Das Ende der Meinungsfreiheit

02.07.2009

In der Europäischen Union gehen neue Gesetzesinitiativen zunehmend in die Richtung, Gesinnung strafbar zu machen. Früher oder später wird sich das Meinungsdiktat gegen die Linke wenden. Aus: Intifada Nr. 28

 

 

Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung

Von Hannes Hofbauer 

"Der Kampf um Sarajevo Anfang der 1990er Jahre war Teil des bosnischen Bürgerkrieges, die Armee des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić hat mitnichten Völkermord an den Muslimen betreiben wollen und auch nicht betrieben." "

Beim Massaker von Srebrenica hatte der französische Geheimdienst seine Finger im Spiel. Die Zahl von 8000 Ermordeten ist um ein Vielfaches zu hoch gegriffen, als Völkermord kann man dieses Massaker unabhängig von der Täterschaft nicht bezeichnen."

"Beim Zusammenbruch des Osmanischen Reiches bildeten die Führer der Armenier die fünfte Kolonne Moskaus, die von türkischen Nationalisten durchgeführte Vertreibung und Umsiedlung Zehntausender Armenier ist vor diesem Hintergrund zu erklären und fällt nicht unter die Kategorie Völkermord."

"Die Hungerkatastrophe in der Ukraine im Winter 1932/33 war eine Spätfolge des Bürgerkrieges in der Sowjetunion und keinesfalls eine von Stalin vorsätzlich betriebene Vernichtung des ukrainischen Volkes."

Vier Sätze, die jeder für sich den Verfasser ins Gefängnis bringen können. Geht es nach dem Willen der Europäischen Union, sind noch im ersten Halbjahr 2009 drei dieser vier Sätze in ganz EU-Europa strafwürdig. Historische Wahrheiten werden ab 2009 staatlich bzw. suprastaatlich verordnet und dürfen nicht mehr hinterfragt werden. Passiert dies doch, treten automatisch Staatsanwälte in Kraft. Von Gesetzes wegen haben sie keine andere Möglichkeit, als mindestens ein bis drei Jahre Haft zu verhängen. "Leugnung, Billigung oder Verharmlosung" von Völkermord bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit lauten die Delikte. Proteste gegen diese Art von zukünftiger Gesinnungsjustiz waren bislang im deutschen Sprachraum nicht zu vernehmen.

Der EU-Rahmenbeschluss
Am 19. April 2007 haben sich die Justizminister der 27 EU-Staaten nach jahrelangen Verhandlungen auf einen Rahmenbeschluss zur Kriminalisierung von Rassismus, Antisemitismus und Leugnung von Völkermord geeinigt. Dabei geht es nicht um tatsächlich ausgeführte rassistische, antisemitische oder völkermörderische Taten, die freilich in allen nationalen Gesetzeswerken strafbar sind, sondern um mündliche oder schriftliche Äußerungen in der Öffentlichkeit. Binnen zwei Jahren muss dieser Beschluss in nationales Recht umgesetzt werden. Noch vor dem Sommer 2009 dürfte es also EU-weit zu diesbezüglichen Strafverfolgungen kommen.

Schon 2001 war auf einen Vorstoß Deutschlands versucht worden, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nach dem Muster antisemitischer bzw. den Holocaust leugnender Äußerungen überall in der Europäischen Union strafbar zu machen. Die griechische Präsidentschaft sowie vielfache Gegenstimmen aus Italien, Dänemark und später – aus gänzlich anderen Gründen – dem Baltikum hatten die Gesetzeswerdung verzögert, bis die deutsche Bundesjustizministerin Brigitte Zypries im Frühjahr 2007 einen Durchbruch vermelden konnte: "Wir wollen mit diesen Verboten nicht warten, bis es wieder zu Taten kommt, um dann die Täter zu verfolgen und gegebenenfalls zu verurteilen, sondern uns liegt daran, schon im Vorfeld Maßnahmen ergreifen zu können, dass diese Verbrechen erst gar nicht geschehen können", meinte die SPD-Politikerin anlässlich einer Konferenz der Vorsitzenden der innenpolitischen Ausschüsse der nationalen Parlamente Anfang Mai 2007 in Berlin. Schon bevor Verbrechen geschehen, so die deutsche Justizministerin, wird kriminalisiert. Die Haltung ist bedenklich, ja für einen Rechtsstaat bedrohlich. Doch bleiben wir vorerst bei der politischen Dimension der strafrechtlichen Verfolgung von Meinungen.

Auf den ersten Blick wirkt der EU-Rahmenbeschluss zur Verfolgung von Rassismus, Antisemitismus und Leugnung von Völkermord für den unbedarften Demokraten vernünftig. Rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen sollen Straftatbestände sein, sobald sie den "öffentlichen Frieden gefährden". Begründet wird dies mit einem "Verstoß gegen europäische Werte", wie sie die Herabwürdigung von Menschen aufgrund anderer Hautfarbe, Religion oder Abstammung darstellen. Im Mittelpunkt steht das "Verbot der öffentlichen Aufstachelung zu Gewalt und Hass" gegenüber anderen. Dem könnte ohne Wenn und Aber zugestimmt werden, wenn parallel dazu nicht die rassistische Einwanderungspolitik der Europäischen Union in den Sinn käme, der Jahr für Jahr an den Außengrenzen – insbesondere im Süden – Tausende Schwarze zum Opfer fallen. Mauern und Stacheldraht im nordafrikanischen Sabta (Ceuta), die schwarze Hungerleider von den vergleichsweise gut gefüllten Töpfen in EU-Europa abhalten sollen, sind zu in den Massenmedien weitgehend verschwiegenen Symbolen dieses suprastaatlichen Rassismus geworden; desgleichen EU-europäische Marinesoldaten und Rückführabkommen mit afrikanischen und asiatischen Staaten, mit denen Jagd auf Schwarze im Mittelmeer gemacht werden … und die letztlich die Basis und Legitimation für den allerorts aufkeimenden Rassismus im Inneren der Festung bilden.

