Während in vielen anderen europäischen Ländern die herrschenden Eliten wohlweislich solche Abstimmungen verhindert haben – gerade in jenen Ländern in denen ein "Nein" als möglich erschienen wäre – könnte ein französischen "Nein" tatsächlich den gesamten Verfassungsentwurf kippen, da die Zustimmung aller Staaten notwendig ist. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich: in den letzten Umfragen liegt das "Nein" beständig voran. Obendrein genießt das "Nein" mit Laurent Fabius, ehemaliger Ministerpräsident unter Mitterand und Finanzminister in der Regierung Jospin, auch über Unterstützung aus dem Establishment. Eine Farce nach irischem Muster – anlässlich des Vertrags von Nizza wurde so oft abgestimmt, bis das "richtige" Ergebnis erreicht werden konnte – scheint damit weniger wahrscheinlich.

2. Was steht eigentlich im Verfassungsentwurf? Im Wesentlichen wird der neoliberale, undemokratische und proamerikanische Status quo der Union in Verfassungsrang erhoben. Die europäische Sicherheits- und Militärpolitik wird der NATO untergeordnet (Artikel I-41), dazu kommt aber noch das besondere "Zuckerl" einer Aufrüstungspflicht für jene Mitglieder, die bisher nicht zwei Prozent des BIP für Militärausgaben verwendet haben. Neoliberalismus und Marktradikalismus sind in Zukunft sakrosankt: Soziale Rechte werden den "notwendigen Voraussetzungen der Wettbewerbsfähigkeit" untergeordnet, der Vorrang des Prinzips des "freien Wettbewerbs" ebenso festgeschrieben (Artikel I-2-3), wie die Beschränkungen der staatlichen Defizite, die im Stabilitätspakt verankert sind (III-177). Standortwettbewerb und Sozialdumping finden sich ebenso in der Verfassung: Eine Vereinheitlichung von Steuersätzen wird unmöglich gemacht, ebenso wenig können soziale Standards nach oben angeglichen werden. (III-171, III-210). Auch der völlige Mangel an Demokratie kommt in die Verfassung: Das Europäische Parlament bleibt eine Farce, auch wenn einige lächerliche Rechte dazugekommen sind.
Insgesamt wenig Neues aber: was bisher galt, soll nun Verfassungsrang bekommen. Änderungen dieser Verfassung sind wieder nur einstimmig möglich. Das imperialistische Europa verpflichtet sich der Globalisierung und der Zusammenarbeit mit den USA. Und im Schatten der Verfassungsdebatte werden neue Angriffe vorbereitet: Ein Richtlinie zur Flexibilisierung der Arbeitszeit, nach der auch mal 65 Stunden pro Woche gearbeitet werden können, die Bolkestein Initiative zur Liberalisierung der Dienstleistungen, die Beschränkung des EU-Budgets auf 1 Prozent des BIP und damit das Ende einer Reihe von regionalpolitischen Initiativen.
Ohne das geringste Zögern können wir sagen: "Vive le Non" – es lebe das Nein. Ein französisches Nein macht die EU nicht zu einem Ort der sozialen Gerechtigkeit und der Volksherrschaft. Aber es wäre ein bedeutendes politisches Signal dafür, dass das atlantische Europa der Großkonzerne abgelehnt wird.

3. Angesichts der Auseinandersetzung um die EU-Verfassung hat ein großer Teil der europäischen Linken wieder bewiesen, dass jeder Antagonismus verloren ist. Schändlichstes Beispiel wohl Toni Negri, der der Verfassung zustimmen möchte, um mit der "Scheiße des Nationalstaates" Schluss zu machen. Man muss es der französischen Linken zu Gute halten, dass sie praktisch geschlossen hinter dem "Nein" steht. Für dieses Mal wurde auch die Falle Le Pen ausgelassen, das Verlangen sich von allem zurück zu ziehen, was die Front National auch unterstützt. (An dieser Stelle sei an das Debakel der österreichischen Linken erinnert, die für Europa ist, weil Haider einmal dagegen war.) Innerhalb der Nein-Kampagne ist tatsächlich Fabius das größere Problem als Le Pen. Denn: Frankreich ist anders.
Als einziges Land Europas hat es nach dem 2. Weltkrieg eine Bourgeoisie hervorgebracht, die nicht zur völligen Unterordnung unter die USA bereit war und tatsächlich auch ein eigenständiges politisches Projekt aufrechterhalten hat. Viel ist davon nicht mehr übrig: Frankreich ist in den Schoß der NATO zurück gekehrt und es war Fabius selbst, der 1984 als Premierminister begonnen hat, sowohl den Sozialkorporatismus der Linken, als auch den gaullistischen dirigisme zurückzudrängen – der Beginn der liberalen Wirtschaftsreformen. Dennoch, ein Rest bleibt: Man hört de Gaulle sprechen, der ein europäisches Europa will, wenn Fabius kritisiert, dass der Verfassungsentwurf die Einstimmigkeit der Außenpolitik nicht beendet, und Europa somit "ohnmächtig" bliebe. Teile der Linken haben hier eine offene Flanke, etwa wenn Le monde diplomatique schreibt, die EU möge ein "eigenes zivilisatorisches Projekt definieren". Hier wird nicht nur Europa, sondern auch die Europäische Union zu einem positiven Bezugspunkt, zum Träger sozialer Reformen und zum Instrument der Ablehnung des amerikanischen Imperiums. Eine gefährliche Illusion.

Unser Widerstand gilt zu allererst der Verfassung und dem dominanten Projekt des atlantischen und neoliberalen Europa. Wenn ein Teil des Establishments, Fabius oder Le Pen, ebenfalls mit "Nein" stimmt, dann ist das günstig, nicht schlecht. Nur verwechselt darf man nicht werden. Die Koordinierung der antagonistischen Kräfte, die Herausbildung eines wirklich alternativen Pols, wird eine immer dringlichere Aufgabe. Wir hoffen, dass die internationale Konferenz im baskischen Navarra Mitte Juni einen Schritt in diese Richtung setzen kann.

Für eine antiamerikanische Föderation der freien Völker!