Rassismus-Beobachtungsstelle der EU prangert Rassismuskritik an

06.06.2005

Grundsätzliche Kritik an Israel bald offiziell illegitim?

Ein vor kurzem bekannt gewordenes (und noch inoffizielles) Papier der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Xenophobie (EUMC) enthält eine "Arbeitsdefinition" des Begriffs "Antisemitismus". Antisemitismus wird als "eine gewisse Vorstellung zu Juden, die als Hass gegen Juden ausgedrückt werden kann" (1) beschrieben. Dieser Definition ist durchaus zuzustimmen, wie auch etlichen der danach angeführten Beispiele für antisemitisches Denken und Verhalten. Besonders positiv hervorzuheben ist der mehrfach implizit vorhandene Hinweis auf den Unterschied zwischen dem Staat Israel einerseits und dem Judentum andererseits.

Umso unverständlicher, weil völlig im Gegensatz dazu stehend, ist dann die Behauptung, es sei auch antisemitisch, "dem jüdischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung abzusprechen, etwa durch die Behauptung, der Staat Israel sei ein rassistisches Vorhaben" (2).

Schon der zionistische Vordenker Theodor Herzl hat das Vorhaben, die einheimische Bevölkerung zugunsten der zionistischen Landnahme zu vertreiben, klar ausgesprochen. "Den Privatbesitz der angewiesenen Ländereien müssen wir sachte expropriieren. Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihr in den Durchzugsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Lande jederlei Arbeit verweigern." (3)

Die Tatsache, dass Herzl hier noch nicht konkret und dezidiert Palästina im Auge hatte, ändert logischerweise nichts am rassistischen Charakter seiner Idee. Die von Herzl erwähnte Behutsamkeit wurde zudem bei der Vertreibung hunderttausender PalästinenserInnen vollständig vernachlässigt und ist bis heute bei weiteren Vertreibungen, Landraub, Errichtung der Apartheidmauer und Behandlung der arabischen Bevölkerung als Menschen 2. Klasse nicht zur Anwendung gekommen. Vergabe von staatlichem Land ausschließlich an Juden, Kennzeichnung im Personalausweis, getrenntes Erziehungswesen und z.T. getrennte soziale Einrichtungen mit getrennten und sehr unterschiedlichen Budgets, Ausschluss vom Militär und den daran geknüpften Sozialleistungen - sowohl Theorie als auch Praxis zeigen die schlichte historische und gegenwärtige Falschheit der im Papier implizierten Leugnung der rassistischen Staatsgrundlage Israels.

Ein "Selbstbestimmungsrecht", das unter Anwendung der eben erwähnten Maßnahmen zustande kommt und damit im vorliegenden Fall nichts anderes ist als die völlige Aberkennung des palästinensischen Selbstbestimmungsrechts, also auf Kosten der Selbstbestimmung eines anderen Volkes geht, ist tatsächlich JEDEM Volk abzusprechen. Ein legitimes jüdisches Selbstbestimmungsrecht im Nahen Osten kann es nur in einem gemeinsamen, demokratischen Staat aller dort lebenden Menschen geben.

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die richtige, im selben Papier nur wenige Zeilen später zu findende Definition, es sei antisemitisch, Juden kollektiv für das Verhalten des Staates Israel verantwortlich zu machen. Diese Formulierung legt bereits nahe, dass Israels Verhalten so nobel nicht sein kann und dass so mancher jüdische Mensch unter seiner Selbstbestimmung etwas anderes versteht als für das Verhalten Israels in Geiselhaft genommen zu werden – von welcher Seite auch immer.

Wenn also richtigerweise festgestellt wird, dass Juden nicht kollektiv für die israelische Politik haftbar zu machen sind, dann hat das die grundlegende Unterscheidung zwischen dem Judentum und dem Staat Israel zur Voraussetzung. Die israelische Politik wird also erkannt als die eines Staates, nicht die eines Volkes oder einer Glaubensrichtung. Daher ist, sofern diese Unterscheidung getroffen wird, der Vergleich der israelischen Politik mit jener der Nazis zwar falsch (zumindest was Mechanismen und Ausmaß der Vernichtung betrifft), aber nicht, wie ebenfalls in dem Papier postuliert, antisemitisch.

Im Papier ist abschließend die Rede davon, dass Kritik an Israel, wenn sie in vergleichbarer Weise auch gegenüber anderen Ländern geäußert wird, NICHT als antisemitisch gilt. Somit widersprechen sich die Autoren des Papiers ein weiteres Mal selbst (es sei denn, sie möchten auch die südafrikanische Apartheidpolitik umdefinieren). Die Kolonisierung Südafrikas und die Apartheidpolitik in diesem Staat waren ohne Zweifel ein (in die Tat umgesetztes) rassistisches Vorhaben, ebenso wie die Inbesitznahme Palästinas durch die Zionisten und die israelische Apartheidpolitik. Im Fall von Südafrika ist diese Tatsache und ihre Verurteilung weitgehender Konsens der europäischen "politisch korrekten", sogenannten Zivilgesellschaft. Im Fall Israels, wo durchaus vergleichbare Kritik an durchaus vergleichbaren Praktiken geübt wird, versucht man dagegen von Seiten der EUMC, diese Kritik in der Zivilgesellschaft (und nur dort hat die EUMC meinungsbildenden Einfluss) zu tabuisieren, indem man sie als antisemitisch bezeichnet.

Die zahlreichen Ungereimtheiten des Papiers in Bezug auf die Beurteilung Israels legen letztendlich die Vermutung nahe, dass es sich bei den vielen richtigen Beispielen für antisemitische Denk- und Handlungsmuster hauptsächlich um Blendwerk handelt, das von der Ausblendung und Leugnung historischer Tatsachen in Zusammenhang mit Israel ablenken soll. Darüber hinaus zeigt sich auch hier letztlich wieder einmal nichts anderes, als dass für die Definition von Rassismus und Antisemitismus bzw. Antirassismus und Anti-Antisemitismus keine einheitlichen Kriterien angewandt werden, sondern dass diese Definitionen biegsam sein müssen im Sinne des westlichen Imperialismus, dessen Interessen für die Institutionen der EU maßgeblich sind.

Sollte bei einer eventuellen offiziellen Veröffentlichung des Papiers die Charakterisierung von Kritik an Israels rassistischer Staatsideologie und Politik als "antisemitisch" beibehalten werden, dann vollzieht die EU damit eine Maßnahme zur Delegitimierung von antirassistischer und antiimperialistischer Meinungsäußerung. Diese Maßnahme wäre nach der von den USA übernommenen Kriminalisierung von Befreiungsbewegungen mittels "Terrorliste" als ein weiterer Schritt des EUropäischen Demokratieabbaus im Interesse des Imperialismus (und in Komplizenschaft mit den USA), zu werten.


Antiimperialistische Koordination, Wien
Initiativ e.V., Duisburg


(1) siehe http://usahm.de/Dokumente/DEFINITION18050.htm

(2) ebenda

(3) Jakob Taut – Judenfrage und Zionismus, S. 47