Doch der EU-Rahmenbeschluss wurde nicht gegen diese Art von strukturellem Rassismus gefasst. Nicht die Innen- und Justizminister, die sich immer neue Technologien gegen verzweifelt um Aufnahme suchende Asiaten und Afrikaner ausdenken, sind im Visier der neuen Rechtsvorschriften. Eher schon islamische Imame in den Moscheen zwischen Bradford und Köln, denen einmal ein "die Weißen sind schuld am Unglück in Palästina" oder ein Wortschwall gegen Juden entschlüpft, können mit dem antirassistischen Gesetz ohne viele Umstände vor den Kadi gezerrt werden. Auch das wäre akzeptabel, mag sich der Demokrat denken. Immerhin sind Hassprediger einer offenen Gesellschaft nicht würdig. Der Einsatz des Strafrechtes zur Regulierung von Meinung ist indes der falsche Weg, weil er Positionen tabuisiert und Diskussionen einer staatsanwaltlichen Kontrolle unterstellt.

Die Einzigartigkeit des Holocaust
Ein einziger Bereich in Deutschland und Österreich kennt seit Jahrzehnten den Tatbestand einer strafbaren Gesinnung. Es ist dies die Leugnung bzw. Verharmlosung des Holocaust und der nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden und Roma. Unabhängig vom politischen Willen, z. B. eine Nachfolgeorganisation der NSDAP gründen zu wollen, was als "Wiederbetätigung" verfolgt wird, macht sich in Deutschland (nach § 130 Absatz 3 des Strafgesetzbuches) und Österreich (1992 verschärft) jeder strafbar, der beispielsweise öffentlich die Existenz der industrielle Vernichtungsmaschinerie von Hitlers Schergen leugnet oder sie verharmlost. Diese Gesinnungstäterschaft beschränkt sich auf die Gräuel, die das "Dritte Reich" im Inneren (vornehmlich gegen Juden) angerichtet hat und gilt beispielsweise nicht für die Aggression nach außen, also z. B. die Leugnung oder Verharmlosung der Tötung von Millionen Sowjetbürgern im Russlandfeldzug.

Auf EU-Ebene wird Holocaustleugnung Anfang 2009 in neun (von 27) EU-Staaten juristisch verfolgt. Diese strafwürdige Leugnung unterstreicht die Einzigartigkeit der Menschenvernichtung unter den Nationalsozialisten. Die Unvergleichbarkeit des in seiner industriellen Form betriebenen Verbrechens war eines der wesentlichen Argumente dafür, "Leugnung" oder "Verharmlosung" desselben gerichtlich zu verfolgen. Es gab und gibt jedoch gewichtige Stimmen, die sich auch in diesem Fall gegen eine Gesinnungsjustiz aussprechen. Sie tun das mit nachvollziehbarer Begründung, denn staatsrechtlich verordnete Tabus, und nichts anderes ist die Strafwürdigkeit der Holocaustleugnung, drängen historische und politische Argumente gegenüber juristischen Paragraphen in den Hintergrund. Niemand kann seriöser Weise behaupten, dass während des "Dritten Reiches" Juden nicht systematisch verfolgt, enteignet und massenhaft ermordet worden wären. Ein Verbot der Behauptung des Gegenteils macht indes aus Nazipropaganda oder Dummheit Märtyrer gerade in jener Szene, die jenseits jeder Vernunft gesellschaftlich provozieren will. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben Antifaschisten wie der bekannte Politologe Eugen Kogon schon in den 1950er Jahren gefordert, das "Recht auf Dummheit" zuzulassen und dem Thema damit seine angebliche politische Brisanz zu nehmen. Eine solche Brisanz ist angesichts der historischen Fakten, die eindeutig sind, nicht gegeben, wird indes durch gerichtliche Verbote quasi künstlich erzeugt. Gegen gesetzliche Maßnahmen bei der Leugnung der Judenvernichtung sprechen sich auch heute namhafte Historiker wie NS-Forscher Götz Aly und Eberhard Jäckel aus. "Was mich daran stört", meinte Jäckel am 1. Februar 2007 in einem Interview bei Deutschlandradio Kultur, "ist, dass der Holocaust metahistorisiert wird; das heißt, man nimmt ihn aus der Geschichte als konkretes Ereignis heraus, er wird philosophisch, theologisch behandelt, um eine gegenwärtige politische Moral zu begründen, und dadurch wird Holocaustleugnung so etwas wie eine Gottesleugnung."

"Für die Freiheit der historischen Forschung" sprachen sich auch angesehene links stehende italienische HistorikerInnen und PhilosophInnen aus, als sie in einem offenen Brief vom 22. Januar 2007 gegen die geplante Einführung eines Straftatbestandes der Leugnung des Holocaust in Italien Stellung nahmen. Carlo Ginzburg, Marcello Flores, Claudio Pavone und andere warnten in ihrem Aufruf davor, "an Stelle von kultureller Beeinflussung, Erziehung und moralischem Druck zur Anerkennung der Wahrheit der Schoah die Drohung durch das Gesetz zu stellen". Damit, so die WissenschaftlerInnen weiter, biete man "den Leugnern, wie es schon geschehen ist, die Gelegenheit, sich als Verteidigung der Meinungsfreiheit aufzuspielen". Die italienischen Intellektuellen sehen allein in der "Zivilgesellschaft" jene Kraft, "die durch ständigen kulturellen, ethischen und politischen Kampf die Antikörper gegen die Leugner bilden kann." Sie schließen mit der Aufforderung: "Der Staat sollte die Zivilgesellschaft unterstützen und sich nicht mit einem Gesetz, das womöglich nutzlos oder – schlimmer noch – kontraproduktiv ist, an ihre Stelle setzen."

