Die Israelis lassen Palästina vertrocknen

16.03.2002

Irmgard Hubauer

Einer der Kernkonfliktpunkte in der israelisch-palästinensischen Konfrontation ist die eigenermächtigte Verfügungshoheit der Israelis über die Grundwasservorkommen des Landes. Mit militärischen und (sogenannten) rechtlichen Maßnahmen hat sich Israel den Zugriff auf 75% der palästinensischen Wasserressourcen gesichert. Dieses Vorgehen ist nicht allein ökonomisch motiviert. In Gesprächen mit Wasserwirtschafts- und Agrarexperten wurden wir immer wieder darauf hingewiesen, dass Israels Wasserpolitik eine bedeutsame strategische Funktion in ihren Expansionsbestrebungen darstellt. Mit dem Raubbau an dieser Basisressource werden bestehende ökonomische Strukturen sukzessive ausgetrocknet und der palästinensischen Bevölkerung jegliche Chance auf den Aufbau einer autonomen, selbsttragenden Volkswirtschaft genommen.
Die ungleiche Wasserverteilung zwischen palästinensischer und israelischer Bevölkerung ist mehr als augenfällig. Die Siedlungen der Israelis sind grün, die palästinensischen Dörfer und Städte hingegen karg und trocken. Während die israelischen Parkanlagen und Gärten flächendeckend mit aufwendigen Bewässerungsanlagen besprenkelt werden, Swimmingpools und Springbrunnen betrieben werden, ist die Wasserversorgungssituation der palästinensischen Bevölkerung äußerst prekär. Kaum 50% der palästinensischen Haushalte haben fließendes Wasser und nur 30% sind an die Kanalisation angeschlossen. In Trockenzeiten müssen die Palästinenser oft mit weniger als 20 Litern pro Person und Tag auskommen, eine Menge die weit unter dem von der WHO festgelegten Mindestbedarf von 120 Litern pro Kopf und Tag liegt. Damit können maximal die grundlegenden Bedürfnisse für Trinken, Kochen und Hygiene erfüllt werden. An einen landwirtschaftliche oder industriellen Wassernutzung ist unter diesen Umständen nicht zu denken.
Der israelische Wasserverbrauch hingegen liegt mit 350-400 Litern pro Person und Tag gut im westeuropäischen Schnitt. In einer Region, die gemessen an der Bevölkerungszahl zu den wasserärmsten der Erde zählt, ist dieses Niveau nur durch Inanspruchnahme externer Wasserressourcen zu halten. Die daraus resultierenden Wasserkonflikte haben einen wesentlich Beitrag zu den Kriegen im Nahen Osten geliefert. Noch weniger als gegenüber seinen Nachbarn Syrien, Jordanien und Libanon zeigt Israel gegenüber den Palästinensern Interesse an einer gleichberechtigten Einbindung an der Verteilung des verfügbaren Wassers. Denn der Erhalt einer festen Wasserquote würde einen wichtigen Schritt zu Palästinas Unabhängigkeit bedeuten.
Israel nimmt sich, was es braucht – und zwar unentgeltlich. Würde Israel der in den Osloer Friedensverträgen festgeschriebenen Verpflichtungen zur jährlichen Lieferung von 35 Millionen m3 Wasser nachkommen, dann würde es den Palästinensern quasi ihr eigenes Wasser verkaufen.
Der Großteil des israelischen Wasserverbrauchs (über 70%) fließt in die israelische Landwirtschaft. Dr. Anan Al, Leiter des Instituts für Wasserwirtschaft und Umwelt an der Universität Nablus, erörtert, dass dieser intensive Wassereinsatz sowohl in volkswirtschaftlicher als auch in ökologischer Hinsicht sehr problematisch ist. Wasser in dieser Region ist viel zu teuer, um eine außenhandelsorientierte, ökonomisch effiziente Agrarproduktion zu führen. Nur mit hohem, volkswirtschaftlich völlig unrentablen staatlichen Subventionsaufwand von 1 US$ proLiter Wasser kann diese intensive Agrarproduktion aufrecht erhalten werden.