Wie immer man zum Thema Kriminalisierung eines – wenn auch völlig inakzeptablen und verqueren – Geschichtsbildes steht, mit der inhaltlichen Weiterentwicklung der Strafbarkeit von Meinungen durch den EU-Rahmenbeschluss vom April 2007 ist jedenfalls das Argument der Einzigartigkeit des Holocaust in der juristischen Aufarbeitung entkräftet. Politisch-historisch mag die Judenverfolgung Mitte des 20. Jahrhunderts unvergleichlich gewesen sein, in den Gerichtssälen der Europäischen Union wird sie sich demnächst neben rassistische Aussprüche gegen Ostasiaten oder Afrikaner und Leugnung von Völkermorden in Armenien, Ruanda und Darfur einreihen.

Kulturelles Schweigen
Das seit 1995 von einem durch die EU gestellten Kolonialverwalter geführte Bosnien-Herzegowina ist mutmaßlich jenes Land in Europa, das Gesinnungsjustiz als erstes auf die Spitze getrieben hat. Ausgehend von der strukturellen Schwierigkeit, aus den zwei durch den Friedensvertrag von Dayton hervorgegangenen Gebilden – der kroatisch-muslimischen Föderation und der serbischen Republik – einen gemeinsamen, multinationalen Staat machen zu wollen, stehen nationalistische Äußerungen zwischen Sarajevo, Mostar und Banja Luka unter ständiger Beobachtung des "Hohen Repräsentanten der internationalen Staatengemeinschaft". Immer wieder führen missliebige Stellungnahmen von Serben oder Kroaten (weniger von Muslimen) zu Parteienverboten, Medienschließungen und – für den einzelnen – zum Verlust der Bürgerrechte. Hunderte serbische Politiker wurden auf Basis diverser Gesinnungsparagraphen seit 1995 vom Kolonialverwalter ihrer Ämter enthoben, eine kroatische Bank wegen Verdachts der Finanzierung einer nationalistischen Partei geschlossen, ehemaligen muslimischen Kämpfern ihre Staatsbürgerschaft entzogen, manche von ihnen nach Guantánamo verschleppt.

Der Fall des Zoran Žuža gibt uns Aufschluss darüber, wie weit Gesinnungsjustiz gehen kann. Er ist auch insofern interessant, als dass diese über EU-Instanzen passiert, welche die Büros des "Hohen Repräsentanten" kontrollieren. An den Rändern der Europäischen Union, die – wie Bosnien und Kosovo – direkt von ihr verwaltet werden, ist Strafbarkeit von Meinung unter dem Deckmantel der Multikulturalität ausprobiert worden. Dort soll sie ihre Feuerprobe bestehen, um später im Zentrum Platz zu greifen.

Zoran Žuža war Sprachlehrer, bevor er sich Anfang der 2000er Jahre um einen Posten im serbischen Parlament von Banja Luka bewarb. Vom Pressesprecher stieg er bald zum Kabinettschef des Parlamentspräsidenten Dragan Kalinić auf. Am 30. Juni 2004 endete seine Karriere abrupt. Der damalige "Hohe Repräsentant der internationalen Staatengemeinschaft", der Brite Paddy Ashdown, entließ auf einen Schlag 59 führende Regierungs- und Parlamentsmitglieder sowie Beamte der Republika Srpska. Parlamentspräsident Dragan Kalinić war das prominenteste Opfer dieser Maßnahme. Auch Zoran Žuža wurde seines Amtes enthoben, verlor gleichzeitig seine Bürgerrechte und erhielt Berufsverbot für den staatlichen Dienst. Was warf Ashdown dem 37-Jährigen Žuža konkret vor? Die offizielle Begründung für den Hinauswurf aus Amt und Partei, so der frühere Journalist und Lehrer gegenüber dem Autor, lautete "kulturelles Schweigen". Mit dieser Formel zielt die "internationale Gemeinschaft" in Person des Hohen Repräsentanten auf alle, die sich weigern, Radovan Karadžić und Ratko Mladić öffentlich als Kriegsverbrecher zu geißeln. Dass der frühere bosnisch-serbische Präsident und sein Armeekommandant bis zu Redaktionsschluss dieses Textes noch von keinem Gericht der Welt verurteilt worden sind, spielt für den Tatbestand des "kulturellen Schweigens" keine Rolle.

Schweigen als Tatbestand – das war neu in der internationalen Rechtssprechung. Oder vielmehr: Es wäre neu gewesen; denn von Rechtssprechung kann in den zahlreichen Fällen, in denen die bosnischen Kolonialverwalter Westendorp, Petritsch oder Ashdown ihre auf dem Dayton-Vertrag fußende Allmacht ausspielten, nicht die Rede sein. Es gibt keine Einspruchsmöglichkeit gegen derlei Entscheide von ganz oben. Ashdown agierte gottähnlich. Dass sich Žuža politisch mit der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) und Dragan Kalinić eingelassen hat, reichte dem "Hohen Repräsentanten" für die Zwangsdemission. Und diese zieht folgenreiche Konsequenzen nach sich, denn einerseits ist Žuža mit offiziellem Berufsverbot für alle staatlichen Angelegenheiten belegt, er kann nicht einmal in seinen erlernten Beruf als Sprachlehrer zurück; und andererseits ist sein Name bei so gut wie allen bosnisch-herzegowinischen Zeitungen und Fernsehstationen in Misskredit geraten.

Dass der seit 15 Jahren mit juristischen Mitteln geführte Kampf gegen in EU-Europa als nationalistisch empfundene Äußerungen ein besseres, multikulturelles Bosnien-Herzegowina geschaffen hätte, kann indes getrost verneint werden. Den eigenen Anspruch hat die Gesinnungsjustiz also nicht erfüllt.

Der Fall Thomas Stricker
Die Schweiz kennt wohl europaweit die restriktivste Jurisdiktion, wenn es um freie Meinungsäußerung geht. Hier ist bereits seit langem ein Paragraph in Kraft, der Rassismus strafbar macht. Dieses Antirassismusgesetz hat auch der Vorstand des Instituts für Computersysteme an der ETH Zürich, Thomas Stickler, zu spüren bekommen. Bereits im Wintersemester 2000 hatte der Informatikprofessor mit seinen Studenten im Rahmen eines Projektes genau dieses Gesetz ironisieren wollen, indem er zeigte, wie leicht mittels Verlinkung auf Webseiten verwiesen werden kann, die abscheulich oder – wie im vorliegenden Fall – kriminell sind. In zwei Verlinkungsschritten konnten den Studenten von Professor Stricker mühelos rassistische und neonazistische Homepages vorgeführt werden. Stricklers Versuch, begleitet von einer Selbstanzeige, war auf die Beweisführung ausgelegt, wie einfach ein Link oder ein Verweis auf der eigenen Internetseite zu Inhalten führen kann, die man selbst ablehnt. Dies passiert einfach durch die Tatsache, dass die Verbindungen in der virtuellen Welt extrem dicht verwoben sind. So haben Wissenschaftler der US-amerikanischen Universität Notre Dame errechnet, dass zwei beliebig ausgewählte Webseiten im weltweiten virtuellen Netz durchschnittlich 19 Klicks voneinander entfernt liegen.

Ein Schweizer Bezirksgericht hat jedenfalls dienstbeflissen Klage gegen den Informatiker Stricker erhoben. Vier Jahre dauerte der Prozess, im Zuge dessen der Informatiker nicht nur juristisch verfolgt, sondern auch u.a. in Kommentaren in der Neuen Zürcher Zeitung als "Rassist" beschimpft wurde und mundtot gemacht werden sollte. Schließlich konstatierte das Gericht, dass ein "Link zu einem Link zu einem Link auf eine rassistische Hompage nicht als absichtliche Unterstützung rassistischer Propaganda unter das Schweizerische Antirassismus-Gesetz fällt." Nach vier Jahren Kampf gegen ein kafkaeskes Rechtssystem und gegen Verleumdungen, so schreibt Stricker, habe er "allen Glauben in die Justiz verloren". Bedient sich zukünftig die Europäische Union ähnlicher Rechtsvorschriften für die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, wie sie der EU-Rahmenbeschluss durchaus ermöglicht, so bedeutet dies auch das Ende der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit beispielsweise zur Soziologie von Rassismus. Denn rassistische oder rechtsradikale Homepages in den USA oder anderen Teilen der Welt, die aufgrund einer auf Meinungsfreiheit beruhenden Rechtsprechung oder anderer Gesetze ohne Einschränkungen ins Netz gestellt werden können, werden dann Nutzern in der EU zum Verhängnis, selbst dann, wenn dies nur zu Studienzwecken passieren sollte.

Ende 2008 scheiterte in der Schweiz ein Versuch der rechts stehenden "Volksinitiative der Schweizer Demokraten" zur Aufhebung des Antirassismus-Paragraphen im Strafrecht. Mit 75.000 Unterschriften blieben die Proponenten der Initiative unter den für die Abhaltung eines Referendums benötigten 100.000 Unterstützungserklärungen.

Völkermörder oder Freiheitskämpfer?
Wie untauglich juristische Mittel im Kampf um politische Meinung sind, ja wie sehr diesbezügliche Kriminalisierung als Teil eines neuen Zensurregimes angesehen werden können, mag der italienisch-kroatische Streit um die Einschätzung titoistischer Kampfmittel gegen den italienischen Faschismus verdeutlichen. In so genannten "Foibe-Massakern" waren vor allem im karstigen Inneren der Halbinsel Istrien italienische Faschisten oder solche, die von den Partisanen der Kooperation mit Italien bezichtigt wurden, in tiefe Karsthöhlen (fojba, fossa) geworfen worden, wo sie den Tod fanden. Historiker schätzen die Opferzahl zwischen 5000 und 15 000. In den vergangenen Jahren wurde aufgrund der Regierungsbeteiligung der Postfaschisten in Italien der 10. Februar zum feierlichen Gedenktag an die Opfer der „jugoslawischen Kriegsverbrechen“ ausgerufen worden, wie dies auf Italienisch lautet. Als nun der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano im Februar 2007 ausgerechnet den von jugoslawischen Partisanen liquidierten Chef der faschistischen italienischen Polizei von Zara/Zadar, Vincenzo Serrentino, posthum mit einem hohen Orden auszeichnete, sanken die kroatisch-italienischen Beziehungen wieder einmal auf einen Tiefpunkt. Für unser Thema von Interesse sind die inhaltlichen Begleitumstände der zwei weit auseinander liegenden historischen Wahrheiten.

Vincenzo Serrentino diente Mussolini als Speerspitze gegen die titoistischen Partisanen. Als diese seiner habhaft wurden, fand er den Tod in den Karsthöhlen. Italiens amtierender Staatspräsident Napolitano rechtfertigte die Ehrung des Faschisten mit den Kriegsverbrechen der "slawischen Barbarei" und den "ethnischen Säuberungen", mit denen die Tito-Partisanen sich der istrischen Italiener entledigt hätten. Umgekehrt kritisierte der kroatische Präsident Stjepan Mesić in einer Replik auf Napolitano den "Rassismus" der Aussagen des römischen Präsidenten.