Auch in ökologischer Hinsicht ist Israels Intensivlandwirtschaft problematisch. Indem die Grundwasserbestände permanent über dem Limit ihrer Regenerierbarkeit genutzt werden, besteht die Gefahr, dass diese zunehmend versalzen, da durch das Druckgefälle das Meerwasser in die Grundwasserareale einsickert. Wasser wie Böden würden dadurch nachhaltig unbrauchbar. Insbesondere der wasserzehrende Zitrusfruchtanbau, befindet Anan Al, ist in dieser Region ein ökologisches Verbrechen.
Doch die blühenden Orangenhaine sind für Israel von großer historisch-ideologischer Bedeutung. Der Auftrag die Wüste fruchtbar zu machen ist einer der bedeutendsten Gründungsmythen der zionistischen Besiedelung Palästinas. "Die Israelis rühmen sich, dass sie die Wüste zum Blühen gebracht haben, doch unser Land hier haben sie zur Wüste gemacht", klagt unser Reiseführer an und verweist uns dabei immer wieder auf ehemals bewaldete Landstücke, die von israelischen Siedlern gerodet wurden, wie etwa jener Bergrücken, auf dem nun die Siedlung Gilo thront.
Besonders wertvoll ist das Wasser aus den unterirdischen Grundwasserarealen. Große Teile dieser sogenannten Aquifere liegen unter dem Westjordanland und dem Gasastreifen. Die Palästinenser haben jedoch kaum Befugnis, auf dieses hochwertige Wasser zuzugreifen, denn ihnen sind Bohrungen lediglich bis fünf Meter Tiefe erlaubt, die grundwasserführenden Schichten liegen im Westjordanland jedoch bei 80 Meter und tiefer. Eine der wichtigsten Funktionen der Siedlungen in diesen Regionen besteht in der Wassergewinnung. Mit Tiefenbohrungen bis zu 200 m wird das Grundwasser abgezapft und von dort aus in die zentralen israelischen Wassernetze eingespeist.
Für die palästinensischen Gebiete haben diese Tiefenbohrungen fatale Folgen, denn durch die stetige Übernutzung des Grundwassers sind die oberflächlichen Quellen – die einzigen die sie nutzen können – zunehmend versiegt. Das Beispiel Nablus zeugt von den drastischen Folgen des Wasserraubbaus. Vor hundert Jahren wurde diese Stadt von 75 Quellen gespeist und war berühmt aufgrund der prächtigen Gärten an ihren den Hängen. Heute existieren davon nur mehr sieben. Das Tal ist völlig verkarstet.
Am schwersten betroffen ist die Landwirtschaft. Hier ist aufgrund der Vertrocknung eine deutliche Rückentwicklung festzustellen. Vor 20 Jahren war es noch möglich ohne Tiefenbohrungen 25% der Agrarflächen zu bewässern, heute werden nur noch 4% bewässert.
NGOs wie die Union of Agricultural Work Commitees, versuchen nun in großangelegten, meist mit EU-Geldern finanzierten Forschungsprojekten traditionelle Wassernutzungsformen, wie die Zisternenbewässerung und den Terrassenanbau, zu reaktivieren und zu verbessern. In ökologischer Hinsicht sind derartige Forschungsbemühungen durchaus sinnvoll, meint einer der Projektleiter. Aber eine eigenständige, versorgungsfähige Landwirtschaft ist angesichts der wachsenden palästinensischen Bevölkerung mit Oberflächenwasser allein nicht denkbar. Palästina ist daher in den letzten Jahren immer mehr in Versorgungsabhängigkeit von Israel geraten – eine Entwicklung, die durchaus im Sinne der israelischen Märkte ist.
Israels Wasserpolitik zeigt sich damit als Musterbeispiel kolonialer Expansionspolitik: Aneignung und Kontrolle von grundlegenden Ressourcen, damit einhergehend die Zerstörung bestehender sozioökonomischer Strukturen, die schließlich in vollständige ökonomische Abhängigkeit der besetzten Bevölkerung von den Invasoren führt.
Die Tragfähigkeit von Palästinas Primär- und Sekundärproduktion ist längst zusammengebrochen. Palästinas Wirtschaft ist mehr und mehr zu einem Durchgangsposten westlicher Entwicklungshilfegelder verkommen – Gelder mit denen unter anderem Güter aus Israel finanziert werden.
Zynischerweise gehört dazu auch zunehmend der Ankauf von Wasser an die Palästinenser – zum sechsfach höheren, unsubventionierten Realpreis wohlgemerkt!

Irmgard Hubauer (Soziologin in Wien)