Beider Vorwürfe sind bei gutem bzw. schlechtem Willen nach dem EU-Rahmenerlass zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit strafwürdig. Da es sich dabei um ein noch zu erläuterndes Weltrechtsprinzip handelt, kann und muss jeder Staat in der Europäischen Union juristisch aktiv werden, wenn es im Mutterland des Täters zu keiner Anklage kommt. Stehen demnächst die beiden Präsidenten Italiens und Kroatiens – nach dessen feierlichem EU-Beitritt – gemeinsam (zum Beispiel in Deutschland) vor dem Kadi und fassen jeder ein Jahr Gefängnis aus?

Der französische Negationismus
"Négationnisme" heißt der französische Fachbegriff für die Leugnung von Völkermord. Bereits im Jahre 1990 wurde in Paris ein Strafgesetz verabschiedet, das Leugnung, Verharmlosung oder sogar Relativierung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Gesinnung unter Strafe stellt. In der Schweiz erfüllt der Antirassismusparagraph eine ähnliche Funktion. Virulent wurde diese Gesetzgebung im Oktober 2006, als die französische Nationalversammlung unter der Führerschaft der Sozialistischen Partei in erster Lesung ein Gesetz beschloss, das ganz konkret die Leugnung des türkisch-osmanischen Genozids an den Armeniern im Jahr 1915 als Verbrechen brandmarkt. Die Kernaussage dieses Gesetzesvorhabens: Wer immer in Frankreich darauf beharrt, dass die Vertreibung und Verfolgung der Armenier während des Ersten Weltkrieges kein Völkermord, sondern beispielsweise ein notwendiger Akt der Selbstverteidigung gegen von Moskau instruierte armenische Eliten war, muss mit einem Jahr Gefängnis oder mit einer hohen Geldstrafe rechnen. Obwohl von den insgesamt 577 französischen Abgeordneten nur 106 für die Annahme dieses staatlichen Wahrheitsparagraphen votierten, waren die Verfechter der Kriminalisierung in der Mehrheit, weil die meisten Abgeordneten der bürgerlichen Parteien der Abstimmung fernblieben. Die formelle Gesetzwerdung hängt seither an noch ausstehenden Beschlüssen des Senats und des Präsidenten.

Mit der abstrusen juristischen Form zur Durchsetzung dieser angeblich unhinterfragbaren historischen Wahrheit hat Frankreich auf die türkische Gesetzgebung reagiert, die für ihre Bürger genau das umgekehrte Verhalten juristisch vorschreibt. Dort wird die Bezeichnung des schrecklichen Schicksals der Armenier als "Völkermord" juristisch verfolgt. Folgerichtig klaffen auch die Zahlen der Toten auseinander, die die Armenier zwischen 1915 und 1917 zu beklagen hätten. Während in französischen Quellen von 1,5 Millionen die Rede ist, nennen türkische Historiker durchwegs die Zahl 300 000. Die staatlich verordnete Leugnung des Völkermords an den Armeniern in der Türkei war es auch, die den Pariser Philosophen Bernard-Henri Lévy zu einem der Einpeitscher für die Einführung einer juristischen Handhabe zur Wahrheitsfindung machte. Er replizierte direkt auf die türkische Zensur und forderte in Hinblick darauf eine adäquate französische Antwort.

Ganz anders der armenischstämmige Journalist Hrant Dink, der bis zu seiner Ermordung durch türkische Nationalisten im Januar 2007 unter großen Mühen in Istanbul die Wochenzeitung Agos herausgab. Wie viele andere Intellektuelle hat er die Irrationalität der sich gegenseitig aufschaukelnden Meinungsparagraphen erkannt. In einem Interview mit der Zeitschrift Spiegel empörte er sich über die unmittelbaren Folgen des französischen Gesetzeswerks für eine offene Debatte: „Wie sollen wir künftig gegen ein Gesetz argumentieren, das uns verbietet über einen Genozid zu reden“, meinte er in Anspielung auf die türkische Zensur, „wenn Frankreich nun umgekehrt dasselbe tut?“ Tatsächlich können mittels Rechtssprechung verabreichte Wahrheiten den Inhalt der jeweiligen Wahrheit wohl kaum transportieren. Dem Staat geht es um die Form. Diesbezüglich haben sich in der Armenierfrage die Türkei und Frankreich angeglichen.

Proteste gegen Frankreichs Position waren freilich auch von staatlichen türkischen Stellen zu hören: "Eine Lüge bleibt eine Lüge, auch wenn ein anderes Parlament etwas anderes beschließt", ließ sich wenig originell der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan vernehmen. Geistesgegenwärtiger war da der – nicht angenommene – Antrag aus der Fraktion der islamisch orientierten Mehrheitspartei AKP, im Gegenzug zur französischen Kriminalisierung der Völkermordsleugnung an den Armeniern ein Gesetz gleichen Strickmusters zum französischen Völkermord in Algerien zu erlassen. Wo einmal die juristischen Schleusen zur Bewältigung von Vergangenheit geöffnet sind, gibt es bald kein Halten mehr.

Radikaler als in Frankreich agiert die Schweizer Staatsanwaltschaft. Dort läuft eine ganze Reihe von Verfahren gegen Völkermord-Leugner. So hat beispielsweise das Bezirksgericht in Winterthur drei Türken wegen Rassendiskriminierung schuldig gesprochen, weil sie den osmanisch-türkischen Völkermord an den Armeniern als "große Lüge" bezeichnet und damit geleugnet hatten. Verurteilt wurde in der Schweiz auch der bekannte links-nationale türkische Politiker Doğu Perinçek, der unter der Junta jahrelang im Gefängnis gesessen war. Am 24. Juli 2005 hatte Perinçek in Lausanne auf einer Kundgebung erklärt, dass der Völkermord an den Armeniern eine "imperialistische Lüge" sei. Für diese Leugnung ist er zwei Jahre später zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Damit war erstmals auch ein Politiker, dessen Arbeiterpartei (İşçi Partisi) in der Türkei immer wieder vom Verbot bedroht ist, einem westeuropäischen Gesinnungsparagraphen juristisch zum Opfer gefallen.

Erinnerungspolizei in Multikulti-Gewand
Anders als in Deutschland und Österreich protestieren gerade in Frankreich bekannte Schriftsteller, Historiker und Philosophen gegen staatlich verordnete Wahrheiten. Im "Appel de Blois", benannt nach der Stadt, in der sich die Initiatoren des Protestschreibens erstmals versammelt hatten, sprechen sich Erstunterzeichner wie Jacques Le Goff, Eric Hobsbawm und Timothy Garton Ash ganz generell gegen "Erinnerungsgesetze" aus. Es sei "nicht die Angelegenheit irgendeiner politischen Instanz, geschichtliche Tatsachen festzustellen oder die Freiheit des Historiker durch Strafandrohung einzuschränken", heißt es in dem Appell klar und unmissverständlich. Der französische Staat ließ sich davon nicht beeindrucken. Im Gegenteil: Paris erließ ein noch weiter gehendes Gesinnungsgesetz, in dem Lehrer und Schüler verpflichtet werden, die "positive Rolle Frankreichs in Übersee" zur Zeit des Kolonialismus, "besonders in Nordafrika", zu lehren bzw. zu lernen. Am 23. Februar 2005 erließ die Nationalversammlung eine entsprechende Unterrichtsleitlinie. Wohlgemerkt: keine schulische Richtschnur, sondern ein staatliches Gesetz. Der Sturm der Entrüstung darüber, der kurzfristig Lehrer und Universitäten erfasst hatte, hat sich zwischenzeitlich wieder gelegt. Dies mag auch daran liegen, dass bisher kein Strafrahmen beim Überschreiten des Gesetzes vorgesehen ist. Bemerkenswert bleibt dennoch, mit welcher Kaltschnäuzigkeit der französische Staat gleichzeitig eine positive Sicht der eigenen Kolonialgeschichte auf der einen Seite und die Unterstrafestellung der Leugnung von Völkermord an den Armeniern auf der anderen Seite betreibt. Als ob Frankreichs Kolonialsoldaten und Kolonialverwalter nicht von dieser Welt gewesen wären.

Was ist Völkermord?
Die "Gattung dahinmetzeln", so könnte man den griechisch-lateinischen Mischbegriff Genozid holprig ins Deutsche übersetzen. Das griechische "génos" steht dabei für Gattung, Volk, Geschlecht, während das lateinische "caedes" so viel wie Gemetzel, Blutbad bedeutet.

Am 12. Januar 1951 trat die UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord in Kraft. In Artikel II wird das Verbrechen als "Tötung von Angehörigen einer Gruppe" oder "Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden bei Angehörigen einer Gruppe" definiert, wenn damit die Absicht verbunden ist, "eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören." Die Absicht eines Völkermordes steht im Zentrum der entsprechenden Paragraphen. Es müssen also nicht besonders viele Menschen eines Volkes oder einer religiösen Gruppe ermordet werden, um die Tat als "Völkermord" bezeichnen zu können; die Absicht der Untat muss sich jedoch auf möglichst viele Mitglieder der entsprechenden Gruppe richten.

Bis zu den Massakern in Ruanda und dem Morden im jugoslawischen Zerfallsprozess in den 1990er Jahren war das Thema "Völkermord" in der juristischen Praxis weitgehend abwesend. Erst die 800 000 Toten in der ruandischen Tragödie und die Brutalität der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien haben den Völkermord als politische und juristische Kategorie ins allgemeine EU-europäische Bewusstsein gebracht. Dies sicherlich nicht wegen der Schwere der Massaker, obwohl im Falle Ruandas eine zuvor kaum vorstellbare Dimension erreicht war, sondern vielmehr wurde der Vorwurf des Völkermords als politisch brauchbar erkannt: einerseits von den entsprechenden Konfliktparteien, die dem jeweiligen Gegner Genozid vorwarfen, andererseits aber auch von auswärtigen Interessen. Am Auffälligsten geschah dies im jugoslawischen Völkermorden mit anschließender Nato-Intervention. Deutschland, die EU und die USA stellten sich nach und nach an die Seite all jener Kräfte, denen an einer Zerschlagung Jugoslawiens gelegen war. Eine daraus resultierende antiserbische Politik gipfelte in der von keinem UNO-Mandat legitimierten und darum völkerrechtswidrigen Angriff der 19er-Allianz auf Jugoslawien am 24. März 1999. Spätere Rechtfertigungen dieser Aggression brachten in vollständiger Umkehrung der Verhältnisse den Begriff "Völkermord" gegen Belgrad in eine ideologische Position, in der er sich bis heute über das zweifelhafte Jugoslawien-Tribunal in Den Haag (ICTV) gehalten hat. Die Ausstellung eines Haftbefehls dieses Tribunals gegen Slobodan Milošević mitten im Bombenhagel der Nato am 22. Mai 1999 war eher Teil des illegitimen Nato-Krieges als ein Akt einer unabhängigen Jurisdiktion.

Würde man "Völkermord" als objektivierbares Gräuel außer jeden (geo-)politischen Streit stellen, so müsste nicht nur längst die Hauptstadt der USA umbenannt werden – immerhin trägt sie den Namen eines Mannes, der am mutmaßlich größten Genozid in der Geschichte der Menschheit, der Ausrottung der nordamerikanischen Indianer, als General und Staatsmann führend beteiligt war –, sondern müsste auch so manch ein noch lebender US-amerikanischer, britischer oder französischer Verantwortlicher für Völkermorde in Korea, Vietnam, im südlichen Afrika oder in Algerien seinen Lebensabend hinter Gittern verbringen. Zaghafte Schritte zur Objektivierbarkeit der Tatbestände „Völkermord“ oder "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" wurden im Juli 1998 auf einer Konferenz der Vereinten Nationen mit der Gründung des "Internationalen Strafgerichtshofs" in Den Haag (nicht zu verwechseln mit dem Jugoslawien-Tribunal) gesetzt. Dieser Gerichtshof will neben Völkermord und Kriegsverbrechen auch das "Verbrechen der Apartheid" (Artikel 7j) sowie das "Verbrechen der Aggression" (Artikel 5d) ahnden. Unter anderem deshalb und mit dem Verweis auf eine notwendige Immunität der weltweit im Einsatz befindlichen US-Soldaten haben die USA ihre Teilnahme zurückgezogen und sprechen dem Gerichtshof jede Zuständigkeit ab. Nicht ratifiziert wurden die internationalen Dokumente – das "Rom-Statut" – bisher auch von Israel, Russland, China, Indien, Pakistan und Iran.

Leugnung von Völkermord wird strafbar
Der "EU-Rahmenbeschluss" vom April 2007 lässt keinen Zweifel daran, dass künftighin überall im Einflussbereich Brüssels die Leugnung von gerichtlich festgestellten historischen Wahrheiten, sollten sie Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit betreffen, einen Straftatbestand darstellt. Vorbild dafür gibt der § 130 Absatz 3 des deutschen Strafgesetzbuches ab, der das seit 30. Juni 2002 in Kraft befindliche "Völkerstrafgesetzbuch" inkludiert. Dort heißt es: "Mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung eine Handlung im Sinne von § 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches billigt, rechtfertigt, leugnet oder verharmlost, die 1.) unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft oder 2.) unter einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft (…) begangen wurde." Die Erläuterungen beseitigen dann jeden Zweifel über die Absicht, dem Strafgesetzbuch gerichtlich verordnete historische Wahrheiten zur Seite zu stellen, auf dass niemand darüber diskutieren dürfe: "Zum Beispiel: Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien." Das "Weltrechtsprinzip" stellt zudem sicher, dass die Strafbarkeit überall gegeben ist, nicht nur dort, wo die Tat – also z. B. das Leugnen – stattgefunden hat. Deutschland oder Spanien, das eine lange Tradition relativ skurriler Anklageerhebungen gegen irgendwo in der Welt vorgefallene Unrechtstaten aufweist, könnten eine ganze Rechtsindustrie aufbauen, um Verharmlosern bzw. Leugnern von Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord beizukommen.

Voraussetzung für diese Art der Gesinnungsjustiz ist laut EU-Rahmenbeschluss, dass eine "rechtskräftige Entscheidung eines internationalen Gerichts" vorliegt, das eine Untat als Völkermord eingestuft hat. Gerade im Fall der südslawischen Bürgerkriege ist beispielsweise mehr als zweifelhaft, ob diese Voraussetzung gegeben ist. Der Internationale Strafgerichtshof hat eine diesbezügliche Klage von Bosnien-Herzegowina gegen Serbien abgewiesen. Gleichzeitig wird aber in der Begründung das Massaker von Srebrenica aus dem Jahr 1995 als Völkermord bezeichnet, für den allerdings Serbien nicht verantwortlich gemacht werden könne. Andererseits verurteilte das Jugoslawien-Tribunal eine Reihe von militärisch oder politisch Verantwortlichen wegen Völkermords oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit – zumindest in erster Instanz –, zum Beispiel den serbisch-bosnischen Generalstabschef Radislav Krstić. In zweiter Instanz wurde dann der Tatbestand des Völkermordes wieder aus der Liste seiner Verfehlungen gestrichen. Gerade das großteils von privaten Sponsoren wie dem ungarischstämmigen Spekulanten George Soros finanzierte Jugoslawien-Tribunal ist streng juristisch gesehen ohne jede Autorität. Es wurde zwar von der UNO im Mai 1993 initiiert, hat sich aber aus der Umklammerung durch die US-Politik niemals lösen können. Seinen Völkermord-Definitionen haftet der Geruch geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen wie kaum sonst einer rechtlichen Einrichtung an.

Sollte sich die Lesart des deutschen Justizministeriums unter sozialdemokratischer Führung durchsetzen, wonach im ehemaligen Jugoslawien ein von serbischer Seite betriebener Völkermord an muslimischen Slawen verübt worden sei, dann könnten schon demnächst ein Dutzend Buchautoren, Journalisten und Historiker juristisch zur Rechenschaft gezogen werden. Leugnen ist Straftat.

Vom Sudan bis nach Galizien
Staatlich verordnete Diskussionsverbote können Einschätzungen überall auf der Welt betreffen. Sobald ein vom deutschen oder einem anderen EU-Justizministerium anerkanntes Gericht offiziell "Völkermord" konstatiert, darf daran nicht mehr gezweifelt werden, zumindest nicht öffentlich. Die Gedanken bleiben frei, ihre Äußerung wird strafbar. Sollte der internationale Gerichtshof in Den Haag beispielsweise den Krieg in Darfur als von Islamisten verübten Völkermord an Schwarzafrikanern beurteilen, wofür es gelegentlich Indizien gibt, neben anderen Interpretationen, so endet allein die Leugnung dieses Genozids im Gefängnis. Man stelle sich dies konkret vor: Im ARD wird ein bekannter Islamforscher danach gefragt, wie man den Völkermord in Darfur beenden könnte. Seine mögliche Antwort, dass die Sache komplizierter sei und wohl kein Völkermord vorliegen würde, brächte den Wissenschaftler vor den Kadi. Ein zweiter zweifelnder Islamkundler würde im Fernsehen oder sonst wo nicht mehr auftreten.

Auch wer die Politik der Roten Khmer im Kambodscha der 1970er Jahre nicht auf den Willen zur Vernichtung des eigenen Volkes reduzieren will, kann in Deutschland oder Österreich bald Schwierigkeiten mit der Justiz bekommen. Der gerichtlich festgestellten Wahrheit, nach der die Evakuierung der städtischen Bevölkerung auf das Land ein Völkermord gewesen sei, darf nicht mehr entgegen getreten werden. Wer danach fragt, ob die Führung der Maoisten unter Pol Pot und Ieng Sary unter dem Bombenhagel der US-Flugzeuge vielleicht zu dieser drastischen Maßnahme gezwungen waren, bewegt sich bereits im Graubereich der Illegalität.

Noch weiter fortgeschritten ist die Bestrafung von Gesinnung in der postsowjetischen Ukraine. Dort hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, nach dem es verboten ist, den Holodomor der Jahre 1932/33 nicht als sowjetisch-kommunistische Verschwörung zu bezeichnen. Wer also in Kiew behauptet, die große Hungersnot der Zwischenkriegszeit sei vor allem den Folgen des Bürgerkriegs um die Herrschaft in der Sowjetunion und einer katastrophalen Ernte geschuldet, geht ins Gefängnis. "Die Kommunistische Partei und die Sowjetregierung haben absichtlich Hunderttausende Ukrainer verhungern lassen": Dies ist die einzig zulässige Wahrheit. Der Wahnsinn dieser offiziell verordneten Gesinnung macht auch außerhalb der ukrainischen Grenzen nicht halt. So hat das Europaparlament eine Resolution ganz im Sinne der orange Kiewer Eliten verabschiedet, welche die ukrainische Tragödie als „Völkermord“ bezeichnen. Was in seriösen Historikerkreisen als – brutale – Folge der Kollektivierung der Landwirtschaft gilt, hat die postsowjetische, nationalistische Elite in der Ukraine zu einem „Völkermord an Ukrainern“ uminterpretiert. Das wäre weiter nicht schlimm, könnten sich Historiker oder Journalisten mit dieser Interpretation weiterhin auseinandersetzen. Doch jeder Debatte darüber wurde bei Strafandrohung, einen Völkermord zu leugnen, ein Riegel vorgeschoben.

Verrechtlichte Wahrheit
Ein überall auf der Welt wirtschaftlich immer sichtbarer als Diktatur des Kapitals auftretendes Gesellschaftssystem wird mit der Durchsetzung von Gesinnungsjustiz politisch und rechtlich nachjustiert. Damit kehrt eine Totalität nach EU-Europa zurück, die seit 1945 gebannt schien. Ökonomisch beruht diese auf Kapitalverwertung und Konkurrenz als einzig zulässigem und überall stattfindendem Prinzip; politisch-gesellschaftlich beginnt sie, sich über vermeintlich antirassistische, friedensgesinnte und multikulturelle Gesetzgebungen in unser Leben einzuschleichen. Als treibende Kraft fungieren einzelne Nichtregierungsorganisationen, politisch versuchen vor allem die Sozialdemokratie und die Grünen darüber Profil zu gewinnen. Warnende Stimmen kommen in erster Linie von Historikern und Liberalen, auch Teile der Linken erkennen die Sprengkraft, sprich: die politische Instrumentalisierbarkeit von verrechtlichter Wahrheit. "Geschichte ist keine Religion. Geschichte ist nicht Moral. Geschichte akzeptiert kein Dogma." Und: "Geschichte ist kein Objekt der Rechtssprechung." Mit diesen einfach zu verstehenden Kernsätzen appellierten am 13. Dezember 2005 bekannte französische Historiker an die politisch Verantwortlichen in Paris, Gesinnungsparagraphen und vorgeschriebene Wahrheiten aus den Gesetzbüchern zu streichen. Sie taten das in der Gewissheit, dass es der wohl schlechteste Weg ist, Vergangenheit aufzuarbeiten, indem man gesetzliche Vorschriften über ihre Erforschung und Rezeption erlässt. Auf diese Weise wird Geschichte im Dienste des aktuellen politischen Bedarfs instrumentalisiert. Sie wird zum Druck- und Repressionsmittel gegenüber Forschern und Intellektuellen, aber auch gegenüber politisch anders Denkenden. Der britische Historiker Timothy Garton Ash hat die Kritik seiner Zunft am "EU-Rahmenbeschluss" in einem Kommentar in der Zeitung The Guardian unter dem Titel "Freiheit der historischen Debatte von Gedankenpolizei attackiert" zusammengefasst: "Der Vorschlag der deutschen Justizministerin riecht nach übervorsorglichem Staat. Er spricht im Namen der Freiheit, aber er traut den Menschen nicht zu, sie auszuüben." Diese liberale Position ließe sich von links ergänzen, denn Gesinnungsjustiz ist als Herrschaftsinstrument instrumentalisierbar. In Kenntnis des Charakters der herrschenden Gesellschafts- und Rechtsordnung darf sich die Linke von ihrer antirassistischen Tarnung nicht täuschen lassen.